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Schlagwort: Lebensbilder

Brit Bennett: Die verschwindende Hälfte

Brit Bennett: Die verschwindende Hälfte

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Brit Bennett hat einen Roman von kraftvoller Intensität geschrieben.

Es geht um ein Familienepos, Schwierigkeiten verschiedener Ethnien im Zusammenleben und um eine Gemeinde, die sich von der übrigen Welt isoliert hat. Rassismus spielt die tragende Rolle in dieser Familiengeschichte.

Zwillingsschwestern, die als Schwarze geboren wurden, bilden den Plot der Handlung. Sie haben wie alle in ihrem Dorf eine helle Haut, die sie zu Weißen machen könnte.
Mallard in Louisiana heißt der Ort, in den sie hineingeboren wurden. Gegründet wurde das Dorf von einem ehemaligen Sklaven.
Der Vater von Desiree und Stella wird von Weißen ermordet. Ihre Mutter schlägt sich als Putzhilfe mit ihren Töchtern tapfer durch. Die Mädchen müssen helfen, indem sie ebenfalls als Haushaltshilfen arbeiten.

Eines Tages sind die sie weg. Niemand weiß, wohin sie gegangen sind.
Sie nehmen ihr Schicksal selbst in die Hand, verlieren sich aber später ganz aus den Augen.
Desiree heiratet einen ganz schwarzen Mann und bekommt ein ganz schwarzes Kind.
Stella ist weg und wird erst spät im Roman wiederauftauchen.

Desiree kehrt eines Tages nach Misshandlungen durch ihren schwarzen Mann nach Mallard zurück.
Ihre schwarze Tochter June fühlt sich in Mallard als Außenseiterin. Sie wird gehänselt und gemobbt, bis sie über den Sport den Sprung an eine Universität schafft.
Nun ist es plötzlich ihre Geschichte, die den Plot stellt.

Jede der Schwestern lebt nun in einer eigenen Welt, die nichts mit der Welt der jeweils anderen zu tun hat. Dass Stella ihr Leben auf den Kopf stellt, indem sie sich als Weiße verlobt, verheiratet und ihr „Schwarzsein“ fortan als ihr ganz tief verborgenes Geheimnis wahrt, lässt sie sehr einsam werden. Sie lebt ein Leben voller Lug und Trug und befindet sich ständig im Zustand innerer Zerrissenheit.
Auch Stella hat eine Tochter, die wie June eine tragende Rolle in diesem Familiendrama übernimmt.

Brit Bennett schreibt in einen einnehmenden Stil, mit dem sie treffsicher Situationsbeschreibungen wiedergibt und ganz tief in die Geschicke ihrer Figuren eintaucht.
Sie hat sich eines großen Themas angenommen: es geht um Rassentrennung, leben in Armut und Reichtum, Identitätssuche und Verlust des eigenen Ichs.

Der Roman führt uns zu den Abgründen des Menschseins. Die Doppelbelastung, schwarz und weiß zu sein, wirft eine Fülle von Fragen auf, die einmal mehr die Konflikthaftigkeit von getrennten Ethnien im Zusammenleben beleuchten.
Brit Bennett vermittelt uns die Wahrheit: dass niemand frei von Vorurteilen gegenüber dem „Andersartigen“ ist.

Ein mitreißender und wunderbar poetisch gestalteter Rahmen gibt dem Roman Tiefe und lässt wirklich an Toni Morrison denken, die eine der ganz Großen in der amerikanischen Literaturszene war.

Brit Bennett
Die verschwinden Hälfte
416 Seiten, gegunden
ISBN-10: 3498001590
ISBN-13: 978-3498001599
Rowohlt Buchverlag, September 2020
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Hans Pleschinski: Ich war glücklich, ob es regnete oder nicht

Hans Pleschinski: Ich war glücklich, ob es regnete oder nicht

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Lebensrückblick in die Zeit der Romantik.

Hans Pleschinski hat sich der Erinnerungen von Else Sohn-Rethel aus den zu ihrer Zeit berühmten Malerfamilien Sohn-Rethel-Grahl angenommen.

Die Künstlerfamilie Sohn lebte ursprünglich in Düsseldorf.

Else Rethel (1853 -1933) entstammte der Familie Rethel und Grahl in Dresden. Alle genannten Familien waren weitverzweigt mit vielfältigen künstlerischen und verwandtschaftlichen Verbindungen, deren Aufzählung zuweilen das Fassungsvermögen des Lesers überschreitet. Es war ein christlich-deutsch-jüdisches Großbürgertum, in dem Else Rethel aufwuchs.

In Dresden bewohnte sie mit ihrer Mutter und den Großeltern eine von dem berühmten Architekten Semper erbaute Villa. Hier verlebte Else nach dem frühen Tod ihres Vaters ihre Kindheit und Jugend umgeben von der liebevollen Fürsorge ihrer Mutter und der Großeltern.

In ihren Erinnerungen werden Namen von Künstlern und Malern genannt, die alle zu ihrer Zeit Bedeutung hatten.

Erwähnt werden die Kriege unter Bismarck 1866 und 1870/71, an die sie sich noch erinnern kann.

Im Großen aber geht es in ihren Erinnerungen um das gesellige Leben der Zeit mit vielen auch immer wieder neuen Begegnungen; es geht um Feste wie Hochzeit, Taufe und Geburt und um häufige Einladungen nach München und Düsseldorf. Die Gärten und Villen der diversen Verwandten und Freunde werden eingehend und liebevoll beschrieben. Else Rethel ist ein fröhliches Kind, das den Umgang in den illustren Kreisen genießt und sich auf den anstehenden Bällen und Lustbarkeiten im Freien mit Freuden ergeht.

Sie heiratet noch sehr jung den Maler Carl Sohn aus Düsseldorf, mit dem sie eine überaus glückliche Ehe führte.

Maßgeblich sind im Buch die Erinnerungen an Künstler unterschiedlicher Stilrichtungen. Man verdiente vorwiegend als Porträtmaler gut, so dass man sich ein angenehmes gut bürgerliches Leben leisten konnte.

Die Industrialisierung mit den damit verbundenen Begleiterscheinungen in der Arbeitswelt brachten politische Veränderungen, die das gesellige Leben zunächst noch nicht berührten. Doch erstarkte nach der Deutschen Staatsgründung 1871 der Antisemitismus, der durch langjährige Assimilation der gebildeten Juden überwunden zu sein schien. Er ließ nichts Gutes für die Zukunft vermuten.

Doch noch befinden wir uns in der Zeit der Belle Époque, in der jüdisch-christliche Familien das öffentliche und private Leben mit gestalteten durch Förderung der Künste, Verwaltung der Banken (Oppenheim) und vielerlei Mäzenatentum.

Die fröhliche und sonnige Else Sohn–Rethel hat auf ganz eigene Weise in ihren Erinnerungen die Gründerjahre und das Leben ihrer Zeit verewigt. Sie beschreibt glücklich und froh ihre vielen Unternehmungen, die geselligen Vergnügungen und allerlei andere Kurzweil. Nebenbei gesagt war sie selbst als Sängerin erfolgreich und gefragt.

Man darf Hans Pleschinski, dem Herausgeber der Erinnerungen, dankbar sein. Er hat Zeitkommentare eingefügt, die zum Verständnis der Aufzeichnungen förderlich sind. Eröffnet die Lektüre doch noch einmal einen erhellenden Blick auf die zweite Hälfte des 19.Jahrhunderts. Unsere Aufmerksamkeit gilt einer Frau, die schon vor der eigentlichen Frauenemanzipation ein innerlich freies und ungebundenes Leben zu führen verstand.

Zahlreiche Bildtafeln bieten Einblicke in Leben und Werk der Künstler, die in den Erinnerungen von Else Sohn-Rethel eine Rolle spielen.

Das Buch ist für den künstlerisch interessierten Leser eine Quelle der Inspiration.

Hans Pleschinski
Ich war glücklich , ob es regnete oder nicht
56 Seiten, gebunden
H.Beck, Februar 2016
ISBN-10: 340669165X
ISBN-13: 978-3406691652
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Rachel Joyce: Der nie abgeschickte Liebesbrief an Harold Fry

Rachel Joyce: Der nie abgeschickte Liebesbrief an Harold Fry

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Liebesgeschichte aus besonderer Perspektive…

Der vorliegende Roman lässt keine Wünsche offen, was Unterhaltung und stilvolles Ambiente zu bieten hat. Worum geht es? Queenie Hennessy ist krank, so krank, dass sie bald sterben wird.

Sie begibt sich in ein Hospiz, wo sie ihre letzten Tage verbringen will. Da erreicht sie ein Brief von ihrem ehemaligen Kollegen Harold Fry, in dem er sie dringend auffordert, auf ihn zu warten! Doch er tritt seine Reise in den äußersten Norden Englands vom Süden her zu Fuss an. Wer weiß, ob er noch rechtzeitig bei Queenie eintreffen wird? Und warum will er sie unbedingt noch lebend sehen?

Queenie macht sich inzwischen an die Arbeit. Sie schreibt ihrer geheimen Liebe Harold einen langen Brief, in dem sie ihm verborgene Wahrheiten über sich selbst erzählen wird.

Queenie und Harold haben gemeinsam in einer Brauerei gearbeitet. Dabei sind sie sich näher gekommen. Doch Queenie ist die treibende Kraft der Liebe, die sie ihm nie offenbart hat. Harold ist verheiratet und hat einen Sohn, der keine ganz unbedeutende Rolle in dieser Geschichte spielt. Wie nicht anders zu erwarten breitet Queenie in ihrem Brief ihre Gedanken und Gefühle weit vor uns aus.

Begleitet von melancholischen und gelegentlich witzigen Beobachtungen berichtet sie über ihren Hospizalltag und über die Menschen, die dort, wie sie selbst, auf ihren Tod warten. Schließlich folgen in zahlreichen Einschüben Erinnerungen an das Verhältnis zwischen ihr und Harold. In ihren Aufzeichnungen holt sie alles hervor, was so lange in ihr geschlummert hat. Da ist von Schuld und Sühne ebenso die Rede wie von der gemeinsam verbrachten Arbeitszeit und ihrer stillen Zuneigung zu Harold.

Entstanden ist auf diese Weise ein Liebesroman ganz eigener Prägung. Unerwiderte Liebe, geheime Beobachtung des anderen und Zeiten des Glücks allein durch das Beisammensein machen den Roman zu einer stillen und zarten Liebesgeschichte. Rachel Joyce versteht es vorbildlich, Atmosphäre und Stimmungen auf leichte und poetische Weise einzufangen. Die Liebesgeschichte nimmt einen in ihrer rührenden Selbstlosigkeit und Verhaltenheit gefangen.

Rachel Joyce bietet keine harten Schnitte. Sie behält einen ruhigen und gemäßigten Gesprächsfluss bei. Der anheimelnde und gemütlich zu lesende Roman bietet Gelegenheit, sich bei der Lektüre entspannt zurückzulehnen und sich ganz den Bildern aus Natur, Träumerei und stiller Hoffnung und nicht zuletzt des Abschieds hinzugeben.

Rachel Joyce
Der nie abgeschickte Liebesbrief an Harold Fry
400 Seiten, gebunden
FISCHER Krüger, Oktober 2014
ISBN-10: 3810521981
ISBN-13: 978-3810521989
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David Foenkinos: Souvenirs

David Foenkinos: Souvenirs

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Vom Glück und Segen der Erinnerungen

Der neue Roman von David Foenkinos steckt voller Weisheit, Lebenseinsichten und Beobachtungen des sich wandelnden individuellen Lebens heute, wie man es sich ehrlicher nicht vorstellen kann.

Der Icherzähler und Enkel seiner Großeltern berichtet Details aus dem Leben seiner Vorfahren. Voller Achtung und zugleich entsetzter Erkenntnis bringt er zusammen mit dem Vater dessen Mutter, seine Großmutter, ins Altenheim. Emphatisch und tief berührt hat er zuvor schon den Tod seines Großvaters erlebt. Auch anlässlich der Pensionierung des Vaters fällt ihm auf, wie schnell ein Mensch in Vergessenheit gerät. Der Verlust von Ansehen und Würde ist eklatant. Zwischen belustigender und fast karikierender Blickschärfe sieht der Enkel, wie alles Leben vergeht und man als jüngerer Mensch in so fernen Welten von den Alten lebt, dass man fast nicht weiß, wie und worüber man mit diesen sprechen soll.

Klar und ehrlich blickt der Enkel in die Zukunft! Er sieht in das Wartezimmer des Todes, wie man das Altersheim auch bezeichnen kann. Und er bemerkt, wie sich alle Jüngeren dieser Wahrnehmung zu entziehen trachten. Er selber dümpelt als Nachtportier vor sich hin, ohne so recht zu wissen, wohin die Reise gehen soll, bis auch ihm die große Liebe begegnet. Mit dem Schreiben, das er sich vorgenommen hat, will es allerdings nicht so recht vorangehen.

David Foenkinos streift in seinem Roman aber nicht nur das Alter sondern auch Kindheit und Jugend, und eine erstaunliche Liebesgeschichte bahnt sich an. Mit Sätzen wie: „Es gab in dem Hotel einen weiblichen Gast, eine Russin, der die magische Schönheit russischer Frauen und der durchdringende Blick eines tragischen 800 Seitenromans zu eigen war“ kann der Autor ganze Romaninhalte zusammenfassen.

Durch ein markante Wende kann man noch einmal zurückschauen in die Kindheit der Großmutter und erfährt bis hin zum zweiten Weltkrieg von Ereignissen, die von seltenem Erinnerungswert sind. „Erinnerungen sind eine Art Hafen; und vielleicht sind sie das Einzige, was uns wirklich gehört.“ Diesen Satz zitiert David Foenkinos aus den Memoiren Mastroiannis, denn er passt auch zu diesen Erzählungen.

Überraschende Ereignisse geben dem Roman eine Spannung, die bis zur letzten Seite anhält.

Die Geschichte wird mit einer Art Komik und in schwankenden Gefühlswelten erzählt, die von großer Warmherzigkeit und ernsthaftem Verstehen zeugen.

Tiefenscharf, klug und einsichtig zeigt uns David Foenkinos, wie das Leben so spielt und welche unvorhersehbaren Wendungen das Leben nehmen kann. Melancholisch bis ehrlich und zuweilen fast hilflos wirken seine Einsichten.

„Souvenirs“ sind Erinnerungsstücke. Genauso liest sich der Roman: als Puzzle einer Vielzahl von Erinnerungsstücken, das eine ganze Familiengeschichte in Einzelteilen zum Vorschein bringt. Man liest die Geschichten mit sich steigernder Erwartung, Freude und aus dem eigenen täglichen Leben resultierendem Wiedererkennungswert.

Dieser Roman wird als Glanzlicht aus den Neuerscheinungen im kommenden Herbst herausragen.

David Foenkinos
Souvenirs
332 Seiten, broschiert
Beck, Juli 2012
ISBN-10: 340663947X
ISBN-13: 978-3406639470
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