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Schlagwort: Familie

Eliza Graham: Weil du mich liebst

Eliza Graham: Weil du mich liebst

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Südengland. Die Geschichte zweier Frauen. Eine davon spielt in der Gegenwart, die andere geht zurück auf das Jahr 1943. Minna Byrne ist nach dem Verlust ihres Sohnes durch einen Unfall mit ihrem Mann aus London aufs Land gezogen. Sie brauchen Abstand von dem Trubel, müssen in ihrer Trauer zu sich kommen. Der Tod des Sohnes scheint ihre Ehe zu zerreißen. Durch Zufall finden sie bei einem Spaziergang das Skelett einer Leiche an der Küste. Die Herkunft dieses Toten zieht Minna in den Bann. Dann trifft sie auf für Felicity Vance, genannt Felix, die nach sehr vielen Jahren in ihren Heimatort zurückgekehrt ist. Minna wohnt nun dort, wo Felix als Kind aufgewachsen war.

Schnell stellt sich heraus, dass der Tote ein amerikanischer GI aus dem Zweiten Weltkrieg ist. Felix beginnt zu erzählen, denn sie kannte diesen GI.

In beiden Geschichten werden Liebesgeschichten erzählt. Sie sind faszinierend ineinander montiert. Rückblenden wechseln mit der Gegenwart ab. Die heutige Geschichte um Minna und ihren Mann erzählt Minna selbst. Die gegenwärtige Erzählweise lässt den Leser alles direkt miterleben. Die Geschichte des GIs wird von einer dritten Person im Präteritum erzählt. Teilweise auch von Felix selbst, meist aber von einem unbekannten Erzähler.

Die Spannung wird von der Autorin auf mehrere Säulen aufgebaut. Man möchte einerseits wissen, ob Minna und Toni wieder zusammenkommen, warum und wie ihr Sohn ums Leben kam. Andererseits möchte man alles um den Toten GI wissen. Überraschungen sind vorprogrammiert.

Die Autorin erzählt interessante Geschichten. Besonders die von dem amerikanischen GIs vor dem berühmten D-Day bringt ungewöhnliche Sachen hervor. Der Lokalkolorit ist nicht ganz so ausgeprägt, lässt aber dennoch genug Stimmung aus dem südlichen England um Bournemouth erkennen. Das Lektorat hätte an einigen Stellen besser aufpassen müssen. Verwechselte Namen, falsche Erzählperspektiven einzelner Sätze geben dem Leser Rätsel auf, die eigentlich nicht sein mussten. Aber das soll den Gesamteindruck nicht wesentlich beeinträchtigen. Mir hat der Roman trotzdem gut gefallen.

Eliza Graham
Weil du mich liebst
Aus dem Englischen von Elfriede Peschel
blanvalet Verlag, München
ISBN 9783734103889

© Detlef Knut, Düsseldorf 2017

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Emylia Hall: In unendlicher Ferne

Emylia Hall: In unendlicher Ferne

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Die Hauptfiguren dieses Romans, Robyn Swinton und Jago Winters befinden sich zu Beginn (im Prolog) jeweils an einem Ort, an dem sie eigentlich nie sein wollten. Noch dazu jeder an einem anderen Ort, mehrere 1000 km voneinander entfernt. Während Robyn in Cornwall auf das Meer schaut, kümmert sich Jago im heißen Texas um die Pferde auf einer Ranch. Dabei ist Robyn ein Großstadtkind, die nur ihrer Eltern wegen, die in den Ruhestand gegangen sind, nach Cornwall mitgegangen ist. Jago hingegen ist in Cornwall geboren, liebt das Land, lebt mit seinem Vater zusammen und liebt die Arbeit mit Holz. Als Möbeltischler bestreitet er ganz gut seinen Lebensunterhalt.

Während der Leser im Prolog von zwei unterschiedlichen Menschen erfährt, beginnt deren Geschichte anschließend sieben Jahre zuvor. Nach und nach nähert sich der Lesende dem Ende des Spannungsbogens (Was machen sie hier an diesen Orten?), der im Prolog aufgebaut wurde. In einem ständigen Auf und Ab der Gefühle wird der Lebensweg beider in den letzten sieben Jahren geschildert.

Hall erzählt eine Geschichte von einer tiefen Freundschaft und lässt die Leser spüren, dass da offenbar noch mehr als Freundschaft ist. Doch es wird eine Geschichte von verpassten Gelegenheiten. Faszinierend hat die Autorin die Landschaft von Cornwall in das Geschehen eingebunden. Penzance, Porthcurno, St. Ives sind immer wieder genannte Orte, die Malerei, die in diesem Landstrich eine besondere Rolle spielt, nimmt auch im Roman einen festen Platz ein. Dennoch ist der Roman nicht ein simpler Regionalroman. Der Sog geht von der Geschichte aus. Doch dabei eine Region kennen zu lernen, die man noch nicht kannte, kann ein wunderschöner Nebeneffekt sein. Ebenso für denjenigen, der diese Landstriche selbst schon bereist hat. Dem einen oder anderen mag der Roman zu einer Reise nach Cornwall animieren.

Detailreiche und bildhafte Beschreibungen von Landschaft und Gefühlen machen den Roman zu einem Erlebnis. Amüsant und interessant die Nebenhandlung um Eltern im Ruhestand und der Aufstieg einer Musikband sind weitere schöne Zutaten.

Dieser Roman macht riesigen Spaß!

Emylia Hall
In unendlicher Ferne
Aus dem Englischen von Astrid Mania
btb Verlag, München
ISBN 9783442714667

© Detlef Knut, Düsseldorf 2017

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Jonathan Safran Foer: Hier bin ich

Jonathan Safran Foer: Hier bin ich

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Mit einem großen Familienroman tritt der vielfach ausgezeichnete amerikanische Autor J. S. Foer nach langer Pause wieder an die literarische Öffentlichkeit.

Es handelt sich in seinem neuen Roman um eine jüdische Familie, die aus vier Generationen besteht und in Washington D.C. lebt.

Julia und Jacob aus der mittleren Generation sind das Ehepaar, das im Mittelpunkt der Handlung steht. Er ist Schriftsteller und sie Architektin. Sie sind seit 16 Jahren verheiratet und Eltern von drei Söhnen: Sam, Max und Benjy. Diese machen nicht nur Freude, und Julia und Jakob sind sich oft uneins in Fragen der Erziehung.

Von Beginn an stark reflektierend zeigt uns der Autor ein Paar, das die jungen Jahre der Leidenschaft hinter sich gelassen hat.

Natürlich geht es neben anderem auch um Sex und die Veränderung von Sex in der Ehe.

Zwischen Julia und Jacob hat sich mit den Jahren eine gewisse Scheu entwickelt, ihre geheimen Wünsche zu äußern und auszuleben. In Passagen der Rückschau erleben wir die beiden noch neugierig und experimentierfreudig. Doch der Alltag mit Kind und Kegel hat längst die erste Phase der Begegnung und Entdeckung überlagert. Rücksichtnahme auf die Kinder und die Bedürfnisse des anderen haben einen jeden von ihnen in ein Zwangskorsett versetzt.

Gedanken, wie man sich Freiheit und Unabhängigkeit wünscht, sind dem Anfangsstadium der Verliebtheit gewichen.

In meisterhafter Weise handelt J.S.Foer die langsame Entfremdung zwischen den beiden ab. Es ist schwer auszuhalten, wie man sich bemüht, zusammen zu bleiben und sich doch voneinander entfernt.

In langen und endlosen Gesprächen aller Beteiligter quälen sie sich durch ihr Leben. Die Figuren in dem Roman reflektieren und verdrängen zugleich, so dass sich ein tiefer Zwiespalt offenbart: kann man loslassen, und wohin soll das führen?

Heimatlos zu sein ist nicht erstrebenswert. Und doch ist das der tiefere Gehalt der Geschichte: wir alle suchen Zugehörigkeit und müssen diese mit dem Bewusstsein ertragen, dass wir trotz aller Verbundenheit Individuen mit eigenen Gewohnheiten und Wünschen bleiben.

Der Roman umfasst mehr als 600 Seiten. Szenenwechsel erfolgen schnell und unerwartet. Erzählung, Dialoge und unausgesprochene Gedanken wechseln in schnellem Tempo. Die weit verzweigten Familienverbindungen reichen bis nach Israel, in ein Land, dessen Konflikte und Vorgeschichte mit in den Roman einfließen. Traditionen bleiben bestehen, auch wenn man sehr weltlich ausgerichtet lebt. Man feiert die jüdischen Feiertage und bereitet sich auf die Bar Mizwa von Sam, dem ältesten Sohn von Julia und Jacob, vor. Mit dem Fortlauf der Handlung zeigt sich aber die zunehmende Brüchigkeit der Ehe seiner Eltern. Alles läuft auf eine Trennung hinaus.

Der Titel des Romans klingt fast biblisch: Hier bin ich (…und kann nicht anders…) Ja, zu einem langen Leben zu zweit gehört Ausdauer, zuweilen Anstrengung und Durchhaltevermögen. Dazu ist nicht jeder bereit, wenn sich die Wunschvorstellungen von Glück auf Dauer nicht halten lassen.

Autobiographische Erfahrungen haben den Autor J.Safran Foer zum  Entwurf seiner Romanfigur Jacob vermutlich beeinflusst. Er ist wie Jacob Schriftsteller, hat wie dieser Kinder und ist in seiner Ehe gescheitert.

Ein schwieriges, nachdenkliches und anstrengendes Buch mit ausufernder Handlung hat J.Safran Foer geschrieben, das vom Leser Durchhaltevermögen verlangt.

J.S. Foer war mit der ebenfalls herausragenden Schriftstellerin Nicole Krauss („Kommt ein Mann ins Zimmer“) verheiratet und lebt in New York.

Jonathan Safran Foer

Hier bin ich
688 Seiten, gebunden
Kiepenheuer&Witsch, November 2016
ISBN-10: 3462048775
ISBN-13: 978-3462048773
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Peter Henisch: Suchbild mit Katze

Peter Henisch: Suchbild mit Katze

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Der Autor Peter Henisch erzählt in diesem Buch von seiner Kindheit. Es sind die ersten Erinnerungen, die er hat, und die dann folgenden in einigen späteren Jahren, die ihn bewegen. Es ist eine Zeit, die er auf etwas melancholische Art und Weise betrachtet und beschreibt. Was weiß man schon als kleines Kind von den Vorgängen? Und doch gibt es immer etwas, das ihm nahe ist und an das er sich auch im Alter sehr genau zurückerinnern kann. Seine Kindheit verbringt Peter Henisch in Wien in der Zeit nach dem Krieg. Er ist ein verträumtes Kind, das auch einfach mal damit zufrieden ist, mit der Katze aus dem Fenster zu sehen. Das Fenster wird zum Rahmen für Gedanken und Träume. Auch in diesem kleinen Umfeld gibt es immer etwas zu beobachten. Auch kleine Veränderungen können interessant sein und die Fantasie beflügeln. Langeweile kennt der kleine Junge nicht.

Ich habe diese Autobiographie sehr gerne gelesen. Zumal die Erinnerungen, trotz der schwierigen Zeit, auch immer wieder sehr schön sind. Ruhig fließen die Zeilen dahin, fließt die Zeit dahin. Peter Henisch ist noch zu klein, um zu verstehen. Er arrangiert sich mit den Gegebenheiten im zerbombten Wien und mit dem schwierigen Alltagsleben für seine Eltern, den anderen Familienangehörigen und den Nachbarn. Aber natürlich hat der Autor nun den Blick in seiner Gesamtheit auch auf das Zeitgeschehen gerichtet und sieht mit anderen Augen in die Vergangenheit zurück. Der Bogen wird bis in die Gegenwart gespannt. Es sind Momente, die ihn heute noch prägen, an die er sich nun erinnert. Ganz allein ist er mit seinen Gedanken nicht. Die Erinnerung findet statt im Rahmen einen Interviews mit einer jungen Frau, die seine Bibliographie kennt. Eine Auseinandersetzung mit Nachfragen wird hier also realisiert. Das hilft den Erinnerungen auf die Sprünge und lässt interessante Überlegungen zu.

Rezension von Heike Rau

Peter Henisch
Suchbild mit Katze
Deuticke Verlag
208 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3552063277
ISBN-13: 978-3552063273
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Barbara Bickmore: Wer nach den Sternen greift

Barbara Bickmore: Wer nach den Sternen greift

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Die Geschichtebeginnt mit Annie Phelps und Frank Curran im Jahre 1878. Eigentlich wollte Frank alleine in die Berge, um nach Gold zu graben. Doch Annie hatte keine Scheu, Frank vor dieser Reise zu heiraten und darauf zu bestehen, mit ihm gemeinsam in das Camp zu gehen. Da in dem Camp nur Männer leben, macht sie sich nützlich mit Kochen und Wäschewaschen. Die Männer dankten es ihr und belohnten sie reich. Annie verdiente damit im ersten Winter in den Bergen mehr als Frank mit dem Gold. Auf diese Weise kamen beide in kurzer Zeit zu einem ansehnlichen Vermögen. Die Basis für eine der reichsten Familien der USA war gelegt. Beide bekamen Kinder und sie wurden Großeltern.

Schon bald dreht sich die Familensaga um die Enkelin Alex, die selbst über ihre Mutter Sophie hinauswächst. Sie ist schön, sie ist reich, und ihre Mutter verheiratet sie mit einem Mann des britischen Adels. Zwar hatte auch die Mutter reich geheiratet, aber einen Adelstitel hatte sie nicht erreichen können. Das schaffte sie aber für Alex zu arrangieren, denn deren Mann und seine Familie benötigen dringend Geld für den Unterhalt ihres Anwesens und ihren adligen Lebensstil. Doch Alex versucht den Spagat zwischen einer unglücklichen Ehe und einem erfüllten Leben.

Die Schriftstellerin ist für ihre großen Familiengeschichten bekannt. Auch der vorliegende Roman beschreibt eine (fiktive) Familie in der Zeit von 1878 bis 1946. Er beginnt im Wilden Westen Amerikas und endet in einem englischen Schloss in Europa. Das Leben und die Schicksale der Mitglieder dieser Familie sind es, die den Leser in seinen Bann ziehen. Als Stil hat die Autorin einen gewählt, der an den einer Erzählung heranreicht. Aus weiter Ferne, wie von oben herab, wird auf das Geschehen geblickt, um zwischendurch für einzelne Perioden ganz nah in die Handlung einzutauchen. Gut und gerne hätten aus diesem Stoff auch 3 bis 4 Romane werden können, wenn tiefer ins Detail gegangen wäre. So bleibt leider auch etwas Spannung auf der Strecke. Konflikte in der Familie werden kaum sichtbar. Alles löst sich wie selbständig in Wohlgefallen auf. Erst ab der zweiten Hälfte etwa werden die einzelnen Kapitel mit Cliffhangern beendet. Ab da handelt der Großteil der Geschichte hauptsächlich von Alex. Schließlich aber wird es zum Ende hin noch dramatischer während der Zeit des Zweiten Weltkrieges, was zum abschließenden Höhepunkt des Romans führt.

Der Roman ist angenehm zu lesen, unterhaltsam, zieht in den Bann über die Geschichte der Familie, die Höhen und Tiefen durchleben muss, obwohl es nie an Geld mangelt.

Bickmore, Barbara
Wer nach den Sternen greift
Droemer Knaur Verlag, München
ISBN 9783426662335

© Detlef Knut, 2016
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Mara Winter: Verblüht

Mara Winter: Verblüht

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Spannend. Verwirrend. Anstrengend. Unbefriedigend. Interessant. – Das sind in etwa die Schlagworte, die mir nach dem Lesen von „Verblüht“ von Mara Winter in den Sinn gekommen sind. Aber der Reihe nach:

Ich hatte von der Autorin eine PDF-Version ihres 72-Seiters „Verblüht“ bekommen und wahrscheinlich eine Vorab-Version des Episoden-Krimis erwischt. Es gab massenhaft Satzfehler: Sinnfreie Leerzeilen bzw. Abschnittsbildung zerrupften den Lesefluss, es gab halbe und sogar ganze Leerseiten und am Ende auch noch ein Einzugswirrwarr. Wahrscheinlich – hoffentlich – sind diese Dinge vor dem Druck bzw. der Veröffentlichung als E-Book noch behoben worden, also schieben wir das mal beiseite.

Schon am Anfang gefiel mir der Klang des Textes: konzentriert, mit Drive und unverschnörkelt. Da entstand ein Sog, der mich in die Erlebenswelt von Ich-Erzähler Mira reinzog, auch wenn sie diese eher respektlos-ironisch und damit von ihrem Inneren ablenkend darbot. Dass man mit Schlafstörungen mitnichten zu einem Psychiater geht und auch sonst nicht alles gänzlich glaubhaft bei mir ankam, spielte da kaum eine Rolle. Der plötzliche Tempuswechsel von Vergangenheit zu Gegenwart tat es allerdings schon – ich sehe bis jetzt nicht, was der bedeuten soll. Auch an den anderen Stellen, wo er auftrat, wirkt er deplatziert. Ich habe eine ungefähre Vorstellung, was der Wechsel soll, tatsächlich aber geht das in dem immer selben Tonfall und den Satz-Problemen sang- und klanglos unter. Über die Sinnhaftigkeit dieser Konstruktion könnte man auch streiten.

Die nächste Episode ist wieder von einer Ich-Erzählerin. Ich war verwirrt, denn Mira scheint am Ende des vorigen Kapitels gestorben zu sein. Tatsächlich ist es auch jemand anderes, jemand offenbar Uraltes, denn meines Wissens ist es schon um die 100 Jahre her, dass Rosa die Jungenfarbe war. Irritierend fand ich deshalb, dass plötzlich das Kind Sven hier auftaucht, jener Sven, wegen dem Mira so viele Probleme hatte. Erzählt wird – wie eigentlich in allen Episoden – eine Liebes- bzw. Beziehungsgeschichte, die zunehmend seltsam wirkt und schließlich tödlich endet. Vermutlich jedenfalls.

Neue Episode, neuer Ich-Erzähler. Männlich diesmal. Sven. Eine verstörende Story. Viele Morde. Wie viele? Die Andeutungen lassen einen Interpretationsspielraum.

Nächste Episode: Weibliche Ich-Erzählerin; Stiefmutter von Sven. Auch keine „normale Geschichte“. Dann erzählt Svens Schwester. Dann ihre Mutter … Kurz: Nahezu alle Episoden erzählen die gleiche Familiengeschichte, die durch die verschiedenen Blickwinkel immer völlig anders wirkt. Oft dauert es ein wenig zu lange, ehe der Text offenbart, wer gerade „dran“ ist – auch, weil alle Figuren im haargenau selben Stil erzählen, als seien sie eigentlich nur Varianten einer einzigen Person. Und: Das Einpuzzeln ins detailreich durchkonstruierte Gesamtbild erfordert durchaus erhöhte Aufmerksamkeit, unter anderem wegen der Personenfülle, weil die Episoden sich zeitlich in unterschiedlichem Rhythmus überlappen und weil der konzentrierte, essenzartige Tonfall dem Leser keinen Raum zum Durchatmen und Sortieren lässt.

Dieser Tonfall – ich erwähnte es schon – erzeugt andererseits einen Sog, der mich durch das Buch zog. Außerdem wollte ich wissen, worauf das alles hinaus läuft. Nun: Das habe ich nicht erfahren. Es bleibt ein Kaleidoskop. Zwar verändert sich das Bild immer wieder, aber es gibt – außer dass es immer die gleiche Geschichte ist – keine tiefer gehenden Verknüpfungen. Keine Episode verändert eine der vorhergehenden in ihrer Bedeutung, nur die Fakten nehmen Bezug aufeinander. Es ist zum Beispiel schnurz, warum Christine Gerd heiratet, für ihre Stiefkinder scheint das keine Auswirkungen gehabt zu haben.

Alles im allem ist das ein interessantes Buch. Die Idee, die selbe Story aus verschiedenen Blickwinkeln zu erzählen, wird hier konsequent auf die Spitze getrieben und spiegelt damit eindrucksvoll, wie wirkmächtig diese Diskrepanz zwischen Realität und Wahrnehmung sein kann. Das passende Zitat dazu aus dem Buch: „Der eine denkt sich etwas aus und projiziert etwas in sein Gegenüber. Der andere greift ein Wort auf und spinnt daraus seinen eigenen Film. Weil wir alle die gleichen Wörter benutzen, glauben wir, uns zu verstehen, aber du hast nicht den Funken einer Ahnung, was im Kopf deines Liebsten wirklich vorgeht.“ Beim Aufdröseln dieser Diskrepanz werden die Grenzen der Plausibilität mitunter aus- oder vielleicht sogar überreizt, was allerdings durch die Verwendung des Ich-Erzähler-Modus inhaltlich durchaus abgedeckt ist.

Leider rundet sich die Geschichte zwar zeitlich und faktisch, aber sowas wie eine durchgehende Kausalität über die personelle Verknüpfung hinaus stellt sich nicht ein. Das ist im Leben zwar auch eher die Regel, aber von Literatur erhoffe ich mir ein bisschen mehr. So ausgeklügelt das sich am Ende präsentierende Bild auch ist: Es scheint rein zufällig entstanden zu sein. Fast alle Ereignisse könnte man ohne Weiteres mit anderen Ich-Storys unterfüttern, eine Art „innere Gesetzmäßigkeit“ wird – für mich zumindest – nicht sichtbar. Wie Leben „funktioniert“, warum Menschen tun, was sie tun, wird höchstens angedeutet.

Übrigens: Natürlich ist das Ganze trotz eindeutig vollzogener und zu vermutender Morde kein Krimi – niemand „registriert“ diese Morde und keiner ermittelt. Und: Mir ist die Rolle von Frau Dr. Körbchen nicht klar und auch für die Episoden-Titel, die alle mit Blüten zu tun haben, habe ich keine Erklärung. Ist aber nicht schlimm – ich habe das Büchlein trotzdem sehr gern gelesen.

Mara Winter
Verblüht
CreateSpace Independent Publishing, November 2015
Taschenbuch, 72 Seiten, E-Book
ISBN-13: 978-1519293176
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Birgit Vanderbeke: Ich freue mich, dass ich geboren bin

Birgit Vanderbeke: Ich freue mich, dass ich geboren bin

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Sie hat heute ihren siebten Geburtstag und freut sich auf die Geschenke. Doch es gehen ihr an diesem Tag so viele Gedanken durch den Kopf. Deshalb erzählt sie uns davon. Sie erzählt von ihren Großeltern, von Mutter und Vater, vom Abhauen aus dem Osten in den Westen, von Tante Eka im Flüchtlingslager mit ihren zwei Männern Onkel Grewatsch und Onkel Winkelmann mit seinen vielen Büchern und Geschichten. „Das war das Schöne im Flüchtlingslager gewesen. Weil Onkel Winkelmann mir das alles erzählte und aus seinen Büchern vorlas, konnte ich mich an all die fremden Gewürze in der Gemeinschaftsküche sofort erinnern, obwohl ich sie gar nicht kannte und niemals gerochen hatte, aber Onkel Winkelmann und die aufgefädelten Buchstabengeschichten in seinen Büchern erzählten sie so genau, dass ich sie in der Nase hatte und jedes Mal Lust bekam, einen Löffel davon zu probieren.“ Sie erzählt vom Leben im Flüchtlingslager und von der Arbeitersiedlung, die danach folgte.

Ihr siebter Geburtstag ist irgendwann in den 1960er Jahren. Einen Namen hat sie in dieser Geschichte nicht. Denn schließlich sagt Mutter immer. Kind, was soll ich mit dir bloß machen? Oder: Kind, was soll aus dir bloß werden?
Birgit Vanderbeke hat als Erzählstil den eines siebenjährigen Mädchens, bzw. das, was sich ein Erwachsener darunter vorstellt, gewählt. Das ist im ersten Moment ungewohnt. Doch nach wenigen Seiten gibt sich das. Der Stil wird einem vertraut, man lässt sich darauf ein, dass ein Kind erzählt. Er wirkt sehr authentisch, und der Leser kann feine Ironie und leichten Sarkasmus spüren. Humor wäre jetzt zu weit hergeholt, denn das, was sie in ihrer kurzen Kindheit alles schon erlebt hat, ist alles andere als lustig. In ganz wenigen Momenten erzählt sie alles andere als von einer heilen Welt in den sechziger Jahren. Doch das Mädchen sucht sich ihre Fluchtpunkte. Ob es „solch eine Person wie“ Tante Eka mit ihren zwei Männern, ihre Freundin Gisela, oder ihr italienischer Freund Tassilo sind. Und irgendwann findet sie für sich einen Weg in die ganz große Freiheit. Sie lernt, ihrer Familie zu entfliehen.

Vanderbeke gibt eine genaue Milieustudie der 1960er Jahre wider. Mit der kindlichen Sprache wird die verlogene und bigotte Welt der westlichen Kleinbürger besonders gut akzentuiert. Das Thema Flucht aus dem Osten in den Westen schlägt genauso einen Bogen in die heutige Zeit wie die Flüchtlingszüge am Ende des Zweiten Weltkriegs in die westlichen Gebiete Deutschlands. Auch wenn sich die Erzählung auf die damalige Zeit bezieht, spiegeln sich im Verhalten der Figuren die aktuellen gesellschaftlichen Probleme wider und es zeigt sich, dass kaum etwas von damals getilgt worden ist.

Der Umstand, dass es über den gesamten Roman hinweg kein klar definiertes Ziel in der Geschichte gibt, macht den Roman nicht weniger lesenswert. Denn er fesselt zweifelsohne aufgrund der spielerischen Erzählweise. Interessierte Leser werden an den Figuren und dem Umfeld kleben bleiben.

Vanderbeke, Birgit
Ich freue mich, dass ich geboren bin
Piper Verlag, München
ISBN 9783492057547

© Detlef Knut, Düsseldorf 2016
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Anne-Laure Bondoux und Jean-Claude Mourlevat: Lügen Sie, ich werde Ihnen glauben

Anne-Laure Bondoux und Jean-Claude Mourlevat: Lügen Sie, ich werde Ihnen glauben

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Pierre-Marie Sotto mag es nicht, Manuskripte zugeschickt zu bekommen. Er ist Autor, auch wenn er im Moment nicht schreibt, und kein Verleger. Er würde den dicken Umschlag sofort zurückschicken, aber es gibt keinen Absender, nur eine E-Mail-Adresse. Also schreibt er. Zwar erhält er keine Adresse von Adeline Parmelan, aber dennoch eine Antwort. Es ist der Beginn eines Hin und Her an E-Mails. Pierre-Marie und Adeline gehen bald sehr vertraut miteinander um. Sie offenbaren sich einander, teilen ihr Leben. Es besteht keine Notwendigkeit immer bei der Wahrheit zu bleiben, solange man annimmt, sich nie zu begegnen. Doch Pierre-Marie ist ein sehr sensibler Mensch, der von seiner Frau verlassen wurde. Es ist viel Zeit vergangen, doch er ist immer noch auf der Suche nach Vera, die einfach ohne Erklärung und ohne Abschied verschwunden ist. So liest er zwischen den Zeilen und ahnt nach und nach, dass Adeline nicht ohne Grund in sein Leben getreten ist.

Ich bin überrascht von diesem ungewöhnlichen Roman, der sich nur in E-Mails abspielt, die bald immer länger werden. Die Geschichte hat so viel Tiefgang und das auf eine sehr charmante, berührende und auch glaubwürdige Art und Weise. Pierre-Marie und Adeline schlagen sich mit dem normalen Leben herum und mit ihren Schicksalsschlägen. Sie wirken beide enttäuscht, nicht selten in melancholischer Stimmung und versuchen dennoch ihrem Dasein etwas Gutes abzugewinnen. Sie sprechen sich Mut zu, sie trösten sich, sie bringen sich zum Lachen. Manchmal reicht es, die Sichtweise des anderen zu überdenken, um Dinge positiver zu sehen. Aber hinter dieser Korrespondenz steckt mehr. Es läuft auf etwas hinaus, das hier nicht verraten werden soll. Aber das Geheimnis wird erst nach und nach gelüftet, so dass es für den Leser sehr spannend wird. Das Ende wird gut aufgelöst. Ich könnte dennoch ewig weiterlesen.

Rezension von Heike Rau

Anne-Laure Bondoux und Jean-Claude Mourlevat
Lügen Sie, ich werde Ihnen glauben
Aus dem Französischen von Ina Kronberger
288 Seiten, gebunden
Deuticke Verlag
ISBN-10: 3552063250
ISBN-13: 978-3552063259
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Anne Sanders: Sommer in St. Ives

Anne Sanders: Sommer in St. Ives

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„Her name was Lola, she was a showgirl.“ Diesen Spruch hat Lola, die Protagonistin dieses Romans, schön öfters gehört. Aber aus dem Mund von Chase Bellamy klingt er doch etwas anders.

Sommer, Sonne, Strand und Meer, dazu Meeresrauschen, Möwengeschrei, kieloben liegende Boote und eine Bildergalerie neben der anderen. Wenn dies auch etwas nach Klischee klingen mag, so ist das vielleicht nur in dieser Rezension so, denn in dem Roman beschreibt die Münchner Autorin sehr fein und mit viel Liebe zum Detail die Straßenzüge von St. Ives, die Landschaft von Cornwall und das Leben in diesem Landstrich. Bei den Lesern passende Bilder im Kopf hervorzurufen (Ich muss rot sein wie ein italienischer Kleinwagen.), fällt ihr leicht. Einfach zurücklehnen und die Bilder genießen, sollte zumindest beim Hörbuch gut funktionieren. Beim Lesen schweift man schnell vom Text ab und verliert sich in der cornischen Region.

Worum geht es in diesem Roman? Vor einem Jahr ist Großvater verstorben. Großmutter Elvira hat die Tochter Samantha samt Schwiegersohn Ben und den Enkelkindern Lynda, Lola und Luca an den Ort eingeladen, der für ihr eigenes Leben so prägend war. Noch im Flugzeug gehen alle davon aus, dass es sich um ein kleines Cottage handeln wird, in dem sie sich die nächsten sechs Wochen vergnügen dürfen, obwohl manchen von ihnen die Arbeit im Nacken sitzt. Doch dann werden sie bei ihrer Ankunft von einem großen Herrenhaus auf den Höhen überrascht. Die Großmutter erwartet sie schon, denn sie war wegen irgendwelcher Vorbereitungen eine Woche früher nach Cornwall gereist.

Am ersten Tag wundert sich die Familie, dass sich Großmutter für den ganzen Tag über verabschiedet und erst am Abend wieder alle treffen werde. Noch dazu in einem Pub unten im Ort zu einem Konzert. Nun gut, alle wissen, dass Großmutter hin und wieder ein Klassikkonzert besucht. Um so überraschter sind sie, als sich herausstellt, dass es sich um ein Rockkonzert handelt. Die Familie versteht die Großmutter nicht mehr. Als nach dem Konzert der Gitarrist und Frontmann Sam Watson auf den Tisch der Familie zukommt, kommt es noch dicker …

Anne Sanders hat diesen Roman im Sprachspiel eines Tagebuches angelegt. Die sechsundzwanzigjährige Protagonistin Lola plaudert und plätschert ihre Erlebnisse so locker, als würde sie sie ihrem Tagebuch anvertrauen. Manchmal etwas zu locker, denn die Figuren sagen nichts, vielmehr quietschen, krächzen, schreien, quieken, quäken, brummeln und murmeln sie. Murmeln vor allem. Der Spannung und guten Laune beim Lesen kommt das aber nicht in die Quere. Auch der reichlich enthaltene Konfliktstoff, den die Familienmitglieder mit sich herumtragen, lässt keine wirklich düstere Stimmung aufkommen. Das gelegentlich schlechte Wetter in St. Ives sorgt ebenso wenig für Unbehagen, verbergen sich darin doch so manch spaßige Überraschungen.

Sander erzählt auf geschickte Weise gleich zwei Liebesgeschichten, die der Protagonistin Lola und die ihrer Großmutter Elvira. Sie erzählt von schwierigen Verhältnissen, welches die Frauen dieses Romans mit ihren Müttern hatten, und stellt dar, dass jede Generation mit ähnlichen Problemen zu tun hat und doch jeder seinen eigenen Weg gehen muss. Während die Hauptgeschichte von Lola selbst in der ersten Person erzählt wird, so erschließt sich die Geschichte der Großmutter über Rückblenden, die in der dritten Person erzählt werden. Stück für Stück setzt sich ein riesiges Familienpuzzle zusammen.

Ein rundum lesenswerter Roman für viel Sonne und Wärme im Herzen, der sich nach der letzten Seite nur schwer zuschlagen lässt.

Sanders, Anne
Sommer in St. Ives
Blanvalret Verlag, München
ISBN 9783764505462

© Detlef Knut, Düsseldorf 2016
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Sacha Batthyany: Und was hat das alles mit mir zu tun?

Sacha Batthyany: Und was hat das alles mit mir zu tun?

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Sacha Batthyany kommt eines Tages darauf, seiner Familiengeschichte nachzugehen, die in ihrer Entstehungsgeschichte viele Jahrhunderte zurückreicht und dramatische Züge während des dritten Reichs annahm.

Er entstammt einer angesehenen österreich-ungarischen Adelsfamilie, die einige hervorragende Persönlichkeiten und Staatsämtern hervorgebracht hat.

Nicht diese aber interessieren den Autor vordergründig. Er kommt eines Tages darauf, dass eine Großtante die Gräfin Margit Thyssen-Bornemisza war. Sie hatte den Bruder des Großvaters von Sacha geheiratet. Im Gegensatz zu den Batthyanys war sie sagenumwoben reich und ermöglichte ihrem verarmten ungarischen adeligen Mann nach dem Zweiten Weltkrieg ein komfortables Leben.

Eines Tages erfährt Sacha, dass sie an einem Judenmassaker kurz vor dem Ende des Krieges in dem kleinen Ort Rechnitz in Burgendland beteiligt gewesen sein soll. Eine Nachfahrin dieser getöteten Juden ist Agnes, die Sacha in Buenos Aires aufsucht. Hier beginnt eine Geschichte, die die weitverzweigten Familienereignisse zum Leben erweckt und den Autor auf eine weite Reise in die Vergangenheit führt.

Die Erinnerungen setzen sich aus den verschiedensten Begegnungen und Gesprächen zusammen. Nachforschungen und Reisen in die entferntesten Ecken der Welt ermöglichen die Rekonstruktion des Verbrechens an den Juden im Jahr 1945.

Man liest sich ein in die Konstruktion eines tagebuchartigen Schreibens, in der dieser oder jener fiktiv oder direkt zu Worte kommt. Wie so vielen Nachfahren der Kriegsgeneration ergeht es auch dem Autor: man spricht nicht über die Zeit und über die Verbrechen, durch die das Nazireich zu unrühmlicher Bekanntheit gelangt ist. Man kommt der Wahrheit nur durch beharrliche Nachforschungen auf die Spur.

Teilweise spricht Sacha bei seinem Psychoanalytiker über seine Empfindungen, Erinnerungen und Wahrnehmungen. Dadurch bekommt der Bericht ungewöhnliche Tiefe und zeigt selbstkritische Reflexionen. Den Leitfaden zu seinen Nachforschungen aber bildet das Tagebuch seiner Großmutter.

Es macht ein wenig Mühe, den einzelnen Strängen der Erzählung zu folgen. Den Verbrechen der Nazis sind auf vielfältigen Wegen viele Menschen als Täter oder Opfer erlegen. Dem weitverzweigten Gebilde aus Schuld und Sühne zu folgen, ist die Aufgabe, vor dem man bei der Lektüre dieser Zeilen steht.

Familiengeschichten können spannender sein als ein Roman. Sacha Bhattyanys Geschichte ist so eine Geschichte: warmherzig, wahrhaftig, schrecklich, menschlich und unglaublich!

Sacha Batthyany

Und was hat das alles mit mir zu tun?
256 Seiten, gebunden
Kiepenheuer&Witsch, Februar 2016
ISBN-10: 3462048317
ISBN-13: 978-3462048315
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