Browsed by
Schlagwort: Schriftsteller

Arno Geiger: Das glückliche Geheimnis

Arno Geiger: Das glückliche Geheimnis

Dieses Buch direkt bei Amazon bestellen!
Diese autobiographische Erzählung beinhaltet auch für den Leser eine glückliche Erfahrung!

Arno Geiger berichtet von den Anfängen seines Vorhabens, ein Schriftsteller zu werden.
In Wien, wo er sich eine kleine Wohnung gemietet hat, um zu schreiben, fällt ihm in einer Straße eines Tages ein Karton mit abgestellten Büchern in die Hände. Er wird neugierig und fängt an, auf seinen Streifzügen durch die Stadt Papiercontainer nach Lesenswertem zu durchstöbern. Es wird fast zur Sucht, sich mit dem Abfall zu beschäftigen. Zusammen mit seiner Freundin K. verkaufen sie auf Flohmärkten Übriggebliebenes und machen dabei Gewinn.
Was mit seiner Freundin als skurrile Zweisamkeit beginnt, geht später in ein rechtes Chaos über. Sie streiten sich, verlieren sich und haben andere Beziehungen. Über allem steht die Suche von Arno Geiger nach dem Erfolg. Der lässt zuerst lange auf sich warten.

Arno Geiger hat eine unübertroffene Gabe, seine Geschichten nüchtern und bar aller Angeberei zu erzählen. Seine Worte klingen oft trocken; sie stecken voller Selbstironie und kritischen Selbsteinsichten. Fast grenzt die Geschichte an eine Selbstentblößung, die jedoch von stillem Humor und gelegentlicher Drolligkeit geprägt ist.

Sein stetes Wollen steht in seinen Anfängen als Schriftsteller im Kontrast zu dem, was er zustande bringt. Er schreibt des Nachts am Küchenfensterbrett und kann sich über Stunden mit Wörtern plagen, die nicht so sind, wie er sie haben möchte. Ab und zu spricht er von einem „depressiven Intermezzo“, in dem er sich befindet, wenn er sich nicht vorstellen kann, wie die Zukunft für ihn aussehen wird.
Aber das Wunder geschieht: er erhält 2005 nach langen Jahren für seinen ersten geglückten Roman den deutschen Buchpreis!

Mit sensiblem Blick und wachen Geist beobachtet Geiger seinen eigenen Aufstieg, und er berichtet natürlich auch von seinem steten Wechsel vom erfolgreichen Schriftsteller zu seinem geheimen Glück, dem Lumpensammlerleben. Seine lieb gewordenen Streifzüge durch den Wiener Papierabfall gibt er beileibe nicht auf! Da kann man dann Bilder finden, in denen er sich ausmalt, wie Paparazzi ihn mit aus der Mülltonne herausragenden Beinen finden könnten. Wilhelm Busch lässt grüßen! Die Fähigkeit zur Reflexion aller an sich beobachteten skurrilen Anwandlungen ist unübertroffen und zeugt von seinem hervorragenden Erkenntnisvermögen, das eine gewisse Distanz zu sich selber ahnen lässt.

Ich, die Leserin, kann mich von den Sätzen und Worten und den alles hinterfragenden Gedanken nicht lösen. Seine Ehrlichkeit und auch die Zärtlichkeit, die er seinen alternden und kranken Eltern entgegenbringt, rühren ans Herz! Es geschehen immer wieder Ereignisse, die den Leser schmunzeln lassen. Auch ist man fasziniert von seiner Fähigkeit, Frauen zu finden, die ihm in ihrem Autonomiestreben in nichts nachstehen.

Arno Geiger ist ein passionierter Schreiber, der sein Publikum zu fesseln weiß. Eine vergleichbare Offenheit, ungekünstelt im wahrsten Sinne des Wortes, kenne ich nicht.
Ein Gewinn für alle, die das wahre Leben in der Literatur gespiegelt finden möchten!

Arno Geiger
Das glückliche Geheimnis
241 Seiten, gebunden
Carl Hanser Verlag, Januar 2023
ISBN-10: 3446276173
ISBN-13: 978-3446276178
-> Dieses Buch jetzt bei Amazon bestellen

Hans Pleschinski: Königsallee

Hans Pleschinski: Königsallee

Dieses Buch direkt bei Amazon bestellen!
Lebensbilder aus einer fernen Vergangenheit.

Mit prickelnder Eleganz beschreibt Hans Pleschinski das Wiedersehen alter Freunde  in dem großbürgerlichen Hotel Breidenbacher Hof in Düsseldorf. Hier treffen die Künstler Thomas Mann und Hans Heuser im Jahr 1954 zusammen. Das Leben in Deutschland beginnt sich gerade neu zu konstituieren, denn überall sind die Überreste des verheerenden Zweiten Weltkriegs noch zu sehen.

Das erste Zusammentreffen der beiden Künstler datiert aus dem Jahr 1927, als Thomas Mann hingerissen von dem schönen jungen Mann seine Augen nicht von ihm lassen konnte. In dem  Roman „Der junge Joseph“ hat Thomas Mann ihm ein Denkmal gesetzt. Doch wie wird das heutige Treffen verlaufen?

Klaus und Erika Mann, Katia und die berühmte Familie bestimmen den Erzählteil, in dem es auch um die Nachkriegsjahre geht und das Leben der Menschen, die einen Neuanfang wagen. Erika ist eifrig bemüht, das Zusammentreffen des ehemaligen Jünglings Klaus Heuser mit ihrem Vater zu verhindern.

In einem recht trockenen Stil wird hier das Nachkriegsleben noch einmal herbei gezaubert. Golo Mann, der Dichter George und zahlreiche Zeitgenossen spielen eine Rolle beim Eintauchen in die Atmosphäre des Jahres 1954.

Hans Pleschinski bevorzugt eine Erzählweise, die zwischen Traum und Wirklichkeit und zwischen Fiktion und realen Begebenheiten pendelt. Man muss sich einlesen, um zu begreifen, dass hier ein berühmter Dichter, Nobelpreiträger dazu, in das Deutschland heimkehrt, aus dem er einst verjagt wurde. Er will aus seinem Roman „Felix Krull“ lesen, doch der betagte Schriftsteller hat Stimmprobleme. Erika wundert sich über die zeitgleiche Anwesenheit des ehemaligen Liebesobjekts ihres Vaters Heuser im selben Hotel hier und heute. Was will er hier in Deutschland? Heuser ist mit seinem farbigen Freund, Anwar, einem Indonesier, unterwegs. Als Erika ihn begrüßt, meint man ihre rauchige, heisere Stimme zu hören. Sie spielt auf die Vergangenheit an: ihren Aufbruch mit Bruder Klaus nach Amerika. Klaus ist ja längst tot, gestorben an Lebensüberdruss und einer Sucht, von der er nicht lassen konnte. So begegnen einem Streiflichter aus dem Leben aller Protagonisten, teils dem echten Leben entlehnt, und teils der phantasievollen Ausmalung des Autors zu verdanken.

Man liest das Buch mit Vergnügen und Interesse.

Hans Pleschinski
Königsallee
393 Seiten, gebunden
Beck, Juli 2013
ISBN-10: 3406653871
ISBN-13: 978-3406653872
-> Dieses Buch jetzt bei Amazon bestellen

Mathias Nolte: Miss Bohemia

Mathias Nolte: Miss Bohemia

Dieses Buch direkt bei Amazon bestellen!
Lukas Moskowicz liest es, in einer Bar sitzend, in der „New York Times“. Sein Schriftstellerkollege Philipp Bach ist tot. Vielleicht war es Selbstmord oder auch der Alkohol. Man weiß es nicht. Der Autor war kein Freund von Lukas, auch wenn beide sich oft begegnet sind. Auf dem Foto in der Zeitung entdeckt er Tara. Dass sie zur Trauergesellschaft gehörte, überrascht ihn. Und es weckt Erinnerungen. Bach brachte sie damals mit, als er Lukas mit einem Besuch auf Big Pine Key überfiel. Lukas war sofort fasziniert von der jungen, lebenslustigen und vor allem unkonventionellen und schamlosen Frau. Sie wurde auch seine Geliebte, weil sie es wollte. Eine Wahl hat sie ihm nicht gelassen.

Lukas setzt sich mit der Verfasserin des Artikels in Verbindung. Gretchen Rappaport kannte Bach gut. Sie war sogar eine Zeit mit ihm zusammen gewesen. Sie weiß alles über ihn. Im Gegensatz zu Lukas, der Bach als Autor für nur mäßig erfolgreich hält, wobei dessen Buch „Miss Bohemia“ ihn sehr beeindruckt hat. Die Heldin des Buches erinnert ihn an Tara.
Lukas möchte das Rätsel lösen, das Bach ihm mit seinem mysteriösen Tod aufgegeben hat. Dass es Geheimnisse gibt, ist offensichtlich. Und Tara weiß darüber Bescheid. Sie arbeitet in Berlin an einem Buch, dessen Ursprünge für Lukas im Dunkeln liegen.

Es ist faszinierend zu lesen, wie es einer jungen Frau gelingt, Macht über gleich zwei Männer auszuüben und sie zu manipulieren. Mit ihren Lügen reißt sie rücksichtslos alles nieder. Mit der Trennung, allerdings von Tara erzwungen, gewinnt Lukas sein Leben zurück. Aber nur, bis er ihr wieder begegnet. Dies alles ist beeindruckend erzählt. Die Geschichte ist ausgefeilt bis ins letzte Detail. Dabei sind die Figuren perfekt ausgearbeitet. Lebendige Schauplätze bieten einen guten Rahmen.

Die Macht der Erinnerungen, um die sich alles dreht, spielt eine große Rolle. Begegnungen sind es, die alles auf den Kopf stellen können. Lukas Moskowicz bekommt das zu spüren. Man könnte sagen, er rennt sehenden Auges ins Messer, weil für ihn kein Weg an Tara vorbeizuführend scheint. Dieser ganze Zwiespalt ist sehr gut nachvollziehbar dargestellt. Dem Autor ist nicht Zwischenmenschliches fremd. Man ist sehr gespannt, wie das am Ende aufgelöst wird. Hier überrascht der Autor noch einmal.

Rezension von Heike Rau

Mathias Nolte
Miss Bohemia
288 Seiten, gebunden
Deuticke Verlag
ISBN-10: 3552062106
ISBN-13: 978-3552062108
-> Dieses Buch jetzt bei Amazon bestellen

Emmanuel Carrére: Limonow

Emmanuel Carrére: Limonow

Dieses Buch direkt bei Amazon bestellen!
Russland der letzten achtzig Jahre war unter Stalin von krassen politischen Unwägbarkeiten gezeichnet und zeigte nach seinem Tod politische Umbrüche, die immense Anforderungen an alle jene stellten, die in dem System überleben wollten.

Eduard Sawenko war einer dieser Lebenskünstler. Er wurde 1942 geboren. Als Sohn eines KGB Offiziers und einer Historikerin  wuchs er in der ukrainischen Stadt Charkow auf. Aus dem eher verschreckten und ängstlichen Kind wurde ein Heranwachsender, den seine eigene Unbedeutendheit kränkte, so dass er sich früh in Künstlerkreise Eingang verschaffte. Aus einer Laune heraus wechseln die Mitglieder dieser Künstlergemeinschaft eines Tages ihre Namen. Eduard nennt sich beziehungsreich Ed Limonow in Anlehnung an Zitrone und Handgranate. Er lebte seit Mitte der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts in Moskau, wo er sich als Arbeiter und Schneider verdingte. Erst später entdeckte er seine schriftstellerischen Fähigkeiten.

Mit feinem Gespür für die jeweiligen turbulenten politischen Absurditäten im Sowjetsystem weiß Limonow die Gunst der Stunde für sich zu nutzen. Von Charkow und einer eher unansehnlichen Geliebten, mit der er es immerhin sieben Jahre lang ausgehalten hat, findet er in Moskau die richtigen Leute und ergeht sich in einer neuen Liebe, während er die alte nach Charkow abschiebt. Immer auf der Suche nach Abenteuern findet er Menschen, die ihm bei seiner Suche behilflich sind. 1974 wurde er aus Russland ausgewiesen und lebte fortan in New York. Von dort geht es über Frankreich nach der Perestroika zurück nach Russland.

Emmanuel  Carrére ist ein begabter Erzähler, der hier als Icherzähler fungiert. Limonow ist sein kumpelhaftes Gegenüber. Mit seinen kritischen Anmerkungen versehen erlebt man das zerrissene Russland mit den nach Stalins Tod wechselnden politischen Systemen, der Korruption, dem Beziehungsklüngel und der Fantasiewelt, in die sich der eine oder andere flüchtet. Limonow schlägt sich wacker durch, immer auf der richtigen Seite und doch auch gegen sie. Seine politische Haltung wechselte von links bis rechts. Mehrfach saß er im Gefängnis und kämpfte in Jugoslawienkrieg auf der Seite des Kriegsverbrechers Karadzic. Überall lebte er sein vitales und an Abenteuern und verrücktem Liebesleben reiches Dasein.

Sehr konzentriert geht Carrére seine Romanbiographie über den wirklichen Limonow an. Er kennt die Namen einflussreicher Künstler und die Mitglieder dieser Gesellschaft aus Hasardeuren, Angebern, Erfolgreichen und Verfolgten. Man taucht tief ein in das russische Gesellschaftssystem, das zwischen Verfolgung und Bewunderung für den rasanten Lebenskünstler Limonow mit seinen wilden Exzesse und Allüren schwankt.

Carrére endet seine Romanbiographie über Limonow mit der Vision eines friedlichen Lebens mit sicherer Rente und Wohlleben für den aufrührerischen Dichter. Dieser jedoch zöge wohl eher das anonyme, entbehrungsreiche Leben in Zentralasien einem friedlichen Leben in einem schönen Park vor.

Carrére behandelt eine Vielzahl von Erlebnissen, rasanten Perspektivwechseln und immer neuen Lebenseinsichten des russischen Dichters. Man steht verwirrt und ratlos vor dieser Romanbiographie mit überreichen Eindrücken. Ein großartiges und wildes Leben hat in Emmanuel Carrére seinen ausgezeichneten Biographen gefunden.

Emmanuel Carrére
Limonow
414 Seiten, gebunden
Matthes & Seitz, August 2012
ISBN-10: 3882219955
ISBN-13: 978-3882219951
-> Dieses Buch jetzt bei Amazon bestellen

Dan Simmons: Drood

Dan Simmons: Drood

Dieses Buch direkt bei Amazon bestellen!
Am 9. Juni 1865 geschieht das Zugunglück. Charles Dickens und seine Reisegefährtinnen überleben, während viele andere sterben. Fortan hat Dickens bei jeder Zugfahrt Probleme, seine Angst im Zaum zu halten. Und noch etwas setzt ihm zu: Die seltsame Gestalt im schwarzen Umhang, der er an der Unfallstelle begegnet ist. Man könnte den Mann für den Tod selbst halten, auch wenn Dickens ihn lieber für einen Leichenbestatter hält.
Willkie Collins erlebt Dickens nach dem Unglück vom Staplehurst erschreckend gealtert. Dickens hat sogar die Stimme eines anderen. Damit erzählt er ihm von dem merkwürdigen Mann, genannt Drood. Dickens will Drood aufspüren und seine Geschichte erfahren. Der Schriftsteller glaubt, hier den Stoff für eine Geschichte zu finden. Er spannt den ehemaligen Inspector Field für seine Zwecke ein, der ihm Detective Hatchery zur Verfügung stellt. Beide sind in Rente, bzw. beurlaubt von der Polizeiarbeit und arbeiten als Privatermittler.
Drood muss als blinder Passagier unterwegs gewesen sein. Alles deutet darauf hin, dass er in einem Sarg mit dem Zug gereist ist. Die Spuren führen in die Unterstadt. Und so steigen Dickens, Collins und Hatchery hinab in die Katakomben. Collins, dem die Zustände im unterirdischen London ungemein zusetzen, bleibt schließlich zurück, während Dickens seine Spurensuche fortsetzt. Er kommt tatsächlich mit einer Geschichte zurück, die er weiterverfolgen und später niederschreiben, aber nie vollenden wird und die auch Collins Leben fortan beschäftigen soll.

Collins erzählt die Geschichte aus seiner Sicht. Er hält sich für einen brillanten Autor, auch wenn er sicher nicht an Dickens heranreicht, der sein Freund und Mentor ist. Und doch sind die beiden auch Konkurrenten, was im Verlauf der Geschichte immer mehr zum Tragen kommt. Collins kommt im Grunde mit dem normalen Leben schon nicht klar. Er meistert den Alltag nur mit Laudanum, von dem er immer größere Mengen braucht. Es beflügelt auch seine Fantasie. Die Geschichte Droods setzt ihm immer mehr zu, er ist besessen davon. Und Dickens fördert dies noch, statt seinen Freund hier zu bremsen.

Das Buch ist über mehrere hundert Seiten ausgesprochen spannend. Es ist das Mysteriöse, was fesselt. Die Handlung erscheint perfekt geführt. Doch später weiß man nicht mehr, woran man ist. Wahrheit und Fantasie, aus dem Laudanum-Rausch heraus entstanden, vermischen sich immer mehr. Collins wird zu einem Erzähler, den man nicht mehr ernst nehmen kann. So ist es Dan Simmons auch nicht gelungen, für ein zufriedenstellendes Ende des Buches zu sorgen, auch wenn das Geheimnis um Edwin Drodd gelüftet scheint. Ob in Charles Dickens Sinne, sei dahingestellt.

Der Schreibstil des Autors gefällt gut. Er ist vom Bemühen um ausgesuchte Höflichkeit, selbst in haltlosen Situationen zu wahren, geprägt. Unter Gentlemen dieser Zeit war das so üblich und kommt besonders in den Dialogen zur Geltung. Allerdings bremsen lange Schachtelsätze, der sehr ausschweifend erzählten Geschichte, den Lesefluss ein wenig.
Das Handlung begeistert also schon. Und wenn die Geschichte im letzten Drittel des Buches einen anderen Verlauf genommen hätte, könnte man es uneingeschränkt weiterempfehlen. So aber, wird es nicht jedermanns Sache sein.

Rezension von Heike Rau

Dan Simmons
Drood
Übersetzt von Friedrich Mader
976 Seiten, gebunden
Wilhelm Heyne Verlag
ISBN-10: 345326598X
ISBN-13: 978-3453265981