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Schlagwort: Israel

Zeruya Shalev: Schicksal

Zeruya Shalev: Schicksal

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Zeruya Shalev hat die ganz große Begabung, die man ähnlich bei anderen israelischen Schriftstellern wie Amos Oz oder David Großmann findet: aus einer Vielzahl Assoziationen, träumerischen Erinnerungen und Gegenwartserlebnissen ein Geflecht von Beziehungsmustern sichtbar werden zu lassen.

In ihrem neuen Roman „Schicksal“ geht es um zwei Paare: Rachel und Menos und Atara mit Alex.

Rachel und Menos hatten sich 1948 in der Terrororganisation Lechi engagiert, die die Befreiung Israels aus der englischen Mandatsregierung zum Ziel hatte. Menos verschwindet schnell spurlos aus der Geschichte und aus Rachels Leben.

Die Icherzählerin Rachel ist inzwischen an die neunzig Jahre alt, als eine nicht mehr ganz jungen Frau zu ihr kommt. Wie sich herausstellt ist Atara die Tochter von Menos. Sie spürt der Geschichte ihres Vaters und seiner ersten Ehe nach.

Atara ist mit Alex verheiratet und hat mit ihm den gemeinsamen Sohn Eden. Beide hatten schon Kinder aus vorherigen Ehen. Die Beziehungen in dieser Familie sind kompliziert und konfliktträchtig.

So beginnt eine Erzählung, in der es um Krieg, Liebe, Verlust und psychisches Leid geht.

In der Erzählung laufen die Lebensgeschichten von Rachel und Atara parallel. Besonders Letztere ist in einem Netz aus Zweifeln und Selbstzweifeln gefangen. Als ihr Mann Alex sehr plötzlich und unerwartet stirbt, ist die Handlung weitgehend mit ihrem Schicksal und ihrer problematischen Ehe befasst.

Mühsam sind in der Folge die Zeitsprünge zwischen der Staatsgründung und dem späteren Israel. Man spürt die allgegenwärtige Gewalt kriegerischer Handlungen.

Nahe kommt einem in der Beschreibung von Zeruya Shalev die Landschaft, die Städte und das allgemeine politische Klima seit der Staatsgründung 1948, als es noch eine britische Mandatsbesatzung gab. Die Verfolgung, der Holocaust und die Jahrhunderte währende Ghettoisierung haben die Bewohner Israels zu Überlebenskünstlern und Kämpfern gemacht, die sich nie wieder einem Untergang ergeben werden.

Wenn der Roman auch zu Anfang interessante Einblicke in das Leben, die Geschichte und das Schicksals Israels verspricht, so kommt im Laufe der Erzählung Langweile auf. Zu wenig stringent und zu ausschweifend verliert sich die Autorin in langatmigen Schilderungen über die innerlichen Befindlichkeiten ihrer Protagonisten. Bei einer Autofahrt zu Rachel erlebt Atara lange Verzweiflungsausbrüche und unendliche Gefühlsberichte über ihre innere Zerrissenheit. Irgendwann fühlt man Überdruss, weil rein gar nichts vorangeht. Die Sprache ist schön, ästhetisch und ausdrucksvoll, gelegentlich fast biblisch; sie reicht aber nicht, den Roman zu einem anhaltend interessanten Leseerlebnis werden zu lassen.

Vom Ansatz her geht es um ein interessantes Familiengeflecht mit vielen Irrungen und Wirrungen, Enttäuschungen und Verlusten. Die Schilderung der Beziehungsdramen und Ataras Anklagen gegen sich und andere machen den Roman zu einem Stück tragischer Familiengeschichte.

Wer an dieser Art Psychodrama interessiert ist und ganz allgemein am Leben in Israel gerne teilnimmt, wird auf seine Kosten kommen.

Die Übersetzung von Anne Birkenheuer wird allenthalben als große Leistung gewürdigt.

Zeruya Shalev
Schicksal
Berlin Verlag: 2. Edition, Mai 2021
416 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3827011868
ISBN-13: 978-3827011862
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Ayelet Gundar-Goshen: Löwen wecken

Ayelet Gundar-Goshen: Löwen wecken

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Eine Frage von Schuld und Sühne.

In diesem Roman handelt Gundar-Goshen die Liebe und das Leben ab in einer Weise, die fesselnd und tiefschürfend ist.

Worum geht es?

Etan Grien ist Neurochirurg. Er lebt glücklich und zufrieden mit seiner Frau, einer Polizeikommissarin, und seinen beiden Söhnen in Beer – Scheva. Die Familie bewohnt eine geräumige Villa. Nur die warmen Winde und der Wüstensand bereiten zuweilen Beschwerden. Etan Grien ist ein aufrechter Mann, den man aus Tel Aviv in das hiesige Krankenhaus versetzt hat, weil er allzu rebellisch gegen die Korruption seiner Vorgesetzten vorgegangen ist.

Vom Krankenhaus auf einer abendlichen Fahrt nach Hause fährt er einen illegal hier lebenden Eritreer an. Panik ergreift ihn, als er feststellen muss, dass der Mann tot ist. Was tun? In einer konfusen Reaktion beschließt er, seine Fahrt ohne weitere Rücksichten fortzusetzen. Sein glückliches Familienleben und sein zufriedenes Dasein wären seiner Meinung nach andernfalls abrupt zu Ende. Doch was folgt, ist schlimmer, als er es sich vorstellen konnte. Die Frau des Toten erpresst ihn, sich um andere illegale Flüchtlinge zu kümmern. Fortan muss er ein Doppelleben führen zwischen nächtlichen Behandlungen der kranken und verletzten Flüchtlinge und dem Tagesbetrieb im Krankenhaus seines Alltags. In der Wüste arbeitet er unter schlimmsten Bedingungen in einer alten Werkstatt.

Man wird unweigerlich in den Sog dieser tragischen Geschichte hineingezogen. Wie wird Etan sich aus der Affäre ziehen? Wie lange wird er dieses Leben aufrechterhalten können? Seine seelischen Qualen sind unübersehbar.

Die Autorin Ayelet Gundar-Goshen ist von einer begnadeten psychologischen Weitsicht. Sie lässt ihre Protagonistin Liat, Frau von Etan, sehr genau die Stimmungen und Gefühle ihres jeweiligen Gegenübers erkennen. Liat muss aufpassen, dass man ihr nicht anmerkt, wie sie zu einer ungewollten Beschauerin des Innenlebens anderer wird. „Eine vertrackte Angelegenheit, dieses Sehen. Denn wie groß und stark fühlt sie sich, wenn sie so in den Menschen stöbert, unbemerkt, ohne Durchsuchungsbeschluss.“

Mühelos versteht sie zu unterscheiden zwischen „Distanz aus Unsicherheit und Distanz aus Arroganz, zwischen künstlicher und ruhiger Gelassenheit, zwischen gesundem Flirt und echter Verführung…..“

In diesen Passagen zeigt sich die hervorragende Fähigkeit der Autorin, psychologische Vielfalt im Dunst des alltäglichen Lebens zu beschreiben. Doch Liat rätselt unermüdlich darüber, wie sie das unerklärliche Benehmen, die Unruhe und Veränderungen im Wesen ihre Mannes, mit dem sie sich bis dahin einig fühlte, verstehen soll. Misstrauen und Verdächtigungen versetzen sie in ein unerträgliches Wechselbad der Gefühle.

Gundar-Goshen baut ihren Roman zu einem gewaltigen Epos auf, in dem es um illegale Einwanderer in Israel geht und darum, wie es um die inneren Gefühle der sich nahe stehenden Menschen steht.

Spannend und subtil führt sie ihren Roman zu Ende, der keine Wünsche offen lässt: teils Krimi, teils Familiengeschichte und teils erfahrbare Verführungen, die das Fremdsein und die geheimnisvollen Verhaltensweisen einiger Protagonisten umgibt. Was zunächst wie ein einfacher Familienroman beginnt, wächst sich zuletzt zu einem gelungenen und sehr lesenswerten Thriller aus.

Ayelet Gundar-Goshen
Löwen wecken
432 Seiten, gebunden
Kein & Aber, Februar 2015
ISBN-10: 3036957146
ISBN-13: 978-3036957142
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Zeruya Shalev: Für den Rest des Lebens

Zeruya Shalev: Für den Rest des Lebens

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Lebensbilanzen!

Auf der Krankenstation eines Krankenhauses in Israel liegt Chemda Horowitz. Sie ist alt und hängt halb bewusstlos ihren wirren Erinnerungen nach. Ihr Sohn Avner ist bei ihr, und Tochter Dina kommt später dazu.
Wie ist ihr Leben verlaufen? Hat sie gut genug gelebt, oder gab es schwere Versäumnisse?

Ihre beiden Kinder sind ebenso wie ihre Mutter befangen in ihren Träumen, ihrem Wüten gegen bestimmte Lebensumstände oder den Enttäuschungen, die ihr Leben beschädigt haben.

Avner beobachtet auf der  Krankenstation eine Frau, die ihren sterbenskranken Mann begleitet und ergeht sich in Fantasien um diese Frau. Dina hadert in Gedanken mit ihrem Schicksal, das ihr von Zwillingen nach dem Tod des einen nur die Tochter ließ. Jeder der Protagonisten trägt ein Schicksal, das keine hoffnungsfrohen Zukunftsperspektiven zulässt.

Avner kommt mit seiner Frau nicht gut aus und kann den älteren seiner Söhne nicht lieben, den kleineren der beiden dafür umso mehr. Seine Schwester Dina hat eine Tochter, die sie abgöttisch liebt, die aber seit ihrer Pubertät eigener Wege geht. Dina  sehnt sich in ihre jüngeren Jahre zurück und denkt daran, ein Kind zu adoptieren. Doch ihr Mann Gideon will davon nichts wissen.

Auch Chamda plagt sich auf ihrem Krankenlager mit Gedanken um ihre Kinder. Wie sehr sie Avner geliebt hat und wie gering ihre Zuneigung zu Dina war.

Viele Fragen tun sich auf. Doch gibt es nur sparsame Antworten darauf.

Zeruya Shalev schreibt in einem Stil, der an Träume erinnert und wechselnde Stimmungen heraufbeschwört. Dina und Avner lassen ihre Gedanken zwischen Vergangenheit und Gegenwart hin und her wandern und betrachten diese oder jene Seite des Lebens; zufrieden sind sie beide nicht. Es ist ein wenig mühselig, diesem Auf und Ab der Gedanken, die in den Alltagsablauf eingebettet sind, zu folgen. Im Fokus der Erzählung steht die Liebe zwischen Eltern, Kindern, Geschwistern und Ehepartnern. Hat man den Kindern genug mit gegeben? Oder haben sie Anerkennung und Ermutigung vermisst?

Israel mit seinen geographischen Besonderheiten, der steten Kriegsbedrohung und dem Kibbuz als Lebensform berühren das Leben tief. Avner fühlt sich z. B. als Anwalt mit der Verteidigung des Sohnes von seinem palästinensischen Freund überfordert. Viele Themen, die das Leben in Israel erschweren, werden am Rande gestreift . Doch geht es in dem neuen Roman von Zeruya Shalev um die Liebe und familiäre Bindungen. In langen Reflexionen der Protagonisten nimmt man an ihrem Leben teil und erlebt die Ängste, Frustrationen und Enttäuschungen hautnah mit. Man kann sich des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass sich die Autorin in ihrem Stil an David Grossmann anlehnt.

Angenehme Perspektiven sind rar und gute Lösungen für zahlreiche der angedeuteten Fragen gibt es nicht.  Insofern ist der Roman leicht irritierend in seiner Erzählweise um das Hin und Her von Raum und verbleibender Lebenszeit. Man darf aber hoffen, dass am Ende noch alles gut wird!

Zeruya Shalev
Für den Rest des Lebens
500 Seiten, gebunden
Berlin Verlag
ISBN-10: 3827009898
ISBN-13: 978-3827009890
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Leon de Winter: Das Recht auf Rückkehr

Leon de Winter: Das Recht auf Rückkehr

Thriller um Religionskrieg zwischen Judentum und Islamisten.

Wieder einmal geht es Leon de Winter um eine Geschichte, die Israel und seine politische Lage in einen Thriller von ungeheurer Spannung mit einbezieht.

Bram Mannheim betreibt im Jahre 2024 eine Agentur zum Aufspüren verschwundener Kinder. Vor Jahren war er Hochschulprofessor in Princeton und mit einer sehr geliebten Frau und einem ebenso geliebten Sohn gesegnet.

Das unerklärliche und katastrophale Verschwinden seines kleinen Sohnes kurz nach dem Erwerb eines schönen alten Hauses in der Nähe von Princeton hat sein Leben aus der Bahn geworfen. Zwanzig Jahre ist das jetzt schon her! Er irrte zunächst mit verrückten Zahlenkombinationen durch das Land, immer auf der Suche nach seinem verschwundenen Sohn. Seine Ehe war längst zerbrochen, bis er in Israel bei seinem Vater eine neue Bleibe fand und sich mit einer anders gearteten schwierigen Aufgabe befasste, in der sich sein eigenes Schicksal spiegelt.

Atmosphärisch geschickt baut Leon de Winter seine Geschichte auf.
Als gut situierter Professor mit Frau und Kind und als Sohn eines hoch begabten Nobelpreisträgers der Biochemie gewährleisten die wissenschaftlichen Karrieren beider Männer die Zugehörigkeit zu einer angesehenen Schicht.

Brams Frau Rachel ist begabt und bildschön. Beide leben nach der Geburt von Ben in einer erotisch prickelnden Beziehung.
Unversehens und unheimlich bricht das unerklärliche Verschwinden von Ben den Glückszustand und Bram stürzt ab.
Die Geschichte seines Absturzes und die jahrelange Suche nach Ben bilden den eigentlichen Plot der Geschichte.
Dramatisch und hautnah erlebt man Bram auf seiner Irrfahrt durch sein weiteres Leben, das zeitweise von Irrwitz und Wahn bestimmt zu sein scheint. Die Verzweiflung, der Jammer und die seelische Verkümmerung eines Menschen nach einem unerträglichen Schicksalsschlag geben der Geschichte eine menschliche Seite und eine Spannung, die den Leser ganz in seinen Sog nimmt. Unerträglich erscheint das Leid, und der Mann gerät ganz aus dem Gleichgewicht.

Schließlich hat er sich fast schon in sein Schicksal und die neue Aufgabe ergeben, als sich eine annähernd märchenhafte und irrwitzige Lösung anbahnt.
Weltumspannend sind die Verwicklungen, und der Islam und das Judentum begegnen sich in einem dramatischen Verwirrspiel. Die zahlreichen Abirrungen, die väterliche Berühmtheit und eine neue Liebe versprechen die Auflösung eines Thrillers, der an Spannung nichts zu wünschen übrig lässt.

Leon de Winter
Das Recht auf Rückkehr
Gebundene Ausgabe: 549 Seiten
Verlag: Diogenes
ISBN-10: 325706733X
ISBN-13: 978-3257067330