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Otto de Kat: Freetown

Otto de Kat: Freetown

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Der Roman von Otto de Kat spielt in den Niederlanden.

Eines Tages erscheint Ishmael bei Maria. Er ist Zeitungsjunge, und sie interessiert sich von Beginn an für den schmalen, schwarzen Jungen. Er ist scheu fasst aber Zutrauen zu ihr.
Sie versucht ihm zu helfen, wenn er der Hilfe bedarf. Maria mag sich ihn gar nicht mehr wegdenken und entwickelt mütterliche Gefühle für ihn. Auf ihre Frage hin erfährt sie, dass er aus Sierra Leone und dort aus der Hauptstadt Freetown kommt.

Sieben Jahre hat sie Kontakt zu ihm. Dann ist er von einem Tag zum anderen verschwunden, und sie vermisst ihn sehr. In einer aufwendigen Suche möchte sie herausfinden, wo er geblieben ist.
Bei ihrem alten Freund Vincent, einem Psychotherapeuten, sucht sie Hilfe.
Nun bekommt der Roman von Otto de Kat eine ganz neue Wendung.

Der Leser*in wird damit konfrontiert, dass Maria und Vincent über längere Zeit eine intensive Liaison pflegten. Da waren sie beide verheiratet und hatten schon fast erwachsene Kinder.
Auch diese Beziehung endete sehr plötzlich. Beide konnten sich nie vergessen!
Der Leser*in wird auf eine Reise in die Vergangenheit der beiden hineingezogen.

Otto de Kat versteht es trefflich, seine Figuren in ihren jeweils unterschiedlichen Charakteren zu zeichnen. Im Hintergrund leben die Ehepartner der beiden, die wohl wenig bis gar nichts von Vincents und Marias Beziehung wissen. In kurzen Szenen kann man sich auch von ihnen ein Bild machen.

Es ist ein langes Versteckspiel, das sich ursprünglich um die Suche nach Ishmael drehte nun aber die Liebe von Maria und Vincent umkreist. Hoffnung, Verlust und Verzicht sind die Merkmale dieser Beziehung.

So geheimnisvoll sich Beziehungen zeigen: das Leben und die Liebe sind zuweilen unergründlich. Der Verlust einer Liebe prägt gelegentlich über Jahre das Leben zweier Menschen, die in ihren langjährigen Ehebeziehungen verhaftet sind.

In einer schönen Sentenz spricht Vincent davon, dass alle die Menschen, die zu ihm in Therapie kamen, sich letztlich nur eines wünschten:“ irgendwo zu Hause zu sein.“ ( S.117) So fühlten sich auch Maria und Vincent beieinander zu Hause!

Das Büchlein liest sich leicht. Es sind nur 166 Seiten, die aber inhaltsreich daherkommen.
Das überraschende Ende passt schlüssig in die ganze Erzählung.
Man kann den Roman uneingeschränkt empfehlen, weil sich hier wieder einmal zeigt, wohin die Wege des Menschen führen!

Otto de Kat
Freetown
168 Seiten, gebunden
Schoeffling, Februar 2019
ISBN-10: 3895615331
ISBN-13: 978-3895615337
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Michela Murgia: Chirú

Michela Murgia: Chirú

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Eleonore ist 38 Jahre alt, als sie dem Drängen des 18jährigen Musikstudenten Chirú nachgibt, seine Lehrerin zu werden.
Zwischen den beiden entsteht eine erotische, unterschwellige Spannung. In Sardinien, wo die Geschichte zunächst spielt, führt Eleonore den Studenten Chirú in einschlägige Künstlerkreise ein, und der Leser*in erfährt selber, wie es in diesen Kreisen zugeht.

Eleonore hat Freunde und ehemalige Geliebte, die sie auf ihrem Lebensweg begleiten, und mit denen sie in regem Austausch steht, auch in Fragen ihres eigenen Lebens.
Fabrizio, einer von ihnen, warnt sie vor den Folgen, sich mit so einem jungen Studenten abzugeben. Aber sie kann es nicht lassen.
In langen Passagen geht es um Begegnungen aller Art, immer wieder aber auch um die stete Annäherung Chirús an Eleonore. Beide sind voneinander fasziniert.
Sie nimmt ihn mit auf eine Reise nach Rom, wo sie ein Engagement hat. In Museen und beim Essen sehen sie sich und tauschen Gedanken aus. Der Zauber der wunderbaren Stadt lässt Nähe und Sehnsüchte bei den beiden aufkommen. Oh Jugendzeit, Du schöne Zeit! Eleonore spürt erste Zeichen des Älterwerdens, wenn sie auch eine schöne Frau zu sein scheint.

Chirú und Eleonore werden als Antipoden dargestellt. Jeder sucht etwas beim anderen, das man selber nicht hat. Zwei verlorene Seelen, die sich unter dem Deckmantel der Lehre begegnen und in Wahrheit Liebe und Anerkennung suchen. Eleonore bewegt sich wissend durch ihre Kreise und zeigt Chirú, wie man sich gut darstellt.

Richtig spannend wird die Geschichte, als Eleonore ein Engagement in Stockholm erhält. Chirú will nachkommen. Unerwartet trifft Eleonore einen schwedischen Dirigenten wieder, den sie schon in Cagliari einst getroffen hat. Nun wendet sich das Blatt, und die Geschichte endet geheimnisvoll.

Murgia versteht es wunderbar, einzelne Charaktere hervorzuheben. Es geht ihr dabei auch um Treue, Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit. Liebe kommt und vergeht und Dinge geschehen, die man nicht ändern kann. Die Frage nach Unrecht und Wahrhaftigkeit wird zuletzt zur Kernfrage der Geschichte. Ist der Mensch gut oder schlecht? Welche Folgen hat das Glück oder Unglück? Die Antwort bleibt die Autorin schuldig, denn Gefühle und Bedürfnisse wechseln, und die reine Wahrheit gibt es nicht. Aber schuldig wird der Mensch da, wo er Verletzungen auslöst, die nicht vermeidbar sind, wenn man seinen eigenen Weg gehen will. Ambivalenzen zeichnen zwischenmenschliche Beziehungen aus, so dass es immer wieder zu Missverstehen kommen kann. Das alles macht sie Erzählung zu einer faszinierenden Geschichte, die gut und schlüssig erzählt wird!

Michela Murgia
Chirú
Verlag Klaus Wagenbach, März 2017
206 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3803132878
ISBN-13: 978-3803132871
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Pierre Lemaitre: Drei Tage und ein Leben

Pierre Lemaitre: Drei Tage und ein Leben

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Pierre Lemaitre ist ein fein beobachtender Autor, der mit seinen Themen tief in das Leben seiner Protagonisten eindringt.

In dem kleinen Ort Beauval in Frankreich verschwindet kurz vor Weihnachten 1999 der sechsjähriger Rémi spurlos.

Niemand kann sich erklären, wo er geblieben ist.

Einer der Dorfbewohner ist 12 Jahre alt und heißt Antoine. Er hat sich im Wald ein Baumhaus gebaut. Dorthin begleitet ihn häufig der Hund vom Nachbarn Desmedt. Er ist der Vater von Rémi. Die anderen Kinder spielen mit dem Playmobil von Kevin. Antoines Mutter aber möchte, dass ihr Sohn weiter in der Natur und im Wald spielt. So fühlt er sich oft einsam. Sein Vater ist schon lange auf und davon, und die Mutter schlägt sich tapfer mit ihm durch.

Leider passiert ein Unglück, und Antoine zerstört sein Baumhaus in einem Anfall von Wut. Nachvollziehbar schildert uns P.Lemaitre, wie Antoine tags zuvor zusehen musste, als Desmedt seinen von einem Auto verletzten Hund erschießt. Das Ende des Hundes mit dem pikanten Namen Odysseus ist ein Schock für Antoine, denn er war sein stiller Begleiter und Tröster in der Not. Was aber weiß er vom Verschwinden Rémis? Er war derjenige, der ihn zuletzt gesehen hat.

Minutiös schildert uns PL, wie Antoine in ein Netz von Verstrickungen gerät. Er verhält sich auffällig, unruhig und verdächtig. Niemand käme auf die Idee, dass er etwas mit dem Verschwinden von Rémi zu tun haben könnte. PL zeigt uns seine tief verletzte Seele, die vom Tod des Hundes in eine Art Schockstarre gefallen ist. Der Junge wird von Einsamkeit und Schmerz überwältigt.

Das Dorf mit seinen aufgeschreckten Menschen, den untersuchenden Beamten und der Unruhe, die das Verschwinden des kleinen Rémi gebracht hat, ist höchst genau beobachtet. Es sind drei Tage, in denen die Suche nach Rémi das Geschehen bestimmt.

Ein apokalyptisches Unwetter verwischt schließlich alle Spuren, und die Suche wird aufgegeben.

Im Jahr 2015 ist Antoine Arzt. Er hat eine Freundin, und die Ängste und Schrecken der Vergangenheit scheinen überwunden. Er wird sich ein neues Leben aufbauen.

Doch Lemaitre wird die Geschichte neu ankurbeln und mit unglaublichen Ereignissen zu einem mehr oder weniger unerwarteten Ende führen.

Man kann nicht umhin, den Autor für das Maß an Genauigkeit und Recherche mit feinsten Details zu bewundern. Die Mischung aus Krimi und vorstellbarer Lebenstragödie gibt dem Roman den letzten Schliff. Darin ist Pierre Lemaitre ein Meister, wie er schon mit seinem Roman“ Wir sehen uns da oben“ bewiesen hat. Mit diffizilen und sparsamen Mitteln steigert er die Geschichte bis zu einem wirklich überraschenden Ende. Atemlos und gespannt kann man vom Lesen nicht mehr lassen. Einmal mehr beweist uns die Geschichte, dass das Leben unergründliche Wendungen nehmen kann, die Lebenspläne und Hoffnungen zunichtemachen können. Literatur kann die Schattenseiten des Lebens aufzeigen. Dieser Roman ist ein Beispiel dafür. Sehr empfehlenswert.

Pierre Lemaitre
Drei Tage und ein Leben
272 Seiten, gebunden
Klett-Cotta, September 2017
ISBN-10: 3608981063
ISBN-13: 978-3608981063
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David Bezmozgis: Die freie Welt

David Bezmozgis: Die freie Welt

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Warten auf eine bessere Welt!

Die Familie Krasnansky, die aus drei Generationen besteht, sucht aus dem Baltikum den Weg in die freie Welt. Sie sind auf der Flucht vor den Russen, die ihre jüdischen Mitbürger wie in vielen Ländern der Welt verfolgen und vertreiben. Man weiß ja, dass das Baltikum von 1940 bis 1990 von den Russen okkupiert war. Jetzt, 1978, gilt es, sich auf dem Weg über Wien nach Rom durchzuschlagen und irgendwo ein Plätzchen als vorübergehende Bleibe zu finden.

Der Vater von Karl und Alec, Samuel und seine Frau Emma, sind noch ganz dem alten Leben in der Sowjetunion verhaftet. Samuel war und ist überzeugter Kommunist. Sein Sohn Karl, dessen Frau Rosa und die beiden Söhne finden in einer kleinen Wohnung mit den Großeltern Unterschlupf. Man teilt sich zu mehreren Bad und Küche. Samuels jüngerer Sohn Alec sucht unterdessen abseits der Großfamilie eine Bleibe. Er findet sie mit seiner aktuellen Frau Polina bei Sjomka, ebenfalls einem Exilrussen. Die zentrale Frage dreht sich um mögliche Einwanderungsländer. Damit hat es seine Tücken, denn jedes Land hat eigene Einwanderungsbedingungen. Amerika, Australien oder Kanada sind im Gespräch. Doch auch Israel wird von den Großeltern in Betracht gezogen.

In seiner Geschichte zeichnet Bezmozgis das Leben auf der Flucht mit den Eigenheiten jedes Protagonisten in einer Welt, in der nichts sicher und die Zukunft nur vage vorstellbar ist. Man hat aber nicht nur diese unsichere Zukunft vor sich, sondern jeder hat auch schon je nach Alter ein Leben hinter sich. So schweifen die Erinnerungen zurück zu den Zeiten des Krieges, zu frühen Liebesaffären, und man denkt an das karge Leben im Osten und an die mühseligen Versuche, den bösartigen Pogromen zu entgehen. Ein vielschichtiges und lebensnahes Bild jüdischen Lebens ersteht vor dem geistigen Auge des Lesers. Man begreift, wie hart das Leben und Überleben von Juden war, die in aller Welt immer wieder Misstrauen und Ablehnung ertragen mussten. Zugleich wird mit Humor an den Zusammenhalt gemahnt, mit dem allein man überleben konnte. Beziehungen, gute wie schlechte, Verwandtschaftsverhältnisse aber auch gegenseitiger Hass konnten einem das Leben erleichtern oder erschweren. Die Existenz spielt zwischen einem Gestern und Morgen, und die Gegenwart ist voll gepackt mit allem, was einem im Leben auch sonst so passieren kann: betrogene Liebe, Alter und Tod. Teils melancholisch und teilweise komisch sind die Erinnerungen durchmischt mit der Sehnsucht nach einem Ort der Geborgenheit und Heimat. Davon aber ist man auf der Zwischenstation in Rom noch weit entfernt. Eine anrührende und aufschlussreiche Geschichte ist dem Autor gelungen, die wieder einmal tiefe Einblicke in das  jüdische Leben in der Diaspora vermittelt. Man wünscht den Protagonisten die ganze Zeit Erfolg bei der Heimatsuche und einem Leben in Würde!

David Bezmozgis
Die freie Welt
360 Seiten, gebunden
Kiepenheuer & Witsch, Februar 2012
ISBN-10: 3462044028
ISBN-13: 978-3462044027
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