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Schlagwort: Geschwisterliebe

Benedict Wells: Vom Ende der Einsamkeit

Benedict Wells: Vom Ende der Einsamkeit

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Um es gleich vorweg zu sagen: ich hatte von diesem Autor noch nichts gehört und gelesen. Umso freudiger war meine Überraschung, ihn mit diesem Roman kennenzulernen.

Es handelt sich um die Geschichte dreier Geschwister, die ihre Eltern bei einem Autounfall verloren haben und nun elternlos aufwachsen.

Die Erzählung beginnt schnell, schnörkellos und temporeich und ohne jegliche Sentimentalität. Der Kummer des jüngsten Sohnes Jules über den plötzlichen Verlust der Eltern ist dennoch hautnah nachzuempfinden. Die drei Geschwister wachsen in einem staatlichen Internat nach Jahrgängen getrennt auf. In der Vorgeschichte ist die Familie harmonisch und nett miteinander. Über allem steht eine Mutter, die ein gutes und freundliches Klima geschaffen hat. Die kurzen Urlaube in Frankreich bei der Mutter des Vaters, der Franzose ist, sind malerisch und naturverbunden, die Großmutter aber unbeliebt bei allen Familienmitgliedern. Zurück in München sind sie eine glückliche Familie.

Jules, der Jüngste der drei, ist der Icherzähler, der in langen Passagen das Geschehen bestimmt. Aus seinen Augen betrachtet passieren allerdings ab und zu seltsame Dinge, die er wahrnimmt, ohne sie zu verstehen.

In der Folge des Autounfalls nehmen die Geschwister sehr unterschiedliche Entwicklungen, verlieren sich über lange Zeit ganz aus den Augen, um im fortgeschrittenen Alter nach zahlreichen gelungenen und misslungenen Lebenserfahrungen wieder zusammenzufinden.

Zahlreiche Fragen nach dem Glück werden aufgeworfen. Die Antwort kann nicht anders sein, als sie hier gefunden wird: der Bruder Marty ist erfolgreich, zuverlässig und in seinem Glücksanspruch bescheiden. Zufriedenheit wiegt mehr als das überschäumende Glück. Die Schwester ist exzentrisch und findet nur langsam auf eine ruhige Spur. Jules aber ist der Melancholische, Zögerliche und Ängstliche, der erst nach vielen Umwegen zu sich und seiner großen Liebe findet.

Voller Poesie und malerischen Beschreibungen gerät man ganz in den Sog einer Familiengeschichte, die vielleicht exemplarisch für ähnliche Familienschicksale herhalten könnte.

Benedict Wells weiß seine Geschichte mit unerhörter Spannung zu steigern, so dass keine Minute Leerlauf oder Langeweile aufkommen kann. Reflektiert wird Gegenwart und Vergangenheit herangezogen, um von den Lebenswegen der Geschwister zu berichten. Diese sind voller Liebe, Schmerz und Abschiedskummer, nachdenklich, häufig tragisch und dann wieder von Glücksmomenten durchzogen. Die Phasen von Jugend, Pubertät und Erwachsenwerden unterliegen eigenen Gesetzen, die fürsorglicher Begleitung bedürfen. Hier ist sie nicht gegeben.

Poetisch, weise und klug vermittelt uns der Autor einen Eindruck davon, was Einsamkeit, Trauer und Glück für uns Menschen bedeuten. Die Palette der Erfahrungen ist breit gefächert. Sie bietet eine Ahnung davon, wie das Leben so spielt, welche Anteile wir oder unsere Ahnen an der Entwicklung haben, was vom Schicksal oder dem Zufall mit bestimmt sein könnte, und was unser Werden und Gedeihen prägt.

Alles in Allem ist das ein mitreißender Roman, den man sich nicht entgehen lassen sollte!

Benedict Wells

Vom Ende der Einsamkeit
368 Seiten, gebunden
Diogenes, Februar 2016
ISBN-10: 3257069588
ISBN-13: 978-3257069587
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Peter Härtling: Liebste Fenchel!

Peter Härtling: Liebste Fenchel!

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Gesellschaft und Leben zu Zeiten der Romantik.

Als Peter Härtling die Nachricht von der Geburt seines siebten Enkelkindes erhält, das den Namen „Fanny“ tragen soll, fällt ihm sogleich Fanny Mendelssohn ein. Ihr widmet er sich fortan in einer Biographie, die ganz seine Handschrift trägt.
Schon in seinen Biographien über Schubert, Schumann und Hölderin zeigt P. Härtling sein herausragendes Talent, aus imaginierten Vorstellungen ferner Zeiten Wirklichkeit werden zu lassen. Er vertieft sich beinahe ganz mit seinen Gefühlen in das Leben um 1800 und verzaubert mit den filigranen Beschreibungen von Raum, Zeit und Handeln das Geschehen.

Fanny Menlssohn,1805 geboren, war die älteste Tochter von Lea und Abraham Mendelssohn, die nach ihr noch drei weitere Kinder haben werden. Unter ihnen zeigt der vier Jahre jüngere Felix später ein außergewöhnliches musikalisches Talent, mit dem er zu Ruhm und Ehre kommen soll. Auch Fanny ist eine hervorragende Musikerin. Peter Härtling lässt sie wie in einem flämischen Bild durch die häuslichen Räume tänzeln, sie summt vor sich hin und bildet sich anhand des Vorlebens ihrer Eltern, des Onkels und der Tante, die im gleichen Hause leben. Von Hamburg zieht es die Familie vor den Repressalien der Napoleontruppen nach Berlin, wo der Vater mit seinem Schwager Joseph ein Bankhaus begründete.

Schon früh musizieren die Geschwister zusammen, bis Felix seinen ersten Konzertauftritt mit 9 Jahren hat. Fanny muss zeitlebens im Schatten des Bruders stehen, weil sich Broterwerb für Frauen in ihren Kreisen nicht schickte.

Nur kurz aber intensiv bietet Härtling Einblicke in die religiösen Überzeugungen der Familie. Was es mit dem Glauben auf sich hat, führt bei Fanny zu nachdenklichen Fragen, denn ihr Großvater war der berühmte Philosoph jüdischen Glaubens Moses Mendelssohn, einer der denkerischen Begründer der Aufklärung. Die Eltern ließen ihre vier Kinder taufen und nahmen später selber den christlichen Glauben an.

P. Härtling beschäftigt sich intensiv mit der musischen Entwicklung und dem Familienleben der begabten Mendelssohnkinder Fanny und Felix. Ein ausgedehntes Gesellschaftsleben führte zu den so genannten „Sonntagskonzerten“, die im Hause der Mendelssohns veranstaltet wurden. Bach und immer wieder Bach wird gespielt und gesungen; auch Mozart und Haydn sind beliebte Komponisten, denen sich die Kinder verschrieben haben. Eigene Kompositionen von Fanny und Felix werden ebenfalls aufgeführt und bewundert. Felix ist der strahlende Stern der Familie Mendelssohn-Bartholdy, wie sie sich nach der Christianisierung nannte.
Die Geschwister fühlten sich bis zu Fannys frühem Tod emotional und musisch innig verbunden. Dazwischen aber lagen viele Jahre schöpferischen Schaffens, Hochzeiten und Kindergeburten.
Diese bilden zusammen mit den Abschieden immer wiederkehrende Ereignisse. Antisemitismus und Anfeindungen stehen im Wechsel zu Ruhm und Erfolg der musischen Familienmitglieder.
Mit fortschreitender Erzählung rundet sich das Bild einer künstlerisch anregenden und ereignisreichen Zeit mit zahlreichen bekannten Künstlernamen, zu denen Heine, Kleist, die Varnhagens und selbstverständlich auch Goethe zählten.
Peter Härtling hat seine gelungene Biographie über das Leben von Fanny Mendelssohn gründlich recherchiert.
Unvergleichlich in seiner sensiblen Vorstellungsweise taucht der Autor in das 19. Jahrhundert ein. So ersteht vor uns wahrhaftig ein Bild, das uns in ferne Zeiten entführt und unser Interesse bannt. Man fühlt sich verzaubert vom Reichtum der Erzählung Peter Härtlings und kann sich nur schwer von seinem Buch trennen.

Peter Härtling
Liebste Fenchel!
256 Seiten, gebunden
Kiepenheuer & Witsch, Mai 2011
ISBN-10: 3462043129
ISBN-13: 978-3462043129
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