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Schlagwort: Ernst

Lize Spit: Und es schmilzt

Lize Spit: Und es schmilzt

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Eine dörfliche Gemeinschaft im Dunstkreis düsterer Lebensumstände

Eva wuchs in dem Ort Bovenmeer in Holland auf.

Nach langen Jahren macht sie sich mit einem großen Eisblock im Kofferraum auf, einer Einladung ihres einstigen Jugendfreundes Pim in das Dorf ihrer Herkunft zu folgen. Ihre Eltern hat sie neun Jahre nicht mehr gesehen.

Seit dreizehn Jahren war sie nicht mehr hier, wo sie in ihrer Kindheit und Jugend auf den weiten Feldern, Wäldern und Seen mit den anderen Dorfkindern ihren Spielen nachgegangen war.

Was mag in jenem Sommer vorgefallen sein, dass sie die Heimat floh? Gab es eine Tragödie?

Im Wechsel mit dem Heute, das mit der fortschreitenden Uhrzeit eines undatierten Tages angegeben wird, kann man sich in die dörfliche Vergangenheit des Jahres 2002 einlesen.

Die Geschichte ist in ihrem Grundton traurig angelegt. U.a. hat der Tod von Jan, dem Bruder von Pim, die Gemeinschaf erschüttert.

Eva erinnert sich der Spiele in den langen Sommern, die das Landleben verschönten. Pim, dessen Eltern einen Bauernhof bewirtschafteten, Laurens aus der Metzgerfamilie und Eva denken sich allerlei Spiele aus, die allerdings mehr und mehr von grausamen Pubertätsritualen abgelöst werden.

Eva hat noch einen älteren Bruder und Tesje, die magersüchtige und zwanghaft veranlagte kleinere Schwester. Die Mutter ist Trinkerin und der Vater geht müde seinen Geschäften als Bankangestellter nach. Alles in allem ist das Leben der Erwachsenen eher freudlos und unspektakulär.

Ob Winter oder Sommer: die Jugendlichen planen ihre Spielchen, bei denen immer auch Dritte einbezogen werden. Elisa ist eine kluge Außenseiterin, die erst später in die Grundschulklasse gekommen ist. Sie hat einen Vater, ein Pferd und keine Mutter mehr und wirkt reifer und erfahrender als die anderen.

Dräuend meint man die ganze Zeit herannahendes Unheil zu spüren.

Lize Spit wählt eine raue und sehr direkte Sprache. Man wartet auf einen Eklat oder eine Erlösung mit dem Heranwachsen der Kinder. Doch weit gefehlt: es bleibt bei der unglücklichen Verfassung aller Beteiligten.

Die Geschichte wird hintergründig aufgezogen: während die Spiele Unschuld vermuten lassen, braut sich eine Ladung unguter und sadistischer Spielchen zusammen.

Der Vater von Eva zeigt ihr bei Gelegenheit, dass er schon eine Schlinge für sich bereithält.

Die magersüchtige Tesje wird schließlich von Eva und ihrem Bruder im Hospital abgeliefert.

Eva, die Hauptfigur, ist Strippenzieherin und Opfer zugleich. Ihr älterer Bruder Jonas scheint sich als einziger dem Wahnsinn dieses desaströsen Familien- und Dorfgefüges entziehen zu können. Er verlässt das Haus, um zu studieren.

Allen erwartungsvollen Hoffnungen zum Trotz gibt es kein Happy End. Lize Split zieht den Tenor ihrer von düsteren Untertönen gefärbten Geschichte erbarmungslos bis zum bitteren Ende durch.

Vielleicht gehört es zu ihrem Bestreben, Hoffnungen zu säen und die grausame Wirklichkeit siegen zu lassen. Ist Wirklichkeit so unerquicklich?

Man bleibt als Leser fraglos ein wenig ratlos zurück.

Lize Spit
Und es schmilzt
512 Seiten, gebunden
S. FISCHER, August 2017
ISBN-10: 3103972822
ISBN-13: 978-3103972825
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John Green: Das Schicksal ist ein mieser Verräter

John Green: Das Schicksal ist ein mieser Verräter

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Das Leben, die Liebe und der Tod.

Diese Geschichte ist traurig. Doch wie sie erzählt wird ist bezaubernd, einfühlsam, echt und ehrlich.
Worum geht es?
Zwei Jugendliche begegnen sich in einer Selbsthilfegruppe für Krebskranke.

Hazel ist sechzehn Jahre alt und unheilbar an Krebs erkrankt. Sie will nicht in diese Gruppe, denn innerlich ist sie voller Rebellion und Auflehnung gegen ihr Schicksal. Als sie Augustus dort trifft, der sie anstarrt, ist es sehr bald um sie geschehen. Sie verliebt sich in diesen hübschen und aufmerksamen Jungen, der nur noch ein Bein hat. Das andere musste als Folge eines Knochenkrebses amputiert werden. Wer nun glaubt, er habe es mit einer gefühlsduseligen und rührseligen Geschichte zu tun, der irrt gewaltig!

Augustus ist ein Rebell wie Hazel und ironisch dazu. Auf der Ebene sachlicher und häufig zur Komik neigender Aussagen nähern sich die beiden in ihrer frühen Pubertät befindlichen Jugendlichen einander an. Sie können Mitleid und  Beileidsbekundungen nicht ausstehen. Eher wird übertrieben und gewitzelt, ohne je oberflächlich zu sein.

Die Dialoge zeugen von umwerfender Aufrichtigkeit, sarkastischem Hinnehmen und Wahrheitsliebe. Zugleich erlebt man eine Liebesgeschichte von rührender Hingabe und Anhänglichkeit im gemeinsamen Erleben von existenzieller Not und der Gewissheit der Begrenztheit des eigenen Lebens.

Selten wohl hat man in dieser Weise über Jugendliche mit Krebserkrankungen gelesen. Die Geschichte ist frei erfunden und zeigt doch eine außerordentliche Fähigkeit, sich in die Gefühlswelt der Kranken einzufühlen. Eltern und Kinder sind jeweils schwer getroffen. Die Peinlichkeiten und Frustrationen der begleitenden Umstände zu bewältigen, ohne zu verzagen, werden in dieser Geschichte überdeutlich dargestellt.

Ein ungewöhnliches Abenteuer verbindet zuletzt die beiden so schwer Kranken. Liebevoll, drastisch, traurig und zugleich froh genießen Hazel und Augustus ihre Liebe, und keiner weiß, wie lange sie auf Erden währen wird.

Auf dem Umweg über das Interesse an einem gemeinsam gelesenen Buch gelingt dem Autor John Green die feinfühlige Geschichte dieser Annäherung zweier schwer erkrankter junger Menschen. Mit unvergleichlichem Humor und Verständnis erzählt John Green seine Geschichte von Liebe und Tod, von Trauer und abenteuerlichem „Vorerleben“, wenn das Leben so früh enden muss.

Das als Jugendbuch deklarierte Kunstwerk wird jedoch besonders Erwachsene anrühren, so wie Jugendlich es nur bei dem nötigen Ernst für die Endlichkeit unseres Erdendaseins verstehen werden.

Der Autor John Green wird im Klappentext zu Recht mit Philip Roth und John Updike verglichen. Er lebt in Indianapolis/USA.

John Green
Das Schicksal ist ein mieser Verräter
288 Seiten, gebunden
Carl Hanser Verlag, 2. Auflage, Juli 2012
ISBN-10: 3446240098
ISBN-13: 978-3446240094
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Philippa Perry: Couch Fiction

Philippa Perry: Couch Fiction

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Psychotherapie als Comic; geht denn das?

Es geht!

Hervorragend in der Aufmachung, gekonnt in der Darstellung  und witzig in der Ausführung hat sich die englische Psychotherapeutin Philippa Perry daran begeben, zu beschreiben, wie und was sich in einer Psychotherapie ereignet.

Herausgekommen ist ein Werk, das umfassendes Grundlagenwissen und praktische Erfahrung mit der Behandlungsform „Psychotherapie“ vermittelt. Die Aufmachung als Comic bietet die Möglichkeit, zwischen dem gesprochenen Wort auch von Gedanken und Gefühlen, die zwischen den Worten mitschwingen, zu berichten.

Philippa Perry erzählt uns eine Geschichte der Therapie mit einem fiktiven Klienten. Er heißt James, ist erfolgreicher Anwalt und hat ein gravierendes Problem: er klaut ohne besonderen Grund und kann es nicht lassen.

Sowohl der Laie als auch der kenntnisreiche Psychotherapeut wird in den Sitzungen bei Philippa Perry mit James vieles wieder erkennen, was es in anderen Zusammenhängen in Psychotherapiesitzungen zu erleben gibt.

Da geht es natürlich um das Bewusste ebenso wie um das Unbewusste. Die unausgesprochenen Gedanken seines Klienten kann ein guter Therapeut erahnen und in Form von Deutungen aussprechen. Fühlt sich der Klient auf diese Weise besser verstanden? Oder wird er misstrauisch, dass der Therapeut ihn durchschaut, wo er das eigentlich nicht will?

Psychotherapie beruht auf Kenntnis, auf Erfahrung, auf Vertrauen, auf guter Kommunikation und der Persönlichkeit des Therapeuten. Therapeuten aber sind auch nur Menschen, die sich unentwegt auf mögliche Fehler zu überprüfen haben, -und diese unterlaufen ihnen natürlich auch. Voller Selbstironie lässt Philippa Perry ihre Eigenbeobachtungen mit ihren Selbstzweifeln zwischen den Zeilen durchscheinen. Sie versäumt in ihren Ausführungen nichts und lässt uns teilhaben an dem, was sie in ihren Therapiestunden mit James erlebt.

Zu den Comics und den Gesprächen zwischen ihr und ihm gibt es Untertitel, in dem therapeutische Fachfragen erklärt werden. Mit dem Mittel der Übertragung und Gegenübertragung erlebt man das Aufspüren unbewusster Inhalte und ihrer Deutung. Sie machen den Therapieprozess im Wesentlichen aus. Damit können störende Gefühle und widrige Reaktionen in ihren Ursprüngen sichtbar gemacht werden und zu einer Veränderung in den Verhaltensweisen führen. Darüber hinaus bedarf es aber der Empathie, um sich überhaupt in ein Arbeitsbündnis mit einem Klienten einzulassen. Das alles und noch vieles mehr kommt in den Texten von Philippa Perry zum Tragen.

Andrew Samuels, Professor für analytische Psychologie an der Universität von Essex, beschreibt in seinem Nachwort Psychotherapieformen und deren Möglichkeiten. Er preist das Buch zu recht als informativ für Klienten und Fachleute. Doch handelt es sich nicht um ein Handbuch für Psychotherapie sondern ist ein Wegweiser durch die Irrungen und Wirrungen der menschlichen Seele, wenn sie denn aus dem Gleichgewicht gekommen ist.

Das Buch ist kompetent, klar, eindeutig, kritisch und in jeder  Hinsicht ein Gewinn für alle jene, die sich um Einsichten und Aufklärung innerseelischer Vorgänge bemühen.

Ich kann diesen Comic als äußerst gelungen, witzig und zugleich ernsthaft empfehlen.

Philippa Perry
Couch Fiction
156 Seiten, gebunden
Kunstmann, August 2011
ISBN-10: 388897738X
ISBN-13: 978-3888977381
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Susann Pásztor: Ein fabelhafter Lügner

Susann Pásztor: Ein fabelhafter Lügner

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Familienlegenden mit Komik, Witz und Humor erzählt!

Selten hat mich ein Buch von der ersten Zeile an so fasziniert!

Schon bei den ersten Sätzen spürte man den Witz und Humor und die leicht makabere Inszenierung, mit der das Buch geschrieben wurde.

Da will einer seinen Selbstmord schön ordentlich vollziehen,–und natürlich misslingt ihm das! Um sein Bett versammeln sich ehemalige und gegenwärtige Partnerinnen, die eine schwanger, die andere kurz vor der Niederkunft und die dritte mit einem schon  zehnjährigen Sohn gesegnet. Dieser ist „nicht glücklich“, wie es so schön lakonisch heißt.

In der Kürze der berichteten Kuriositäten schaut ein hintergründiger Witz hervor, der einen sofort gefangen nimmt.

Großvater Jószef Molnár ist der mutmaßliche Vater einer Schar von Kindern verschiedener Frauen. Er ist längst tot, als die Nachfahren seiner Frauen ein Familienfest zu Ehren seines hundertsten Geburtstags beschließen. Erst einmal muss man allerdings alle auffinden! Hanna, Marika und zuletzt Gabor, letzterer schon leicht überdrüssig, finden sich zusammen.

Was zunächst skurril, witzig und amüsant beginnt, das geht in eine gar nicht komische Geschichte über: eine Frau und zwei Kinder von Joschi sind als Juden im Konzentrationslager Auschwitz geendet. Auch Joschi war s. Zt. in Buchenwald.

Niemand durchschaut so ganz, was Wahrheit und was Erfindung ist, denn Joschi betreibt seine eigene Legendenbildung, wozu auch die Frage zählt, ob er Jude war oder nicht. Er ist ein verschmitzter und mit allen Wassern gewaschener Tunichtgut!

Lily, seine Enkelin, wollte eigentlich nur ein Referat über Buchenwald schreiben! Als sie aber dort ankommt, ist es mit der Komik vorbei. Dennoch vermittelt Susann Pasztor aus dem Blickwinkel von Lily eine Familiengeschichte, in der sich Posse, Ulk und Schabernack zusammenfügen. Sie fabuliert über die verwirrende Herkunft aller Beteiligten, von dem Durcheinander und den komischen Zufällen in der Familie mit Schmiss und Charme.

Die Autorin findet den leichten und ernsten Ton, mit dem sie sich als einfallsreiche, frohsinnige und amüsante Erzählerin zeigt. Sie fühlt sich in die Vergangenheit ein und bezaubert mit ihrer Geschichte, die mit dem Talent des Humors bestrickt, ohne den Ernst zu vergessen. So ist das Leben: Tragik, Fröhlichkeit, Lebenslust und unterschiedliche Charaktere finden sich in Familien wieder; Legenden bilden den Hintergrund, auf dem die Geschichten dann weiter erzählt werden. Wer die Gabe hat, die Widersprüchlichkeiten zu begreifen, wird sich an den unterschiedlichen Mentalitäten ergötzen und sein Vergnügen an einem Familienleben der besonderen Art finden.

Susann Pásztor  macht uns bekannt mit einer Familiengeschichte, die ihresgleichen sucht!

Der Debütroman der Autorin, die bisher als Kinderbuchillustratorin gearbeitet hat, wird mit Sicherheit begeisterte Leser finden! Sie betätigt sich in der Nachfolge von I. B. Singer und Andre Kaminski, die mit ihren jüdischen Familiengeschichten unvergessen sind und noch heute gerne gelesen werden.

Susann Pásztor
Ein fabelhafter Lügner
Gebundene Ausgabe: 208 Seiten
Kiepenheuer & Witsch
ISBN-10: 346204219X
ISBN-13: 978-3462042191