Tirza

Tirza

Arnon Grünberg
Tirza Diogenes
ISBN 3257066376

Schrecklich können Familienbande sein!
Die Rolle eines neurotischen und zerrissenen Vaters, an dessen Abnormität seine ganze Familie zugrunde geht, steht in Grünbergs neuem Roman im Fokus.
Väter mit Besitz ergreifender, grausamer und beherrschender Allmacht sind suspekt. Die neuesten Nachrichten aus der Hölle eines die Zivilisation missachtenden Vaters kann man täglich in den Medien verfolgen. Der Kulturschock ist immens. Die Übergriffe gegen Kinder und Frauen ziehen sich durch alle Schichten.

Jörgen Hofmeester, Ende fünzig, ist Lektor in einem angesehenen Literaturverlag und wohnt mit seiner Familie in einem vornehmen Viertel in Amsterdam. Von seinem Verlag ist er vorzeitig in den Ruhestand verabschiedet worden. Er beginnt, sich ein Scheinleben aufzubauen und klammert sich intensiv an seine Vaterrolle. Auch diese Rolle wird nicht von Dauer sein, denn das letzte ihm verbliebene Familienmitglied, seine jüngste Tochter, will nach dem Abitur nach Afrika. Die ältere Tochter und seine Frau haben ihn schon vor längerer Zeit verlassen.
Sein ganzes Sinnen und Trachten gilt der jüngsten Tochter, die in Anlehnung an das Alte Testament Tirza genannt wurde, Übersetzung für „die Anmut/ das Wohlgefallen.“ Er bemerkt nicht, dass auch sie ihm längst entglitten ist. Hofmeester zeigt sich wie besessen von seiner Vaterrolle, die ihm bei der Trübsal seines Lebensalltags als einzige noch geblieben ist.
Er ist gerade bei den Vorbereitungen für das Abiturfest, als unerwartet seine Frau wieder auftaucht.
Nun beginnt ein makaberes Spiel, das wie ein Kammerspiel aufgezogen ist und nicht weit entfernt von Tennessee Williams und seinem Theaterstück „Wer hat Angst vor Virginia Woolf “ angesiedelt zu sein scheint.
Zwischen den Eheleuten kommt es zu wortreichen Auseinandersetzungen und Anspielungen. Alle bisher unausgesprochenen Gemeinheiten der Ehejahre werden aufgetischt. Seine Frau schleudert ihm mit wütenden Ausbrüchen entgegen, wie er sie verkannt und beleidigt hat, und wie sehr sie ihn als ewigen Nutznießer ohne Gefühle für andere erlebt hat, so dass sie geradezu gezwungen war, das Weite und andere Männer zu suchen.
Offensichtlich geht Hofmeester verblendet durchs Leben. Seine Wahrnehmung ist getrübt, weil er überhaupt nicht fähig ist, die Realität zu sehen. Seine Tochter Tirza wird zu seinem einzigen Lebenselixier, und er entpuppt sich als Psychopath und aggressiver Sonderling, der schnell tätlich wird.
Unfassbare Abgründe tun sich auf!
Die Rolle eines Mieters im Obergeschoss seines Hauses wirft ein weiteres Schlaglicht auf die penible und verrückte Persönlichkeit des J. Hofmeester. Er reibt sich auf und ärgert sich, wenn die Miete nicht pünktlich entrichtet wird. Längst hat sich die älteste Tochter beim Eintreiben der Miete verdient gemacht,–und sich sexuell mit dem Mieter eingelassen. Immer wieder verliert Hofmeester daraufhin die Kontrolle über sich, und seine Mitmenschen sind ernstlich in Gefahr.
Wie kann man überhaupt die Kontrolle über sich gewinnen?
Tirza zeigt es ihm, denn die Probleme in der Familie haben eine lange Geschichte!
Der Protagonist wird als bedauernswerter Verlierer porträtiert. Keiner mag ihn wirklich, schon als Junge bekam er Prügel, und am Ende steht er nur noch mit leeren Händen und einer kaputten Familie da.

Grünberg lässt keinen Augenblick ungenutzt, um das abnorme Verhalten seines Protagonisten zu illustrieren, so dass man sich unweigerlich in den Sog eines psychischen Ausnahmezustands hinein versetzt fühlt. Die Helden bei Grünberg versuchen, Mensch zu sein und scheitern an ihrem eigenen Irrwitz.
Mit ausufernder Phantasie und Talent baut der Autor seine Geschichte langsam auf, bis er zielstrebig auf einen überraschenden und grausamen Schluss zusteuert.

Als Meister der feinen psychologischen Beobachtung zeigt sich der Autor Arnon Grünberg einmal mehr! Wie in seinem Buch “ Gnadenfrist“ setzt Grünberg die Zeichen, die einen Mann in seiner Verrücktheit und Absonderlichkeit zeigt.
Es ist ein Stück aus dem Tollhaus, das aber durchaus im Bereich der Realität liegt.

Claudine Borries

Bestellen

Die Kommentare sind geschlossen.