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Schlagwort: Mutter

Sarah Moss: Schlaflos

Sarah Moss: Schlaflos

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Das Haus liegt einsam auf einer Insel im Westen Schottlands. Anna Bennet lebt mit ihrem Mann Giles Cassingham und den Kindern für einige Zeit hier. Während Giles, der Ornithologe ist, die Papageientaucher beobachtet, versucht Anna ein Buch zu schreiben, das sie als Historikerin beruflich weiterbringen soll.

Doch Anna ist zeitlich zu sehr eingeschränkt. Die Kinder, der zweijährige Timothy und der siebenjährige Raphael, lassen ihr nur sehr wenig Zeit zum Arbeiten. Und Gils geht seine Forschungsarbeit über alles. Er ist kaum im Hause. Dazu kommt der Schlafmangel, der Anna fast verzweifeln lässt, denn Timothy schläft keine Nacht durch. Austausch mit anderen Müttern findet nicht statt. Kindergarten und Schule stehen nicht zur Verfügung. Es ist einsam auf der Insel.

Als die Familie im Garten Apfelbäume pflanzen will, stößt sie auf die sterblichen Überreste eines Babys. Die Polizei wird informiert. Der Verdacht steht im Raum, dass die Familie Cassingham damit etwas zu tun hat. So beginnt Anna eine weitere Forschungsarbeit, die Generationen der Familie ihres Mannes betreffend, die hier in Colsay House gelebt haben.

Für Anna ist es nicht einfach, Familie und Beruf zu verbinden. Ihre Hoffnungen und Wünsche für die Gegenwart und die Zukunft schlagen sich in der Geschichte nieder. Gedanken, die wohl alle Mütter betreffen, bilden das Fundament. Dem gegenüber wird die wissenschaftliche Arbeit gestellt, die Anna leistet. Sie erforscht unter welchen Bedingungen Kinder im 18. Jahrhundert lebten. Dazu kommt dann das Stück Familiengeschichte, dass sie aufarbeitet. Und so werden die Generationen bis in die Gegenwart verbunden.

Vielleicht ist es das, was Anna dazu bringt, ihre Zeit auf Colsay dann noch etwas leichter zu nehmen. Es ist vor allem auch die entstehende Selbstironie, die sie weiterbringt. Das fasst die Autorin sehr gut in Worte. Und auch, dass die Zeit vergänglich ist, sich Dinge ändern, wenn man offen für Neues ist, wird vermittelt.

Die Autorin hat einen fesselnden Schreibstil. Das Buch gefällt, weil es mit Verstand, Feingefühl und Wärme geschrieben ist.

Rezension von Heike Rau

Sarah Moss
Schlaflos
Aus dem Englischen von Nicole Seifert
596 Seiten, gebunden
Mareverlag
ISBN-10: 3866481772
ISBN-13: 978-3866481770
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Frances Greenslade: Der Duft des Regens

Frances Greenslade: Der Duft des Regens

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Es ist ein einfaches, schlichtes und dennoch zufriedenes Leben, das Maggie, ihre Schwester Jenny und die Eltern führen. Duchess Creek, in den Wäldern im Westen Kanadas, scheint ein Ort zu sein, an dem man glücklich sein kann. Unbeschwert ist die Kindheit Maggies dennoch nicht. Auch wenn es keinen konkreten Anlass gibt, immer macht sie sich Sorgen.

Maggie fühlt sich bestätigt, als der Vater einen tödlichen Unfall erleidet. Unerträgliche Trauer hüllt die Mutter und ihre Töchter ein. Gemeinsam fahren sie zelten, an einen Ort, wo es nichts gibt außer Ruhe. Es ist ein Ort, den die Mutter ihren Mädchen schon immer zeigen wollte. Hier in diesem Tannenwald ist man der Natur ganz nah.

Eine Freundin beginnt sich zu kümmern und die Melancholie, die die Mutter befallen hat, etwas zu vertreiben. Irene rafft sich auf, nimmt einen Sommerjob in einem Anglercamp an. Danach zeltet die Familie wieder eine Zeit. Das eigene Haus musste aufgegeben werden. Dann wird Ritas Farm ein Zufluchtsort. Immer öfter ist Irene abwesend.

Schließlich bringt sie ihre Töchter zu den Edwards, die Freunde ihres Mannes waren, um in einem Holzfällercamp Arbeit anzunehmen.
Das Leben bei den Edwards gefällt Maggie nicht, während Jenny ganz gut zurechtkommt. Anfangs schreibt die Mutter noch Briefe und schickt Geld. Dann meldet sie sich nicht mehr. Eine Mauer aus Schweigen baut sich auf. Keiner weiß, was passiert ist und keiner wagt zu fragen, weil ein weiteres Unglück geschehen sein könnte.

Es ist eine wunderschön geschriebene Geschichte. Traurig und berührend. Maggie erinnert sich zurück. An die Zeit der Kindheit. Damals war die Welt noch in Ordnung, auch wenn Maggie gespürt hat, das ein Unglück kommt.
Der Unfalltod des Vaters reißt eine Lücke in die Familie. Es ist nur zu verständlich, dass die Zurückgebliebenen jeden Halt verlieren. Die Mutter kann ihrer Rolle nicht mehr gerecht werden. Auch die Zeit heilt ihre Wunden nicht.

Maggie erinnert sich, wie es war, plötzlich ohne Heim zu sein und ohne die Verlässlichkeit der Mutter, ohne ihre Erziehung und ihren Rat, den die heranwachsenden Mädchen so dringend brauchten. Und doch hat sie ihnen schon einiges mitgegeben. Stärke und Mut, die Dinge selbst zu regeln.

Die Autorin hat eine beeindruckende Art zu schreiben. Sie begegnet ihren Charakteren, insbesondere Maggie, mit viel Liebe und Verständnis. Es sind diese kleinen Nuancen, dieses Feingefühl, das seine Wirkung nicht verfehlt. Man wird als Leser in eine ganz besondere Stimmung gehüllt.

Warum handeln Menschen, wie sie es tun? Was sind ihre Beweggründe? Was prägt den Charakter? Welche Umstände machen uns zu dem, was wir sind? Man kann an leidvollen Geschehnissen zerbrechen. Man kann aber auch Stärke daraus gewinnen und das Ruder wieder herumreißen. Davon erzählt diese Geschichte, die man lange in Erinnerung behält.

Rezensionen von Heike Rau

Frances Greenslade
Der Duft des Regens
Aus dem kanadischen Englisch von Claudia Feldmann
368 Seiten, gebunden
Mareverlag
ISBN-10: 3866481764
ISBN-13: 978-3866481763
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Justine Lévy: Schlechte Tochter

Justine Lévy: Schlechte Tochter

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Wie soll Louise ihrer Mutter nur sagen, dass sie von Pablo ein Kind erwartet. Ihrer Mutter, die Krebs hat, die im Sterben liegt. Der ganze Stress und die doppelte Sorge um Kind und Mutter sind einfach zu viel. Darf Louise sich auf ihr Kind freuen, angesichts des Todes? Darf sie glücklich sein?
Während das Baby in ihrem Bauch wächst, entwickelt sich ihre Mutter zurück zum Kind und muss umsorgt werden, wie bald das Baby umsorgt werden muss.
Louise sagt es ihrer Mutter schließlich, doch es ist nicht klar, ob die Mutter die frohe Botschaft überhaupt noch auf nehmen kann.
Als die Mutter dann gestorben ist, kommen die Erinnerungen. Louise will keinesfalls als Mutter so unzuverlässig sein, wie ihre war. Erst durch die Krankheit sind beide sich näher gekommen. Auch deswegen fühlt Louise sich nun allein gelassen ohne den Rat der Mutter.

Durch und durch traurig ist die Lebensgeschichte Louises. Die Geschichte ist aus ihrer Sicht geschrieben, wobei der Schwerpunkt auf ihren Gedanken liegt. Ohne Pausen fließt der Text, ungebremst und frei formuliert. So wie Gedanken nun einmal sind. Gedanken, die sich nicht verdrängen lassen, die man nie aussprechen würde. Es ist ein sehr privates Buch. Fast fühlt man sich als Leser wie ein Eindringling in eine geheime Welt, auch weil die Geschichte autobiografische Züge trägt.
Das Buch berührt zutiefst. Wie Louise möchte man fliehen und kann es nicht. Louise weiß nicht mehr, wohin sie gehört. Doch ihre Zukunft ist vorbestimmt. Sie wird ein Kind bekommen, auch wenn ihr das Schuldgefühle macht, wo doch ihre Mutter stirbt. Die ganzen unaufgearbeiteten Probleme zwischen den beiden kommt zum Tragen. Aufarbeiten muss Louise die Vergangenheit allein, auch wenn Pablo ihr zur Seite steht.
„Schlechte Tochter“ oder „Schlechte Mutter“. Das Buch könnte beide Titel tragen. Und es würde doch nicht ganz stimmen.

Rezension von Heike Rau

Justine Lévy
Schlechte Tochter
Aus dem Französischen von Claudia Steinitz
176 Seiten, gebunden
Verlag Antje Kunstmann
ISBN-10: 388897643X
ISBN-13: 978-3888976438

Mutter & Sohn

Mutter & Sohn

Endlich darf er wieder im Stehen pinkeln. Lisa ist weg. Nach vier Jahren. Johannes Seidel fühlt sich eigentlich gut. Doch dann kommt der Brief, überrascht ihn in seinem wohlverdienten Urlaub. Die Firma will ihn abschieben nach Brasilien, will Platz machen für einen jüngeren Kollegen. Eine tolle Chance für ihn, er sei ja schließlich jetzt ohne familiäre Bande, ohne Lebensabschnittsgefährtin. Dabei riecht das Bett noch nach ihr. Es war ein Fehler, sich der Sekretärin Frau Zumgibel anzuvertrauen.
Brasilien. Er weiß von einem Kollegen, wie es dort ist. Nur im zugedröhnten Zustand kann man es dort aushalten. So ein Abenteuer auf die alten Tage will er sich sparen.
Dann kommt der Anruf. Von seiner Mutter, zu der er lieber Abstand hält. Sie ruft immer an, wenn er ein Tief hat. Sie hat ein Gespür dafür. Er erzählt ihr von dem Angebot, nach Brasilien zu gehen. Sie hält es für Abschiebung. Und wenn er dennoch zusagt? Den Gedanken ihren Sohn so weit weg wissen zu müssen, erträgt sie nicht. Sie will ihn sofort sehen. Und er kommt. Es ist für ihn völlig überraschend, seine Mutter im Rollstuhl sitzend vorzufinden. Und da sind sie wieder da, die familiären Bande. Sie wollen seinen Karrieresprung nach Brasilien verhindern. Er ist nicht mehr frei in seiner Entscheidung, auch wenn die Mutter ihm etwas anderes zu verstehen gibt – scheinbar zu verstehen gibt.

Auf der einen Seite steht Martin Seidel. 57 Jahre alt. Nun, wo Lisa ihn verlassen hat oder besser, seit er sie vertrieben hat, ein alleinstehender Mann. Er ist erfolglos, bald glatzköpfig und von so manchen Wehwehchen geplagt. Wie soll er wieder eine Frau finden? Doch so ganz allein ist er ja nicht. Er hat seine rechthaberische Mutter, mit der er es nie länger aushält. Krankhaft klammert sie sich an die vor 30 Jahren verstorbene Tochter, hält sie lebendig, lebt mit ihr zusammen. Das erträgt er nicht. Als die Mutter von Martins Brasilien-Plänen hört, klammert sie sich auch noch an einen Rollstuhl. Muss Martin sie nun pflegen? Er, der bildlich gesprochen ja eigentlich auch schon an Krücken geht? Das rückt die Abschiebung nach Brasilien in ein ganz anderes, in ein verlockendes Licht. Nur weg, alle Verpflichtungen hinter sich lassen! Doch da ist noch sein Gewissen, das ihm keine Ruhe lassen will.

Der Autor stellt eine Mutter-Sohn-Beziehung auf den Prüfstand und analysiert sie akribisch. Jeder von den beiden versucht mit allen Mitteln seine Interessen durchzusetzen. Keiner ist bereit von alten Gewohnheiten abzurücken oder Fehler der Vergangenheit einzuräumen. Auch wenn der Sohn den natürlichen Vorteil hat jünger zu sein als seine Mutter, er ist genauso unbeweglich und eingefahren in seinen Gedanken wie sie. Doch die Mutter will es nicht darauf ankommen lassen, dass der Sohn doch nach Brasilien gehen könnte. Vorsorglich übertreibt sie das Spiel und verhält sich ganz mies und unfair. Als Leser erwartet man das Ende mit Spannung und fragt sich, ob sie damit durchkommt.

Der Autor hat eine präzise Beobachtungsgabe und psychologisches Gespür für Stimmungen. Mit seinem Buch löst er widersprüchliche Gefühle aus. Mal bringt man Verständnis für die Situation auf, dann wieder nicht. Mal ist es urkomisch mal bitterernst und Verzweiflung kommt durch. Die Geschichte wirkt ernüchternd, aber sie ist nicht ohne Hoffnung.

Über den Autor:
Bernd Schroeder ist Jahrgang 1944. Der Autor und Regisseur zahlreicher Hör- und Fernsehspiele lebt in Köln. 1992 wurde er mit dem Bundesfilmpreis ausgezeichnet. Bernd Schroeder ist Mitglied des PEN.

Rezension von Heike Rau

Bernd Schroeder
Mutter & Sohn
Erzählung
164 Seiten, gebunden
Carl Hanser Verlag
ISBN: 3-446-20466-0
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