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Kategorie: Belletristik

Dani Shapiro: Leuchtfeuer

Dani Shapiro: Leuchtfeuer

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Der vorliegende Roman von Dani Shapiro behandelt eine Familiengeschichte mit berührenden Facetten. Die Erzählung wird nicht chronologisch erzählt, sondern sie verläuft in Zeitsprüngen zwischen 1970, 1985 und 2014 bis 2020.

Die Familie lebt in Avalon im Staat New York.
Beginnend mit einem tragischen Autounfall werden wir den Lebenslinien aller betroffenen Personen folgen.

Sarah ist 17 und Theo 15, als der Autounfall vor ihrem Elternhaus ihr Leben total verändert. Wir erfahren sogleich, was sich zugetragen hat, und wer sich schuldig gemacht hat. In einem stillen Übereinkommen wird über den Vorfall eisern geschwiegen.

Wir sehen Jahre später, wie Sarah sich zu einer erfolgreichen Drehbuchvermittlerin-und Produzentin entwickelt hat.
Sie hat Zwillinge und einen Mann Peter, der nicht gar so erfolgreich ist. Von New York ist ihre kleine Familie nach Los Angeles gezogen, wo sie im Kreise mehr oder weniger erfolgreicher Filmleute ihrem Alltag nachgehen.
Es geht ihnen wirtschaftlich gut. Leise deutet sich an, dass Sarah an einem geheimen Kummer leidet, der sie innerlich peinigt und unüberlegte Handlungen auslöst.

Theo ist am Ende seiner Jugend für viele Jahre verschwunden.
Ben und Mimi Wilf, die Eltern, altern über die Jahre. Auch an ihnen zehrt ein Kummer.

Das alltägliche Leben wird mit allen Schattierungen in den Fokus gerückt.
Jede Figur kommt in einem eigenen Kapitel zur Geltung.
Mimi, die fröhliche und glückliche Frau und Mutter, wird am Ende dement sein.

Wenn ein Kapitel endet, gerät für den Augenblick auch die Figur aus den Blick.

Es gibt neben den Wilfs noch eine Familie in der Nachbarschaft, die Shenkmans. Ben hat als Arzt dem kleinen Sohn ins Leben verholfen, als die Notfallhilfe zu spät kam. Der inzwischen zehnjährige Waldo hat eine tiefe Neigung zur Astronomie. Er ist hingerissen von fremden Himmelskörpern und verbringt viel Zeit damit, das Universum zu erforschen. Sein Vater ist streng und versucht, dem Sohn diese Leidenschaft auszutreiben. Später werden Waldo und Ben dem Rahmen der Handlung einen nachdenklichen Schlusspunkt verleihen.

Die Familien sind ihren Ritualen nach jüdische Familien.
Die eigenen Charaktere aller Protagonisten gewinnen durch die Schilderungen von Dani Shapiro Konturen.
Wie sie ihre Geschichte angeht, zeugt von überragender Fähigkeit, Geheimnisse als solche zu belassen. Sie baut Spannung auf, die den Leser fasziniert und irritiert zugleich.

Kleine Begegnungen, Gespräche und Handlungen leuchten kurz auf, um dem großen Ganzen wieder Raum zu geben. Die Nebengeschichten sind wichtig, weil sie den Blick öffnen, um die Lebensschicksale zu beleuchten und zu verstehen. Warum über das Geheimnis, das alle plagt, nicht gesprochen wird, und zu welchen Konsequenzen unausgesprochene Ereignisse mit belastendem Charakter führen können, das führt Dani Shapiro mit klugen Einlassungen aus.

Diese Familiengeschichte umfasst viele Jahre. Vom Beginn des Lebensglücks bis zu ihrem Fortgang und Ende sehen wir, was mit dem Vergehen der Zeit aus allen geworden ist.
Es ist ein faszinierendes Familienporträt.

Dani Shapiro
Leuchtfeuer
hanserblau, Februar 2024
288 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3446279350
ISBN-13: 978-3446279353
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Elizabeth Strout: Am Meer

Elizabeth Strout: Am Meer

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Lucy Barton ist die Heldin dieses Romans. Wir kennen sie schon aus früheren Werken, so wie E. Strout ihre Protagonisten in ihren Romanen häufig wiedererstehen lässt.

Aufhänger für die Erzählung ist die sehr dramatische Geschichte der Pandemie, die uns vor einigen Jahren heimsuchte, und durch die so viele Menschenleben ausgelöscht, jedenfalls aber aus der Bahn geworfen wurden.
Um dieses Geschehen entwickelt E. Strout ihre Geschichte von Liebe und Vergehen.

Lucy, die erfolgreiche Schriftstellerin, ahnt nichts, als ihr Exmann William sie auffordert, schnell und unvorbereitet mit ihm einige Zeit nach Maine ans Meer zu fahren. Ihr Mann David ist kürzlich verstorben, und William ist gerade von seiner dritten Frau verlassen worden. Er ist emiritierter Professor.

Sehr bald wird auch Lucy klar, wie ernst die Lage für uns Menschen überall auf der Welt geworden ist. Die Behörden in New York werden kaum fertig mit den zahlreichen Kranken und Toten.
Wie aber werden zwei ehemals sich sehr nahestehende Menschen auf engem Raum diese Lage bewältigen?
Lucy trauert um ihren zweiten Ehemann, an den sie so herzliche und gute Erinnerungen hat. William aber war ihr immer ein Freund geblieben.

Wie Elizabeth Strout die Gefühle und den Umgang der beiden miteinander beobachtet und nachfühlt, macht ihr so schnell keiner nach! Die zwei erwachsenen Töchter, um die Lucy sich sorgt, spielen keine geringe Rolle im Leben der zwei.

Neue Begegnungen, Erinnerungen an Vergangenes, ihre Töchter und deren Lebenswege, Veränderungen vielfältiger Art: das alles nimmt Elizabeth Strout zum Anlass, uns davon zu erzählen. So entsteht ein Kleinmosaik der Welt, in der die großen und gravierenden Ereignisse ebenso ihren Platz haben, wie die Schicksale im Kleinen. Die Autorin nutzt wie immer ihre Fähigkeiten, uns so nah wie möglich am äußeren und inneren Leben ihrer Protagonisten teilnehmen zu lassen. Lucy ist in ihren Schilderungen eine warmherzige und mitfühlende Seele. Sie kann trösten, und sie ist interessiert am Geschehen um sie herum. Sie pflegt Freundschaften und gesteht sich zugleich ihre eigenen Schwächen ein.
Der Leser fühlt sich unmittelbar mit einbezogen in ihr Leben.

Es geht um Verluste, um Ängste, um Glück und verlorenes Glück, um Beziehungen der Menschen untereinander, um Irrtümer und Erfahrungen, die Vielfalt des Lebens und „Welches Glück, dass wir nicht wissen, was uns im Leben erwartet.“ (Klappentext)
„Es ist unsere Pflicht, die Bürde des Unerklärlichen mit so viel Anstand zu tragen, wie wir können.“(S. 159)
Sätze wie diese bilden in zahlreichen Passagen die Essenz der Lebenserfahrungen.

Der Leser erfährt Dinge, die ihn anregen, an eigene Erinnerungen anzuknüpfen. Der Roman ist im besten Sinne Unterhaltungsliteratur mit feinem Gespür für die seelischen Verwerfungen, denen wir Menschen anheimfallen können. Liebe, Trennungen, unerwartete Ereignisse, die aus der Bahn werfen, Glück und Freude: das alles finden wir hier wieder.

Elizabeth Strout
Am Meer
Luchterhand Literaturverlag, Februar 2024
288 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3630877486
ISBN-13: 978-3630877488
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Bernhard Schlink: Das späte Leben

Bernhard Schlink: Das späte Leben

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Ein Mann von 76 Jahren erfährt, dass er nur noch kurze Zeit zu leben haben wird. Er hat einen kleinen Sohn von sechs Jahren und eine vierzig Jahre jüngere Frau. Wie richtet man sich damit ein?

Bernhard Schlink, der Autor dieses kurzen Romans, ist ein Meister der Reflexion. Zügig und ohne überflüssige Worte beschreibt er das vergangene Leben seines Protagonisten; wie es zur Ehe mit dieser jungen Frau kam, und sich auch noch das Söhnchen unerwartet eingestellt hat.

Man kann sich vorstellen, was es bedeuten mag, unerwartet mit dem baldigen Tod konfrontiert zu werden. Fragen und Ängste tun sich auf, wie das restliche Leben und das Ende sein wird.

Schlink versteht es, die Situation nachfühlend zu beschreiben. Er lässt einen jeden nach seiner Art zu Wort kommen. Gefühle werden angedeutet. Schlink bemüht sich in seiner Geschichte um größtmögliche Nüchternheit.
Doch kann man so ein Geschehen wirklich in seiner ganzen Dimension begreifen?

Ulla, die Frau, zeigt Gefühle, die ihr Mann gelegentlich bei ihr vermisst hat. Und David, das Söhnchen, fragt nach Gott und dem Himmel.
Der Alltag geht weiter. Zuweilen glaubt Martin, die Diagnose stimmt gar nicht.
Er ist Professor im Ruhestand und nimmt noch zahlreiche Aufgaben wahr.
Schlink vermittelt das Bild einer ruhigen und zufriedenen Familie. Das drohende Ereignis schwebt unablässig über ihr.

Doch dann kommt als weiteres Erschwernis die Entdeckung der Untreue von Martins Frau hinzu.
Wie der Protagonist damit umgeht, das wird im zweiten Teil des Romans kunstvoll wiedergegeben.
Es stellt sich die Frage: kann man im Leben alles richtigmachen?
Der Versuch, sich in Briefen und Ereignissen unsterblich zu machen, mag ein jeder fühlen und sich danach verhalten.
Offen und klar beschreibt Schlink, wie sich die Krisen in der Ehe darstellen, welche Versuche Martin startet, um dem geliebten Söhnchen in Erinnerung zu bleiben.
Zahlreiche Selbstzweifel kommen auf und alles unterliegt der kritischen Reflexion des Hauptdarstellers.

Schlink hat ein feines Gespür für seelische Nöte und Krisen in verschiedenen Lebensaltern. Und er kann sie wunderbar in gelebtes Leben umsetzen.

Vielleicht ist die Güte zu groß, die im Verhalten von Martin sichtbar wird. Krisenhafte Entwicklungen in der beschriebenen Form sind jedoch sehr gut nachvollziehbar.

Der Leser folgt gebannt den Ausführungen, denn sie erscheinen wie eine echte Biographie.
Sicher greifen Autoren in ihren Werken auf eigene Lebenserfahrungen zurück. Das macht ihre Werke so anrührend und glaubhaft.
Ein besinnliches, nachdenkliches Werk ist Bernhard Schlink gelungen. Man liest es mit großem Gewinn!

Bernhard Schlink
Das späte Leben
Diogenes, Dezember 2023)
240 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3257072716
ISBN-13: 978-3257072716
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Paul Auster: Baumgartner

Paul Auster: Baumgartner

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Paul Auster beschäftigt sich in seinem vorliegenden Roman mit Abschied und Tod.

Zu Beginn sitzt sein Protagonist Seymour Baumgartner am Schreibtisch und arbeitet. Er will eben noch seine Schwester anrufen, und schnell befindet man sich mitten im Leben des 72 Jährigen.
Er ist emeritierter Professor der Phänomenologie und lebt seit vielen Jahren alleine. Seine Frau Anna kam vor zehn Jahren bei einem Unfall ums Leben.
In seinen Gedanken ist sie immer noch mit ihm bei allem täglichen Geschehen und in den Nächten, wenn er wach liegt und nachdenkt, wie alles gekommen ist.

In unvergleichlicher Weise werden wir Zeuge, wie das Leben sich verändert hat. In den Erinnerungen und in Aufzeichnungen von Anna, die er gefunden hat, wird über das Kennenlernen und das Leben zu zweit berichtet. Die sechziger Jahre werden lebendig mit ihrem Aufbruch in Kunst, Wissenschaft und Gesellschaft. Der Vietnamkrieg mit allen Folgen für Familien und Freunde wird gegenwärtig.

Anna war eine Rebellin. Sie hat das reiche Elternhaus hinter sich gelassen und arbeitet in New York in einem kleinen Verlag. Anlässlich eines ungewöhnlichen Ereignisses auf ihrem Heimweg in der Nacht sucht sie bei ihrem Freund und Geliebten Sy, wie er genannt wird, Hilfe. Er macht ihr einen Heiratsantrag. Sie stimmt ihm nach einer glücklichen Nacht freudig zu. In so vielen Dingen waren sie in Übereinstimmung miteinander!

Diese Beziehung dominiert den Roman. Anna und Sy haben eine enge geistig-mentale innere Bindung, die ihresgleichen sucht. Hier denkt man unwillkürlich an das Paar Auster und Siri Hustvedt, die in New York als DAS Intellektuellenpaar gelten mit einer ebenso engen und unverbrüchlichen inneren Bindung.
Im Roman muss Sy schon so viele Jahre alleine leben!

In poetischen Bildern erleben wir ihn bei Betrachtungen der Natur, bei der Erinnerung an einen engen Freund, der im Zuge des Vietnamkriegs tödlich verunglückte und immer wieder in fast surrealen Begegnungen mit der toten Anna. Gespräche, die er in Gedanken mit ihr führt, werden im Wechsel mit seinem täglichen Leben äußerst realitätsnah beschrieben.

Vor uns ersteht ein New York, das in besonderer Weise charakteristisch war oder auch heute noch ist: intellektuell, dynamisch und voller Gegensätze zwischen arm und reich. Gesellschaftlich schien dieser Ort der Mittelpunkt der Welt zu sein. Hier entstanden Freundschaften und bildeten sich Lebensgemeinschaften zu gemeinsamen Spaß, zur Unterhaltung und zu geistigem Austausch. Durch alle Turbulenzen hinweg blieb die Beziehung zwischen Sy und Anna unerschütterlich.

In dem Roman gleiten kleinere Abschweifungen in die Vergangenheit über in die Gegenwart.
Man erkennt klare Strukturen: Vergangenheit, Gegenwart und Bezüge zwischen beiden.
Da geht es weit zurück die Familiengeschichten von beiden Partnern.

Auster beschreibt das Leben, wie es nach dem Tod eines sehr geliebten Menschen sein kann, wenn man fast symbiotisch verbunden war.
Unschwer erkennt man autobiographische Züge, denn Paul Auster hat Krebs und verarbeitet in diesem Roman fiktiv das Leben nach dem Ende eines Partners.

Die Erzählung ist zärtlich, traurig, suchend und zeigt das Bemühen, nach so vielen Jahren nochmal eine Gefährtin zu finden. Ob es ihm gelingen wird?
Eine gewisse Melancholie ist unübersehbar.

Paul Auster kann schreiben! Gelegentlich denkt man beim Lesen an Philip Roth.
Beide gelten als Titanen der Literatur!

Paul Auster
Baumgartner
Rowohlt Buchverlag, 2. Auflage November 2023
208 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3498003933
ISBN-13: 978-3498003937
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Gabriele von Arnim: Der Trost der Schönheit

Gabriele von Arnim: Der Trost der Schönheit

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Nach ihrem viel beachteten Buch über die Jahre mit ihrem schwer pflegebedürftigen Mann hat Gabriele von Arnim nun ein Buch über die Schönheit und die Suche danach geschrieben.

Dabei gelingt es ihr mit ihrem reichen Wortschatz, die Augenblicke des Lebens zu rekapitulieren, in denen sie Schönheit beruhigt und aus dem Alltag herausgehoben und getröstet hat.

Auf diese Weise kann sie ihr ganzes Leben noch einmal an sich vorbeiziehen lassen.
Die einsame Jugend, das unterkühlte Elternhaus, in dem es weder Musik noch Literatur gab und in der es eine Bestimmung gab, die zu konventionellem Verhalten drängte und wenig Freiheit für den Geist und das freiheitssuchende Kind gab. Sehr vornehm ging es da zu!
Später erlebt die Erzählerin Trost im Anblick von Kunst, Natur und erlebter Lebensfrische.

Es sind die kleinen Dinge des Lebens, auf die uns die Autorin mit ihren überbordenden Gefühlen hinweist: ein Abendhimmel, ein Schwimmen im Meer, eine Mahlzeit in gemütlicher Abendstunde- und Runde. Nicht zuletzt immer wieder die Literatur, die Trost zu spenden weiß.
Man kann sich vorstellen, wie man alle diese Dinge erinnert, um sich damit ein gewisses Lebensglück zurückzuholen.

Der Lebensfaden zieht sich durch die Betrachtungen, und man erfährt so einiges aus dem Leben der Autorin, das einen aufhorchen lässt.
Ja, es gab auch trübe Stunden, die Einsamkeit und Verlorenheit während der großen Epidemie im Jahr 2020 z.B. Von Arnim bekennt, wie sie in diesen Zeiten Verlassenheitsgefühle plagten. Doch sie findet heraus aus der Niedergeschlagenheit. Sie lässt uns teilnehmen am Herausfinden von Glück und Freude, und dass alleine ein schöner Blumenstrauß uns zur Freude gereichen kann.

Die Ehrlichkeit der Erzählerin wird dann deutlich, wenn sie über ihre Ängste spricht, ihre Unzulänglichkeiten und die Not, die sie gelegentlich erfahren hat. Sie gaben den Antrieb, sich nach dem umzuschauen, was das Leben lebenswert macht.

Fast einem Tagebuch gleich fließt der Strom der Glückssuche durch die Zeilen.
Ist es mehr ein Monolog über die Suche nach der Schönheit?
Ein wenig fehlt der rote Faden, wenn von Arnim von einem schönen Augenblick zum nächsten eilt.
Es animiert den Leser, sich der Muße hinzugeben und auch dem eigenen Leben Beachtung zu schenken nach dem, was es an Schönem zu erleben gab. Ob es immer Trost sein kann in Zeiten des Verzagens und der Not?
Der Leser*in muss es für sich entscheiden.

In einem Anhang findet man die zahlreichen Bücher, aus denen die Zitate stammen, mit denen Gabriele von Arnim ihre Aufzeichnungen über Schönheit und Vergänglichkeit, Fluch und Segen belegt.

Gabriele von Arnim
Der Trost der Schönheit
Rowohlt Buchverlag, 2. Auflage August 2023
224 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3498003518
ISBN-13: 978-3498003517
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Olivia Ford: Der späte Ruhm der Mrs. Quinn

Olivia Ford: Der späte Ruhm der Mrs. Quinn

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Jennifer Quinn ist 77 Jahre alt. Sie lebt mit ihrem Mann Bernhard, den sie über alles liebt, in einem schönen Haus mit Garten in einem ruhigen Dorf. Den Ruhestand kann sie jedoch nicht so recht genießen. Soll es das gewesen sein? Der 60. Hochzeitstag steht bevor und auch für diesen Tag wird sie wieder backen. Sie hat viele Familienrezepte zur Hand und backt regelmäßig. Ihre Kreationen sind bei Familie und Freunden beliebt.

Mrs. Quinn mag die bekannte Backshow im Fernsehen. Gerne würde sie hier auch einmal vor der Kamera stehen und zeigen, wie gut sie backen kann. Sie bewirbt sich jedoch heimlich, bringt es nicht übers Herz, Bernhard darüber zu informieren. Vielleicht wird es ja auch nichts. Dieses Geheimnis ist nur ein kleines. Doch gibt es noch ein anderes, das sie allerdings schon viele Jahrzehnte hat. Etwas geschah, bevor sie Bernhard kennenlernte. Vielleicht wird es Zeit, was ihr so sehr auf der Seele lastet, mit ihm zu teilen. Doch wie wird er es aufnehmen?

Der Roman beschäftigt sich auf bewegende Art und Weise mit dem Älterwerden. Mrs. Jennifer Quinn ist eine liebenswerte alte Dame. Ihre Sammlung an Familienrezepten hat eine ganz besondere Bedeutung für sie, wie aus einem zweiten Erzählstrang zu erfahren ist. Gegenwart und Vergangenheit werden im Buch parallel dargestellt und offenbaren die Gewissensbisse, von denen Jennifer noch im Alter geplagt wird, als lägen die Geschehnisse nicht lange Zeit zurück. Und so schwingt zwischen den Zeilen immer eine gewisse Traurigkeit mit.

Das Hauptaugenmerk liegt auf der Backshow, denn mit der Bewerbung möchte Jennifer sich einen großen Traum erfüllen. Wie viele verschiedenen Kuchensorten es doch gibt! Es geht von einem Rezept zum nächsten und alle sind mit Erinnerungen an Geschehnisse oder lieben Personen verbunden. Leider entstehen gerade hier einige Längen im Buch, denn die Show nimmt sehr viel Raum ein. Auch andere Bewerber zeigen ihr Können. Die Konkurrenz ist nicht zu unterschätzen. Es entwickeln sich aber auch Freundschaften, die Jennifer guttun und ihr helfen, zu entscheiden, wie sie ihren weiteren Lebensweg gestalten und mit ihrem Geheimnis umgehen möchte.

Olivia Ford
Der späte Ruhm der Mrs. Quinn
Aus dem Englischen von Sonja Rebernik-Heidegger
400 Seiten, gebunden
dtv Verlagsgesellschaft, Oktober 2023
ISBN-10: ‎3423283823
ISBN-13: 978-3423283823
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Tim Parks: Hotel Milano

Tim Parks: Hotel Milano

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Dieses Buch zeigt die schrecklichen Folgen einer tödlichen Epidemie, die im März 2020 die Welt erschütterte und sie verändern sollte.

Frank erhält unerwartet zu dieser Zeit Nachricht vom Tod seines einstigen Rivalen und Freundes Dan Sandow. Sie waren beide erfolgreiche Journalisten.
Man bittet ihn dringend, an der Beerdigung teilzunehmen, die in Mailand stattfinden soll, wo Dan an der Seite seiner Freundin Vittoria beigesetzt werden wollte.
Amerikanische Freunde werden es nicht bis nach Mailand schaffen in so kurzer Zeit.

Frank ist schon alt und lebt ein zurückgezogenes Leben in London. Die Reise bietet eine willkommene Abwechslung.
Er ist aufgewühlt. Wird er Connie, seine Exfrau, die auch Dans Geliebte war, dort wiedersehen?
Er ist in seinen Gedanken immer wieder bei ihr, mit der er schon lange nicht mehr zusammenlebt.
Ben, Franks Sohn, warnt seinen Vater eindringlich vor der Reise. Eine schreckliche Epidemie kündigt sich gerade an.

Im Hotel Milano in Mailand findet sich Frank wieder. Das komfortable Leben eines Gentlemans auf Reisen gefällt ihm. Die vielen Annehmlichkeiten genießt er sehr. Er registriert nicht, dass eine tödliche Epidemie das Leben bald lahmlegen wird.

Langsam entsteht ein Stimmungsbild, das Einblicke in die unaufhaltsame Veränderung des Lebens bietet. Frank knüpft Kontakte zu den anderen Gästen und hört deren Lebensgeschichten.

Man erfährt von ungewöhnlichen Schicksalen. Unentdeckte Flüchtlinge haben sich versteckt. Frank wird zum unfreiwilligen Helfer. Er scheint nicht zu begreifen, welche Gefahren auf ihn und jeden anderen zukommen. Strenge Ausgangsregeln und Hygienemaßnahmen bestimmen das weitere Leben.

Er lebt wie ein Traumtänzer im Angesicht des Untergangs und denkt an seine baldige Abreise.
Wird er überhaupt je wieder nach Hause können?

Der Autor fängt eine Atmosphäre ein, in der in aufwühlender Weise Einschränkungen und Maßregeln das tägliche Leben bestimmen. Die ersten Anzeichen der sich steigernden Verbote vermitteln eine fast archaische Zeitenwende, in der nichts mehr ist wie gewohnt.

Tim Parks hat die unvergleichliche Fähigkeit, Menschen in ihrem Zusammenspiel zu beobachten und zu charakterisieren. Er kann Abgründe beschreiben und spürt Schicksalen nach. Es gibt unerwartete Nähe und Hilfsbereitschaft, die genauso schnell wieder vergehen. In Franks Gedanken entstehen Fantasien, die bald von der Wirklichkeit eingeholt werden. Die Zustände bleiben skizziert und der Leser hat Spielraum, sich ein eigenes Bild über die jeweiligen Begebenheiten zu machen.

Obwohl die Lage düster ist, wirkt die Erzählung nicht bedrückend. Das Stimmungsbild vermittelt eine gewisse Distanz, die uns zum Zuschauer macht. Doch auch der Leser wird sich erinnern, wie tragisch sich die Welt seither verändert hat!

Tim Parks ist ein hoch sangesehener Schriftsteller. Er lebt in Mailand. Seine Werke sind mit unzähligen Preisen ausgezeichnet.

Tim Parks
Hotel Milano
Kunstmann, September 2023
240 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3956145631
ISBN-13: 978-3956145636
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Tibor Rode: Der Wald – er tötet leise

Tibor Rode: Der Wald – er tötet leise

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Hunderte Menschen weltweit erhalten Päckchen, die Tüten mit fremdartig aussehenden Pflanzensamen enthalten. Es gibt keinen Absender und kein Begleitschreiben. Und obwohl niemand weiß, was genau das für Samen sind, werden sie von vielen Empfängern eingepflanzt. Es ist schon erstaunlich, wie schnell die Pflanzen wachsen und andere verdrängen. Bald steht fest, die Höllenpflanze lässt sich nicht stoppen, womit sie auch bekämpft wird. Im Gegenteil nutzt sie diese Bemühungen, um sich noch stärker auszubreiten. Die Assassina incognita ist ein gefährliches Gewächs und gibt Botanikern Rätsel auf. Wo immer sie auftaucht, verursacht sie allergische Reaktion. Auch ist es keine gute Idee, sie mit bloßen Händen zu berühren.

Marcus Holland, Botaniker, Pflanzenneurologe und Autor, wird gebeten, sich an der Forschungsarbeit zu beteiligen. Doch auch er kann die Pflanze nicht einordnen, erkennt aber schnell ihre Gefährlichkeit und auch, dass man sie nicht so leicht wird ausrotten können. Die invasive Pflanze ist perfekt angepasst und hat das Zeug dazu, die Menschheit auszurotten. Wer steckt dahinter und warum? Der Versender der Samen muss es wissen, das ist Holland klar. So begibt er sich auf Spurensuche und nimmt sogar eine China-Reise auf sich.

Der Autor hat ein spannendes Szenario entwickelt, das Gänsehaut verursacht. Die Covid-Pandemie wird nicht ausgeklammert, vielmehr wird ein Stück weit darauf aufgebaut. Parallelen sind erkennbar. Aber auch andere Themen, die uns derzeit beschäftigen, fließen ein.

Erzählt wird in schnellen Szenenwechseln. Das sorgt für Spannung. Für die Entwicklung der Handlung werden viele Aspekte herangezogen, die vielleicht auf den ersten Blick unrealistisch erscheinen, jedoch auf recherchierten Fakten beruhen. So wird zum Beispiel die rasante Entwicklung der KI mit einbezogen, die in diesem Roman eine zentrale Rolle hat. Fiktives kommt hinzu und beleuchtet, was vielleicht irgendwann möglich sein könnte.

Aber auch in die Vergangenheit geht es. So zu Johann Wolfgang Goethe, der auch Naturforscher war und sich für die Urpflanze interessierte. Die Archäobiologin Waverly Park verfolgt entsprechende Spuren schon seit längerer Zeit. Hier gibt es interessante Rückblicke. Die verschiedenen Perspektiven werden schließlich zusammengeführt und der Ökothriller zu einem interessanten Ende gebracht.

Das Buch ist gut geschrieben, vielschichtig, abwechslungsreich und thematisch unglaublich spannend.

Rezension von Heike Rau

Tibor Rode
Der Wald – er tötet leise
464 Seiten, broschiert
Droemer, 1. September 2023
ISBN-10: 3426284006
ISBN-13: 978-3426284001
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Richard Ford: Valentinstag

Richard Ford: Valentinstag

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Richard Ford nimmt uns noch einmal mit zu seinem Helden Frank Bascompe, mit dem wir schon so lange Jahre in zahlreichen Büchern die amerikanische Gesellschaft kennenglernt haben.
Jetzt ist er 74 Jahre alt. Er wollte ein zurückgezogenes Dasein fristen, hat er doch lange genug gearbeitet.

Nun aber ist sein zweiter Sohn Paul schwer krank. Er ist 47 Jahre alt und wird nicht mehr lange leben.
So machen sich die zwei zu einer Fahrt im Wohnwagen durch Amerika auf den Weg. Von Minnesota bis zum Mount Rushmore soll die Reise gehen.
Sie waren sich nie sehr nah. Jetzt fordert sie das Schicksal heraus, denn der Tod ist nicht mehr fern.

Wie immer sind es die Details der kleinen Leute, die das amerikanische Kleinstadtidyll prägen.
Frank erinnert sich seiner Ehe und prüft auf dieser Reise ein letztes Mal seine männliche Anziehungskraft.
Paul, sein Sohn, ist bizarr in seinen Gesten, seinem Auftreten und in seinem Verhalten. Er hat ALS, eine Nervenkrankheit, die nach und nach alle Organe mit Lähmungen befällt. Ihn erwartet ein trauriges Ende. Frank ist sich dessen sehr bewusst.
Es entsteht ein Roadmovie, bewegend und den Alltag spiegelnd auf einer langen Reise.

Kein wirklicher Handlungsstrang ist erkennbar. Man fährt durchs Land und lässt die Landschaft auf sich wirken. Die Reiserfahrungen sind nicht aufregend. Ein Hotel hier, ein Motel dort; eine Autopanne und das Fortkommen auf andere Weise. Menschen, die den beiden begegnen, einmal hilfreich, dann wieder reizvoll anziehend: Fantasien über Sex und die Liebe. Und immer wieder Ärzte, wenn es Paul schlecht geht.

Vater und Sohn kommen sich näher. Paul ist witzig, zuweilen sarkastisch, manchmal auch einfach albern. Der Vater lässt sein Leben vor seinem inneren Auge vorüberziehen. Die missglückte Ehe, den Tod seines ersten Sohnes: es gab Ereignisse, die ihn in der Erinnerung melancholisch stimmen. Die Gegenwart mit den Unbilden der Reise fordern seine ganze Kraft und Aufmerksamkeit.
Mit wachem Blick umkreist er sein Leben und das seines Sohnes. Wie wird das Ende sein?

Wie alle Romane über den Helden Bascombe zeigt auch dieser Roman, wie viel Richard Ford vom Leben und den Menschen versteht. Sein Held ist von reger Beobachtungsgabe und durchaus dem Leben zugewandt. Vor allem aber beginnen Vater und Sohn einander zu verstehen. Es entbehrt nicht einer gewissen Rührung, wenn Frank seinem Sohn bei den Intimverrichtungen helfen muss. Mit einer gewollt burschikosen Weise gehen sie diese Dinge an.

Spürt man am Ende nicht eine gewisse Zärtlichkeit?
Die ganze Reise ist ein „Miteinander-leben-lernen“.

Niemand versteht die amerikanische Gesellschaft und ihre Lebensweise besser als Richard Ford, der diese Kenntnis hier wieder einmal unter Beweis stellt. Gelegentliche Längen können den Gesamteindruck nicht schmälern, dass es sich hier um ein abgerundetes Meisterwerk handelt.

Richard Ford
Valentinstag
Hanser Berlin, August 2023
384 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3446277323
ISBN-13: 978-3446277328
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Ferdinand von Schirach: Regen

Ferdinand von Schirach: Regen

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In seiner unvergleichlich trockenen Erzählweise berichtet von Schirach in seinem neuen Buch über Alltägliches.
Der Erzähler ist Schöffe wider Willen. Er wehrt sich gegen dieses Amt, muss es aber antreten.
Nun purzeln ihm die drolligsten Gedanken und Einfälle aus der Feder.

Es beginnt ein Monolog über tägliche Dinge, wie sie einem geübten Beobachter ins Auge fallen.
Vorgänge im Gericht und Amtshandlungen werden mit der größtmöglichen Präzision dargestellt.
Die Genauigkeit der Sprache ist fast ein Markenzeichen des Schriftstellers von Schirach.
Auch die Aufgaben von Autoren werden hinterfragt. Was tun sie überhaupt? Was macht Sinn?

Mit Tempo geht es weiter: in die Karibik, die Menschen und das Meer. Die Resultate seiner Beobachtungen sind zuweilen von grotesker Komik, so dass man laut lachen muss.
Bei weitem aber sind das keine dummen Überlegungen: im Gegenteil, man kommt erst darauf, mit was für einem Unsinn sich Menschen beschäftigen. Was z.B. ist „ein gutes Buch“?
Ja wirklich, man beginnt die eigenen Ideen zu hinterfragen!

Ambivalenz ist ein weiteres Stichwort; am schönsten aber ist die Geschichte von den 80%!
Von Schirach rechnet einmal vor, wieviel Mist uns täglich beschäftigt: es sind 80% aller Tätigkeiten. Ob Bücher, Filme, tägliche Erledigungen etc.
Auf Reisen in die Karibik: Zitat:“ in den sogenannten schönsten Wochen des Jahres liegen die Leute schwitzend auf Fischkot herum, baden in Kloaken, lesen schlechte Bücher und bekommen von der Sonne Hautkrebs“. S. 39

Auch die griechische Götterwelt ist von Schirach nicht fremd, und er weiß sie passend in das Panoptikum menschlicher Schwächen und Fehler einzufügen.
Hier tritt ein Autor bescheiden und unaufdringlich auf. Er hat ein immenses Wissen, das in den einzelnen Episoden zum Vorschein kommt. Und immer wieder die kurzen, fast spartanischen Sätze. Nur kein Wort zu viel!

Die Erzählung ist eine rundum hervorragend gelungene Persiflage auf das Leben insgesamt. Ein leicht melancholischer Einschlag liegt wie ein Schatten über den Schilderungen.

In einem anschließenden Interview äußerst sich von Schirach zu zahlreichen eigenen Lebenseinstellungen, auch zu seinem Privatleben. Er bleibt offen und setzt zugleich Grenzen, wenn es ihm zu privat wird.

Ein schmales Bändchen nur, aber hinreißend geschrieben, kurz, bündig und prägnant.
Wer sich einen amüsanten Nachmittag gestalten will, gespickt mit Lebenserfahrung und Weisheit, der gönne sich dieses schöne knapp 108 Seiten lange Werk. Es ist ein Lesegenuss und sicher von Schirachs persönlichstes Büchlein.

Ferdinand von Schirach
Regen
Luchterhand Literaturverlag, August 2023
112 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3630877389
ISBN-13: 978-3630877389
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