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Schlagwort: Musik

Anna Enquist: Die Seilspringerin

Anna Enquist: Die Seilspringerin

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Eine Frau um die 40 Jahre steht am Scheideweg: sie ist eine erfolgreiche Komponistin und sehnt sich zugleich nach einem Kind! Doch stete Selbstzweifel und vermeintliche Empfängnisunfähigkeit behindern die Erfüllung dieses Wunsches.

Anna Enquist entwirft das Bild eines Lebens, das düster und lebensunfroh wirkt.

Alice, der Protagonistin der Geschichte, war der Erfolg als Künstlerin nicht in die Wiege gelegt worden. Ihre Eltern waren bildungsfern und bürgerlich angepasst. Eine gute Erziehung, anständige Manieren und ein anerkannter Beruf gehörten zu ihren Lebenszielen. Diesen Ansprüchen will Alice nicht entsprechen! Schon früh zieht es sie zur Musik!

Mit Energie und Ausdauer hat sie es aufs Konservatorium geschafft. Freundliche Lehrer und Dozenten haben sie gefördert. Die eine oder andere Liebesbeziehung verlief nicht glücklich, und Alice sieht in sich immer noch das ungeliebte Kind. Einmal mehr kann man in diesem Roman erfahren, wie sehr die Herkunft das Leben eines Menschen zu beeinflussen vermag.

Eine psychologische Binsenweisheit besteht in der Tatsache, dass Menschen sich in den Augen des Gegenübers spiegeln. Wer als Kind erfährt, dass man dem Idealbild der Eltern nicht entspricht und dadurch ständige Entwertung erfährt, bleibt lebenslang im Zweifel über den Selbstwert.
Das ist keine gute Voraussetzung für ein glückliches Leben.

Alices Ehemann, ein Finanzjurist, bietet ihr äußere Sicherheit. Er wirkt froh, zufrieden und unbeschwert. Für ihre Arbeit interessiert er sich nur nebenbei. Zunehmend wird die Beziehung zu seiner Frau von deren drängendem Kinderwunsch beeinträchtigt.

Alice begibt sich auf eine Gedankenreise in die Vergangenheit. Sie sucht im Vergleich mit bekannten Komponisten Trost für ihr eigenes Los. Haydn hat es ihr dabei besonders angetan. Die Erfolge in der so genannten E -Musik, die sie unzweifelhaft hat, verblassen angesichts ihrer Selbstentwertung, wenn sie bedenkt, dass sie ihr Geld unter einem Pseudonym mit oberflächlichen Werbemelodien verdient. Schließlich begibt sie sich in Therapie.

Bis zuletzt bleibt Alice trotz ihrer wachsenden Erfolge eine von Selbstzweifeln geplagte Frau. Ihr Wunsch nach einem Kind und ihr zunehmender Ruhm als Komponistin zeigen, dass sie von wechselnden Gefühlsausbrüchen gepeinigt wird. Die Autorin überrascht uns mit einem rätselhaften Ende.

Anna Enquist hatte selber eine musikalische Ausbildung und arbeitete nach ihrem Studium der klinischen Psychologie als Psychoanalytikerin.

Das Können und ihr Wissen über musikalische Prozesse, Kompositionslehre und Entstehungsprozesse von Kompositionen aller Art ist beachtlich. Dazu kommt das Wissen der Autorin über seelische Tiefen und Abgründe, das in ihren Figuren ihren Ausdruck findet.

Der Roman ist tiefschürfend, gibt Anregung zum Nachdenken und ist mit den verschiedenen Erzählsträngen zwischen Kinderwunsch, fortschreitendem Alter und Frau unter mehrheitlich männlichen Kollegen ausgesprochen vielschichtig.

Anna Enquist
Die Seilspringerin
Luchterhand Literaturverlag, März 2024
304 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3630877222
ISBN-13: 978-3630877228
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Robert Seethaler: Der letzte Satz

Robert Seethaler: Der letzte Satz

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Robert Seethaler zeichnet in diesem schmalen Band das erschütternde Porträt eines Mannes, der als Komponist, Musiker und Dirigent ein erfolgreiches Leben hinter sich hat.

Er ist noch nicht so alt, aber als müder und kranker Mann befindet er sich auf der letzten Reise von New York nach Europa. Er sitzt an Deck und denkt über sein Leben nach. Fürsorglich wird er von einem Schiffsjungen umsorgt. Mahler leidet unter Schmerzen und Migräne und fühlt sich krank.
Unter Deck sitzen seine Tochter Anna und deren Mutter Alma Mahler beim Frühstück.

Es handelt sich um einen hoch erfolgreichen und berühmten Mann, der als Dirigent, Musiker und Komponist viel umschwärmt war und hohe Anerkennung genoss. Neben seiner Arbeitswut, die ihn Kräfte und Gesundheit kostete, ist er besessen von der Liebe zu der berühmten und von Männern umschwärmten Frau Alma. Sie ist die Femme fatal, die zahlreiche ebenso berühmte Männer aus Kunst und Kultur um den Verstand brachte. Noch aber leben sie zusammen, wenn er auch weiß, dass er sie verloren hat an den Architekten Walter Gropius, der nach seinem Tod ihr zweiter Mann werden soll.

Die Wende zum 20. Jahrhundert mit ihren großartigen Künstlern ersteht vor unseren Augen, wie Seethaler sie in seiner sensiblen und bilderreichen Sprache erkundet hat. Freud wird von Mahler in seiner Not um seine Ehe zu Rate gezogen. In einem einmaligen langen Gespräch werden seine psychischen Nöte erörtert und analysiert.

Seethaler beschreibt den Musiker mit anteilnehmenden und einfühlsamen Worten. Er wird dem Genie gerecht mit seiner Schilderung des Charakters. Es entsteht eine leicht melancholische Stimmung, wenn der Autor über das Meer, die Luft und den Wind schreibt und sich in Mahlers Erinnerungen vertieft. Sie sind erfüllt von Sehnsucht mach den Bergen, nach Sommer und Sonne und nach seiner verlorenen Tochter Maria, die als kleines Mädchen an Diphterie starb.

Das Büchlein liest sich schnell und unkompliziert. Es eröffnet uns aber noch einmal die Szenen jener fernen Zeitenwende, als Musik und Kunst die Welt mit der Ahnung von ganz neuen Aufbrüchen beseelte, die dann allerdings in den dreißiger Jahren schreckliche Formen annahm .

Ich habe das Büchlein gerne gelesen und kann es dem Musik- und Kunstliebhaber gerne empfehlen!

Robert Seethaler
Der letzte Satz
128 Seiten, gebunden
Hanser Berlin, 3. August 2020
ISBN-10: 3446267883
ISBN-13: 978-3446267886
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Marko Simsa und Doris Eisenburger: Der Zauberlehrling

Marko Simsa und Doris Eisenburger: Der Zauberlehrling

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Dann nehmen wird doch mal das Buch, legen die CD ein und gehen ins magische Musiktheater der Zauberschule!

Der Hexenmeister hat sich wegbegeben und der Zauberlehrling beschließt, das auszunutzen. Er möchte selbst zaubern. Das gelingt ihm recht gut, so scheint es. Der alte Besen, stellt sich auf zwei Beine, nimmt sich wie befohlen einen Topf und springt die Treppe hinunter und den Weg entlang, um Wasser zu holen. Begleitet wird der Besen vom Fagott und dem Klang der gezupften Saiten der Streichinstrumente. Auch im Bilderbuch wird das entsprechend dargestellt. Das Wasser wird anschließend unter Begleitung der Geigen und Bratschen Topf um Topf in die Wanne gefüllt.
Doch der Zauberlehrling schafft es nicht, den Besen anzuhalten, als die Wanne voll ist. Er hat das Zauberwort vergessen. Auch fangen lässt sich der Besen nicht. Die Situation spitz sich zu, was am wilden Glockenspiel zu hören ist, dem bald das halbe Orchester samt den Blechblasinstrumenten folgt. So geht das Drama weiter, bis endlich der große Meister erscheint.

Das musikalische Bilderbuch vereint verschiedene Darstellungsmöglichkeiten, die Kindern die Ballade von J. W. v. Goethe mit der Musik von Paul Dukas näher bringen. Und das auf eine sehr spannende Weise! Die CD enthält die Geschichte mit Erklärungen zu Goethes Ballade. Die Verbindung zur Musik und zum Orchester, dem von Cornelius Meister dirigierten ORF Radio-Symphonieorchester Wien, wird gezogen. Die im Konzert eingesetzten Instrumente sind noch einmal in einer Übersicht zu sehen. Erklärt wird, was aus der Musik herauszuhören ist und wie Klänge in ihrer Aussagekraft auf die Ballade bezogen, einzuordnen sind. So wird klar, wie die Handlung durch die verschiedenen Musikinstrumente aufgebaut wird. Der Erzähler Marko Simsa macht seine Arbeit gut. Es ist ein Vergnügen, seinen Ausführungen zu folgen. Die Zeichnungen von Doris Eisenberger tragen dazu bei, dass die zuhörenden Kinder Bilder vor Augen haben. Das ist eine sehr gelungene Kombination für Kinder ab fünf Jahren!

Rezension von Heike Rau

Marko Simsa
Der Zauberlehrling
Illustrationen von Doris Eisenburger
Die Musik von Paul Dukas zur Ballade von J. W. v. Goethe
32 Seiten, gebunden
Begleit-DC mit Musik und Text
Annette Betz im Ueberreuter Verlag
ISBN-10: 3219117791
ISBN-13: 978-3219117790
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Dorothy Baker: Ich mag mich irren, aber ich finde dich fabelhaft

Dorothy Baker: Ich mag mich irren, aber ich finde dich fabelhaft

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Rick Martin ist ein begnadeter und musikbegeisterter Junge. Dorothy Baker hat sich von dem Jazz-Genie Bix Beiderbecke (1903 -1931) zu diesem Roman inspirieren lassen.

Rick stammt aus den Slums von Los Angeles. Jeden Morgen sitzt er am Klavier der All Souls’ Mission und formt auf dem Klavier Töne nach, die er einmal gehört hat. Dafür versäumt er die Schule und nimmt allerlei Unbilden auf sich.

Schließlich lernt er den farbigen Jazzmusiker Smoke Jordan kennen. Die beiden Jungen werden unzertrennlich und sind vereint in der Musik. Rick beneidet Smoke um die Geborgenheit seiner Familie, die ihm, Rick, in seiner Onkel-Tante -Familie nicht vergönnt ist.

Man begleitet Smoke und Rick auf ihren Streifzügen durch die Musikhalls und dort finden sie eines Tages ihren Platz. Rick wird Trompeter, wird entdeckt und nach New York engagiert.

Wunderbar versteht Dorothy Baker in das Milieu der Musikszenen einzutauchen und einen teilhaben zu lassen an musikalischen Entwicklungen. Sie zeigt uns, wie durch die Besessenheit vom Klang und Rythmus aus Laien professionelle Trompeter, Klavierspieler oder Drummer werden.

Höhen und Tiefen des vom Jazz besessenen Rick ziehen sich durch alle Stadien seines Lebens. Es endet früh, noch nicht einmal 30 Jahre alt, wie bei so vielen Genies seines Genres.

Man liest das Buch mit Aufmerksamkeit und Interesse. Sind doch Existenzen wie die von Rick Martin häufig in den Jazzszenen zu finden. Alkohol und der Rausch der Musik mit den exzessiven Konzerten in langen Nächten bringen nicht nur Rick Martin den Tod. Betrauert von der Jazzgemeinde enden diese von ihrer Musik Betäubten häufig in Einsamkeit und körperlichem Ruin. Auch Ricks tragisches Schicksal vollendet sich mit seinem Tod. Er blieb bei seinen zwei engen Freunden Jeff Williams und Smoke Jordan unvergessen und tief betrauert.

Freundschaften, Begegnungen und immer wieder die Musik schaffen das Klima, in das uns Dorothy Baker entführt. Es sind die dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, die in ihrem Roman vor uns erstehen und uns Erinnerungen bescheren an eine Zeit unvergesslicher Jazzgrößen. Ein gelungener Roman für alle, die sich dem Jazz zugeneigt fühlen.

Dorothy Baker
Ich mag mich irren, aber ich finde dich fabelhaft
272 Seiten, gebunden
dtv Verlagsgesellschaft, November 2017
ISBN-10: 3423281359
ISBN-13: 978-3423281355
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Jess Jochimsen: Abschlussball

Jess Jochimsen: Abschlussball

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Eine ganz und gar skurrile und aberwitzige Geschichte beschert uns der Schriftsteller und Kabarettist Jess Jochimsen!

Zumal das erste Kapitel zeigt uns einen Trompeter der Extraklasse: er spielt auf Beerdigungen, da es zum Konzertmusiker nicht gereicht hat.

Einmal im Monat wird vom Bestatter Berger ein als „Abschlussball“ titulierter Abgesang auf einen Toten abgehalten. Zumeist gilt dieser einem Armenbegräbnis. Komisch und witzig sind die Reden, die da auf die Toten gehalten werden.

Marten, unser Begräbnistrompeter, erfährt von Schocht, einem ehemaligen Klassenkameraden und Klassenprimus, der unter den Toten weilt. Auch zu seiner Beerdigung spielt er auf. Alleine der Aufzug der Trauernden bei dieser Gelegenheit ist höchst amüsant und komisch dargestellt, denn sie stammen aus den so genannten Randgruppen der Gesellschaft. Es handelt sich um ehemalige Bohemiens und Unterweltler, die sich zum „Abschlussball“ an Schochts Beerdigung einfinden. Man sieht sie förmlich in einem schleppenden Trauerzug aufmarschieren.

Nun, in weiteren Kapiteln kann man Marten in seiner Familie und auf seinem Lebensweg kennenlernen. Lakonisch, trocken und insgeheim äußerst witzig erfährt man von einem absoluten Individualisten und Außenseiter der Gesellschaft, der sich nie und nirgends auf Dauer festlegen kann. So lebt er vor sich hin, umgeben von skurrilen Einzelgängern wie ihm selbst.

Das Buch ist etwas für Menschen mit Sinn für abseitigen Humor und die skurrile Neigung zum Einzelgängertum. Man kommt die ganze Zeit aus dem Schmunzeln nicht heraus.

Immer wieder spielt der Friedhof, das Leben und der Tod die entscheidende Rolle in diesem witzigen, geistreichen und bildungsfreudigen Roman. Von Goethe bis Cioran werden die Dichter und Philosophen im passendem Zusammenhang zitiert. Man glaubt es kaum, dass man einen ganzen Roman damit bestreiten kann. Nichts ist wirklich traurig, denn der Tod gliedert sich umstandslos in das hiesige Leben. Die Musik bleibt schließlich das einzige Medium, das quasi unsterblich ist. In diesem Rankwerk um den Tod spielen frühere und späte Begegnungen hinein, sie geben dem Ganzen den lebendigen Touch, so dass man bis zuletzt gut unterhalten und immer wieder amüsiert bleibt.

Herrlich und lesenswert!

Jess Jochimsen
Abschlussball
312 Seiten, gebunden
dtv Verlagsgesellschaft, Juni 2017
ISBN-10: 3423281162
ISBN-13: 978-3423281164
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Julian Barnes: Der Lärm der Zeit

Julian Barnes: Der Lärm der Zeit

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Julian Barnes ist in seinem neuen Roman den Spuren des Komponisten Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch (1906 -1975) nachgegangen. Er war ein anerkannter russischer Komponist des 20. Jahrhunderts. Seine Kompositionen umfassten ein reiches Repertoire an sinfonischer, instrumentaler und Filmmusik, bevor er sich an die Komposition von Opern wagte.

Unter der Diktatur Stalins hatte der Musiker schwer zu leiden.  Wer denkt heute noch an die Tyrannei dieses Despoten, der seine Freunde und Feinde erzittern ließ ob seiner Grausamkeit und paranoiden „Säuberungen“, mit denen er Mitte der dreißiger Jahre sein Unwesen trieb?

Julian Barnes erzählt, wie Schostakowitsch auf die Gunst und Gnade Stalins angewiesen war. Dieser liebte Musik und eben auch Schostakowitsch. Doch als Stalin die Oper „Macbeth von Mzensk“ zwei Jahre nach der Erstaufführung, die 1934 für Furore gesorgt hatte und hoch umjubelt worden war, hörte, brach sein Zorn über den begnadeten Komponisten herein. Stalin mochte die Musik nicht. Nachdem letzterer seine Loge voller Zorn verlassen hat, so berichtet Barnes, wurde aus dem Komponisten ein von Angst überwältigtes Männlein. Er steht jede Nacht mit einem gepackten Köfferchen auf dem Flur vor seiner Wohnung und erwartet die Schergen des Diktators. Seine junge Frau und die gemeinsame Tochter sollen nicht in den Strudel Ereignisse hineingezogen werden. Zu dieser Zeit ist er dreißig Jahre alt.

Am Beispiel des berühmten Komponisten und seines künstlerischen Wohl und Gedeihens erfahren wir vom Autor etwas über die Dimensionen von Diktaturen damals und heute.

Lebendig und hautnah kann man erleben, wie die Angst um alle Ecken schaut, und die Unterdrückung zu Depression und Lähmung führen kann.

Schostakowitsch wird im Roman (wie wohl auch in der Realität) zu Verhören abgeholt, soll Kollegen beschuldigen, wird wieder nach Hause geschickt, mit Drohungen, die Wahrheit zu sagen, neu einbestellt, bis schließlich sogar der Verhörer verschwunden ist. Man ahnt, dass auch ihn die Rache des Diktators zu Fall gebracht haben könnte.

In diesem Stil und Umfang, präzise und dicht in Wort und Beschreibung geht es weiter. Julian Barnes zeigt uns die „Macht“ und ihre dräuende, einschüchternde Gewalt, die auch stärkere Naturen zum Stürzen bringt. Hier wird Schostakowitsch als sensibler und einfühlender Charakter geschildert, der dieser Macht nicht Herr wird. Er wird hin und her gerissen zwischen Folgsamkeit und Selbstverdammung, stiller Resignation und Niedergeschlagenheit.

Zitat aus der Besprechung des Romans in der Zeitschrift die „Zeit“ über die Komponisten unter Stalin: «Die einen waren am Leben und hatten Angst, die anderen waren tot.»

Die Macht des Stärkeren lässt den Schwächeren vergehen. Auf einer Reise nach Amerika wird Schostakowitsch zum Spielball öffentlicher Belobigung, propagandistischen Fehlberichten und seiner heimatlichen Angstzustände. Lug und Trug, Fremd- Selbstbezichtigung und Abwarten kennzeichnen das Leben des Künstlers, der dem Wechselbad von Lob und Tadel ausgeliefert ist. Immer auch wieder gibt es Hinweise auf sein Privatleben, das jedoch ganz unter der Last der alltäglichen äußeren Bedrohung und Not steht.

Barnes schreibt in seinem gewohnt eindringlichen, poetischen Stil mit psychologisch tiefenscharfen Blick. Es ist nur ein schmales Buch von 240 Seiten. Doch der Inhalt wiegt schwer und konfrontiert den Leser mit Erfahrungen, die kaum zu ertragen sind. Erschütternd sind immer wieder die Verzweiflung und der Strudel der Verleugnungen, in die die Opfer der seelischen und häufig auch physischen Zerstörungen hineingeraten.

Die Lektüre erfordert Aufmerksamkeit und Konzentration, um der Vielfalt der angeführten Ereignisse und Zustände zu folgen.

Ein ernstes und nachdenklich stimmendes Buch!

Julian Barnes
Der Lärm der Zeit
256 Seiten, gebunden
Kiepenheuer&Witsch, Februar 2017
ISBN-10: 3462048880
ISBN-13: 978-3462048889
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Oliver Steger und Catherine Ionescu: Die Jazzgeister – Jazz für Kinder: Blues, Swing, Latin & Co.

Oliver Steger und Catherine Ionescu: Die Jazzgeister – Jazz für Kinder: Blues, Swing, Latin & Co.

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Lea und Lotte wollen eine alte Villa erkunden, über die man sich Spukgeschichten erzählt. Doch noch jemand ist hier. Es sind zwei junge Männer, die hier ungestört Musik mit ihrer Gitarre und dem Kontrabass machen möchten. Das alles wirkt sehr realistisch. Geister sind die beiden also nicht. Die Mädchen kommen näher und lauschen. Sie hören „Auf der Mauer, auf der Lauer“. Aber es ist eine ganz andere Version als die bekannte. Es ist Jazz. Mit anderen Harmonien, anderem Rhythmus und Improvisation. Das gefällt Lea und Lotte. Und bei Gelegenheit fragen sie nach den Geistern, die im Haus wohnen sollen. Tim und Tom erzählen von der Geschichte des Hauses, das einst der Baronesse Stimmstück gehörte. Jazzkonzerte hat es hier früher gegeben. Und bei einer Führung durch das Haus lernen Lea und Lotte die Jazzgeister Blues, Bebop, Cooljazz, Freejazz und weitere kennen.

Es ist sicher keine leichte Aufgabe, Kindern den Jazz nahezubringen. Aber mit dem Buch ist das perfekt gelungen. Erzählt wird eine spannende Geschichte. So wird auf eine kindgerechte Art und Weise in das Thema eingeführt. Die verschiedenen Genre sind die Geister, die einzeln, immer auf einer Doppelseite, vorgestellt werden. Diese Seiten wurden von Catherine Ionescu sehr schön illustriert. Das lockert auf und sorgt für Abwechslung.

Vorstellbar wir die Geschichte des Jazz durch die CD, die von Jazzkontrabassist Oliver Steger aufgenommen wurde. Arrangiert wurden bekannte Kinderlieder. So erkennen Kinder trotz Improvisation die Lieder wieder, können sich ganz auf den Musikstil einlassen und natürlich auch mitmachen, wenn sie mögen. Das ist wirklich spannend und sehr inspirierend. Auf der CD zu hören sind die Jakob Pocket Band, Tricycle und S.O.D.A. Durch die CD führt Paul Urban Blaha als Sprecher. Das ist auch für Erwachsene interessant anzuhören. Man kann sehr gut mit seinem Kind oder Enkelkind Kapitel für Kapitel durchgehen und sich diesem unterhaltsamen Musikstil widmen.

Rezension von Heike Rau

Oliver Steger und Catherine Ionescu
Die Jazzgeister – Jazz für Kinder: Blues, Swing, Latin & Co.
32 Seiten, gebunden, mit CD
Annette Betz Verlag
ISBN-10: 3219116752
ISBN-13: 978-3219116755
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Peter Härtling: Verdi

Peter Härtling: Verdi

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Lebensbild des Giuseppe Verdi auf der Höhe seines Ruhms und seiner Größe.

Mit dem Leben des alternden Verdis, der bereits zu Ruhm und Ansehen gelangt ist, beginnt der neue Roman von Peter Härtling über den Komponisten und bekannten Musiker Giuseppe Verdi.

Dieser besitzt zu dieser Zeit um 1870 mehrere Wohnsitze, eine ihn liebevoll umsorgende Frau, und er macht sich gerade an die Komposition zu einem ersten Streichquartett.

Wir erleben ihn knurrig, leicht unzufrieden und ebenso leicht despotisch. Kritik gegenüber ist er hoch empfindlich. Er komponiert und arbeitet, trifft sich mit Sängerinnen und Sängern und lebt ein ausgefülltes Leben. Voller Unrast und Unruhe reist er von einem Wohnsitz zum nächsten und ist auch von seiner Frau nicht zur Ruhe zubringen.

Als ihn 1883 die Nachricht vom Tod Richard Wagners erreicht, ist er getroffen, wenn er auch dessen musikalisches Werk nicht schätzte.

Doch gerade schwingt er selber sich zu neuen ungeahnten Erfolgen auf: Otello und Falstaff stehen vor den Erstaufführungen. Auch ein Requiem zu Ehren des verstorbenen Dichters Alessandro Manzoni bringen ihm Ruhm und Ehre ein.

Peter Härtlings bedient sich in seinem neuen Roman einer abgeklärten und behäbigen Erzählweise.

Detailversessen beschreibt er die damalige Musikszene in Mailand, Berlin und London. Sänger und Librettisten buhlen um seine Gunst, doch auch die Neider sind nicht fern.

Für den Musikkenner enthält der Roman atmosphärisch dichte Partien. Der ganze Roman entspricht in den Kapiteln einer groß angelegten Fuge.

Härtling ist ein ausgewiesener Musikkenner. In seinen früheren Romanen hat er sowohl Schumann als auch Schubert und Fanny Mendelssohn Denkmäler gesetzt. Unübertroffen bleibt für mich sein Roman über Hölderlin, der mich zu seinem Lesefan gemacht hat.

Dieser letzte Roman erscheint mir ein wenig zu ausufernd. Es gibt u.a. musiktheoretische Anmerkungen, die eine gewisse Fachkenntnis voraussetzen. Im letzten Teil über den Tod und das Sterben findet man feinfühlige poetische Ausführungen. Hier zeigt sich Härtlings Fähigkeit, in unübertroffener Weise Stimmungen und Zeitbilder herauf zu beschwören.

Für Verdifans ist die Lektüre gewiss eine lebendige Quelle der Freude und Information.

Peter Härtling
Verdi
224 Seiten, gebundn
Kiepenheuer&Witsch, August 2015
ISBN-10: 3462048082
ISBN-13: 978-3462048087
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Zülfü Livaneli: Roman meines Lebens

Zülfü Livaneli: Roman meines Lebens

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Leben und arbeiten unter den Bedingungen politischer Repression.

Schon in seinem Roman „Glückseligkeit“ konnte man von Zülfü Livaneli einiges erfahren zur Befindlichkeit und zu den Lebensumständen in der Türkei während der letzten vierzig Jahre.

In dieser Romanbiographie steht er selbst im Mittelpunkt seiner Erzählung.

Livaneli ist als bekannter Liedermacher, Komponist, Sänger, Filmemacher und Schriftsteller zu Berühmtheit gelangt. Er berichtet, wie problematisch das Leben in der von verschiedenen zivilisatorischen Einflüssen geprägten Türkei auch heute noch ist.

Livaneli ist ein aufgeklärter Europäer, der sich mit den politisch prekären Verhältnissen in seinem Land nicht anfreunden konnte. Zu viele Freunde und Kollegen sind ihm im Laufe der Jahre durch sich wiederholende politische Umbrüche verloren gegangen. Er selber saß mehrfach im Gefängnis und verbrachte 11 Jahre im Exil in Schweden, später in Frankreich und zuletzt in Griechenland. Die Liebe zu seinem Land und ihren Menschen aber ist ihm immer geblieben. Er sieht die Licht- und die Schattenseiten, die durch unterschiedliche Mentalitäten und krasse Strukturen verdeutlicht werden. Wie immer sind es gerade die in der Öffentlichkeit stehenden Künstler und Intellektuellen, die unter autoritären Regierungen um ihr Leben fürchten müssen. Gehört doch zu ihrer Profession die kritische Reflexion, die gerade von Autokraten gefürchtet wird.

Zülfü Livaneli berichtet von Freunden, Politikern und Kollegen, die sich den Vorschriften ihrer Regierungen nicht beugen mochten und so in ihrer Lebensform beeinträchtigt wurden. Seine Erzählweise ist intensiv und leidenschaftlich und zeigt ihn als engagierten Künstler, der neben der eigenen Kunst immer auch das Leben in der Türkei im Blick behält. Warmherzig und liebevolle zeichnet er die Bilder derer, die ihm am Herzen liegen.

Im Laufe seines Lebens schloss er zahlreiche Freundschaften mit bekannten Komponisten, Schriftstellern und Künstlern im In-und Ausland. Eine beeindruckende Zuneigung und Arbeitsgemeinschaft verband ihn mit Mikis Theodorakis, mit dem er die Feindschaft zwischen der Türkei und Griechenland zu überwinden trachtete. Illustre Namen tauchen in seinen Erinnerungen auf und man gewinnt den Eindruck, dass er wirklich eine Art Kosmopolit wurde.

Das Leben schreibt die interessantesten Romane. Das von Zülfü Livaneli gelebte Leben gehört zu den wirklich lesenswerten dieses Genres.

Er zeigt uns ein Stück türkischer Gegenwartsgeschichte.

Die Abneigung in der EU, die Türkei in ihre Gemeinschaft aufzunehmen, wird verständlich, wenn man von den Repressionen gegen anders Denkende und von der strengen islamischen Ausrichtung des Staates liest.

Der mit zahlreichen nationalen und internationalen Auszeichnungen und politischen Aufgaben bedachte Autor Zülfü Livaneli lebt seit 1984 wieder in der Türkei.

Zülfü Livaneli
Roman meines Lebens
Ein Europäer vom Bosporus
364 Seiten, gebunden
Klett-Cotta, Februar 2011
ISBN-10: 3608938958
ISBN-13: 978-3608938951
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Pascal Mercier: Der Klavierstimmer

Pascal Mercier: Der Klavierstimmer

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Mit dem „Klavierstimmer“ hat der Autor Pascal Mercier erneut einen Roman geschaffen („Perlmanns Schweigen“, „Nachtzug nach Lissabon“), auf den sich der Leser zunächst erst mal einlassen muss, um dann mit fortschreitender Seitenzahl umso tiefer in seinen Bann gezogen zu werden. Rasante Aktionen darf der Leser nicht erwarten, eher zahm und einfühlsam wird er in eine Atmosphäre hineinmanövriert, die ihn bald nicht mehr loslassen wird. Dabei ist es unerheblich, ob sich der Leser in dem zugrunde liegenden Milieu (im vorliegenden Fall das der klassischen Musik, besonders der Oper) auskennt oder ob es ihm fremd ist. Es wird sich ihm erschließen.

Das Zwillingspärchen Patricia und Patrice, die als Erwachsene bereits lange und weit von zuhause entfernt leben, erfahren, dass ihr Vater einen berühmten Opernsänger erschossen hat. Sie eilen zu ihren Eltern und erfahren bei ihren Recherchen sehr viel über sich selbst und über das Leben ihrer Eltern.

Der Autor bedient sich bei der Erzählung der Lebensgeschichten einer eher ungewöhnlichen Erzählmethode. Die Geschwister haben ihre Recherchen nämlich akribisch in Hefte geschrieben, die sie sich gegenseitig zusenden. Sie sprechen sich in Briefen in zweiter Person an, was allein für ein Roman schon ungewöhnlich ist. Auf diese Weise bewegt sich der Leser aber in den Köpfen der Erzähler, deren Hefte im steten Wechsel, eines nach dem anderen vorgestellt werden. Er scheint in deren Gedanken zu dringen und die intimen Gespräche von Bruder und Schwester zu belauschen.
Zwischendurch wird immer wieder in die Position eines Erzählers in dritter Person gewechselt. Das geschieht immer dann, wenn die Geschwister von ihren Gesprächen mit Vater und Mutter berichten und diese dann im Dialog mit ihren Kindern aus ihrem eigenen Leben beziehungsweise aus dem des Ehepartners oder über ihn erzählen.

Mit dieser Erzählmethode gelingt es dem Autor, dem Leser eine sich immer wieder wendende Geschichte aus vier verschiedenen Perspektiven näher zu bringen. Der Mord an dem Opernsänger ist dabei nur das Mittel zum Zweck, der darin besteht, höchst unterschiedliche Menschen in all ihren Facetten, Details, Marotten und sonstigen Eigenschaften vorzustellen. Die Wendungen in der Struktur der Familie und dem Geschehen, welches dem Schreiben der Notizen unmittelbar vorausgegangen ist, kommen meist überraschend und verblüffen umso mehr. Schritt für Schritt, aber mit zunehmendem Tempo wird der Leser über die Familienverhältnisse, über die Umstände, die zum Tod des Opernsängers führten und über den tatsächlichen Ablauf des Geschehens aufgeklärt. Was sich für manch einen Krimienthusiasten anfangs noch langatmig anfühlt, ist am Ende eine packende Geschichte, die man kaum aus der Hand legt, bevor man die letzte Seite nicht gelesen hat.

Mit Interesse verfolgt man, was die Zwillinge über sich, über ihre Eltern erfahren, über die Kälte in der Familie, die in ihrer Tiefe doch eine unendliche Wärme darstellt. Ein Buch voller Gefühle, voller auf und ab, voller hin und hergerissen sein. Dabei gelingt dem Autor am Ende noch ein Schwenk zum humorigen, wenn Patrice von seinen ersten Jahren in Chile erzählt und die Macht eines Übersetzers entdeckt und feststellt, dass er dabei wohltätig sein kann, genauso, wie er diejenigen Ausländer mit seinem Dolmetschen unmöglich macht, deren Nasen ihm nicht passen.
Lesevergnügen für viele Stunden!

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Mercier, Pascal
Der Klavierstimmer
512 Seiten, broschiert
btb Verlag
ISBN-10: 3442726549
ISBN-13: 978-3442726547
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© Detlef Knut, Düsseldorf 2011
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