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Annie Ernaux: Erinnerung eines Mädchens

Annie Ernaux: Erinnerung eines Mädchens

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Annie Ernaux bedient sich wie in ihrem ersten biographischen Roman „Die Jahre“ einer Verfremdung ihrer Person, die sie als „Das Mädchen“ betitelt. Von ihr und ihrem Erwachsenwerden handelt auch diese biographische Abhandlung.

Es ist der Sommer 1958. Das Mädchen ist 18 Jahre alt. Sie lebt mit ihren Eltern in der französischen Provinz. Die Eltern sind nach Herkunft und Gemüt einfach und haben alles für ihre begabte Tochter getan. Wie so viele junge Leute verbringt diese den Sommer mit einem Job als Betreuerin in einer Ferienkolonie. Bisher in einem streng katholischen Mädchenpensionat untergebracht naht für sie ungeahnte Freiheit und Ungebundenheit.

Die Freude sollte nicht lange dauern. Unbeholfen und unerfahren fällt sie dem Chefbetreuer schon nach wenigen Tagen als Sexobjekt zum Opfer. Er verbringt eine brutale Sexnacht mit ihr und lässt sie gleich darauf fallen. Erschüttert fängt sie wahllos immer neue Männerbeziehungen an.

Zerquält und entwürdigend sind die Tage und Wochen nach dem Ereignis. Die anderen Betreuer und Betreuerinnen machen sich über sie lustig, und sie wird verfemt. Ihr ganzes Sinnen und Trachten ist auf diesen ersten Liebhaber gerichtet. Sie sehnt sich nach ihm, der sie gedemütigt und in eine ihr unerklärliche Abhängigkeit getrieben hat.

Das Trauma dieser Nacht durchzieht ihr weiteres Leben und lässt sie nicht mehr los. Jahrelang steht das Jahr 1958 in ihrem Tagebuch. Sie kann nicht und will doch darüber berichten. Jetzt erst, 55 Jahre später, gelingt es ihr.

Die Erzählung durchzieht ein Schmerz, der nie vergeht. Das Mädchen war vollkommen unschuldig und ist in etwas hineingeraten, das ihren Willen gelähmt und ihre Selbstachtung zerstört hat. Mit unübertroffener Genauigkeit und zähem Durchhaltewillen scheint die Erzählerin den Spuren ihrer frühen Jahre nachzuforschen. Es war die Zeit, in der die allgemeine bürgerliche Moral spröde Abstinenz und Enthaltsamkeit forderte und freie Liebe verpönt und doch heimlich ersehnt war. Wer gegen die gesellschaftlichen Regeln verstieß, verlor seine Selbstachtung und fühlte sich schuldig. Mit feinem und sensiblen Gespür für die Scham, die den Zeitgeist spiegelt, geht Annie Ernaux ihren Erinnerungen nach so vielen Jahren nach.

Es folgen Irrwege und die Suche nach dem richtigen Beruf. Die Autorin begegnet schließlich den Schriften von Simone de Beauvoir, die sie nachdenklich und aufmerksam machen. Der Stil der Erzählung wandelt sich mit fortlaufender Entwicklung. Die Protagonistin in der Erzählung wechselt immer häufiger zum „Ich“. Entsprechend nimmt die Identitätsfindung Form an und dem Philosophiestudium steht nichts mehr im Wege.

Die schonungslose Offenheit dieser eigenen Entwicklungsstudie ist bemerkenswert.

Hier zeigt eine Schriftstellerin ihren Werdegang mit rückhaltloser Selbstentblößung.

Letztendlich geht es um den Wandel moralischer Verhaltensweisen über die letzten fünfzig Jahre und den Schaden, den starre Tabus anrichten können. Die hohe Reflexionsgabe beeindruckt den Leser und lässt an Erkenntnissen über den Wandel der Zeiten keine Fragen offen.

Annie Ernaux
Erinnerung eines Mädchens
163 Seiten, gebunden
Suhrkamp Verlag, Oktober 2018
ISBN-10: 351842792X
ISBN-13: 978-3518427927
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Milena Busquets: Auch das wird vergehen

Milena Busquets: Auch das wird vergehen

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Blanca ist eine Frau um die vierzig Jahre. Sie hat kürzlich ihre Mutter verloren.

Ihre Gedanken schweifen zurück und wechseln in der Perspektive zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Die Beziehungen zu ihrer Mutter waren ambivalent. Teilweise störte sie im bunten Leben ihrer Tochter. Doch ihr Tod lastet dennoch schwer. Die Icherzählerin spricht die Mutter in ihren Gedanken an. Doch zahlreich sind ihre Erinnerungen nicht.

Wesentlicher sind in diesem Buch die Geschichten über das Leben am Meer mit Müßiggang und Schlendrian.

Blanca lebt mit vielen Freunden und Freundinnen ein ausschweifendes Leben auf dem Familiensitz der Familie Cadaqués am Meer.

Hier treffen sich Ehemänner und Exehemänner, Freunde, Liebhaber, Freudinnen und die Kinder aus den verschiedenen Verbindungen.

Der Erzählton ist betrachtend bis reflektierend. Über der ganzen Erzählung liegt ein Schleier aus Vergangenem und Gegenwärtigem. Man weiß nur nicht, wie und wen die Erzählerin erreichen will: sind es nur Gedanken der Selbstbesinnung? Gibt es einen Wendepunkt im Leben der Erzählerin? Hat der Tod der Mutter sie verändert?

Da quasi essayistisch über das Leben hier und heute nachgedacht wird, sexuelle Begegnungen Erlösung aus der momentanen Tristesse vorgaukeln, ohne sie wirklich zu erfüllen, bleibt der Roman in seiner Intention rätselhaft. Es sind die verschiedensten Charaktere, die hier vorübergehend erscheinen. Die Bezüge der einzelnen Protagonisten untereinander sind nicht immer überschaubar. So bleibt die Erzählung flach. Sex spielt eine wesentliche Rolle für alle Beteiligten, als gäbe es nichts Wichtigeres von Interesse.

Man feiert, trinkt, nimmt Kokain und geht dem Müßiggang nach. Flirts und kurze Affären, gegenwärtige und vergangene, beherrschen das Geschehen.

Was soll der Titel bedeuten? Er beruht auf einer Geschichte längst vergangener Zeiten. Ein chinesischer Kaiser rief seine Weisen zusammen, um einen Satz zu finden, der für alles und immer Gültigkeit besitzt. Und das ist eben dieser Satz “Auch das wird vergehen“. Nun ja, so ist das wohl mit dem Erleben und dem Leben!

Wer die Atmosphäre von Bequemlichkeit und Nichtstun liebt, wer sich gerne dem Wohlleben hingeben möchte und selbstverständliche Sexgeschichten liebt, der liegt mit dieser Lektüre richtig.

Das Buch der Autorin hat den Ruf eines internationalen Bestsellers.

Milena Busquets
Auch das wird vergehen
170 Seiten, gebunden
Suhrkamp Verlag, Februar 2016
ISBN-10: 3518425277
ISBN-13: 978-3518425275
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A. M. Homes: Auf dass uns vergeben werde

A. M. Homes: Auf dass uns vergeben werde

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Auf dass uns vergeben werde… Nun ja: was? Das ist hier die Frage!

Beginnt man den Text des vorliegenden Romans zu lesen, ist man schon mitten drin in einer sehr skurrilen Familiengeschichte.

George und Harry sind zwei ungleiche Brüder: der eine ist erfolgreicher TV Produzent, der andere Historiker. Harry schreibt schon lange an einem Buch über Nixon, das aber nie fertig zu werden scheint. George lebt mit Frau und zwei Kindern in einem Haus nahe New York. Nachdem George einen unverschuldeten Unfall gebaut hat, bei dem die Eltern eines Jungen ums Leben gekommen sind, gerät er in einen psychischen Ausnahmezustand. Als dessen Folge erschlägt er seine Frau Jane, die ihn mit Harry betrogen hat. George landet in der Psychiatrie. Nat und Ashley, die Kinder von George und Jane, müssen ab sofort von ihrem Onkel Harry als deren Vormund versorgt werden. Harrys Frau Claire, eine erfolgreiche amerikanisch- chinesische Geschäftsfrau, lässt sich von ihm scheiden.

Harry kümmert sich nach den Anfangsturbulenzen um die Kinder und die Haustiere seines Bruders. Er bleibt der Hauptakteur in einer Geschichte, die von immer neuen überraschenden Ereignissen überlagert wird. Nachdem er seinen Job als Lehrer an der Uni verloren hat, scheint er ein unruhig Wandernder zu sein, der in seiner Unrast mit anderen Frauen anbändelt und in höchst peinliche Situationen mit diesen gerät.

So weit zum Tenor der Geschichte: Mord, Totschlag, Scheidung, Tod und jede Menge schräger Sexgeschichten.

Der Roman zeichnet einen Alltag auf, der sehr ungewöhnlich ist. Die Dialoge sind lakonisch, frech, kurz und passend. Es wird wie überall in amerikanischen Romanen der Gegenwart viel getrunken. Zwischen den Brüdern gab es eine Rivalität, die den einen zum Sieger und den anderen zum Verlierer bestimmte.

So zügig und vielversprechend die Geschichte beginnt, so sehr braucht man einen langen Atem, um bei der Stange zu bleiben. Sind doch die uferlosen Begegnungen zwischen den handelnden Personen äußerst breit angelegt und nicht unbedingt Spannung fördernd.

Skurril und aberwitzig werden die Zwischenfälle beschrieben, die dem Roman Würze geben sollen. Harrys Schlaganfall gehört ebenso dazu, wie Besuche im Internat bei Nat oder in der Psychiatrie bei George. Immer neue Ereignisse weisen zwar einen gemeinsamen Tenor auf, doch ausufernde Dialoge und die von ständig neuen Ideen aufgeblähte Geschichte bietet am Ende zu viel des Guten.

Man bleibt nach der Lektüre etwas ratlos zurück und fragt sich, warum dieser in Ansätzen so gut konzipierte Roman sich so verflüchtigen konnte.

A.M. Homes
Auf dass uns vergeben werde
672 Seiten, gebunden
Kiepenheuer & Witsch, März 2014
ISBN-10: 3462046101
ISBN-13: 978-3462046106
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Yejide Kilanko: Der Weg der Töchter

Yejide Kilanko: Der Weg der Töchter

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Nigerianisches Familienleben heute.

Hier wird die Geschichte eines mutigen, aufgeweckten und neugierigen kleinen Mädchens in Nigeria erzählt.

Sie wächst in einer lauten, freundlichen und lebhaften Großfamilie in Ibadan/Nigeria auf. Der Vater ist Geschäftsmann und viel unterwegs. Es geht der Familie wirtschaftlich gut. Sie bewohnt ein hübsches großes Haus. Im Verwandtenkreis nimmt man Anteil an einander und hilft sich gegenseitig. Morayo und ihre kleine Schwester Eniayo sind zwei fröhliche Kinder, die erfolgreich die Schule besuchen. Später werden sie sogar studieren.

Die Ereignisse umfassen den Zeitraum zwischen 1982 bis 2007.

Das unbeschwerte Leben für Morayo endet sehr plötzlich, als der Cousin Tayo, genannt Bros T, in die Familie aufgenommen wird. Seine Mutter, eine von vielen Verwandten, hat um Hilfe gebeten, weil sie mit ihrem verzogenen Sohn nicht mehr fertig wurde.

Er stellt den Frauen nach, lügt, ist ein Flegel und nicht sehr erfolgreich in seinen schulischen Leistungen.

Morayo wächst inzwischen zum Teenager heran. Sie ist hübsch und gut mit ihrem Schulfreund Kachi befreundet. Ist nicht sogar erste Liebe mit im Spiel?

Wie bei allen Völkern der Erde ist die Pubertät eine aufregende Zeit. Morayo und Kachi pflegen eine zugleich zärtliche aber zurückhaltende Beziehung. Kachi zieht eines Tages mit seiner Familie fort aus Ibadan. Er und Morayo erleben die erste schmerzliche Trennung ihres Lebens.

Als Bros T in der Schule bessere Leistungen erbringt, versöhnt sich Morayos Vater mit ihm und erkennt ihn zunehmend an. Außerhalb des Hauses verkehrt er jedoch in anrüchigen Kneipen mit ebenso anrüchigen Freunden. Dann beginnt er Morayo nachzustellen und wird zudringlich. Morayo findet sich daraufhin verfemt und abseits der Familie wieder. Das glückliche Familienleben ist zu Ende. Sie trägt ihr Leid lange alleine, bis sie bei einer älteren Cousine mit ähnlichen Erfahrungen Unterstützung findet.

Die Annäherung des brutalen Cousins an Morayo zeigt in ihren tragischen Auswirkungen das ganze Maß weiblicher Unterdrückung, von dem Frauen hier wie anderswo betroffen sind. Man glaubt nicht dem Opfer sondern misst diesem eine Mitschuld zu. Morayo hat einen langen Irrweg vor sich. Ihre Beziehungen zu Männern bleiben lange gestört.

Yejide Kilanko ist eine feinsinnige und sensible Beobachterin. Sie ist selbst in Nigeria geboren und aufgewachsen. Ihre Geschichte zeugt von ausdrücklicher Kenntnis über des Leben, Lieben und Aufwachsen in Nigeria.

Mit ihrer aufrüttelnden Erzählung macht sie sich zur Sprecherin der unterdrückten Frauenwelt in ihrem Heimatland. Atemlos folgt man dem Schicksal Morayos, das erst über Umwege und zahlreiche Stolpersteine zu einem guten Ende führt. Wütend begreift man, wie verstörend für ein Mädchen die Verständnislosigkeit der Eltern sein muss. Aus dem verschreckten jungen Mädchen wird später eine kämpferische Frau, die sich nicht unterkriegen lässt.

In ihrem breit angelegten Familienepos einer nigerianischen Familie erfährt man viel über die Riten und Geflogenheiten in dem Land.

Heiraten und Kinderkriegen sind auch hier noch erstrebenswerte Ziele für Eltern mit ihren Kindern. In den aufgeklärten und gebildeten Kreisen aber ist Berufstätigkeit durchaus erwünscht.

Die Autorin gewährt uns mit ihrer Familiengeschichte einen umfassenden Blick in ihr Land. Hier kämpfen Aufklärung und Vergangenheit noch um die Vormacht mit einander.

Yejide Kilanko
Der Weg der Töchter
384 Seiten, gebunden
Graf Verlag, März 2013
ISBN-10: 386220037X
ISBN-13: 978-3862200375
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Herman Koch: Sommerhaus mit Swimmingpool

Herman Koch: Sommerhaus mit Swimmingpool

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Wie in seinem Roman „Angerichtet“ zeigt Herman Koch auch in seinem neuen Roman sein Talent, aus zunächst harmlos anmutenden bürgerlichen Existenzen zu den Abgründen des menschlichen Daseins vorzudringen.

Psychologisch subtil und faszinierend eröffnet er seine Geschichte mit Selbstreflexionen des Hauptdarstellers Marc Schlosser. Dieser ist glücklich verheiratet mit Caroline. Sie haben zwei nette Töchter im Teenageralter und leben fröhlich in den Tag hinein. Marc ist Hausarzt und als solcher ein viel beschäftigter Mann. Ralph Meier ist sein Patient und zusammen mit seiner Frau Judith freunden sich die Paare an. Eines Tages lädt Ralph die Familie Schlosser in sein Sommerhaus mit Swimmingpool ein, das sich am Meer in Frankreich befindet. Ralph ist Schauspieler, und gleich zu Beginn der Geschichte muss man erfahren, dass er vor eineinhalb Jahren gestorben ist.

Marc erzählt die Geschichte in der Rückschau, und man blickt gebannt auf das Geschehen, das zu Ralphs Tod geführt hat.

Zuerst sind noch alle froh und feiern häufig nett zusammen. Die beiden Söhne von Ralph und Judith passen genau zu den heranwachsenden Töchtern der Schlossers.

Marc hat tiefgründige Durchblicke, wenn es um Menschen geht, da er als Hausarzt so viele von ihnen mit allen ihren Facetten  und Wehwehchen täglich erlebt. Was sich in den gemeinsamen Ferien im Sommerhaus dann jedoch abspielt sieht anfangs recht freundschaftlich und natürlich aus. Die Beziehungen zwischen den Paaren unter einander sind leicht erotisch angehaucht und erzeugen eine neugierig aufgeheizte Stimmung. Wie Herman Koch dann aber zu dem eigentlichen Plot vordringt, der in einer kuriosen Kriminalgeschichte mit einer Vergewaltigung und zuletzt dem Tod Ralphs endet,  zeigt sein ausgeprägtes dichterisches Können.

Fein beobachtet und scharf gezeichnet zeigt uns der Autor, wie der Mensch irren kann in den Einschätzungen seiner Mitmenschen!

Missverstehen, Argwohn, unkontrollierte Emotionen und Fehlinterpretationen des Verhaltens zwischen Menschen sind überzeugend in die Handlung eingeflossen. Sie wirken echt wie aus dem wirklichen Leben, wenn auch die Handlung als solche nur in ihren äußeren Konturen der Wirklichkeit abgeschaut ist. Das Drama zwischen den Paaren, den heranwachsenden Kindern und einem weiteren sehr ungleichen Paar nimmt eine überraschende Wendung nach der anderen.

Ein spannender Thriller ist dem holländischen Autor Herman Koch erneut gelungen. Sein neuer Roman wird viele begeisterte Leser finden und steht schon lange auf Platz eins der Bestsellerlisten in den Niederlanden.

Herman Koch
Sommerhaus mit Swimmingpool
400 Seiten, gebunden
Kiepenheuer & Witsch, November 2011
ISBN-10: 3462043447
ISBN-13: 978-3462043440
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Louis Begley: Schmidts Einsicht

Louis Begley: Schmidts Einsicht

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Lebensschicksale!

In seinem neuen Roman hat Louis Begley die Geschichte von Albert Schmidt, dem Protagonisten aus seinen früheren Romanen „About Schmidt“ und „Schmidts Bewährung“, fortgeschrieben. Die Person seines mittlerweile pensionierten Anwalts Schmidt ist laut Sandra Kegel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nicht, wie man annehmen könnte, eine Art alter Ego Louis Begleys. Schmidt ist eine eigenständige Person. Er ist kein Jude und zeigt unverhohlen gelegentlich antisemitische Gefühlsregungen.

„Schmidtie“ wird er in Freundeskreisen liebevoll genannt. Er ist inzwischen ein rüstiger Siebziger, früh verwitwet und Vater einer erwachsenen Tochter.

Schmidts Tochter Charlotte ist mit dem von Schmidt verhassten Jon Riker verheiratet, einem in seinen Augen geldgierigen jüdischen Scheusal und Abkömmling zweier wenig erfolgreicher Psychoanalytiker. Das Verhältnis zur Tochter und deren neuer Familie ist verheerend. Charlotte begegnet ihrem Vater nur mit Hass und ständigen Geldforderungen. Zu allem Übel hat Carrie, eine Kellnerin und kurzzeitige junge Geliebte von Schmidt, inzwischen geheiratet und erwartet ein Baby. Schmidt hat sie in weiser Einsicht ziehen lassen, da diese Beziehung nicht von Dauer sein konnte.

Als Vorsitzender einer Stiftung, die ihn rund um die Welt führt, und ehemaliges Mitglied einer gut gehenden Kanzlei ist Schmidt sehr wohlhabend. In Paris trifft er die auch schon etwas ältere aber immer noch attraktive Frau seines einstigen Kollegen Tim. Sie haben eine kurze Affäre, von der sich Schmidt viel verspricht, denn er ist einsam. Doch seine Hoffnungen sind trügerisch wie sich später zeigen wird.

In diesem Zustand treffen wir Schmidt in dem neuen Roman von Louis Begley wieder.

Das Anwaltsmilieu, in dem Louis Begley selber lange Zeit tätig war, ist auch Schmidts Milieu. Hier spielen sich berufliche und menschliche Tragödien ab. Man feiert, isst und trinkt zusammen bei allen möglichen Gelegenheiten. Gute Freundschaften haben sich gebildet, eine origineller als die andere. Große Kanzleien mit ihren Riesenumsätzen und den Aufsteigern zu hoch qualifizierten Anwälten bieten den Nährboden, auf dem der Autor seine menschlichen Figuren agieren lässt.

Der Autor erzählt seine Geschichte so realistisch, dass man gebannt dem Schicksal dieses von Leidenschaften, Unglück und Liebessehnsucht geplagten Mannes folgt. Ein weit verzweigtes Panorama des neuenglischen Geldadels, menschlicher Begierden, Enttäuschungen und Tragödien öffnet unseren Blick für das, was sich hinter den Kulissen der New Yorker Gesellschaft abspielt. Glanzvoll zeigt uns der Autor die geheimen Wünsche und Sehnsüchte seiner Protagonisten. Schmidt ist eine vertraute Gestalt, die uns zum Lebensende hin erneut mit seinem klugen Blick und seinem Wunsch nach Harmonie und erfüllender Liebe nach einer  längeren Zeit innerer Nöte anrührt.

Wie immer sind Begleys Protagonisten durchaus fähig, ihre Schicksale zu reflektieren. Lebendigkeit und Gegenwartsnähe zeichnen den Inhalt der Erzählung aus. Keine ältliche oder melancholische Abgeklärtheit spielt hinein sondern eine leichte, dem Leben zugewandte Wendigkeit, die noch jegliche Zukunftshoffnungen möglich erscheinen lassen.

Geschichten aus dem wirklichen Leben sind es, die uns neugierig machen und uns zu stillen Teilhabern einer Handlung werden lassen. Hier ist das gelungen, und man hofft darauf, dass wir vom Schicksal Schmidts noch mehr erfahren dürfen.

Louis Begley
Schmidts Einsicht
415 Seiten, gebunden
Suhrkamp Verlag
ISBN-10: 3518422502
ISBN-13: 978-3518422502
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Martin Suter: Der Koch

Martin Suter: Der Koch

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Wirtschaftskrise und der Kleingeist: eine Zusammenführung.

Wirtschaftskrise, Asylantenprobleme, Kochkünste und die Liebe; eine gute Mischung für einen intelligenten Thriller.

Martin Suter gelingt es immer wieder, mit neuen und überraschenden Sujets in seinen Büchern aufzuwarten.

Hier scheint es zunächst um das richtige Kochen, besser gesagt um die tamilische Küche, die Schmackhaftigkeit und die exquisite Gewürzmischung bei der Zubereitung der besonderen Küche zu gehen.

Dieser Plot wird nach allen Regeln der Kunst garniert mit Wirtschaftskrise, Politikintrigen, anrüchigen Begleitdiensten schöner Frauen und der Welt der großen und kleinen Gauner und Betrüger.

Wir schreiben das Jahr 2008.

Als Asylant ist Maravan vor dem Krieg aus Sri Lanka nach Zürich geflohen, wo er sich als Küchengehilfe wacker durchschlägt. Im Huwyler, dem bekannten Gourmetrestaurant, verkehrt die einschlägige Gesellschaft des Geldadels und der Geschäftemacher. Hier knüpft man Kontakte und bedient sich der Beziehungen, um die Geschäfte voranzutreiben. Huwyler selber ist ein eitler Mann, der bereits die Wirtschaftsflaute zu spüren bekommt, da nicht immer alle Tische besetzt sind. Absagen für reservierte Plätze machen ihn regelrecht misslaunig. Seine üble Laune lässt er an dem Küchengehilfen aus, den er, zugegebenermaßen wegen eines nicht ganz unangefochtenen Vergehens, fristlos entlässt.

Maravan hatte zuvor für eine etwas spröde Kollegin, der er sich zögernd angenähert hatte, ein exzellentes Mahl mit unerwarteten Folgen zubereitet! Er ist diskret, von vornehmer Zurückhaltung und hat seine eigene, feine Lebensart. Er kann störende Küchengerüche nicht ertragen, und sein Arbeitsplatz bleibt stets gelüftet. Nur die ihm vertrauten Gerüche  von Essenzen seiner Geheimgerichte dürfen dort zur Geltung kommen. Da auch Andrea durch sein Vergehen arbeitslos geworden war, hatte sie die spontane Idee, mit Maravan einen Catering Service mit dem verlockenden Namen „ Love Food“ zu gründen. Natürlich konnte der Betrieb nur unter ihrem Namen firmieren, denn er besaß gar keine Arbeitserlaubnis!

Eine Vielzahl phantastischer Rezepte und Maravans Kochkünste bieten den Bodensatz, auf dem die Geschichte beruht. Es geht schließlich um die Liebesküche und die richtige Würzmischung dafür. Denn den beiden gelingt es, mit ihrem Cateringservice die höheren Gesellschaftsgeschichten zu bezaubern,–bis, ja bis eines Tages eine unerwartete Wende eintritt …

Martin Suter ist ein sehr umfassend informierter Autor, der sich in der Weltpolitik wie in den kleinen Dingen des Lebens bestens auskennt. Er behandelt wirtschaftspolitische Zeitströmungen und bindet hoch aktuelle Zusammenhänge der gegenwärtigen Weltpolitik in seine Erzählung ein. Zürich und die kleine Schweiz mit ihrer abgeschotteten Alpenregion ist Ziel der ironisierenden Darstellung Martin Suters ebenso wie die große Politik im fernen Osten, die Wahlen in Amerika und die großen Wirtschaftsbosse mit ihren katastrophalen Bankenzusammenbrüchen und unlauterem Gewinnstreben. Weltpolitik und Hurenleben, fernöstliche Rituale und Charaktermerkmale östlicher und westlicher Völker sind Themen dieses geheimnisvollen und stilechten Romans von Martin Suter. Er versteht es, die Mischung zu komprimieren und zu einem aufregenden Thriller mit allem, was dazu gehört zu verarbeiten. Sex und Crime kommen dabei nicht zu kurz!

Im Anhang findet man Quelleangaben für die verwendeten Menus; einzelne Rezepte werden aufgeführt und ebenso werden Angaben zu detaillierten Informationshilfen bei der Erarbeitung der diffizilen  Romanmaterie in Wirtschaft und Politik angezeigt.

Martin Suter bleibt der große Könner seines Metiers!

Martin Suter  
Der Koch
Gebundene Ausgabe: 272 Seiten
Verlag: Diogenes
ISBN-10: 3257067399
ISBN-13: 978-3257067392

Sex, Love Cyberspace

Sex, Love Cyberspace


Im vorliegenden Paperback sind 10 Geschichten vereinigt, die sich mit den Möglichkeiten des virtuellen Raumes auseinandersetzen.

Inhalt:

2030 – Safer Sex:
Zwei junge Menschen, gerade dem Kindheitsalter erwachsen. Lori feiert ihren 14. Geburtstag. Und ihren Abschied von der Unschuld. Wie werden sie und Michael ihr erstes Mal begehen?
Fazit : Eine naheliegende Alternative zu der heutigen Zeit. Und eine erleichternde Alternative für Eltern

2042 – Szenen einer Ehe
Auch 2042 gibt es Streit in den ehelichen Schlafzimmern. Doch sind die Probleme 2042 ganz andere…
Fazit : Man sieht, die Zeiten ändern sich, doch generell bleiben die Probleme die Gleichen.

2053 – Bermuda-Dreieck:
Kennen Sie den Mystery-Park von Erich von Däniken? Stellen sie sich vor, ihn nicht nur real, sondern auch virtuell zu besuchen. Doch geben Sie acht, sie könnten auf Gefahren treffen. Gefahren im virtuellen Raum, die aber ganz reale Auswirkungen haben können. Wo ist der Unterschied zwischen einem Avatar und einem realen Mensch. Und ist ein virtueller sexueller Übergriff mit einer physikalischen Vergewaltigung gleichzusetzen?
Fazit : Eine bedenkliche Zukunftsvision, sehr spannend und lebendig geschrieben. Leider ist dieser Zukunftskrimi ein wenig voraussehbar. Trotzdem sehr lesenswert.

2060- Romanze in e-moll:
Richard und Jasmin sind Nachbarn. Doch 2060 sind Nachbarn so weit entfernt wie Menschen auf der anderen Seite des Globus. Letztere sind wieder nah, wenn man sich im Cyberspace trifft. Jasmin ist auf der Suche nach einem Partner. Ihr gefällt Richard und so macht sie sich an ihn heran. Virtuell. Wird er es merken?
Fazit: Die Geschichte ist abwechselnd aus Richards und Jasmins Perspektive geschrieben. Und auf sehr interessante Art und Weise haben beide die gleichen Ängste, die gleichen Hoffnungen.

2070- Schlaraffenland:
Robert ist ein besonderes Kind. Bei der Geburt schon 7260 Gramm schwer, wird er zu einem wahren Koloss. Doch dann bricht er zusammen, fast vierhundert Kilo schwer. Doch eine Gruppe von Ärzten kümmert sich um ihn. Er wird geheilt, ein neues Verfahren macht ihn zu einem gutgebauten, jungen Mann, der Essen kann, ohne zuzunehmen. Doch irgendetwas stimmt nicht. In seinen Träumen erscheint eine Frau, die reinste Göttin. Doch im realen Leben kennt sie ihn nicht. Was ist mit ihm los?
Fazit: Schlaraffenland war der Ausgangspunkt der Anthologie. Geplant war eine Kurzgeschichte, es wurde ein kurzer Roman daraus. Eine sehr gelungene Story, die den Leser mitfiebern lässt. Einzig das Ende ist ein wenig unbefriedigend, wie das reale Leben halt.

2100 – Spinne im Netz:
Kennen Sie Serienmörder? Sexualstraftäter? Im virtuellen Raum? Und was passiert, wenn die Bedrohung sich auf die reale Welt erweitert? Wer ist die schwarze Witwe in Wirklichkeit?
Fazit: Ein bedrohliches Szenario. Dabei könnte man meinen, die Realität ist schlimm genug.

2156- Rache ist süß:
Titus ist ein betrogener Ehemann. Sein bester Freund hat ihm die Hörner aufgesetzt. Ellie ist samt Kinder zu ihm gegangen, seitdem hat Titus Albträume. Doch da gibt es ErosSpace. Ein Brainscan, nicht ganz legal, und Titus erschafft sich seine eigene Ellie, eine eEllie. Und die Unterschiede verwischen. Ist Ellie gleich eEllie? Wo sind die Unterschiede?
Fazit: Echt erschreckend der Gedanke, man ist nur ein Speicherplatz, die Seele als Anhäufung von Bits und Bytes, die jederzeit erneuert wird. Nur die Erfahrungen seit dem letzten Brain-Scan fehlen. Körperlich sorgt das Klonen für mögliche Erneuerung. Das Ende der Geschichte fand ich unverständlich, doch die Idee, die dahinter steckt, wäre einem ganzen Roman angemessen.

2160- Cogito ergo sum:
Ben und Nora treffen sich zum Liebesspiel. Wie in einer Endlosschleife gefangen, fehlt Nora die Zeit zwischen den Liebesakten. Was ist mir ihr los? Wer ist sie in Wirklichkeit
Fazit: Die Geschichte wurde völlig zu Recht in c´t 7/2003 abgedruckt. Geschickt spielt der Autor mit den Erwartungen der Leser. Klasse!

2187- Für immer und e-wig:
2187 gibt es kaum noch den Tod. Man klont sich und wird wieder jünger. Doch gibt es immer noch Fälle von unheilbaren Krankheiten. Und wenn jemand stirbt, wie sieht dann das Jenseits aus?
Fazit: Nette Idee, wobei sich mir der Grund für ein Afterlife nicht erschließt.

2200- Wir sind doch keine Wilden:
Die virtuelle Welt dominiert. Alles wird dort erlebt und erfahren. Wirklichkeit ist die Ausnahme, eigentlich ist die Virtualität die Realität. Stellen Sie sich vor, sie kennen nichts anders, als die virtuelle Welt. Welchen Reiz wird die Realität auf sie ausüben? Diese geheimnisvolle Welt mit schwitzenden, sich liebenden Leibern..
Fazit: Die Geschichte wurde ebenfalls vorab in phantastisch 8/2002 abgedruckt. Eine sehr spannende Zukunftsvision, die zeigt, wie erschreckend unwirklich die Rückkehr aus dem virtuellen Raum sein kann.

Zehn Geschichten über eine mögliche Zukunft. Das Spielen mit den Erwartungen über das World Wide Web, über die Gentechnik und das Klonen. Der Band fängt ein wenig schwach an, doch steigert er sich mit jeder Geschichte. Gerade in seiner Gesamtheit bietet er ein recht umfangreiches Bild einer Zukunftsvision, die uns einerseits Hoffnung macht, andererseits mit Schrecken erfüllt.
Und lesenswert ist es auf jeden Fall. Ich kann einen Kauf nur empfehlen. Wenn mir an mancher Stelle auch einfach zuviel Sex war: Ein Klassebuch. Nicht immer die Innovation, aber sehr lesenswert.

Helmuth W. Mommers
Sex, Love Cyberspace
Cyberspace und Erotik – eine erotische Zukunftsversion der Menschheit
ISBN:389840854X
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