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Schlagwort: Verzweiflung

Irene Diwiak: Malvita

Irene Diwiak: Malvita

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Christina leidet. Betrogen von ihrem Freund und der besten Freundin, ist sie ein wenig aus der Bahn geraten. Obwohl sie keine ausgebildete Fotografin ist, reist sie nach Italien zu ihrer Cousine Marietta, um deren Hochzeit fotografisch festzuhalten. Ihre Mutter und die Mutter Mariettas sind Schwestern, dennoch kennt sie ihre Verwandten nicht. Die Familie Esposito lebt im verlassenen Ort Malvita in einer riesigen Villa. Damit taucht Christina in eine ihr fremde Welt von Reichtum und fragwürdigem Benehmen ein.

Was ist hier eigentlich los? Die Familie gibt sich unnahbar, die Atmosphäre hat etwas äußerst Seltsames. Christine, obwohl Familienangehörige, wird in einer kleinen Kammer weitab von den Räumlichkeiten der Familie einquartiert. Unzählige Bedienstete hetzen die Gänge entlang. Früher haben sie in der Lederwarenfabrik im Ort gearbeitet, die nun aber geschlossen ist.

Christina fühlt sich nicht wohl hier, doch sie bleibt aus unerfindlichen Gründen. Vielleicht ist es Neugier, vielleicht auch eine seltsame Faszination. Ich konnte mich dem Gefühl nicht entziehen, dass sie hier nicht sicher ist und etwas Schreckliches passieren wird. Und es kommen tatsächlich Dinge ans Tageslicht, die unglaublich sind.

Christina versucht, hinter die Kulissen zu schauen. Sie versucht zu verstehen, was ihre Cousinen Marietta und Elena, ihren Cousin Jordie und ihre Tante Ada antreibt, welche Rolle die gruselige Hochzeitsplanerin Angelina dabei spielt und welche Gedanken sich ihr Onkel Tonio und Mariettas Bräutigam Marcello machen, die kaum die Bühne betreten.

Als die Leiche von Blanca gefunden wird, sie sollte eigentlich die Hochzeit fotografieren, wird Christina überrascht von der Distanziertheit der Frauen. Es ist zu erahnen, dass sie sehr eigenwillige Pläne verfolgen.

Die Hintergründe ihrer verzweifelten Inszenierung sind irgendwann klar, die daraus resultierenden Ziele aber kaum nachvollziehbar. Und so bleibt auch das Ende offen. Die Geschichte bricht regelrecht ab, als die Handlung gerade besonders dynamisch ist. Und so bleiben Fragen über Fragen offen, die mit der eigenen Fantasie zu klären sind.

Rezension von Heike Rau

Irene Diwiak
Malvita
304 Seiten, gebunden
Paul Zsolnay Verlag
ISBN-10: 3552059776
ISBN-13: 978-3552059771
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Johann Scheerer: Wir sind dann wohl die Angehörigen

Johann Scheerer: Wir sind dann wohl die Angehörigen

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Ein 13 jähriger Junge erlebt unerwartet und schockierend den Zusammenbruch seiner Welt der Geborgenheit und Sicherheit.

Johann Scheerer ist der Sohn von Jan Philipp Reemtsma, dem anerkannten und tief in seine Bücher versunkenen Sozialwissenschaftler. Man besitzt zwei Häuser in Hamburg und ist wohlhabend. Der Vater pflegt abends nochmals in seinem Haus mit den vielen Büchern zu verschwinden. Als er an jenem Abend um Ostern 1996 herum nicht wieder im Haus der Mutter erscheint, wird diese unruhig, und es beginnt eine unruhige und dramatische Suche nach dem Vater. Man erfährt sehr bald, dass er entführt wurde, um ein hohes Lösegeld mit seiner Freilassung zu erpressen. Die Geschichte machte Furore und hielt ein ganzes Volk in Atem.

Johann Scheerer berichtet über seine Erinnerungen an die dramatische Nacht und deren Folgen. Im Haus wimmelt es von Freunden der Familie, Anwälten und Polizeiangehörigen.

Es wird alles versucht, um möglichst kein Aufsehen zu erregen. Mehrere Geldübergaben scheitern und es folgen bange Tage des Wartens, der Verzweiflung im Wechsel mit Hoffnung.

Der Junge macht sich seine eigenen Gedanken, die den Tod des Vaters einschließen. Er bildet mit der Mutter eine Einheit, obwohl sie immer wieder versucht, ihn vor den gröbsten Enttäuschungen zu bewahren. Mit einer gewissen Distanz, gelegentlichem Humor, immer aber mit kritischem Blick sucht der Junge der größten Verzweiflung Herr zu werden. Er beobachtet, registriert und bleibt bei einer sehr trockenen Darstellung. Ihm haftet keine Sensationslust, Eitelkeit und Aufgeregtheit an. Mit Einsamkeit lässt sich wohl sein Gemütszustand am ehesten beschreiben. Es gibt wirklich nur einen Freund, dem er sich mitteilt.

Die Atmosphäre verzweifelter Entschlossenheit gepaart mit irrlichternden Strategieversuchen, einen Ausweg zu finden, teilt sich dem Leser durch die Darstellung von Johann Scheerer unmittelbar mit. Man kann sich vorstellen, was es für einen pubertierenden Jugendlichen bedeutet, gerade in der jugendlichen Ablösungsphase durch das Ereignis aller Lösungsmöglichkeiten beraubt zu werden. Die Sorge um den Vater gibt dem Jungen nur schwer eine Möglichkeit, zuzulassen, dass ihn und den Vater gravierende Interessensunterschiede trennen. Ob Musik oder Bücher: Johann geht einen eigenen Weg und lässt sich vom Vater nicht davon abbringen.

Die Erzählung lässt vermuten, dass hier ein spannungsreicher Konflikt aufgeschoben wird, weil das Wohl des Vaters über allem steht. Deutlich wird aber auch, wie sehr Jan Philipp an seiner kleinen Familie hängt und um seine Wiederkehr bangen muss.

Wir wissen, wie die Geschichte ausging. Johann Scheerer hat ihr einen eigenen Klang verliehen, mit dem man aus Sicht eines Jungen spannungsreiche und die Nerven angreifende Stunden und Tage erlebt. Es lohnt sich, das Buch zu lesen!

Johann Scheerer wird aus der Lektüre als eigenständiger, klarer und seinen eigenen Weg meisternder Mensch sichtbar.

Johann Scheerer
Wir sind dann wohl die Angehörigen
240 Seiten, gebunden
Piper, März 2018
ISBN-10: 3492059090
ISBN-13: 978-3492059091
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Lot Vekemans: Ein Brautkleid aus Warschau

Lot Vekemans: Ein Brautkleid aus Warschau

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Lot Vekemans hat ein ergreifendes Romandebüt verfasst.

Jeder weiß, wie schwerwiegend die Folgen der Judenverfolgung auch und gerade in Polen während der Nazizeit waren.

Hier geht es um eine junge Frau, die aus einfachen bäuerlichen Verhältnissen stammt. Ihre Mutter ist eine harte Frau, die der Tochter nichts durchgehen lassen will.

Auf einer Rückreise aus Warschau in ihr Dorf kommt Marlena mit einen jungen Mann in Kontakt, der ihr zum Abschied seine Telefonnummer zusteckt. Sie ruft ihn an, und schon bald sind sie ein Liebespaar. Natan ist Amerikaner. Er ist Jude und ist nach Polen gereist, um nach den Spuren seiner Vorfahren zu fahnden, die ursprünglich hier beheimatet waren. Seine jüdische Familie ist teilweise im Holocaust umgekommen oder nach Holland und Amerika geflohen.

Die beiden sind sehr verliebt und müssen ihre Liebe verstecken, denn Marlenas Mutter würde diese Beziehung nie dulden.

Auf Vermittlung von Natan beginnt Marlena bei seinem Onkel Szymon in dessen Hotel als Küchenhilfe zu arbeiten. Der Onkel soll später noch eine besondere Rolle im Leben der beiden Liebenden einnehmen.

Kurzfristig wird Natan nach Amerika zurückgerufen. Marlena und Natan geben sich das Versprechen, sobald wie möglich voneinander hören zu lassen. Marlena ahnt nicht, dass sie schwanger ist.

Kurz darauf schlägt sie sich tapfer mit ihrem Sohn Stan durch. Sie hat keine Adresse von Natan und hört nichts mehr von ihm.

In der Folge beginnt eine verzweifelte Lebensgeschichte. Aus vielerlei Versäumnissen heraus muss Marlena einen einsamen Weg gehen, der sie nicht glücklich macht. Enttäuschte Hoffnungen und verzweifelte Überlebensstrategien pflastern ihren Weg, der sie nach Holland führt.

Lot Vekemans erfindet subtile Geschichten, mit denen sie ihre Protagonisten in einzelnen Kapiteln in der Ichform erzählen lässt. Trauer, Täuschung und Enttäuschung paaren sich mit dem Kampf um Liebe und Verstehen. Doch das Schweigen beherrscht das Leben aller Figuren und lässt sogar den kleinen Stan für viele Monate ganz verstummen. In diesem Klima kann Vertrauen kaum wachsen, und jeder bleibt mit seinem Schicksal allein.

Eine gewisse Melancholie liegt über dem Geschehen. Doch ist das Buch nicht bedrückend. Eher erfasst den Leser eine unterschwellige Spannung, wie sich die Beziehungen  entwickeln werden, und wie man aus Dilemma der verworrenen  Zusammenhänge herausfinden könnte.

Zum Ende hin bleiben viele Fragen offen, doch ist man in die Familiengeschichte tief eingetaucht.

Lot Vekemans lebt mit ihrer Familie in New York.

Lot Vekemans
Ein Brautkleid aus Warschau
253 Seiten, gebunden
Wallstein, Februar 2016
ISBN-10: 383531601X
ISBN-13: 978-3835316010
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Paul Harding: Verlust

Paul Harding: Verlust

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Trauer und Verzweiflung in aussichtsloser Lage.

Im kleinen Städtchen Enon im Maine lebte über Generationen die Familie Crosby. In diesem Roman wird ein Teil ihrer Geschichte fortgeschrieben.

Die Geschichte nimmt den Plot sofort vorweg: Charlies Tochter Kate ist tot! Sie war 13 Jahre alt und wurde von einem Auto angefahren.
Vater und Tochter waren eine glückliche und harmonische Einheit.

Auffallend ist der Bruch, mit dem die Erzählung beginnt: ein vermeintlich glückliches Familienleben mit einem normalen Alltag bricht buchstäblich zusammen. Kates Mutter Susan fährt zu ihren Eltern und verlässt ihren Mann, der mit seiner Trauer ganz alleine bleibt.

So beginnt eine Geschichte, die Trauer, Verzweiflung und Lebensangst zum Inhalt haben wird. Es wird eine Geschichte der Vergangenheit.

Charlie lebt nach der Trennung von seiner Frau alleine in einem Haus, das nach und nach verwahrlost. Er vertieft sich ganz in seine Erinnerungen. Einmal denkt er an seine eigene Kindheit, seine Großeltern und Urgroßeltern; dann wieder fallen ihm Erinnerungsfetzen ein, die schöne Tage und gute Jahre mit Kate heraufbeschwören.

Die Erzählung ergeht sich in wunderschönen Naturbetrachtungen im Wald und am See. Man spürt buchstäblich als Leser die Düfte und Stimmungen des Tages. Daneben wird man Zeuge einer beispiellosen Verzweiflung, mit der Charlie den Bezug zur Gegenwart zu verlieren scheint. Er wird medikamentensüchtig und beschafft sich Drogen und Schmerzmittel auf immer unzulässigeren Wegen. Äußerlich kommt er herunter.

Die Parallelgeschichte: hier die empfindsamen Naturbeobachtungen und da der körperliche Verfall eines aus allen Bindungen gefallenen Mannes macht den Reiz einer Erzählung aus, die sich den schönen und den traurigen Seiten des Lebens widmet. Der VERLUST ist das Thema! Dieser wird in vielfältiger Weise erkennbar und trägt den armen Vater weit fort aus seinem bisherigen Leben. Die Visionen, Erinnerungen und Halluzinationen sind lebensnah beschrieben und lassen einen spüren, dass es Trauer gibt, die das bisherige Leben fast auslöschen. Man geht in Gedanken einen Lebensweg mit, von dem man nicht weiß, wie er enden wird.

Paul Harding ist Pulitzerpreisträger. Er lebt mit Frau und Kindern in Boston und gilt als Star unter den neuen amerikanischen Erzähltalenten.

Paul Harding
Verlust
272 Seiten, gebunden
Luchterhand Literaturverlag Juni, 2015
ISBN-10: 3630873774
ISBN-13: 978-3630873770
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Julie Otsuka: Wovon wir träumten

Julie Otsuka: Wovon wir träumten

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Enttäuschung und Frust gekleidet in feinste Poesie.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts emigrierten Japaner mit der Hoffnung auf eine angenehme Existenz nach Amerika. Ihnen folgten Frauen, die man aus der Ferne mit ihnen verheiratet hatte. Sie stammten aus ärmlichen Verhältnissen und in ihren Träumen nahmen sie ein Leben vorweg, das so nie Wirklichkeit werden konnte. Voller Hoffnungen und Erwartungen gingen sie auf die große Reise und träumten von dem großen Glück. Wie groß ist die Enttäuschung, als sie erkennen müssen, wie entbehrungsreich und armselig ihre Existenz dort sein würde!

Ein schreckliches Kapitel befasst sich mit den ersten sexuellen Erfahrungen, die schockierend und erniedrigend die Frauen zu Lustobjekten ihrer Männer machen. Am Tag wartet harte Arbeit und endlose Eintönigkeit auf die so hoffnungsfroh angereisten Frauen. Vorbei ist die liebevolle Zuwendung der Familie zu Hause, und vorbei sind alle Träume, mit denen die teils sehr jungen Frauen und Mädchen in dem fremden Land angekommen sind.

Der Überfall der Japanischen Armee auf Pearl Harbor während des Zweiten Weltkriegs tut ein Übriges, um Japaner und Japanerinnen für lange Zeit aus der Gesellschaft auszuschließen.

Julie Otsuka hat eine ganz eigene Sprache, mit der sie sich dem Leben dieser Frauen nähert. Sie spricht in der Wirform und zeigt in ihren kurzen Sätzen, wie unterschiedlich doch die Erfahrungen der Einzelnen waren. Die einen sind fröhlich, den anderen ist bange zumute. Trübsal und Verzweiflung sind vorherrschende Elemente in ihrem Gefühlsstau und Enttäuschung hält sich die Waage mit fatalistischem Gehorsam.

Man nimmt die Sprache betroffen wahr, denn sie ist wie eine vorausschauende Vision, in der sie alle gefangen sein werden. Nicht nur die Erwartung auf ein gutes Auskommen wird enttäuscht, auch die Hoffnung auf liebende Männer geht unter, als sie sich mit den Begierden und Rücksichtslosigkeiten ihrer unbekannten Ehemänner konfrontiert sehen. Arbeiten bis zum Umfallen bleibt danach die Devise.

Die feine Sprache und die Diktion des Ausdrucks sind differenziert und einfühlsam in der Widergabe dessen, was den so bereitwillig in die Fremde gereisten Frauen nun geschieht. Es ist ein aufrüttelndes und anspruchsvolles kleines Werk, mit dem sich der Fokus auf die unerwarteten Erlebnisse von jenen Japanern und Japanerinnen richtet, die einstmals mit großen Erwartungen in das ihnen so fremde Land emigriert sind.

Julie Otsuka hat ebenfalls japanische Wurzeln. Sie lebt in New York und gewann 2012 für diesen Roman den PEN/ Faulkner Award.

Julie Otsuka
Wovon wir träumten
160 Seiten, gebunden
Mareverlag, 4. Auflage, Juli 2012
ISBN-10: 3866481799
ISBN-13: 978-3866481794
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Justine Larbalestier: Lügnerin!

Justine Larbalestier: Lügnerin!

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Sie waren Freunde. Zach und Micah. Doch nur außerhalb der Schule. Deswegen gibt Micah die Freundschaft auch im Nachhinein nicht zu. Wozu auch? Zach ist tot. Auch als alle Schüler verhört werden, bleibt Micah dabei. Sie behauptet weiter, Zach kaum gekannt zu haben. Dabei sind die beiden so oft zusammen im Central Park gelaufen. Micah trauert. Heimlich. Sie vermisst Zach so sehr, dass sie an der Feuerleiter in sein Zimmer hinauf klettert. Aus der verlassenen Wohnung nimmt sie ein schmutziges Trikot mit als Erinnerung.

Offiziell war Zach mit Sarah zusammen. Auch deswegen möchte Micah nicht über sich und ihren Freund sprechen. Doch Gerüchte kommen auf. Fragen werden gestellt. Micah fühlt sich in die Enge getrieben. Sie hat noch viel mehr Geheimnisse. Ihre Familie verbirgt eines davon. In diesem Buch erzählt Micah davon. Doch wie sie selbst von sich sagt, ist sie eine Lügnerin. Anfangs glaubt man ihr, dass sie diesmal die Wahrheit sagt. Dann beginnt man zu zweifeln. Und bald weiß man sicher, dass sie zumindest in einer Sache lügt. Wie kann sie glauben, dass man ihr diese Geschichte abnimmt?

Es ist ein Buch, das betroffen macht. Die Autorin lässt Micah ihre Geschichte selbst erzählen. Sie will die Wahrheit erzählen, einmal das Lügen sein lassen. Ihr Freund ist ermordet worden. So etwas behauptet man nicht einfach. Es muss die Wahrheit sein. Man spürt, wie Micah leidet.
Doch sie bleibt nicht bei ihrer Geschichte. Bald werden dem Leser verschiedene Versionen angeboten. Eine davon ist so abenteuerlich, dass diese nur ausgedacht sein kann. Oder nicht?

Das Buch wird aus der Gegenwart heraus erzählt, durchmischt mit Rückblenden. Alles dreht sich um die eine Frage, ob Micah eine Mörderin ist. Ob sie etwas mit dem Mord an Zach zu tun hat. Möchte man eine Antwort darauf, muss man versuchen, die Lügen zu durchschauen bis nur noch die Wahrheit bleibt. Das zerrt an den Nerven. Das macht den Psychothriller aus. Hier ist sogar Platz für Übersinnliches.

Manchmal ist das Buch spannend, dann auch wieder nicht. Wenn man genervt ist, von den Lügen. Wenn jedes bisschen Realität auf der Strecke bleibt. Und doch wird man gefesselt. Glaubt sich in der Lage, die Wahrheit zu erkennen. Doch was wirklich Wahrheit und was Lüge ist, weiß nur Micah selbst.

Und so ist das Ende enttäuschend. Man wird allein gelassen. Was gerade für ein Jugendbuch nicht schön ist. Welche Schlüsse soll man ziehen? Was hat man gelernt? Was ist mit Micah wirklich los? Fragen über Fragen bleiben. Es ist eine wirklich undurchschaubare Geschichte. Bis zum Schluss.

Rezension von Heike Rau

Justine Larbalestier
Lügnerin!
Thriller
Aus dem amerikanischen Englisch von Kattrin Stier
400 Seiten, gebunden
cbt, München
ISBN-10: 3570160777
ISBN-13: 978-3570160770
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Yasmina Khadra: Die Sirenen von Bagdad

Yasmina Khadra: Die Sirenen von Bagdad

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Leben und Sterben in einem ausweglosen Krieg.

Einmal mehr geht es in diesem Roman um den Irakkrieg, der ganze Familien auseinander gerissen und ein Volk in Trauer und Verzweiflung gestürzt hat. Am Einzelschicksal erkennt man die Tragweite eines Krieges, der vor keinem Übel und keiner moralischen Verwerfung halt macht.

Fernab vom Kriegsgeschehen in Bagdad leben die Dorfbewohner in Kafr Karam abgeschottet und zufrieden ihr Leben. Der Icherzähler ist Student und konnte sein Studium seit dem Ausbruch des Irakkrieges nicht mehr fortsetzen. Die meisten Dorfbewohner sind weitläufig verwandt. Jeder gehört auf irgendeine Weise zum gleichen Stamm. Als Suleiman, der geistig behinderte Sohn des Schmieds, sich eine schwere Verletzung zuzieht, hält auch in diesem abgeschiedenen Ort das Unheil Einzug. Auf der Fahrt zur nächsten Krankenstation geraten der Schmied mit seinem Sohn und der Icherzähler in eine amerikanische Militärkontrolle. Die Ereignisse danach zeigen die ganze Härte und Grausamkeit des Krieges. Suleiman verliert sein Leben und das Dorf seine Unschuld. Fortan regieren auch hier Furcht und Misstrauen. Symbolträchtig, apokalyptisch und dramatisch wächst später mit einem Überfall auf das Dorf ein unbändiger Hass bei den Bewohnern. Als Folge seiner traumatischen Erfahrungen flieht der Student nach Bagdad, um sich Terroristen anzuschließen. Er will die Ehre seiner Familie retten und gegen die Unterdrückung seines Landes kämpfen. Der perfide Auftrag, zu dem er auserkoren wird, könnte am Ende die ganze Menschheit zerstören.

Yasmina Khadra kennt die Worte und weiß um die Gefühle seiner Protagonisten, die ihre eigenen Riten haben und Traditionen folgen, die niemand verletzen und herabsetzen darf.

Wortmächtig und mit poetischer Kraft begabt bezeugt Y. Khadra wie aus einfachsten Anfängen Hass entsteht, der die Verständigung zwischen Orient und Okzident zerstört. Tief steigt man in die mythologische Geistesgeschichte des Orients ein. Khadra zeigt uns die Unterschiede zwischen den Kulturen, die eine Annäherung unmöglich machen. Da gibt es keine Übereinstimmung und keine Verständigung, denn hier begegnen sich Welten, die nichts mit einander gemein haben. Keine Überzeugungsarbeit und keine Kriege können aus Beduinen westlich orientierte Demokraten machen. Zu tief verankert sind sie in ihren hierarchischen und familiären Strukturen, nach denen sich im Orient die Menschen richten.

Ein aufrüttelndes und aufklärendes Buch ist dem Autor gelungen, das nachhaltig beeindruckt.

Der unter dem Pseudonym Yasmina Khadra schreibende Schriftsteller stammt aus Algerien und lebt heute in Frankreich. Er war einst hoher Offizier in der algerischen Armee, bevor er nach Frankreich ins Exil ging. Er begann schon früh zeitkritische und anspruchsvolle Kriminalromane zu schreiben, die mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet wurden.

Yasmina Khadra
Die Sirenen von Bagdad
320 Seiten, broschiert
Deutscher Taschenbuch Verlag, April 2010
ISBN-10: 3423138653
ISBN-13: 978-3423138659