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Peggy Weber (Herausgeber): Im Licht von Orion: 2015 Collection of Science Fiction Stories

Peggy Weber (Herausgeber): Im Licht von Orion: 2015 Collection of Science Fiction Stories

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Ich habe nicht viel Zeit und Muse, außerhalb des Jobs noch etwas zu lesen. Eine Geschichtensammlung kam mir da gerade recht. Science Fiction aus deutscher Feder verspricht „Im Licht von Orion“ aus dem Verlag für Moderne Phantastik. Warum der Untertitel („2015’ Collection of Science Fiction Storys“) englisch sein musste, wissen wohl nur der Verleger und die Herausgeberin Peggy Weber-Gehrke. Dass das Cover-Motiv sehr Fantasy-artig wirkt, störte mich hingegen überhaupt nicht. Außerdem kann man durchaus einen Bezug zum Inhalt herstellen – aber dazu später.

Zur Sammlung also …

Die Güte der Texte spannt sich über fast die gesamte Qualitätsbreite. Ganz dicht an „Das geht gar nicht“ bewegte sich zum Beispiel „Das Symbol“ von F. Anderson. Die eher krude Wüsten-Abenteuer-Story ohne nennenswerten Spannungsbogen, dafür mit emotionsloser, aber kitschig formulierter Love-Episode und wie abgehackt wirkendem Ausgang, der eine Weiterführung fürchten lässt, ist in einem Stil erzählt, wie ich ihn eigentlich nur von Erst-Schreibern (und welchen, die in dem Stadium steckenbleiben) kenne. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Es gibt noch eine zweite Story von F. Anderson in der Anthologie und diese ist zwar auch nicht perfekt – insbesondere die sehr unoriginelle Idee enttäuscht – aber doch um Längen besser erzählt.

Das betrifft auch die anderen Storys, die ich eher an der Nicht-so-überzeugend-Seite ansiedeln würde. Mal erreichte mich die offenbar beabsichtigte Stimmung nicht, mal fehlte mir bei aller Technikerklärung die Story, mal waren die Dialoge unglaubhafte Infodump-Vehikel. Einmal ärgerte ich mich über die verpatzte Pointe, die eine an sich witzige Wendung ins Kitschig-Alberne überdehnte. Dazu kommt, dass vor allem am Anfang so viel Setz- und Korrektoratsfehler enthalten sind, dass der Einstiegseindruck nicht eben überzeugend war.

Und jetzt das Aber: Das alles ist nur ein Teil der Anthologie – ein Sechstel oder Fünftel vielleicht. Der „Rest“ der Geschichten ist gut bis sehr gut. Also sprechen wir lieber über einige dieser Geschichten …

Cliff Allisters Story rund um Wells’ Zeitmaschine ist stimmig gemacht, kam mir aber sehr vertraut vor. Sicher, dass der Text 2015 das erste Mal veröffentlicht wurde?

Die „Flitterwochen“ von Matthias Falke hatten eine ausgesprochen nette Idee in Sachen „fremde Gebräuche“, spielen erzählerisch aber nicht ganz oben mit.

„NNT 275“ von Galax Acheronian bot beides: eindrucksvolle Ideen, die mich voll und ganz ansprachen, und Erzählkunst. Auch „Harmonice mundi“ von Regine Bott überzeugte mich in dieser Hinsicht. An beiden Texten gefällt mir vor allem, dass Themen aufs Tapet kommen, die in allen Zeiten zu den eher problematischen oder zwiespältigen Aspekten des Menschseins gehör(t)en. In gewissem Sinne gehört auch „Reha 2.0“ von Michael Stappert dazu, wobei hier der Bogen zu den Niederungen wirtschafts-politischer Entscheidungen schon sehr deutlich geschlagen wird. In „Der Gebühreneinzugbevollmächtigte“ von B. C. Bolt geht es ebenfalls ums Finanzielle, allerdings wird hier ein richtig schön schwarzhumoriger Tonfall angeschlagen.

An der Stelle ein kleiner Rückgriff in die Schublade der grenzwertigen Story: „Spätes Erwachen“ ist die Geschichte, die den oben erwähnten Bezug zum Cover-Motiv herstellt. Michael Thiele erzählt in einem durchaus süffigen Ton von einem Amazonen-Abenteuer. Leider sind einige Erotik-Elemente eher albern (Lieber Herr Thiele: Soooo groß ist das weibliche Interesse an der männlichen Brust nicht, vor allem nicht, wenn da was anderes ist der Gegend rumsteht.) und die eigentliche Geschichte (Was ist das für ein Typ, was macht er da und was bedeutet dieses Erlebnis für ihn?) wird nicht hier erzählt.

In „Zilie“ führt Christopher Dröge andererseits vor, dass dieses „Worum geht es eigentlich“ gar nicht immer in eine Geschichte hineingepresst werden muss. Er entfaltet im Hauptteil der Story ein farbiges Bild von einem unter wirtschaftlicher Knute Chinas stehenden Afrika, kombiniert es mit einer glaubhaften Außenseiter-Story und einem spannenden Seltsame-Ereignisse-Plot. Das war richtig, richtig gut geschrieben. Leider konnte er sich nicht verkneifen, im Ausklang noch ein Haufen Hintergrundinfos für diese Ereignisse zu liefern – das ist zwar auch süffig gemacht, zerdehnt aber den Spannungsbogen nach hinten raus etwas zu sehr.

Die Highlights der Anthologie sind für mich „Fehler im System“ von Oliver Koch und „Die Verführung der Mona Lisa“.

In ersterer Story überraschte mich zuerst die sehr schlicht gehaltene Sprache: Es „hörte“ sich an, als erzähle ein Kind. Dann wurde klar, dass es um einen erwachsenen Mann ging. Geistig zurückgeblieben vielleicht. Dazu passten – so merkwürdig das auch klingen mag – die wunderschönen, hochkreativen Formulierungen, wenn es um tiefe Gefühle des Protagonisten geht. Da hat jemand mal so ganz und gar nicht auf Standards zurückgegriffen – vielleicht der Held aus Unwissen um diese Konventionen, der Autor vermutlich, um sehr wirksame Akzente zu setzen. Dass sich diese so spezifisch eingeschränkte Sprachfähigkeit auch ganz anders erklären lässt, wird erst am Ende klar. Ich neige beim Lesen wirklich nicht zu Gänsehaut – hier hatte ich so einen Moment.

Ganz anders die Wirkung von „Die Verführung der Mona Lisa“ von Rico Gehrke. Hier herrscht von Anfang an eine sehr gekonnte und dabei völlig natürlich wirkende Sprache vor. Der Mann, der da von seiner irritierenden, ihm aber durchaus angenehmen Begegnung mit einer bildschönen jungen Frau spricht, ist bis in die Haarspitzen hinein glaubhaft. Beide Figuren sind ausgesprochen sympathisch, obwohl sie Dinge tun und denken, die in anderer Verpackung wohl eher Naserümpfen auslösen würden. Man versteht aber, warum sie es tun, und dass es in gewissem Sinne die natürlichsten, die menschlichsten Reaktionen der Welt sind. Die Story kommt ohne Effekthascherei aus und entwickelt sich doch nach allen Regeln der Kunst zu einer schönen Überraschung.

Nun könnte ich sicher noch über die anderen Geschichten sprechen – hier und da reizt es mich sogar –, aber für einen Eindruck soll das hier mal genügen. Alles in allem: „Im Licht von Orion“ ist nicht die perfekte SF-Story-Sammlung, aber eine durchaus lesenswerte mit richtig schönen Perlen. Kaufempfehlung!

Peggy Weber (Herausgeber)
Im Licht von Orion: 2015 Collection of Science Fiction Stories
Verlag für Moderne Phantastik, 2016
ISBN-10: 3981692985
ISBN-13: 978-3981692983
528 Seiten
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Michael Schmidt (Hrsg.) Zwielicht. Anthologie

Michael Schmidt (Hrsg.) Zwielicht. Anthologie

Michael Schmidt ist seit Jahren eifriger Förderer der Kurzgeschichte. Nicht nur als Herausgeber diverser Anthologien, sondern auch als Initiator der Kurzgeschichte des Monats hier im Fantasyguide und auch des Horror-Preises Vincent.

Zwielicht ist sein neuestes Projekt und soll als eine Art Anthologie-Magazin besonders den Horror-Freunden eine Anthologie-Plattform geben. In seinem Vorwort gibt er daher Auskunft über die Ziele der neuen Reihe und deren programmatischen Wurzeln.

Stürzen wir uns also ins Gewühl.

Christian Weiss lässt es in seiner Story Im Abgrund auch stürzen. Ein Unfallopfer wird auf dramatische Weise zur Rechenschaft gezwungen und lernt dabei recht unsanft die Grenzen der Zivilisation kennen. Eine kleine böse Geschichte darüber, wie schnell aus Normal ein Albtraum wird. Trotz des etwas konstruierten Geschehens eine würdige Einstimmung.

In Richtung Voodoo geht Bernard Craw. Sein Hauptaugenmerk liegt dabei auf das allmähliche Begreifen seiner Hauptfigur, der in einer surrrealistischen Szenerie nach und nach die Situation begreift, bis auch das egal wird.
Obwohl sprachlich anregend, kommt der Plot über eine oberflächliche Inszenierung nicht hinaus.

Dahingegen kann Jakob Schmidt erneut mit einer sowohl fesselnden, als auch hintergründigen Story begeistern. Eine andere Wildnis ist atmosphärisch dicht und spielt überzeugend mit den bekannten Formen der Werwolf-Geschichte. Dabei kommt etwas völlig neues heraus. Definitiv eine sehr, sehr gute Geschichte!

Rainer Innreiters Rachegeschichte Sieben Katzenleben ist leider etwas zu vorhersehbar. Die Idee selbst ist ebenso wenig neu wie wirklich überzeugend, allein stilistisch wird der Horror deutlich herausgearbeitet.

Als Meister des abgründigen Humors erweist sich erneut Achim Hildebrand in Margit. Die Idee ist zwar ebenfalls bereits mehrfach verwendet worden, hier kommt zum reinen Navi-Bashing auch noch eine feine Persönlichkeitsstudie hinzu. Ähnlich wie bereits in der Eröffnungsgeschichte, wird der allmähliche Kontrollverlust zur Ursache einer perfiden Verrohung. Die Bestie Mensch liegt auch hier ganz dicht unter der Oberfläche.

Bestialisch geht es auch in Peter Nahtschlägers Die Wölfe von Nebraska zu. In guter Steven King Manier bildet hier eine indianische Legende den Hintergrund für eine ziemlich üble Perversion. Blutig, brutal und effektheischend, bestimmt nicht jedermanns Geschmack und auch insgesamt eine recht dünne Geschichte.

Dahingegen weiß man bei David Grashoffs Jesus-Story Der Autobahn-Heiland zunächst nicht so recht, wohin sich das Ganze entwickelt. Die Mischung aus realitätsnaher Beschreibung und Wunderheilerei überrascht letztendlich dann doch durch eine eigenwillige Interpretation des Themas.

Von Marcus Richter ist man qualitativ hochwertige und lyrische Stories gewohnt. Auch in Meer der Halme nähert er sich seinem Protagonisten zärtlich und sanft, um die innere Hölle umso begreiflicher zu machen. Dabei vermischen sich psychische Abseitigkeiten mit erklärbaren Phänomenen. Es geht ebenso um das Erleben von Verlust und Schmerz, wie um das unerklärliche Wesen des menschlichen Geistes in all seiner wahnsinnigen Größe. Der Plot selbst bleibt dabei leider nur Mittel zum Zweck, eine Metapher – mehr nicht.

Warten von Markus Niebios versucht eine eher simple Ehekrisengeschichte durch eine fremdartige Erzählerperspektive aufzuwerten, jedoch reicht der ätherische Aspekt nicht, die laue Handlung auszuleuchten.

Eine geheimnisvolle Welt unter der Welt präsentiert N. T. Neumann in Das unterste Fundbüro. Auch hier geht es um das Abrutschen aus der Normalität, die schwebende Bedrohung durch etwas, das man nur für Aberglauben hält und sich doch nicht auszureden vermag. Ein etwas finsterer Schluss hätte die Wirkung der Geschichte erhöhen können.

Ähnlich surreal erscheint Markus Saxers Das weiße Gesicht. Die kurze Geschichte spielt mit der Perspektive als Melange aus Wirklichkeitsverzerrung und Persönlichkeitsverlust als einer Art Besessenheit. Zu kurz um mehr als eine Studie zu sein.

Eine eher typische Story ist Walter Diociaiutis Story Sexy Sadie um einen biederen Bürger, der seine sexuelle Vorliebe heimlich auslebt und dabei seinen Selbstekel auf seine Frau projiziert. Zum Schluss zudem albern und überflüssig ins satanische abdriftend, liest sich der Text wie sattsam bekannte Männerphantasien über Orgien im Gothic-Umfeld. Das ist weder neu noch spannend.

Herausgeber Michael Schmidt hat es ebenfalls in die Auswahl geschafft. Volldampf voraus erinnert an Passagen aus Silbermond und ist eine rasende Metapher, der fürchterliche Widerhall eines Amoklaufs. Interessant ist hier nicht der Storyhintergrund sondern das Setting.

In die Abgründe des menschlichen Geistes taucht Tobias Bachmann in seinem Kaleidoskop der Seele. Teilweise verstörend, immer sehr dicht an der Wahrnehmung seines Protagonisten, folgt die Story ihrem ganz eigenen und verschlungenen Pfad, ohne Aussicht auf einen Ausgang. Durchaus beeindruckend und wirkungsvoll inszeniert.

Den Abschluss der Kurzgeschichten bildet eine apokalyptische Story von Torsten Scheib Götterdämmerung. Stilsicher, mit dem Gespür für dramatische Szenenwechsel und dem perfekten Einsatz von Horror gelingt es Scheib eine kleine perfide und doch kraftvolle Geschichte zu erzählen, in der sowohl die Figuren, als auch der Hintergrund plastisch werden.

In seinem Artikel M. R. James und die Gespenstergeschichte widmet sich Daniel Neugebauer dem ewigen Geheimtipp der Phantastik. Dabei belegt er eher die Auswirkungen des Autors, als sich konkret dessen Gespenstergeschichten zu widmen. Somit erfahren wir zwar einiges zur Theorie dieser Untergattung, leider jedoch nur sehr wenig über James eigene Geschichten. Immerhin wird Markus K. Korb erwähnt, den ich in der Anthologie schon vermisste.

Zum Schluss des ersten Zwielichtbandes ergreift noch einmal Michael Schmidt das Wort und berichtet über den Vincent Preis 2007 inklusiver einer Auflistung der berücksichtigten Kurzgeschichten. Nicht nur für Bibliophile eine wertvolle Auflistung.

Kurzbiographien der Autoren komplettieren den Band.

Obwohl ich ein Fan von Innenillustrationen bin, überzeugten mich die Computergrafiken von Lothar Bauer nur teilweise. Mag sein, dass die Abbildungen durch die Portierung in Graustufen an optischer Präsenz verloren, aber zu oft für meinen Geschmack ist die technische Quelle zu erkennen. Künstlicher Grusel aber ist eher steril und berührt nicht.

Für das Debüt schlägt sich Zwielicht 1 sehr gut. Als Magazin kann man es hingegen nicht wirklich betrachten. Ich hätte mir gewünscht, dass die einzelnen Geschichte vorgestellt würden, dass es mehr redaktionellen Hintergrund zu Autor und Sujet gibt. Etwas, dass aus Zwielicht mehr macht, als nur eine Anthologie.

Fazit:
Die phantastische Kurzgeschichte kann eine Anthologieplattform gebrauchen. Die hier vorgestellten Stories sind qualitativ sehr unterschiedlich. Nur sehr selten findet man überzeugend dargebotenen Horror oder menschliche Finsternis in einer gut erzählten Geschichte. Allerdings ist Jakob Schmidts „Eine andere Wildnis“ für mich schon ein sicherer Kandidat für Vincent-Preis 2009. Die Zukunft wird zeigen, ob Michael Schmidt mit Zwielicht ein phantastisches Zeichen setzen kann.

Rezension von Ralf Steinberg

Zwielicht
Anthologie
Herausgeber: Michael Schmidt
Titelbild: Susanne Jaja
Innenillustrationen: Lothar Bauer
Eloy, 2009
Taschenbuch, 240 Seiten

ISBN: 978-3-938411-20-9

Geschichten von: Tobias Bachmann, Bernard Craw, Walter Diociaiuti, David Grashoff, Achim Hildebrand, Rainer Innreiter, Peter Nahtschläger, N. T. Neumann, Markus Niebios, Marcus Richter, Markus Saxer, Torsten Scheib, Jakob Schmidt, Michael Schmidt, Christian Weis

Artikel:
Daniel Neugebauer – „M. R. James und die Gespenstergeschichte“ Michael Schmidt – „Vincent Preis 2007“

Die Wasser der Zukunft. Anthologie .

Die Wasser der Zukunft. Anthologie .

Das Wasser – unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2004 und machen uns Gedanken.
Wie unendlich ist das Wasser? Was ist Wasser?

Die Edition Ponte Novu veröffentlich keine gewöhnlichen Anthologien. Bereits „GENpest“ beschäftigte sich mit ethischen und ökologischen Problemen. Der Erlös wurde und wird Gruppen und Organisationen zur Verfügung gestellt, die den Kampf gegen die »Genpest« aufgenommen haben.
Der Erlös von „Die Wasser der Zukunft“ fließt der Umweltschutzorganisation Robin Wood zu. Nach dem Lesen des Buches ist diese Verbindung auch klar. Geht es doch um die Substanz unseres Lebens, eines der gefährdetesten Bestandteile, das wir mit einer Selbstverständlichkeit nutzen, mit einer Sorglosigkeit, die nur wenigen bewusst wird. Unseren Blick auf das nasse Element zu schärfen, sind 19 Autoren aufgebrochen, über Wasser zu erzählen.

Irina Grothues versetzt sich in ihrem Vorwort des Wassers in die Rolle des Wassers als ein Ankläger. Das personifizierte Wasser erzählt seine Geschichte, vom Werden und Scheitern der Beziehung mit den Menschen. Eine mahnende Vision, die das Buch eindringlich eröffnet.

Dann folgt auch schon eine der besten Geschichten der Anthologie: Das Lilienballspiel von Udo Mörschbach. Der Fensterputzer Lilienball gerät in die Intrigen einer korrupten Gesellschaft, die an sich selbst krankt. Eine zynische Dystopie, die den Leser in einer Sprache fesselt, der er sich nicht entziehen kann. Lilienball ist nicht nur ein Spielball, er ist die eine Blume in der Öde. Durch die Konzentrierung auf diesen einsamen Farbtupfer, wird das Grauen hinter der Handlung plastisch. Ein herausragender Text.

Ebenfalls mit dem Grauen spielt Matthias Nawrat in seinem Die Männer vom Energiekonzern.
Wenn Wasser so kostbar wird, dass jeder fehlende Tropfen vermisst wird, wird ein kleines Mädchen, das ein Glas Wasser wie einen Schatz hütet zum Verbrecher. Dieser ungewöhnliche Plot bringt zwei grundsätzliche Fragen in Beziehung zu einander. Wie kostbar ist Wasser? und Darf Wasser jemandem gehören? Der Autor zwingt seine Leser durch das Bedrohliche der Handlung, nachzudenken und Furcht zu verspüren, Angst vor den Folgen der heutigen Entwicklung. Dabei führt der Autor keine Wertung durch. Der Leser ist Ziel und Ort einer Entscheidung.

In Die Hallen des Wassers von Corinna Jedamzik geht es um eine Zukunftswelt, in der Wasser durch die Dummheit des Menschen zur knappen Ressource geworden ist und der Wasserspeicher Mensch eine neue Bedeutung erlangt. Zwar weist die Autorin auf eine Welt mit negativen Zügen hin, dennoch bleibt die Geschichte farblos, hat man das Gefühl eine mit Soylent Green aufgepeppte Ökostory zu lesen.

Ein kleiner lyrischer Einschub stellt Der Ritt auf dem Wal von Mechthilde Vahsen dar. Es ist zwar kein Gedicht, aber der Ritt auf dem Wal ist eine kleine treibende Insel zwischen den schweren SF-Texten, eine ganz eigene Liebeserklärung an das Meer, die in Tausendblau von Veronika Aydin sogar noch weiter geführt wird. Eine einfache Tauchergeschichte über das Wunderbare am Leben im Wasser.

Meer der Meduse von Ernst-Edmund Keil ist ein Manifest gegen die Umweltverschmutzung, leider wenig mehr.

Mit Aquaviva aber gelingt Edgar Güttge das Highlight des Buches. Güttkes Stil nähert sich der Realität immer von einer darüberliegenden Dimension. Sein Blick auf das Geschehen flimmert, springt in einem fröhlichen Tanz hin und her. Ist man zunächst verwirrt, steckt man auch schon mittendrin. Die Figuren und ihre Motivationen sind nach wenigen Absätzen kilometertief ausgeleuchtet. Es ist ein Fest des Erzählens. Immer natürlich in seinem eigenen spezifischen Kontinuum. Aquaviva, das lebende Wasser, lenkt den Leser spielerisch zu den Verschmutzungsproblemen, bleibt die Lage zwar Ernst, aber haben die Hauptpersonen Möglichkeiten zu agieren. Aquaviva ist die bei weitem ausgebauteste Erzählung der Anthologie, sowohl qualitativ als auch quantitativ.

Weg von einer ökologischen Bedeutung führt uns Boris Schneider in seinen Feuchten Träumen. Nein, auch eine sexuelle Bedeutung ist trotz des Titels nicht gemeint. Der Text ist eine beklemmende Geschichte über die Realität von Träumen. Wenig überraschend allerdings.

Timo Baders Die Flut stellt den Leser auf eine harte Probe. Die letzte Insel der Welt wird durch das Bersten eines Staudammes bedroht. Wo aber steht aber dieser Staudamm? Nach diesem einleitenden Plotproblem wird es leider nicht besser. Der Konflikt Ober- gegen Unterwelt wird in einem oberflächlichen Geplänkel dargelegt, ohne Figuren oder Hintergründe näher zu beleuchten, oder eine interessante Idee zu präsentieren. Der Text lässt so viele Fragen übrig, die man aber gar nicht gelöst haben möchte. Für mich die schwächste Story der Anthologie.

Eine typische Geschichte über die Geister, die man rief und nicht wieder los wird ist Als Mr. Hyde aufhörte Durst zu haben von Rüdiger Bartsch. Der geniale Wissenschaftler, der Laborunfall und die unkontrollierbare Natur – alle sind sie vertreten. Nichts wirklich Neues, zum Teil behäbig erzählt aber durchaus spannend.

Gut für dich, gut für mich von Torsten Scheib stellt uns eine Welt vor, in der ähnlich wie im Lilienballspiel über das Wasser den Menschen Substanzen verabreicht werden, um sie dem Staatswesen genehm zu manipulieren. Zwar beschreibt Scheib ausführlich die Umstände seines doktrinären Staatswesens, aber es gelingt ihm nicht, daraus eine spannende Geschichte zu stricken, zu bekannt und vorhersehbar fügt sich die Handlung.

So ganz anders ist Winter im Park. Frauke Schuster widmet sich leise einer ungewöhnlichen Ambivalenz. Füttern verboten! weist ein alter Mann eine ebenfalls alte Frau zurecht. Das Entenfutter verschmutzt das Wasser, weiß er. Aber sie hat nur das Entenfüttern.
Nichts auf dieser Welt ist einfach. Man kann es wohl kaum besser ausdrücken, als in dieser kleinen, wunderbaren Parabel.

Nach Indien führt uns Wasser aus der Wand von Traudel Schmidt. Neben Güttges Aquaviva die rundeste Erzählung des Buches. Die Geschichte der kleinen Sweta, deren Leben von Wasser abhängig ist und für das Wasser in entscheidenden Momenten die Zukunft bestimmt, ist unbenommen eine anrührende und sorgfältig erzählte Episode aus einer Welt, die uns ferner scheinen mag, als etwa die Wasser des Mars.

In ein Märchen gewandet ist Als das Wasser fortging von Christina Priplata-Harand. Die Ähnlichkeiten zum Vorwort des Wassers sind verblüffend, denn auch hier wird aus der Perspektive des Wassers geschrieben und wie dort erfahren wir eine Zusammenfassung des bisherigen Lebens mit den Menschen. Es ist ein schönes Märchen, ohne belehrend zu sein, der Stil lässt auf südliche, vielleicht orientalische Einflüsse schließen, auf jeden Fall eine glitzernde Fassette am Kleid dieser Anthologie.

Um die Vielfalt zu unterstreichen, folgt eine Sage über Corsica. Beim Sinnieren über Einen Brunnen voller Gold zeigt Ina Schimpf, wie Gier und Macht das Inselparadies zerstörten. Es kommt jedoch beim Lesen keine rechte Begeisterung auf. Die Autorin vermag es nicht, Spannung oder Mitgefühl zu erzeugen, zu sehr ähnelt ihre Geschichte den bekannten Inselgeschichten.

Mit einem normalen Sintflutszenario beginnt Als der Regen kam von Sunil Mann. Allerdings bricht der Autor daraus aus, als er die Fastertrinkenden ihre Träume in das Wasser fallen lässt. Welche Allegorie! Mit unerwarteter Plötzlichkeit wendet sich der Text der Hoffnung zu. Ein heller Schein inmitten der vielen Untergänge.

Auch eine Fantasygeschichte findet ihren Platz in dieser Anthologie: Der Ruf des Wassers von Stefani Hübner-Raddatz erzählt vom geheimnisvollen Kampf des Wassers als graue Krieger und von Demut und ist letztendlich auch eher eine Parabel, eine Geschichte, die die alten Schamanen an Lagerfeuern des Nachts erzählen.

Den Abschluss bildet Asylum von Andreas Erdmann. Ein Text, der wie das Meer anbrandet, sich mal zurückzieht, mal stürmt. Eine Umkehr der Schöpfungsgeschichte. Sie endet im Wasser und mit dem Wort. Ein nachdenkliches Ende.

Die Anthologie hat Höhen und Tiefen und ist auf keinem Fall eine qualitativ plane Sammlung, aber sie ist voller Wasser. Ernst und mahnend, fröhlich und aberwitzig. Auf jeden Fall beste Unterhaltung.

Mir lag nur eine pdf-Datei für die Rezension vor, so muss eine Betrachtung des realen Buches entfallen, aber zum Cover lässt sich soviel sagen, dass Susanne Jaja, die 2004 mehreren Anthologien ein schönes Deckchen verpasste, auch hier eine gute Synthese aus optischer Prägnanz und individueller Vielfalt gelungen ist. Gerade die Details vom verknoteten Wasserhahn bis hin zur aufploppenden Erde, passen zu Titel und Buch und fügen darüber hinaus sogar noch etwas hinzu.
Dieses Buch sollte man kaufen, denn es dient dem Umweltschutz (ich hoffe, dass auch auf umweltfreundlichem Papier gedruckt wird) und es macht nur trunken von guten Geschichten.

Beate Schütz (Hrsg.).
Die Wasser der Zukunft. Anthologie .
19 Geschichten über Wasser, sein Leben und Schwinden in der Zukunft oder schon jetzt.
ISBN:3000143211
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GENpest. Anthologie

GENpest. Anthologie

GENpest. Anthologie herausgegeben von Beate Schütz.

In der Edition Ponte Novu erschien als Book on Demand eine wunderbare SF-Anthologie die sich mit den Auswirkungen der Gentechnologie beschäftigt. Das Niveau der Erzählungen ist erstaunlich hoch und die Auswahl kann man wegen ihrer Unterschiedlichkeit wirklich als gelungen bezeichnen.

Doc Wiley: Visionen der Hanfforschung von Markus Ridder liest sich als eine Reminiszenz an Ernest Hemingway. Der Erzählstil ist herrlich stimmungsvoll und macht aus der recht einfachen Industrieverschwörungsgeschichte ein lebhaftes Kammerspiel.

Cluster Eins von Thomas Kurth stellt die Realität auf den Kopf und das mit einem sehr packenden Sinn für das reale Leben. Die Zeichnung der beiden Figuren Paul und Bob sind sehr einprägsam und überzeugend.

Letzter Held von Oliver Stahmann ist eine klassische Distopie, die in der Form eines Interviews sehr plastisch dargeboten wird.

In Du Wesen Ich von Rose Eden wird ein Blick auf das Verhältnis zum eigenen Klon geworfen. Ist ein Ersatzteilspender ein Lebewesen mit den gleichen Rechten? Die Geschichte wird leidenschaftlich erzählt und hält dem Leser keine Antworten unter die Nase, die muss man selbst finden.

Uriel von Michael Schmidt erzählt ebenfalls von einem Klon. Die spannende Jagd um Identität und einem Platz im Leben endet positiv, also im Sinne eines Versagens der Gentechnik.

Miriam erwacht von Christian Savoy ist eine schaurige kleine Geschichte über den Missbrauch von Klonen für die Forschung. Eine sehr überzeugende Darstellung.

Auch in Das Opfer von Jens Behn geht es um Menschenexperimente. Der Verlust von Menschlichkeit trifft Täter und Opfer hier gleichermaßen. Die düstere Atmosphäre durchzieht den Text bis zu seinem tragischen Ende.

Tuning von Rüdiger Bartsch ist fast eine kleine Alltagssatire, mit einem bösen Blick in die Zukunft, aber dennoch ein humoristischer Lichtblick in der Mitte des Buches.

Oleade von Bettina Licht kommt weniger negativ daher, eigentlich ist es sogar eine Liebesgeschichte. Das nebenbei eine neue Weltenergieordnung konstruiert wird, macht die Geschichte zudem zu einem recht interessanten Aspekt der Anthologie.

Ein Feldversuch von Barbara Jung ist ein Höhepunkt des Buches. Diese kleine Erzählung skizziert mit wunderschönen Bildern und klaren Worten eine komplizierte Beziehung, ein Verbrechen und eine mystische Verbindung. Die Gentechnik weist bei der Autorin auch in eine mögliche Verbesserung der Welt, auch wenn letztendlich der Mensch das Problem in die Welt setzt. Der Schluss ist eine zu Herzen gehende Meisterleistung.

Nebenwirkung von Nicole Rensmann erzählt eine Missbrauchsgeschichte. Die skrupellose Pharmaindustrie gewinnt hier eine weitere Schlacht.

Emotionslos von Rainer Innreiter beginnt als Krimi und endet als Sieg der Technik über den Menschen. Während der Beginn der Geschichte noch mit Spannung und Gefühl für die Figuren aufwartet, kommt der Schluss recht übereilt und etwas zu unglaubwürdig.

Um eine Übernahme geht es auch in Verschwörung von Lieselotte Warmeling, allerdings ist hier der Plot eine echte Überraschung. Die ethische Diskussion in diesem Text ist sehr konzentriert und in Verbindung mit dem erstaunlichen Schluss findet der Leser hier eine sehr gute SF-Erzählung, die im Gedächtnis bleibt.

Ein weiteres Highlight ist NN 408 von Corinna Jedamzik. Sehr dicht und anschaulich beschreibt die Autorin in einem Tagebuch ein doppeltes Spiel mit der Genforschung. Die Entwicklung des Hauptdarstellers ist sehr überzeugend und auch das Ende passt hervorragend in die Handlung ein.

Ein Märchen ist Elfen von Sabine Böhringer. Genial in seiner Einfachheit, hebt es sich zwar wegen des Genres aus der Sammlung heraus, nichtsdestotrotz ist es eine sehr gut gelungene Parabel über Selbstheilungskräfte und die Sinnlosigkeit von genetischen Verschlimmbesserungen.

Modernistisch gibt sich Was ist los mit Aja? von Romina Lutzebäck. In dieser Short-Story wird eine Berichtsvision geliefert, die in die ferne Zukunft stößt und in seiner beklemmenden Fremdartigkeit das Gefühl höchster Wahrscheinlichkeit hinterläßt.

Die letzte Erzählung, Neonnächte von Thomas Waldschicht, stellt wieder die Innensicht eines Klons in den Mittelpunkt. Die gezüchtete Kämpferin, ähnlich Neon aus der Matrix aus ihrer Scheinexistenz befreit, beendet das Buch düster mit einem Krieg zwischen Klons und Normalgeborenen.
Damit wird eine sehr gelungene Sammlung mit einer deutlichen Warnung beendet. In einer durchgängig guten Qualität, mit etlichen Höhepunkten bietet sich eine beeindruckende Anzahl Visionen dar, die zu denken geben. GENpest ist ein passender Titel und wenn auch das Titelbild durch seine sehr schlechte Auflösung aneckt, so ist das Buch doch dringest allen zu empfehlen, die SF mögen.

Beate Schütz (Hrsg.)
GENpest. Anthologie
Eine SF-Anthologie, die es in sich hat. Visionen der Gentechnik in aussergewöhnlich guter Qualität! Und natürlich mit Lupen-Autoren!
ISBN:3833004363
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Stellwerk – die erste Anthologie

Stellwerk – die erste Anthologie

Stellwerk- die erste Anthologie

Der Titel dieses Bändchens (ca. 170 Seiten) und der Künstlergemeinschaft ist Programm: die Richtung der Reise bestimmst du, das Stellwerk unterstützt dich dabei.

Die Zusammenstellung der einzelnen Beiträge erfolgte unter Verwendung von Prosa, Lyrik sowie grafischen und Foto-grafischen Arbeiten. So ergibt sich eine auf den ersten Blick lockere Komposition, bei der das Gesamtwerk aber zum Glück mal wirklich mehr ist, als die Summe der einzelnen Teile. Der beobachtende Betrachter erhält einen Überblick des Umfanges des künstlerischen Schaffens im Stellwerk, kann sich positionieren und ist doch nach dem Blättern dazu gezwungen, seine vorgefasste Meinung in Frage zu stellen.
Lyriker outen sich in diesem Bändchen als Grafiker, Prosatexter stellen sich auch als einfallsreiche Poesie-Schaffende vor. Doch nicht nur solche Multitalente haben sich ihren Platz in dieser Anthologie erobert, auch Vertreter „nur“ einer künstlerischen Richtung glänzen mit herausragenden Werken.
Die Besonderheit dieser Anthologie ist das synergistische Nebeneinander von Text und Bild. Die grafischen Arbeiten verkommen nicht zum schmückenden Beiwerk, sondern erweitern die Möglichkeiten der intensive Beschäftigung mit den Texten, werfen neue Fragen auf, oder brennen das Gelesene als Bild ins Gedächtnis.

Zu Beginn der kurzen Einzelvorstellung der Beiträge gleich noch eine Erklärung:
Die Beurteilung von Lyrik hinsichtlich ihrer Qualität und der Koordinaten im unendlichen Ozean ihrer Quantität fällt mir allgemein schwer. Die Beliebigkeit des Inhaltes und der Form, oder der Krampf der mit dem Wunsch nach Innovation bei manchen Autoren einhergeht, führt dazu, dass ich selten „umgeworfen“ werde. Bei den mich berührenden Werken sind es meist nur einzelne Fragmente die mich innehalten lassen und zum Nachspüren anregen. Mensch möge mir dieses Manko bitte nachsehen.

„Juni“
von Stefan Briel
Ein kurzes, erfreulich kitsch- und schwülefreies Liebesgedicht. Nach der Kulmination des Überganges von (Zitat aus „Juni“) „Bewusstsein zu Bewusstheit“ ein Ende, welches mich als Zeichen höchster Verliebtheit ergriffen hat:
„…
Zeig mir all die Stellen
Wo du schwach sein willst
Ich werde dich nicht verraten…“

Mal wieder eine festbödige Insel, die ich mit geschenkten Andenken verließ.

„Nachtarbeit“
von Astrid Hentrich
Poesie des einseitigen Ausschweigens, mit der Vision des möglichen Bruches bereits jetzt angerissener Banden. Nach dem Lesen lohnt sich die Besinnung auf den Titel außerordentlich.

„Traum“
von Stephan Klement
Illustration, die nach „Nachtarbeit“ optimistisch stimmt – die Vision ist noch nicht präsent.

„Der Autor als Linkshänder“
von Prof. Ernst Edmund Kehl
Eine Satire mit einem Protagonisten, der anscheinend über sich selbst lachen kann (auch wenn es im Text explizit Erwähnung findet). Macht Lust darauf, Texte vom Autor, vielleicht sogar einmal live, vorgelesen zu bekommen – gedruckt wirkt das Werk dagegen etwas behäbig.

Es folgen drei Gedichte; aber ich vermag es nicht, sie zu öffnen.

„Die Henkersmahlzeit“
von Henning Wagner
Ich liebe Eingangssätze die nicht mit ihrer noch bestehenden Bezuglosigkeit um meine Aufmerksamkeit buhlen, sondern schon die ersten Kulissen errichten. Bei diesem Test bewegt sich sogar bereits der erste Darsteller darin – anscheinend. Mit dem Lesen des zweiten Satzes weiß ich dann wieder, warum ich Kurzgeschichten mag.
Eine köstliche Geschichte. In Worte gekleidet, deren Verspieltheit das Lesevergnügen noch zusätzlich und sujetgerecht erhöht.

„Tausend Jahre stumm“
von Stephan Klement
Der Protagonist als Baum, lesenswerte Identifikation, die mich viel über mein Verhältnis zur Oberflächlichkeit der Naturbetrachtung nachdenken ließ.

„Heat“
von Markus Ebersbach
Illustration der „dritten Art“. Eine Fotografik mit psychodelischem Effekt – sehenswert.

„Bonjour, mon amour »
von Margit Lieverz
Klare Prosa und präzise Bilder reihen sich in immer schneller werdenden Schnitten zu einer Vorstellung menschlicher Wesenszüge. Hoher Schmunzelfaktor; Männer nicht ausgenommen.

„Autonacht“ von Christof Lemke
Kurzgeschichtenhafte Lyrik deren Dramatik bis zum Schluss ansteigend verläuft.

„Der Schrank“
von Daniel Mylow
Atmosphärisch dichte Kurzgeschichte über die dunklen Früchte am Baum der „Verlassenwerden“ heißt. Diese Tollkirschen prägen die Psyche des Protagonisten, bis zum, nicht nur ortsbezogen, klaustrophobischen Showdown. Ein Leben auf zwei DIN A5 Seiten präzise und ohne Sentmentalität fabuliert – Gänsehautfaktor.

„Objektiv“
von Stefan Briel
Lesens- und bedenkenswertes Wortspiel; nicht nur über (erotische?) Fotografie.
Sehr intensive Illustration: „Mensch“ von Jörg Block

„Der Felsen“
von Erna Lüttecke
Lyrik.

„Am Drücker“
von Heiko Paulheim
Mit Seitenhieben in vielerlei Richtung agierendes Prosastück über die Ausschaltung von Emotionen in Folge von falsch verstandenem Erfolgsdruck. Beeindruckende Pointe.
Auch hier: sehenswerte Illustration; diesmal von Corinna Schütz, die der Stimmung des Textes bestens gerecht wird.

„Du“
von Manuela Zimmermann
Lyrik.

„Minute/Leben“
von Markus Ebersbach
Wehmut ohne Pathos hat für mich in der Lyrik Seltenheitswert. Hier ist es dem Autor gelungen, die Vergänglichkeit des Augenblicks und die Subjektivität des Zeitempfindens aus dem Blickwinkel der Retrospektive eindringlich darzustellen.

„Nur einmal“
von Marianne Kieper
Sehr schöne Bilder, wirklich verdichtete Geschichte von Eros verwoben mit Technologiebetrachtungen, die uns zeigt: wir sind klein, aber suchen doch unsere Position im Weltengetriebe.

„Die Kunst zu heilen oder Wie man sich seines Restverstandes bedient“
von Astrid Hentrich
Klug, aber beileibe nicht altklug, vergnüglich mit spitzer Feder dargestellte „Beziehungskiste“. Mit vielen scharf beobachteten Alltäglichkeiten, mit Bausteinen zum Konstruieren je nach Stimmung („Kenn` ich.“ oder „So doch nicht!!!“): ein Lesevergnügen erster Güte.

„Leichtsinn“
von Hendrik Schneller
Lyrik, bei der mir ein Gefühl in Erinnerung bleiben wird:
„…
Sterne strahlen
klinisch
in die Nacht
…“

„Augenblick der Sehnsucht“
von Manuela Zimmermann
Lyrik

„Ausgeschlürft“
von Henning Wagner
Kann mensch mit warmen Worten kalt sezieren? Wenn Henning Wagner den Stift als Skalpell benutzt schon.
Auch eine köstliche Warnung an alle, sich seinen Gewohnheiten nicht selbstsicher zu ergeben.

„Wende mich“
von Heike Thiesmann-Reith
Noch einmal, aber ganz anders. Wissen Sie, was der geliebte Mensch neben Ihnen denkt, wenn sie gemeinsam durch eine Gemäldeausstellung laufen?
Mir persönlich ist die Umsetzung des Themas zu zerrissen: teilweise überladene Sprache gepaart mit gewollt wirkenden Mehrdeutigkeiten. Schön, aber leider nicht konsequent durch den Text untermauert: der Schlusssatz.

„Schreiben“
von Margot Lieverz
Lyrik. Ich weiß nicht genau warum, aber der Text „rapt“, hat Groove. Er gefällt mir noch dazu, weil er, entgegen den Vermutungen die ich beim Lesen des Titels hegte, keine verkopften Betrachtungen zu Dasein, Ambition und Heil des sich berufen fühlenden Kammerliteraten enthält. Wirklich schön.

„Traumhaftes Einkaufen“
von Jörg Block
Keine Geschichte die sich als Traum entpuppt…; mehr kann hier nicht verraten werden.

„Genug gesehen“
von Astrid Hentrich
Klassische Kurzgeschichte; K.O. in der zweiten Runde. Bedenkenswert.

„Tropfen“
von Stephan Klement
Obwohl mit „Impression“ schon klammerbetitelt entfaltet sich mehr als das. Inhaltsschwangere Verständlichkeit – so muss Lyrik für mich sein. Als literaturtheoretisch unbedarfter Rilke-Fan erlaube ich mir mal den Vergleich: so mensch Rilke überhaupt nur selten Schwulst vorwerfen kann, ist „Tropfen“ endgültig entschwulstet und modern, ohne dabei einer Mode hinterher zu laufen. Die für mich schönste Zeile:
„…
Die Rinde mit Narben versehrt…“

„Milch und Blut“
von Ernst Eduard Keil
Wer, so wie ich, den barocken Hermann Kant der „Bronzezeit“ liebt, wird sich hier bestens bedient fühlen. Es gilt, den Eindruck den Keil mit seinem „Der Autor als Linkshänder“ hinterlassen hat, gründlich zu revidieren.

„Sturmtanz“
von Christof Lemke
Zugegeben, der Text hat es nach „Milch und Blut“ schwer. Trotzdem vermag er mich zu fesseln bis zum Schluss. Der letzte Satz dieser Kurzgeschichte ist mir zu schwach, dafür strahlt das zuvor Geschriebene aber umso mehr. Vielleicht bin ich aber auch nur zu action-süchtig, um mich mit dem friedlichen Ende zufrieden geben zu können

„Blumenfolter“
von Hendrik Schneller
Lyrik

„Die Verleihung“
von Christiane Schwarze
Darf ich mich über diese Geschichte freuen? Ein Prosastück, welches meine Einstellung zur Lyrik bestens transportiert; ich lese daraus, was ich herauslesen will. Und das mit klammheimlichem Vergnügen…

„TID“
von Markus Ebersbach
Lyrik

„Mein Radio“
von Stefan Briel
Möge sich jeder selbst ein Bild von diesem Text machen. Geben Sie die Geschichte anschließend einem Bekannten zu lesen; dessen Reaktion könnte sie verblüffen.

„Nachtkontrast“
von Marianne Kieper
Lyrik. Bemerkenswert ist neben dem Text dessen Illustration „Orpheus“ von Michaela Kromer. Ist es typisch männlich, dass ich mir dieses Bild in einem größeren Format abgedruckt wünsche?

„Karaoke“
von Christof Kirschenmann
Aus der Sicht des Protagonisten sehr schön geschildertes Aufeinandertreffen von zwei Welten. Die eine glamourös, die andere in zunehmendem Maße besoffen. Eine Kurzgeschichte; für einen Kurzfilm mehr als geeignet.

„L“
von Manuela Zimmermann
Tiefsinnig betrachtende Prosa-Lyrik, mit einer überraschenden Wendung, die, einem Bogen gleich, dem Anfang eine neue Bedeutung gibt.

„Du bist niemals fortgegangen“
von Daniel Mylow
Ein eindringliches Plädoyer für das Briefeschreiben, sowie die Kraft und den Abgrund der Liebe. Aber auch das Vehikel ist lesenswert – eine traurig-schöne Geschichte.

„Schattenkrieger“
von Katrin Czerny
Lyrisches Protokoll und psychologische Analyse einer gelebten Beziehung.

„Die Lebensgefährtin“
von Henning Wagner
Sehr schöne Kurzgeschichte, leider im Mittelteil etwas langatmig.

„Eine Sekunde“
von Christof Lemke
Eine sich langsam entwickelnde Story, in deren Verlauf sich der Leser einem angenehmen Sog hingeben MUSS.

„Der Tag des Hundes“
von Stefan Briel
Die Geschichte einer modernen Beziehung, die unausweichlich, weil psychologisch geschickt geführt, dem schrecklichst möglichen Ende entgegen strebt. Bemerkenswert die Beobachtungsgabe des Erzählers für Alltäglichkeiten, die in den Abgrund führen (können).

„…keit“
von Markus Ebersbach
Lyrik, geistreich von Stephan Klement illustriert.

„Fata Morgana“
von Hendrik Schneller
Lyrische Schilderung, gleichnisbeladen und bildhaft schön.

„(Un-) Vollendete Erotik“
von Stephan Klement
So ungewöhnlich wie der Titel ist auch der abrupte Wechsel von retrospektivisch verklärtem Schein und aktuellem Sein in dieser Kurzgeschichte. Die Illustration des Autors führt dem Leser das ganze Ausmaß des Dilemmas vor Augen. Der Bruch gleicht einer erwarteten Ohrfeige – schmerzhaft, aber mensch wusste ja, was folgen würde.

„Grütze“
von Marianne Kieper
Lyrik

„Im Whirlpool und anderswo“
von Ernst Edmund Keil
Es gibt noch einen Keil zu entdecken. So anders dass ich mich frage, wie viele es wohl noch geben wird…. Wiederum sehr lesenswert.

„Sorgen“
von Margit Lieverz
Lyrische Bestandaufnahme einer vor dem Scheitern stehenden Beziehung.

„Die Läuferin“
von Daniel Mylow
Geschichte von frühkindlich geprägter Verlustangst und daraus resultierender Obsession. Dichtere Prosa habe ich selten gelesen.

„Gnädige Frau“
von Marianne Kieper
Lyrik

„Fernweh“
von Henning Wagner
Klassische Kurzgeschichte die den Leser in ihren Bann zieht. Die Pointe wirkt nicht aufgesetzt oder gar konstruiert, sondern ist trotz der von ihr hervorgerufenen Heiterkeit hintergründig und nachdenklich machend.

„Der Flug“
von Astrid Hentrich
Eine schöne Kurzgeschichte, die, so wie mensch es sich in diesem Metier wünscht, mit einer gänzlich unerwarteten Wendung brilliert.

„Autist“
von Hendrik Schneller
Lyrik

Rezension von Rainer Kilian

Stellwerk – die erste Anthologie
ISBN 3 – 936389 – 89 – 9
Hrsg. Stephan Klement
Geest-Verlag
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