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Schlagwort: Selbstzweifel

Benedict Wells: Hard Land

Benedict Wells: Hard Land

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Benedict Wells hat einen Coming-of-Age Roman geschrieben. Er kann das, wie er schon in seinem Roman „Vom Ende der Einsamkeit“ bewiesen hat.

Ein Junge von 16 Jahren lebt in einer kleinen Stadt in Missouri. Sam, so heißt unser Held, ist der Icherzähler in diesem Roman. Es geht ihm nicht gut, denn seine Mutter ist schwer krank, und er lebt ein Eigenleben ohne Kontakte zu anderen Jugendlichen und Mitschülern. Seine Eltern würden ihn gerne in den Sommerferien zu Verwandten schicken, um ihm die freie Zeit zu erleichtern. Doch er zieht den Job in einem Kino vor. Dort lernt er einige ältere Jungen und Mädchen kennen und schließt sich ihnen an. Ein vielversprechendes Abenteuer beginnt.

Er lernt Filme, einschlägige Schlager und Kraftausdrücke kennen. Vor allem aber lernt er Kirstie und ihre Freunde kennen und darf schon mal mit ihnen Alkohol trinken und die erste Zigarette rauchen.

Als er eines Tages spät abends auf einem Friedhof in der Nähe seines Elternhauses sitzt, denkt er daran, wie wenig ihn sein Vater versteht. Er fürchtet seinen Zorn und seine Kälte. Von weitem sieht er Kirstie kommen. In seiner schüchternen Art ist er ihr mehr als zugeneigt. Sie erfährt seine Geschichte und hört ihm aufmerksam zu. Kristie hört auch von seiner älteren Schwester, die nicht mehr zu Hause lebt, studiert und ihm so fremd ist. Am meisten bedrückt ihn die Angst um seine Mutter. Sie ist unterschwellig immer da, und er fürchtet, dass er sie verlieren wird.

Tief in seinem Inneren ist er ein einsamer und trauriger Junge, der seinen Weg sucht.

Benedict Wells versteht traurige junge Menschen. Er kann sich in sie einfühlen und gibt ihnen eine Stimme. Trauer, Tod und Verlust zeigen die eine Seite des Erwachsenwerdens. Die andere besteht in den Begegnungen mit Freunden. Sam erlebt herrliche Abende, in denen die Jungs und Kirstie Unternehmungen starten, die ihn in ihre Welt mitreißen. Er erlebt Momente großen Glücks in ihrem Kreis.

Benedict Wells schildert Sam als einen nachdenklichen und reflektierten Burschen. Er beobachtet alles mit wachem Sinnen und findet in Kirstie eine Gleichgesinnte. Sie sitzen häufiger am Abend oder in langen Nächten zusammen und denken über das Leben und ihre gemeinsamen Erfahrungen nach. Kirstie gilt seine stille Liebe. Er ist nicht selbstbewusst und fühlt sich körperlich und seelisch den anderen „Nachtgefährten“ unterlegen. Die Jungen und Mädchen, mit denen er sich befreundet hat, gehen bald schon aufs College, während er noch weitere Jahre zur Schulen gehen wird.

Wie Benedict Wells in die Welt der Heranwachsenden eintaucht, ihre ständigen Schwankungen und deren Stimmungen nacherzählt, das zeigt sein Können. Zarte Begegnungen wechseln mit solchen, in denen es um Selbstdarstellung geht, besinnliche Momente und Mutproben erscheinen neben denen, in denen die Selbstzweifel vorherrschen. Wells erfasst die ganze Tragweite einer unruhigen und vorwärtsstrebenden Jugend. Sam wird in seiner erwachenden Männlichkeit mit wechselnden Phasen beschrieben. Er und seine Freunde und Freundinnen blicken mit Neugier und gleichzeitig Zaudern in die Zukunft. Die innere Befindlichkeit ist noch gefangen bei den Eltern und zugleich auf dem Absprung aus deren Dunstkreis. Man erlebt mitreißend den Prozess des Aufbruchs. Besonders die nachdenklichen Phasen zwischen Mutter und Sohn und Kirstie und Sam rühren an das Herz des Lesers. In diesem Roman ereignet sich viel. Die tiefsinnigen Gedanken der Protagonisten zeugen von Mitgefühl, Verständnis bis Missverstehen und Versöhnung. Alles könnte so im wirklichen Leben spielen.

Der Roman bestrickt u.a. durch seine Themen Neugier, Aufbruch, Anteilnahme, Freundschaft und Abschied. Man kann ihn uneingeschränkt empfehlen.

Benedict Wells
Hard Land
Diogenes, Februar 2021
352 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3257071485
ISBN-13: 978-3257071481
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Herman Koch: Der Graben

Herman Koch: Der Graben

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Lebensschicksale…

Robert Walter ist ein getriebener Mann. Seine Lebenssituation sieht gut aus, denn er ist Bürgermeister von Amsterdam und verkehrt in illustren Kreisen. Doch gleich zu Beginn des Romans von Herman Koch merkt man, wie seinen Protagonisten Ängste und Sorgen umtreiben, die seiner Fantasie entsprungen zu sein scheinen. Ist seine Frau ihm treu? Was könnte sie, hier Sylvia genannt, mit den Dezernenten Hoogstraten gemein haben? Robert sieht sie flüstern und fantasiert sich Schreckliches zusammen.

Tochter Diana ist aus dem Haus, so dass er mit seiner Frau eine neue Basis finden müsste.

Öffentliche Empfänge und Begegnungen mit Obama und Hollande sind in Roberts Job an der Tagesordnung. In seinem Kopf mahlt es ohne Unterlass: er beobachtet, sinniert und argwöhnt überall Unheil. Jede Bemerkung und jede noch so kleine Beobachtung am Verhalten seiner Frau nähren den Verdacht, sie könnte ihn verlassen wollen.

Fast sieht er seine Ehe schon am Ende, und jede Geste, jede Erinnerung lösen neue ängstliche Gedanken in ihm aus.

Herman Koch versteht es wunderbar, den psychischen Nöten eines von Ängsten getriebenen Mannes nachzugehen. Man fühlt und ängstigt sich mit, möchte den armen Mann aber gleichzeitig befreien. Denn mit seinen Verdächtigungen macht er nach und nach seine Beziehungen kaputt. Niemand hält es aus, dauernd unter unbegründetem Verdacht zu stehen. Wie lange kann diese Ehe halten?

Geheimnisvoll und mit vagen Andeutungen erfährt man von einem möglichen Verbrechen, das er in seiner Jugend begangen haben soll. Aber nicht nur eine Journalistin ist ihm in dieser Angelegenheit auf den Fersen: auch er selbst sieht sich mit kritischem Blick. Die Eltern kündigen ihren Freitod aus Altersgründen an, und sein guter Freund Bernhard, ein herausausragender Physiker, berichtet von einer schweren Krankheit, die ihn ereilt hat, und infolgedessen er seinem möglichen vorzeitigen Ableben entgegensieht.

Niemand außer Robert Walter kommt wirklich zu Wort. Alle Ereignisse sind ganz auf ihn zentriert.

Ab einem gewissen Zeitpunkt fängt der Leser an, den armen Mann in seinem psychischen Elend zu bedauern. So viel Not auf einmal! Das ist nur schwer zu ertragen.

Hermann Koch hat seinen Protagonisten, der doch erfolgreicher Bürgermeister von Amsterdam ist, mit einem melancholischen Charakter und mit unheilvollen Visionen ausgestattet. Das Buch liest sich ein wenig schwerfällig, weil das viele Unheil die frohen Stunden und Erinnerungen zumeist überschattet.

Die Herkunft seiner Frau aus einem ungenannten südlichen Land mit andren Sitten und Gebräuchen bleibt verborgen. Warum dürfen wir das nicht wissen?

Das Ende kommt abrupt, so wie die einzelnen Kapitel auch in Zeitsprüngen stattfinden.

Da diese fast biographische Romanform flüssig abläuft, bleibt der Leser am Ball und kann sich ganz auf den Hauprotagonisten einlassen. Es bleibt der Blick auf eine tiefsinnige Geschichte, die aufzeigt, welche Irrtümer und Geheimnisse Lebensschicksale ausmachen können.

Herman Koch
Der Graben
304 Seiten, gebunden
Kiepenheuer & Witsch, Februar 2018 (15. Februar 2018)
ISBN-10: 3462050826
ISBN-13: 978-3462050820
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