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Schlagwort: Bürgertum

Louise De Vilmorin: Der Brief im Taxi

Louise De Vilmorin: Der Brief im Taxi

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Liebeswirren im edlen Bürgertum.

In diesem kurzen Roman, der fast einer Novelle gleicht, beginnt eine unbekannte Icherzählerin unvermittelt mit der geselligen Geschichte einer gehobenen Bürgerschicht.

Sie berichtet von einem Mann, den sie liebte, der ihr aber eine andere vorzog. Gustave ist ein heiterer Mann, der von einem leichten Leben auf den Meeren der Welt träumt. Dazu muss er zuerst einmal reich werden. Er liebt Cécilie, eine gute Freundin der Erzählerin. Diese ist unkonventionell, verspielt, locker und schöner als ihre erzählende Freundin und heiratet den Galan.

Zunächst sieht alles nach einem glücklichen Leben aus; doch Gustave wandelt sich mit dem beruflichen Erfolg zu einem geldgierigen, langweiligen Banker. Sein Umgang ist entsprechend, und Cécilie vermag sich nicht so recht in den konventionellen Umgang mit den anderen angesehenen Bürgern einzureihen.

Eines Tages begleitet Cécilie die langweilige Freundin ihres Bruders Alexandre zum Zug. Auf dem Weg im Taxi verliert sie einen frankierten Brief, den sie zur Post geben wollte. Nun beginnt das eigentliche Abenteuer! Was stand in dem Brief, und an wen war er adressiert?

In wunderschönen Worten beschreibt Louise De Vilmorin die Personen ihrer Handlung.

Sie alle sind unterschiedliche Charaktere mit eigenem Gewicht. Vermutungen tauchen auf wie diese: könnte der Brief zu einer Erpressung führen? Beinhaltet er den Hinweis auf eine versteckte Liebesgeschichte von Cécilie?

Man wird neugierig, und die Spannung steigt!

Es geht in der Erzählung um das französische Bürgertum, um Adel, Gesellschaft, Gewohnheiten und das Lebensgefühl zu Beginn des 20.Jahrhunderts. Die Geschichte kreist voller Charme und gepflegter Unterhaltung um Menschen, die lieben und sich im geselligen Treiben verlustieren. Der vergessene Brief im Taxi ist das Medium, um das sich eine Geschichte rankt, die jenes edle Bürgertum mit allen seinen guten und maroden Seiten aufzeigt, wie wir sie aus der Historie kennen. Es gibt die Angepassten, die Angeber, Intrigen aller Art und die unkonventionellen Individuen, die das Salz in der Suppe bilden. Die Geschichte im Brief bietet überraschende Eindrücke und Auflösungen, mit denen man nicht gerechnet hat.

Der Leser fühlt sich gut unterhalten. Er goutiert die gepflegten Umgangsformen und das malerische und bestrickende Ambiente.

Das Büchlein ist eine kleine Rarität, das sich in Aufmachung und Geschmack hervorragend als Geschenk eignet. Beim literarisch gebildeten Leser kann man damit nichts falsch machen.

Dem Dörlemann Verlag verdanken wir immer neue Wiederentdeckungen aus dem Beginn des vergangenen Jahrhunderts. Louise De Vilmorin lebte von 1902 -1969. Sie war mit de Saint-Exupérie verlobt und langjährige Lebensgefährtin von André Malraux. Ihr verdanken wir so manches literarische Kleinod wie dieses hier.

Louise De Vilmorin
Der Brief im Taxi
208 Seiten, gebunden
Dörlemann, August 2016
ISBN-10: 3038200336
ISBN-13: 978-3038200338
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Vladimir Jabotinsky: Die Fünf

Vladimir Jabotinsky: Die Fünf

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Aufstieg und Niedergang einer jüdischen Familie im alten Odessa um 1905.

Vladimir Jabotinsky hat sich in seinen Erinnerungen in die Stadt Odessa zu Beginn des 20. Jahrhunderts begeben.
Dort, in der Vielvölkerstadt, lernte er die Familie Milgrom kennen.
Die fünf Kinder der jüdischen Familie bilden die Rahmenhandlung zu einer Geschichte, in der es um Judentum, Assimilation, Gesellschaftsleben und Aufruhr geht.

Marussja, Marko und Lika, die Rebellische, Serjosha und Torik sind die handelnden Personen. Über allen wacht ihre Mutter Anna Michailowna Milgrom. Der Autor begegnet Mutter und Tochter Marusscha zum ersten Mal im Theater und danach immer wieder bei diversen Geselligkeiten.

Es fällt nicht ganz leicht, dem Handlungsstrang zu folgen. Die Stadt Odessa ist zu Anfang des 20. Jahrhunderts eine lebendige Metropole, in der sich die Welt im Kleinen spiegelt. Geschichtlich gehörte Odessa zuerst zum Osmanischem Reich, danach vorübergehend zu Österreich-Ungarn und ab 1922 zur Sowjetunion.

Die Schulstreiche der Kinder der Familie Milgrom, erste Annäherungen an die schon ältere Marussja und die politisch aufsässige Lika bieten Stoff, um über jeden einzelnen von ihnen zu berichten. Anna Michailowna ist die liberale, gütige jüdische Mutter, eine junge Mutter dazu, die ihren Kindern mit Aufmerksamkeit zur Seite steht.

In der „Literaturka“ versammeln sich Anhänger mit aufsässigem Gedankengut. Hier herrscht das freie Wort und Gedankenfreiheit, und der Autor wundert sich selbst, dass die Obrigkeit diesen keinen Einhalt gebot. „Tschechows Wehmut wurde als Protest gegen die herrschende Ordnung und Dynastie verstanden, Gorkis erfundene Barfüßer bis hin zu Malwa als Barrikadenruf; wie und warum, könnte ich jetzt nicht mehr erklären, aber so war es.“
In diesem Ton geht die Geschichte voran, bezieht sich auf Zusammenkünfte, auf die herrschende Stimmung in der Stadt mit ihrer Vielfalt kultureller Möglichkeiten.

Vladimir Jabotinsky ist in Gestalt eines Journalisten immer dabei, wenn es Neuigkeiten in der Familie zu erzählen oder zu erleben gibt. Dass er darüber hinaus dem Bild Odessas, ihrer ausnehmend anspruchsvollen und von zahlreichen Einflüssen geprägten Architektur und der mit Akazien gesäumten Steilküste zum Schwarzen Meer hin gedenkt, geben seiner Erzählung den äußeren Anstrich, von dem man sogleich neugierig auf die Ereignisse blickt.

Man erlebt die Familie umsäumt von den politischen Geschehnissen, die einzelne Familienmitglieder der Familie entfremden. Was aus ihnen allen geworden ist, nimmt breiten Raum ein und schlägt den Leser in Bann. Zwischen Faulenzerei und Aufruhr, zwischen Schicksalsschlägen und Verlust betrachtet man Aufstieg und Niedergang einer Familie, die symptomatisch für das aufstrebende Bürgertum und seinen Fall war.

Der Journalist und Zionist Vladimir Jabotinsky (1880 -1940)  galt zu seiner Zeit als politisch engagierter Kopf, der den Staat Israel in den Grenzen des biblischen Palästinas forderte. Er war zugleich Schriftsteller und Politiker. Seine Prosa ist durchsetzt mit poetischen Bildern und bietet Einblicke in die Welt des jüdischen Odessas mit allen ihren Möglichkeiten zur Entfaltung einer differenzierten, kultivierten und aufgeschlossenen Geisteshaltung der Bewohner. Es sind diese Merkmale, die das kaufmännische Großbürgertum ausmachten.

Die äußere Aufmachung des Buches ist edel und anspruchsvoll und erscheint in der Übersetzung von Ganna-Maria Braungardt und Jekatherina Lebedewa.

Vladimir Jabotinsky
Die Fünf
350 Seiten, gebunden
AB – Die Andere Bibliothek, Dezember 2012
ISBN-10: 3847703366
ISBN-13: 978-3847703365
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