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Schlagwort: Vagabundenleben

Marilynne Robinson: Haus ohne Halt

Marilynne Robinson: Haus ohne Halt

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Leben im Nirgendwo…

Ein wenig kantig und rau beschrieben erleben wir in diesem Buch den Gegenentwurf zu den Romanfiguren der Ostküstenschriftsteller, deren Helden in ihren Geschichten gebildet, männlich und „gesellschaftlich maßgebend“ sind. So wird es in einem Nachwort der Herausgeberin Karen Nölle geäußert.

Hier geht es vorwiegend um Frauen, die unsere Erzählung bevölkern.
Marilynne Robinsons Titelfigur und Icherzählerin Ruth lebt mit ihrer Schwester Lucille Mitte der fünfziger Jahre in einem Westküstenort in den Rocky Mountains an einem großen See. Dort herrschen Naturgewalten in Form von Stürmen, Überschwemmungen und anhaltender Kälte. Nach dem frühen und spektakulären Verlust der Eltern kümmert sich Großmutter Sylvia Foster um die beiden Mädchen. Als auch Sylvias Leben zu Ende geht, erscheint Tante Sylvie, die den Mädchen Halt bieten soll.
Das aber ist fast unmöglich! Ist doch Sylvie selbst eine haltlose und ungefestigte Persönlichkeit.

Marilynne Robinson entwickelt die Charaktere ihrer Figuren subtil, feinfühlig und zugleich schroff. Schon der verstorbene Großvater der Mädchen war ein Eigenbrötler; um wie viel stärker motiviert zieht es seine drei Töchter fort in eine Welt, die sie sich vor allem aus Träumen zusammen gereimt haben.

Einige Todesfälle in der Familie sind ungewöhnlich. Die Mutter der Mädchen fährt mit ihrem Auto in den See, nachdem sie letztere bei der Großmutter abgesetzt hat. Auch der Großvater ist bei einem Eisenbahnunglück im See versunken. Das Haus, in dem alle ihren Halt suchen, ist windig, der Nässe ausgesetzt und ärmlich.

In diesem Klima kann man von einer normalen Erziehung der beiden Mädchen nicht sprechen. Sie schwänzen die Schule, gehen ihrer Wege und suchen Halt aneinander.
Als Eigenbrötler entpuppen sich auch die Tante und eines der Mädchen nachhaltig.

Ruth tritt in die Fußstapfen von Sylvie, die mehr und mehr das Haus im Unrat verkommen lässt, während Lucille einen normalen Lebensalltag mit der liebevollen Fürsorge einer mütterlichen Person bevorzugen würde. Sylvie ist eine Vagabundin, die nirgendwo Ordnung oder Struktur in ihr Leben bringen kann.

Mit herrlichen Naturbeschreibungen weckt Marilynne Robinson unsere Sehnsucht, selbst auf einem Stein am Ufer des Sees zu sitzen und den Barschen beim Schwimmen zuzuschauen. „Wenn die Abende kamen, waren sie kühl, weil die Berge so lange Schatten über das Land und den See warfen.“

Doch die Idylle trügt. Sehr allmählich leben sich die Schwestern über ihre unterschiedlichen Lebensauffassungen auseinander.
Das Haus vermüllt, und die Spuren der drei Heldinnen verlieren sich im Nirgendwo.
Dass es sich auch als Vagabund leben lässt, ist wahr. Doch wie wohl sich die eine oder andere dabei fühlt bleibt ungewiss.
Lucille zieht sich aus dem Chaotenleben zurück und bleibt für ihre Schwester und Tante verschollen.

Ratlos wie Ruth muss der Leser zuletzt Abschied nehmen von dem Schicksal der allseits verwaisten Personen, die keinen Halt gefunden haben – nicht in dem Haus und nicht im Leben!

Marilynne Robinson
Haus ohne Halt
256 Seiten, gebunden
edition fünf, August 2012
ISBN-10: 3942374234
ISBN-13: 978-3942374231
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