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Schlagwort: Sohn

Susann Pásztor: Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster

Susann Pásztor: Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster

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In dem neuen Roman von Susann Pásztor beobachtet sie einen Sterbehelfer und seinen Sohn bei ihrem Ehrenamt.

Fred, die Hauptperson in diesem Roman, ist geschieden und wirkt traurig. Er ist zugleich ein rührender Vater für seinen Sohn Phil. Dieser ist eine wenig kleinwüchsig, begabt und ruhig in seinem Wesen.

Phil entstammt der Ehe mit Sabine. Fred und sie kannten sich schon aus der Schule. Ihre Beziehung war ein seltsames Gemisch aus Gewohnheit und Überdruss und erschien merkwürdig leer. Als sie sich anderweitig orientiert, findet die Ehe in einer schnellen und friedlichen Scheidung ihr Ende. Ohne viel Aufhebens bleibt Phil bei seinem Vater. Die regelmäßigen Besuche bei seiner Mutter sind für ihn Pflichtbesuche, die er folgsam und ohne Freude absolviert.

Fred hatte sich zum ehrenamtlichen Sterbehelfer ausbilden lassen und betreute seine erste Klientin. Karla ist krebskrank und weiß, dass ihre Lebenszeit begrenzt sein wird.

Mit Fred weiß sie wenig anzufangen. Als Phil ihr beim Scannen ihrer Fotos hilft, erlebt sie in dem kleinen Kerl einen sensiblen, künstlerischen und aufgeweckten kleinen Kerl, der es ihr angetan hat. Er fragt nicht so viel, aber sie spürt, dass er sich in sie einfühlen kann.

Wie immer bei Susann Pásztor kommt in ihren Erzählungen der Humor nicht zu kurz.

Die Beschreibungen der Supervision, an der Fred in Ausübung seiner Tätigkeit als ehrenamtlicher Sterbehelfer teilnehmen muss, wachsen sich zu ironischen kleinen Events aus. Da gibt es den Redestein, den derjenige, der etwas sagen möchte, in die Hand nehmen muss. Die Kommentare und Beispiele zeigen etwas von den charakterlichen Sonderlingen, die sich hier zusammengefunden haben. Fred ist ein unsicherer, nachdenklicher Bedenkenträger, der sich viele Fragen stellt über das, was er hier tut, und ob sein Handeln wohl richtig ist. Es muss nicht erwähnt werden, dass er an einem ausgeprägten Helfersyndrom leidet. So drängelt er ängstlich und etwas schwächlich seine Hilfe förmlich auf, die von der spröden Karla entsprechend abgewiesen wird.

Der dreizehnjährige Phil ist hingegen ein heimlicher Dichter mit Neigung zur Beobachtung und klaren Erkenntnissen über die Welt der Erwachsenen. Karla ist trotz ihrer heftigen Schmerzen voller Selbstironie und grober Ablehnung gegenüber allen falsch bekundeten Mitleidsbezeugungen. Kein Wunder, dass sie Phil am liebsten um sich hat!

Susann Pásztor versteht auf unnachahmliche Weise, Ernst mit Komik zusammenfügen.

Das konnte man schon in ihrem Debütroman “Ein fabelhafter Lügner“ feststellen.

Wie soll man das Leben in schwierigen Phasen auch anders ertragen?

Wie die Autorin Details herausgreift und auf den Punkt bringt ist bemerkenswert. Der feine Humor, der durch die Erzählung blitzt, gibt der Erzählung einen leichten Anstrich und macht die Dramatik von Krankheit und Tod auf erträgliche Weise fassbar.

Sie bietet in ihrem Roman gekonnte Einblicke in das Leben und Sterben der Betroffenen. Ferner lässt sich uns teilnehmen an einer glücklichen Vater-Sohn-Geschichte.

Susann Pásztor ist selber Sterbehelferin. Man kann sich vorstellen, dass sie für diejenigen, die sie betreut, mit ihrem Humor und Witz eine wahre Hilfe ist.

Ein gelungenes kleines Werk liegt hier vor. Es bietet Einblicke und Sichtweisen, die den Leser unterhalten, nicht langweilen und durchaus zum Nachdenken anregen.

Susann Pásztor
Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster
288 Seiten, gebunden
Kiepenheuer&Witsch, Februar 2017
ISBN-10: 3462048708
ISBN-13: 978-3462048704
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Jess Jochimsen: Krieg ich schulfrei, wenn du stirbst?

Jess Jochimsen: Krieg ich schulfrei, wenn du stirbst?

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Sehr humorvolle Geschichten eines Vaters im Zusammenleben und bei der Erziehung seines Sohnes Tom. Der größte Teil der Geschichten macht Spaß beim Lesen, wohl jede Mutter oder jeder Vater erkennen viele Szenen aus dem eigenen Leben, es wird kaum jemanden geben, der sich nicht in einer der Geschichten wiedererkennt.

Bedauerlicherweise kippt dieser Spaß im dritten Drittel der Geschichten. Nahezu jede Geschichte muss ab da dafür herhalten, dass der Autor mit den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen in Deutschland abrechnet. Politiker, Manager und Griechen, alle kriegen ihr Fett ab. Der erhobene Zeigefinger kommt aus seinen Höhen nicht mehr herunter. Die Sprache des Erzählers ist nicht mehr kindgerecht und die Geschichten haben auch nichts mehr mit dem Sohn zu tun, dessen Name nur noch plakativ hingeworfen wird. Der hintere Teil ist leider der verzichtbarste Teil des ansonsten überaus unterhaltsamen Buches.

Zwischendurch tauchen Widersprüche in der Familie des Erzählers auf. Meist durchweg geht man als Leser von einem alleinerziehenden Vater aus. Das wird verstärkt, als er berichtet, mit einer Freundin nicht ins Kino gehen zu können. Anschließend wird dann von Ehefrau und Mutter gesprochen. Hier ist zwischen den Geschichten keine Homogenität gegeben. Die Plausibilität leidet darunter.

Jochimsen, Jess
Krieg ich schulfrei, wenn du stirbst?
160 Seiten, broschiert
dtv, München
ISBN-10: 3423347155
ISBN-13: 9783423347150

© Detlef Knut, Düsseldorf 2012

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Pascal Mercier: Der Klavierstimmer

Pascal Mercier: Der Klavierstimmer

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Mit dem „Klavierstimmer“ hat der Autor Pascal Mercier erneut einen Roman geschaffen („Perlmanns Schweigen“, „Nachtzug nach Lissabon“), auf den sich der Leser zunächst erst mal einlassen muss, um dann mit fortschreitender Seitenzahl umso tiefer in seinen Bann gezogen zu werden. Rasante Aktionen darf der Leser nicht erwarten, eher zahm und einfühlsam wird er in eine Atmosphäre hineinmanövriert, die ihn bald nicht mehr loslassen wird. Dabei ist es unerheblich, ob sich der Leser in dem zugrunde liegenden Milieu (im vorliegenden Fall das der klassischen Musik, besonders der Oper) auskennt oder ob es ihm fremd ist. Es wird sich ihm erschließen.

Das Zwillingspärchen Patricia und Patrice, die als Erwachsene bereits lange und weit von zuhause entfernt leben, erfahren, dass ihr Vater einen berühmten Opernsänger erschossen hat. Sie eilen zu ihren Eltern und erfahren bei ihren Recherchen sehr viel über sich selbst und über das Leben ihrer Eltern.

Der Autor bedient sich bei der Erzählung der Lebensgeschichten einer eher ungewöhnlichen Erzählmethode. Die Geschwister haben ihre Recherchen nämlich akribisch in Hefte geschrieben, die sie sich gegenseitig zusenden. Sie sprechen sich in Briefen in zweiter Person an, was allein für ein Roman schon ungewöhnlich ist. Auf diese Weise bewegt sich der Leser aber in den Köpfen der Erzähler, deren Hefte im steten Wechsel, eines nach dem anderen vorgestellt werden. Er scheint in deren Gedanken zu dringen und die intimen Gespräche von Bruder und Schwester zu belauschen.
Zwischendurch wird immer wieder in die Position eines Erzählers in dritter Person gewechselt. Das geschieht immer dann, wenn die Geschwister von ihren Gesprächen mit Vater und Mutter berichten und diese dann im Dialog mit ihren Kindern aus ihrem eigenen Leben beziehungsweise aus dem des Ehepartners oder über ihn erzählen.

Mit dieser Erzählmethode gelingt es dem Autor, dem Leser eine sich immer wieder wendende Geschichte aus vier verschiedenen Perspektiven näher zu bringen. Der Mord an dem Opernsänger ist dabei nur das Mittel zum Zweck, der darin besteht, höchst unterschiedliche Menschen in all ihren Facetten, Details, Marotten und sonstigen Eigenschaften vorzustellen. Die Wendungen in der Struktur der Familie und dem Geschehen, welches dem Schreiben der Notizen unmittelbar vorausgegangen ist, kommen meist überraschend und verblüffen umso mehr. Schritt für Schritt, aber mit zunehmendem Tempo wird der Leser über die Familienverhältnisse, über die Umstände, die zum Tod des Opernsängers führten und über den tatsächlichen Ablauf des Geschehens aufgeklärt. Was sich für manch einen Krimienthusiasten anfangs noch langatmig anfühlt, ist am Ende eine packende Geschichte, die man kaum aus der Hand legt, bevor man die letzte Seite nicht gelesen hat.

Mit Interesse verfolgt man, was die Zwillinge über sich, über ihre Eltern erfahren, über die Kälte in der Familie, die in ihrer Tiefe doch eine unendliche Wärme darstellt. Ein Buch voller Gefühle, voller auf und ab, voller hin und hergerissen sein. Dabei gelingt dem Autor am Ende noch ein Schwenk zum humorigen, wenn Patrice von seinen ersten Jahren in Chile erzählt und die Macht eines Übersetzers entdeckt und feststellt, dass er dabei wohltätig sein kann, genauso, wie er diejenigen Ausländer mit seinem Dolmetschen unmöglich macht, deren Nasen ihm nicht passen.
Lesevergnügen für viele Stunden!

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Mercier, Pascal
Der Klavierstimmer
512 Seiten, broschiert
btb Verlag
ISBN-10: 3442726549
ISBN-13: 978-3442726547
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© Detlef Knut, Düsseldorf 2011
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Walter Kohl: Leben und gelebt werden

Walter Kohl: Leben und gelebt werden

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Kanzlersohn, was nun?

Beeindruckend und erschütternd sind die Erfahrungen und Erinnerungen, mit denen Walter Kohl eine Art Lebensbilanz über sein bisheriges Leben als Kanzlersohn zieht.

Der Satz seines Sohnes auf dem Weg zum Kindergarten: “Papa, ist das Leben schön?“ kann als Initialzündung angesehen werden, nach der Walter Kohl sich seiner Kindheit und seinem bisherigen Leben stellt.

Um es vorweg zu nehmen: es war keine glückliche Kindheit, die Walter mit seinem Bruder in dem immer dichter werdenden Netz von Fremdbestimmung, Bewachung und Isolation als Prominentenkind zugebracht hat.

Zeitlebens und bis heute wird er als „der Sohn vom Kohl“ angesehen. Doch nach einem langen und beschwerlichen Weg der Besinnung und inneren Einkehr, der Reflexion und der Suche nach Lösungen für einen ersehnten inneren Frieden ist es Walter Kohl gelungen, sich auf einen eigenen Weg zu machen. Bis dahin aber gab es seelische Verletzungen und schwerste Erfahrungen, die ihn lange Jahre seines Lebens von seiner frühesten Kindheit an wie eine Gefangenschaft erleben ließen.

Dem alles beherrschenden Politikervater waren die Karriere und Partei immer wichtiger als die heimische Familie.

Walter Kohl findet die richtigen Worte, seinen Werdegang unter den o.g. Bedingungen zu beschreiben.

1963 geboren fühlte er sich früh alleine gelassen und musste harte Prüfungen durch Hänseleien, Ablehnungen und Attacken von Menschen aller Couleur hinnehmen lernen. Die Folge ist eine totale Vereinsamung und ein Rätselraten, wie das alles zusammenhängen mag: sein Aufwachsen unter Festungsbedingungen, seine Isolation unter Mitschülern  und die Unmöglichkeit, über seine inneren Zustände weder mit dem Vater noch mit der Mutter reden zu können.

In diesem Buch beschreibt er seinen langen Weg aus der Einsamkeit, der von wechselnden Stimmungen und einer steten Unsicherheit gekennzeichnet war.

Nach einem Studium in Harvard und einem längeren  beruflichen Amerikaaufenthalt fühlte er sich fast befreit. Doch als seine erste Ehe scheitert, seine Mutter stirbt und der Vater wieder heiratet und den Bruch mit ihm vollzieht, erlebt er hohe Anforderungen an sein „Stehvermögen“, einem beliebten Ausdruck der Eltern, um an diesen Erlebnissen nicht zu zerbrechen.

Bemerkenswert sind die klaren, sachlichen und doch von tiefster Not zeugenden Ausführungen, in denen Walter Kohl sich beinahe selbst analysiert. Die  außergewöhnliche Lebenssituation als Kanzlersohn ist die eine Seite seines Berichtes; die andere beschäftigt sich mit den Charakterstrukturen der Eltern, die er mit kenntnisreichem und verständnisvollem Blick zeichnet.

Dieser Lebensbericht ist ungewöhnlich in der Intention, die nicht auf eine Abrechnung zielt, sondern zu einer Klärung der Lebensverhältnisse und der Erziehungsbedingungen beiträgt, denen Walter mit seinem Bruder Peter ausgesetzt war. Wohl selten hat man so anrührend und zugleich um Wahrhaftigkeit bemüht Erinnerungen eines Politikersohnes gelesen. Walter Kohl zeigt eine Versöhnlichkeit, der man höchsten Respekt zollt.

Walter Kohl
Leben oder gelebt werden
274 Seiten, gebunden
Integral, Januar 2011
ISBN-10: 3778792040
ISBN-13: 978-3778792049
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Friederich von Borries: Die Freiheit der Krokodile

Friederich von Borries: Die Freiheit der Krokodile

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Gutenachtgeschichte.

Zwiegespräch zwischen Vater und Sohn. Es ist Nachtzeit, und der Vater spricht seinem Sohn, der Angst vor Krokodilen hat, gut zu. Eine Verständigung scheint nicht möglich, denn die Angst des Sohnes ist größer als das Vertrauen zum Vater, der die kindliche Angst nicht versteht, weil ihm seine eigenen Vorstellungen von der Welt dazwischen kommen.

In ungewöhnlicher Aufmachung mit schwarz-weißen holzschnittartigen Bildern, die kindliche Angst  mit zum Teil gruseligen Bildern symbolisieren, kommt ein Büchlein daher, das mit Ernst und Humor über die Ängste des Menschen berichtet.

Kurze und einprägsame Sätze schaffen eine Verbindung zu dem Vater und der Kindheit des Jungen, von dem der junge Vater heute seinem Sohn erzählt. Da geht es um Krokodile unter dem Bett, die nur darauf lauern, am großen Zeh des kleinen Sohnes zu knabbern!

Mit vielen „wenn“ und „aber“ schafft es der kleine Junge von damals, seinen Vater von einer angemessenen Lösung für sein Problem zu überzeugen, wie man die vielen Angst auslösenden Krokodile loswerden könnte.

Nun aber folgt ein zweiter Teil, und dieser ist hoch philosophisch angelegt: da geht es um die Freiheit der Krokodile, die der Vater dem kleinen und heute großen Jungen nicht erklärt hat. Erst als er selber ein großer Mann war, verstand der kleine Junge von damals, was es mit der Angst und der Freiheit auf sich hat. Und in diesem Teil, der mehr für Erwachsene geschrieben scheint, steckt so viel innerer Gehalt, dass man das Büchlein unbedingt lesen sollte.

Angst, Gewalt und Freiheit sind die großen Themen der Menschheit; hier sind sie in eine kurze Parabel gefasst, die entzückt und begeistert. In die Intimität zwischen Vater und Sohn passt das ganze Gebilde von „klein“ und „groß“, von Betrachtungen des Kleinen zu dem übermächtigen und doch so grau in grau erscheinenden Vater, der aus seinem Gefängnis der Unfreiheit nie entkommen konnte.

Wunderbar geeignet zum Nachdenken, zum Verschenken und immer wieder zu betrachten ist das schmale broschierte Bändchen, das ein Gespräch von vielen enthält, die der Autor mit seinem Vater in der Kindheit unter dem Titel „Der Zauberer und die Krokodile. Gutenachtgeschichten über die Machbarkeit“ geführt hat. Die Bilder der Grafikerin Laleh Torabi bilden die Angst besetzte Kulisse, hinter der man sich die Krokodile vorstellen kann. Ein hübsches kleines Brevier über die Angst ist entstanden, das Groß und Klein erfreuen kann.

Friederich von Borries
Laleh Torabi
Die Freiheit der Krokodile
56 Seiten, broschiert
Verlag: Merve
ISBN-10: 3883962740
ISBN-13: 978-3883962740

Der Sohn

Der Sohn

Giacomo Cacciatore
Der Sohn
rowohlt
ISBN 3498009362

Geheimnisvoll und unüberschaubar ist die Welt, in die Giovanni Vetro hineingeboren wurde.
Die Familie lebt in Palermo. Der Vater ist Polizist.
Kann man sich anderes vorstellen, als dass zu Sizilien und Palermo die Mafia gehört?

So ist es: Giovanni hört und sieht Dinge, die ihm unheimlich sind. Die Mutter bekommt anonyme Anrufe und schreit hysterisch herum. Sie muß ständig Tropfen einnehmen, um dem Leben gewachsen zu sein. Der Vater, den der Junge als einzigen Halt betrachtet, ist auf unheimliche Weise bedroht.
Er bedeutet ihm, zu schweigen und wegzuhören, denn, * was man nicht sieht, das gibt es auch nicht*.

Giovanni hört und sieht aber mehr, als er möchte. Mit niemandem kann er darüber reden. Seine Ängste um das Leben des Vaters sind unübersehbar. Ist der Vater mit der Mafia insgeheim verbunden? Bei Gelegenheiten geschehen Dinge, die das zu beweisen scheinen. Z.B. bekommt Giovanni seinen ersehnten Farbfernseher,–obwohl das Geld des Vaters dazu nicht reicht!

Da immer nur Andeutungen fallen und Morde passieren, die für den Jungen nicht verstehbar sind, bekommt die Geschichte einen geheimnisvollen und bedrohlichen Unterton.
Er möchte seinem Vater helfen, ihn warnen und schützen. Zugleich wächst ein Misstrauen, auch dem Vater nicht immer trauen zu können.

Die Geschichte ist in einem Ton gehalten, der aus vielen Andeutungen besteht.
Man kann sich vorstellen, dass in Sizilien vorgeblich brave Kaufleute und Bürger kriminell sein können, und dass es staatliche Stellen gibt, die sich nicht immer so schützend vor ihre Bürger stellen, wie man es von ihnen erwartet. Die Übergänge zwischen den offiziellen und inoffiziellen Bezügen sind fließend.

In der Erzählung verwischen die Spuren; Giovanni versucht, hinter die Geheimnisse seines Vaters zu kommen. Dabei findet er zu erstaunlichen Erkenntnissen.
Er muß aus seinen Beobachtungen zu eigenen Schlüssen finden, die ihn in unvorhersehbare Ratlosigkeit stürzen.

Sich in dem Dschungel unklarer Verhältnisse zurechtzufinden, ist ein Thema in diesem Buch. Daneben besteht eine Vater- Sohnbeziehung, auf die kein Verlass ist. Und dennoch: Giovanni wächst heran wird auch unter diesen Umständen erwachsen!

Giacomo Cacciatore hat eine literarische Form gefunden, in der die ehrenwerte Gesellschaft, wie die Mafia auch bezeichnet wird, in Erscheinung tritt, ohne dass klare Konturen erkennbar werden. Die feinen Skizzen, mit denen er seine Andeutungen über Begünstigungen, Bedrohungen und Befehdungen zeichnet, sind fein nachempfunden. Es ist ein Leben im Schweigen, was viele Bürger dort führen. Italien aus dieser Sicht zu betrachten, gibt einen Eindruck wieder, den man als Reisender der schönen Renaissancestädte des Nordens kaum glauben mag.
Giacomo Cacciatore hat ein mutiges Buch über die Mafia geschrieben. Er gilt als ein großes Talent der italienischen Gegenwartsliteratur.

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Mutter & Sohn

Mutter & Sohn

Endlich darf er wieder im Stehen pinkeln. Lisa ist weg. Nach vier Jahren. Johannes Seidel fühlt sich eigentlich gut. Doch dann kommt der Brief, überrascht ihn in seinem wohlverdienten Urlaub. Die Firma will ihn abschieben nach Brasilien, will Platz machen für einen jüngeren Kollegen. Eine tolle Chance für ihn, er sei ja schließlich jetzt ohne familiäre Bande, ohne Lebensabschnittsgefährtin. Dabei riecht das Bett noch nach ihr. Es war ein Fehler, sich der Sekretärin Frau Zumgibel anzuvertrauen.
Brasilien. Er weiß von einem Kollegen, wie es dort ist. Nur im zugedröhnten Zustand kann man es dort aushalten. So ein Abenteuer auf die alten Tage will er sich sparen.
Dann kommt der Anruf. Von seiner Mutter, zu der er lieber Abstand hält. Sie ruft immer an, wenn er ein Tief hat. Sie hat ein Gespür dafür. Er erzählt ihr von dem Angebot, nach Brasilien zu gehen. Sie hält es für Abschiebung. Und wenn er dennoch zusagt? Den Gedanken ihren Sohn so weit weg wissen zu müssen, erträgt sie nicht. Sie will ihn sofort sehen. Und er kommt. Es ist für ihn völlig überraschend, seine Mutter im Rollstuhl sitzend vorzufinden. Und da sind sie wieder da, die familiären Bande. Sie wollen seinen Karrieresprung nach Brasilien verhindern. Er ist nicht mehr frei in seiner Entscheidung, auch wenn die Mutter ihm etwas anderes zu verstehen gibt – scheinbar zu verstehen gibt.

Auf der einen Seite steht Martin Seidel. 57 Jahre alt. Nun, wo Lisa ihn verlassen hat oder besser, seit er sie vertrieben hat, ein alleinstehender Mann. Er ist erfolglos, bald glatzköpfig und von so manchen Wehwehchen geplagt. Wie soll er wieder eine Frau finden? Doch so ganz allein ist er ja nicht. Er hat seine rechthaberische Mutter, mit der er es nie länger aushält. Krankhaft klammert sie sich an die vor 30 Jahren verstorbene Tochter, hält sie lebendig, lebt mit ihr zusammen. Das erträgt er nicht. Als die Mutter von Martins Brasilien-Plänen hört, klammert sie sich auch noch an einen Rollstuhl. Muss Martin sie nun pflegen? Er, der bildlich gesprochen ja eigentlich auch schon an Krücken geht? Das rückt die Abschiebung nach Brasilien in ein ganz anderes, in ein verlockendes Licht. Nur weg, alle Verpflichtungen hinter sich lassen! Doch da ist noch sein Gewissen, das ihm keine Ruhe lassen will.

Der Autor stellt eine Mutter-Sohn-Beziehung auf den Prüfstand und analysiert sie akribisch. Jeder von den beiden versucht mit allen Mitteln seine Interessen durchzusetzen. Keiner ist bereit von alten Gewohnheiten abzurücken oder Fehler der Vergangenheit einzuräumen. Auch wenn der Sohn den natürlichen Vorteil hat jünger zu sein als seine Mutter, er ist genauso unbeweglich und eingefahren in seinen Gedanken wie sie. Doch die Mutter will es nicht darauf ankommen lassen, dass der Sohn doch nach Brasilien gehen könnte. Vorsorglich übertreibt sie das Spiel und verhält sich ganz mies und unfair. Als Leser erwartet man das Ende mit Spannung und fragt sich, ob sie damit durchkommt.

Der Autor hat eine präzise Beobachtungsgabe und psychologisches Gespür für Stimmungen. Mit seinem Buch löst er widersprüchliche Gefühle aus. Mal bringt man Verständnis für die Situation auf, dann wieder nicht. Mal ist es urkomisch mal bitterernst und Verzweiflung kommt durch. Die Geschichte wirkt ernüchternd, aber sie ist nicht ohne Hoffnung.

Über den Autor:
Bernd Schroeder ist Jahrgang 1944. Der Autor und Regisseur zahlreicher Hör- und Fernsehspiele lebt in Köln. 1992 wurde er mit dem Bundesfilmpreis ausgezeichnet. Bernd Schroeder ist Mitglied des PEN.

Rezension von Heike Rau

Bernd Schroeder
Mutter & Sohn
Erzählung
164 Seiten, gebunden
Carl Hanser Verlag
ISBN: 3-446-20466-0
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