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Schlagwort: Witz

Ferdinand von Schirach: Regen

Ferdinand von Schirach: Regen

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In seiner unvergleichlich trockenen Erzählweise berichtet von Schirach in seinem neuen Buch über Alltägliches.
Der Erzähler ist Schöffe wider Willen. Er wehrt sich gegen dieses Amt, muss es aber antreten.
Nun purzeln ihm die drolligsten Gedanken und Einfälle aus der Feder.

Es beginnt ein Monolog über tägliche Dinge, wie sie einem geübten Beobachter ins Auge fallen.
Vorgänge im Gericht und Amtshandlungen werden mit der größtmöglichen Präzision dargestellt.
Die Genauigkeit der Sprache ist fast ein Markenzeichen des Schriftstellers von Schirach.
Auch die Aufgaben von Autoren werden hinterfragt. Was tun sie überhaupt? Was macht Sinn?

Mit Tempo geht es weiter: in die Karibik, die Menschen und das Meer. Die Resultate seiner Beobachtungen sind zuweilen von grotesker Komik, so dass man laut lachen muss.
Bei weitem aber sind das keine dummen Überlegungen: im Gegenteil, man kommt erst darauf, mit was für einem Unsinn sich Menschen beschäftigen. Was z.B. ist „ein gutes Buch“?
Ja wirklich, man beginnt die eigenen Ideen zu hinterfragen!

Ambivalenz ist ein weiteres Stichwort; am schönsten aber ist die Geschichte von den 80%!
Von Schirach rechnet einmal vor, wieviel Mist uns täglich beschäftigt: es sind 80% aller Tätigkeiten. Ob Bücher, Filme, tägliche Erledigungen etc.
Auf Reisen in die Karibik: Zitat:“ in den sogenannten schönsten Wochen des Jahres liegen die Leute schwitzend auf Fischkot herum, baden in Kloaken, lesen schlechte Bücher und bekommen von der Sonne Hautkrebs“. S. 39

Auch die griechische Götterwelt ist von Schirach nicht fremd, und er weiß sie passend in das Panoptikum menschlicher Schwächen und Fehler einzufügen.
Hier tritt ein Autor bescheiden und unaufdringlich auf. Er hat ein immenses Wissen, das in den einzelnen Episoden zum Vorschein kommt. Und immer wieder die kurzen, fast spartanischen Sätze. Nur kein Wort zu viel!

Die Erzählung ist eine rundum hervorragend gelungene Persiflage auf das Leben insgesamt. Ein leicht melancholischer Einschlag liegt wie ein Schatten über den Schilderungen.

In einem anschließenden Interview äußerst sich von Schirach zu zahlreichen eigenen Lebenseinstellungen, auch zu seinem Privatleben. Er bleibt offen und setzt zugleich Grenzen, wenn es ihm zu privat wird.

Ein schmales Bändchen nur, aber hinreißend geschrieben, kurz, bündig und prägnant.
Wer sich einen amüsanten Nachmittag gestalten will, gespickt mit Lebenserfahrung und Weisheit, der gönne sich dieses schöne knapp 108 Seiten lange Werk. Es ist ein Lesegenuss und sicher von Schirachs persönlichstes Büchlein.

Ferdinand von Schirach
Regen
Luchterhand Literaturverlag, August 2023
112 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3630877389
ISBN-13: 978-3630877389
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Georgi Gospodinov: Zeitzuflucht

Georgi Gospodinov: Zeitzuflucht

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Es ist eine schöne Illusion, sich vorzustellen, man könne sich aussuchen, in welchem Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts man gerne leben würde. Diese Utopie hat sich Georgi Gospodinov zum Thema seines vorliegenden Romans genommen.

Beginnend mit Gedanken an den Anfang der Menschheit setzt ein Satz dem Suchen danach ein Ende: „Am 1. September 1939 früh am Morgen kam das Ende der menschlichen Zeit“(S.18)
Jeder weiß, was mit diesem Datum gemeint ist!
Nach dieser Einführung beginnt ein Roman, der seinesgleichen sucht.

Ein ungenannter Schriftsteller in Sofia/Bulgarien berichtet von zahlreichen kleinen Beobachtungen und Entdeckungen, die darin gipfeln, dass er einen alten Freund sucht. Es handelt sich um Dr. Gaustin, einem exzentrischen Flaneur und Arzt, den er überraschend in Zürich wiederfindet. Gaustin will eine seltene Form von Geriatrie für Demenzkranke gründen. Der Erzähler soll ihm dabei behilflich sein. Es soll das „Haus der Vergangenheit“ heißen. In diesem Haus wird es verschiedene Zeitebenen von den vierziger bis in die neunziger Jahre geben. In einzelnen Zimmern sind Interieur und Aufmachung den Zeitebenen entsprechend eingerichtet. Hier kann man sich aussuchen, in welcher Zeit man leben will. Nicht nur die Vergesslichen des Alters finden ihren Raum, zunehmend wollen auch Gesunde gerne einkehren.

Zu den Zeitebenen passt die Erwähnung politischer Personen oder Ereignisse: Musik, Schlager, Rebellion der 68sechziger, Gerüche, Reagan, Kohl und Gorbatschow, Zitate von Thomas Mann bis Einstein und so fort.
Auf die Frage des Erzählers nach den 40ziger Jahren und dem Krieg antwortet Gaustin zum ersten Mal: “ich weiß es wirklich nicht“S.101)

Eingeflochten in die Geschichte findet man wunderbare poetische Beobachtungen von Landschaften, Städten und nicht zuletzt Passagen der Biographie des Erzählers. Sie bieten den Bezug zur Realität.

In einem zweiten Teil des Romans erzählt Gospodinov von einem Referendum, bei dem in den europäischen Ländern über die Möglichkeit eines Lebens in längst vergangenen Jahrzehnten abgestimmt werden soll. Wir sind im Heute angekommen mit allen Möglichkeiten der Technik beim Aushorchen und der Manipulation.
Wozu diese Utopien führen können, zeigt uns prophetisch Moskau mit seinem „Zurück zu den alten Grenzen der Sowjetunion“.

Georgi Gospodinov ist ein begnadeter Erzähler. Ihm purzeln die Ideen nur so aus der Feder.
Sie sind teils witzig, teils skurril und teilweise ernst. Sie reichen von der griechischen Mythologie zu einzelnen Geschichtsereignissen und sehr realen Gedanken über das Heute. Sie wechseln von Einzelschicksalen ins Globale und irrlichtern zwischen den Zeiten hin und her. Gelegentlich sind sie irritierend bis irrwitzig, weil am Ende niemand mehr weiß, ist der Autor real oder ist es eher die von ihm erfundene Figur Gaustin. Auf jeden Fall werden in dem Roman hintergründig philosophisch und reflektierend die vergangenen Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts unter die Lupe genommen. Es ist ein überwältigendes Werk in der Übersetzung von Alexander Sitzmann.

Georgi Gospodinov ist in Bulgarien geboren. Er hat für seine Romane zahlreiche Preise gewonnen.

Georgi Gospodinov
Zeitzuflucht
Aufbau, 3. Auflage, März 2022
342 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3351038895
ISBN-13: ‎978-3351038892
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Joachim Meyerhoff: Hamster im hinteren Stromgebiet

Joachim Meyerhoff: Hamster im hinteren Stromgebiet

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Joachim Meyerhoff ist uns wohl bekannt durch seine urkomischen, höchst amüsanten und skurrilen Erinnerungsbücher früherer Jahre, in denen schon die Titel auf die zu erwartende Komik hindeuten.
Nun aber hat es ihn schwer erwischt: ein Schlaganfall ereilt ihn im Alter von nur 51 Jahren . Er merkt schnell, dass etwas nicht stimmt und nimmt die Symptome ernst.
Es gilt, schnellstens in ein Klinikum zu kommen, wobei sich seine inzwischen 18 jährige Tochter als resolut und hilfreich erweist. Selbst in dieser angespannten Lage sieht Meyerhoff mit scharfem Blick, wie sich Verantwortung verkehrt: nicht mehr der Vater führt Regie, sondern die Tochter übernimmt das notwendige Handeln.
In der Klinik angekommen wird er auf die Intensivstation gebracht und seine Eigendiagnose ist richtig: er hat einen Schlaganfall erlitten!

Sein Kopf aber arbeitet unentwegt weiter. Selbstbeobachtung und Fremdbeobachtung nehmen ihren Lauf.
Wenn ihm auch zuerst mehr nach Weinen als Lachen zumute ist, so entdeckt sein wacher Geist sehr bald die skurrilen Seiten der Intensivstation. Ob Schwestern, Ärzte, sonstiges Fachpersonal oder Mitpatienten: in ihm formen sich Bilder, die in ihrer Komik unübertroffen sind. Der LeserIn muss laut lachen, wie diese wortreichen Assoziationen in seinem Kopf beim Beobachten Gestalt annehmen. Die Sätze sprudeln nur so aus ihm heraus.
Zu seiner Beruhigung kommen Erinnerungen hoch, die ihn rühren, ihn an gute und schlechte Zeiten erinnern und seinen Zustand erträglicher machen.

Er ist von entwaffnender Offenheit, kennt kein Tabu und LEBT, selbst im Zustand der Schwäche. Mag sein, dass manche Episode im Nachhinein beim Schreiben eingefügt wurde. Mag auch sein, dass er zuweilen fast ein wenig über die Grenzen des Anstands hinausgeht, wenn er die Kranken bei ihren Gehversuchen und Essübungen karikiert: er bezieht sich immer selber mit ein, und der trockene Humor und die Komik gehören fast zum Charakterbild dieses Schauspielers und Autors witziger Lebensbetrachtungen. Passagen wie die über die mögliche Senkung der Todeszahlen älterer Leute im Straßenverkehr „lieber an der Ampel flitzen als wochenlang im Rollstuhl sitzen“ (S. 199) bieten einen Eindruck vom lakonischen Witz des Erzählers Meyerhoff.
Es ist sein Weg, sich mit Distanz aus der Hilflosigkeit, die diese Krankheit mit sich bringt, zu befreien.

Es soll aber nicht verschwiegen werden, dass ein ernster Unterton hinter den Worten des Autors zu spüren ist: die Erkenntnis, dass unser Leben endlich ist, und von einem Tag auf den anderen alle bisherigen Sicherheiten dahin sein können.

Der Ernst hinter der Komik ist das Geheimnis des Erfolges von Joachim Meyerhoff.

Joachim Meyerhoff
Hamster im hinteren Stromgebiet
320 Seiten, gebunden
Kiepenheuer & Witsch, September 2020
ISBN-10: 3462000241
ISBN-13: 978-3462000245
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Dana Suffrin: Otto

Dana Suffrin: Otto

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Dana von Suffrin hat uns die Geschichte einer skurrilen Familie aufgezeichnet.

Die Familie stammte ursprünglich aus Siebenbürgen, ist aber zuletzt in München ansässig.

In einer witzigen und hoch motivierten Form erzählt die Autorin von einem Vater, eben jenem Otto, der inzwischen pensioniert und alt ist, auch pflegebedürftig, und seine Töchter schön zu tyrannisieren versteht.

Er kommandiert sie gerne herum und verlangt von seiner Tochter Timna, dass sie die Familiengeschichte aufschreibt. Er kann ganz schön bohrend und hartnäckig sein!

Dana von Suffrin besitzt die Begabung und versteht den Witz der einzelnen Personen so gekonnt einzufangen, dass man ihr gerne folgt.

Vater erzählt von Omama und Otata, seinen Eltern, die nach strengen Regeln lebten. Nach ihnen hatte man sich zu richten. Ob Otto daher so rigide und herrisch zu seinen Töchtern ist?

Otto, der pensionierte Ingenieur, hat genau Vorstellungen für seine Erwartungen und Forderungen.
In rührender Weise erinnert sich die ältere Tochter Timna an die Geschichten ihrer Kindheit, in der ihr Vater eine bedeutsame Rolle spielte. Er konnte seine Töchter trösten und erheitern. Und jetzt? Auch jetzt überstrahlt seine Persönlichkeit den Alltag der Töchter, die sich seinen dringenden Wünschen nicht widersetzen können.

Neben dem täglichen Einerlei gibt es immer wieder die Einsprengsel mit Geschichten aus der familiären Vergangenheit. Übersprühend, komisch und bekannt aus zahlreichen jüdischen Familiengeschichten, wenn auch zeitweise etwas ausschweifend, erzählt die Autorin ihre Geschichte. Der Mutterwitz und die Selbstironie aus dem jüdischen Milieu sind bekannt. Man nahm nicht immer alles so ganz ernst. Herz und Verstand sind dabei, und man spürt die Wärme und das Vertrauen, das man ineinander setzte.

Ob der Roman autobiographische Züge trägt? Man möchte es bei der Intimität und Genauigkeit der Erlebnisse fast glauben.

Dana von Suffrin hat mit ihrem Debütroman eine schöne und anrührende Familiengeschichte erzählt! Lesenswert und unterhaltsam!

Dana von Suffrin
Otto
240 Seiten, gebunden
Kiepenheuer & Witsch, August 2019
ISBN-10: 3462052578
ISBN-13: 978-3462052572
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Irene Dische: Schwarz und Weiß

Irene Dische: Schwarz und Weiß

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In dieser seltsamen Liebesgeschichte geht es um eine Mischehe in New York. Beginnend in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts endet die Geschichte in den ersten zehn Jahren des 21. Jahrhunderts.

Lili ist die weiße und sehr hübsche Tochter eines jüdischen Künstlerpaars in New York, und der mischfarbige Duke kommt aus dem Süden der USA.

Die beiden lernen sich kennen und können fortan nicht voneinander lassen. Die liberalen Eltern von Lili begrüßen den Freund ihrer Tochter und nehmen ihn gerne bei sich auf.

Nun beginnt eine rasante Geschichte, die von der wirbelnden und umtriebigen Lili mit gesteuert wird. Sie ist Chemikerin, Krankenschwester und zuletzt hoch dotiertes Fotomodell. Duke, ihr schwarzer Freund und bald schon Ehemann, besitzt die seltene Gabe, Weine auf ihre Güte hin zu testen. Er erfährt in dem Geschäftsmann Mr. Perkins einen Partner, der seine Fähigkeiten, Wein zu verköstigen und die Beschreibung dessen, was er mit den Weinen verbindet, sehr schätzt.

Irene Dische gibt der Geschichte einen Ton, der sie lebhaft und farbenfroh ausgestaltet. Fast erscheinen einem die Sätze wie im Staccato dahingeschrieben, so schnell und munter wird das gesellschaftliche Bohèmemilieu vermittelt. Die Eltern von Lili verkehren als Komponisten und Journalisten unter Intellektuellen. In ihren Kreisen ist man liberal. Sehr selten nur blitzt die Diskriminierung Farbiger an einigen Stellen durch.

Die Liebesgeschichte zwischen Lili und Duke ist innig und überzeugend und außer Konkurrenz. Leider wird der Roman im zweiten Teil ein wenig langatmig, so dass man die Lust zum Weiterlesen verliert. Die zahlreichen Abenteuer, Liebesgeschichten und Irrungen und Wirrungen ermüden auf die Dauer. Immerhin bekommt man ein lebhaftes Bild vom Leben in NY der siebziger und achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts.

Dass die Geschichte am Ende recht unversöhnlich in eine Katastrophe mündet, ist nur folgerichtig.

Geselligkeit wird in der Erzählung großgeschrieben. Satire und Witz bringen eine gewisse Distanz, mit der die Autorin ihr eigenes Empfinden aus allem heraushält. Ihre lakonischen Sätze betonen diese innere Distanz noch. Die Abstinenz jedweder Empathie teilt sich dem Leser mit, und man weiß zuletzt nicht, wem die Sympathie in der Geschichte gelten soll. Dem schwarz-weißen Liebespaar? Den liberalen Eltern? Über Dukes Herkunft wird so kurz hinweggegangen, dass sie fast überflüssig erscheint. Sie rundet am Ende aber die ganze Geschichte ab.

Intellektuelle, Parvenüs, Partys und Wein nebst den entsprechenden Beobachtungen am geselligen Treiben beleben die gesellschaftlichen Zusammenkünfte und machen die Lektüre wenigstens im ersten mit „Norden“ überschriebenen Teil unterhaltsam und anregend.

Irene Dische
Schwarz und Weiss
496 Seiten, gebunden
HOFFMANN UND CAMPE, Oktober
ISBN-10: 3455404774
ISBN-13: 978-3455404777
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David Grossman: Kommt ein Pferd in die Bar

David Grossman: Kommt ein Pferd in die Bar

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Außergewöhnliche Schicksalsverarbeitung…

Der Titel zu diesem sehr anspruchsvollen Roman ist einem jüdischen Witz entnommen. Auf ihn soll hier nicht näher eingegangen werden.

Auf die Bühne eines Theaters in der kleinen Stadt Netanja in Israel kommt koboldhaft ein kleiner Mann gesprungen: Dovele Grinstein. Wie alt mag er sein? Er beginnt sofort einen Dialog mit dem Publikum. Da seine Einlassungen sehr unvermittelt kommen, ist der Leser zunächst frappiert und ratlos, was uns der Schriftsteller mit seinem Text sagen will.

Zu den Zuschauern hat Dovele einen alten Freund aus Kindertagen eingeladen: einen pensionierten hohen Richter, dessen Urteile ihn immer wieder fasziniert hatten. In den irrwitzigen Vorführungen des kleinen Komödianten erkennt der Richter das eine oder andere Mal seinen alten Freund wieder. Doch worum geht es bei diesem Wiedersehen?

Der Kobold bittet ihn, ihn zu „erkennen“ oder auch das zu sehen, was man nicht aussprechen kann. Ist das nicht eine fast biblische Metapher? Sich „erkennen“ bedeutet hier, den wahren Kern des anderen zu sehen.

In irrwitziger Weise reißt der Komödiant das Publikum mit. Seine Ausbrüche in Gestalt von Witzen und langen Reden gemahnen in ihrer Form an eine Art Katharsis. Zwischen Komik und Trauer, zwischen Verzweiflung und Aufruhr erfährt man mehr über die israelische Gesellschaft und Doveles eigenes Schicksal, als man erwartet hat. Kein lustiger Comedy – Abend wird dem Zuschauer geboten, sondern ein Abend über tiefe Wunden, die durch die Shoah verursacht wurden.

Durch die Erzählung hindurch schwingt der Versuch mit, auf komödienhafte Weise dem täglichen Ernst des eigenen Schicksals zu entkommen. Der Roman stimmt traurig und melancholisch. Nichts ist wirklich komisch, denn es handelt sich hier um das Schicksal von Dovele und von dem der Juden nach dem letzten Weltkrieg.

In zahlreichen Episoden erfährt man von Dovele, wie sein Leben verlaufen ist; was ihn erschüttert hat und was ihm unerklärlich geblieben ist, und wo er vermeintlich Schuld auf sich geladen hat.

Die Form eines pausenlosen Monologs und Dialogs ohne besonderen Handelsstrang macht die Lektüre zu einer nicht leicht zu bewältigenden Hürde. Man muss sich dem Gesang des Augenblicks überlassen, um das ganze Geschehen zu erfassen.

David Gossmann ist ein außergewöhnlicher Schriftsteller, dessen sensible und feinfühlige emotionale Wahrnehmung menschlichen Seins schon in seinem Buch „Eine Frau flieht vor einer Nachricht“ ergreifend war. Hier gelingt ihm das wieder auf besondere Art und Weise.

David Grossman
Kommt ein Pferd in die Bar
256 Seiten, gebunden
Carl Hanser Verlag, Februar 2016
ISBN-10: 3446250506
ISBN-13: 978-3446250505
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Alan Bennett: Die souveräne Leserin

Alan Bennett: Die souveräne Leserin

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Eine Königin auf Abwegen!

Zur Monarchie von England gehört Würde, Distanz und eine gewisse Überheblichkeit.
Elisabeth aber, die Königin von England, gerät eines Tages an einen alten und recht rumpeligen Bücherbus, eine fahrende Leihbücherei. Neugierig steckt sie ihren Kopf zur Bustür herein, ihre Hunde kläffen den Verleiher an, – und dann ist es um sie geschehen! Sie leiht das erste Buch aus, das zweite Buch und wird zu einer leidenschaftlichen Leserin! In Gesprächen mit ihren Dienern, Hofschranzen und sonstigen Honoratioren geht es fortan nur noch um Bücher.

Diese Begegnung mit der Literatur gerät zu einem humorigen und amüsanten Ausflug in die Welt der Bücher und stellt das Leben der Königin auf den Kopf. Ein Küchenjunge avanciert nach der Begegnung mit der Königin im Bücherbus zum Hofdiener, und sie verfällt immer mehr ihrem neuen Hobby. Sie liest sogar in der Kutsche auf Fahrten zu offiziellen Veranstaltungen! Ihrem Äußeren widmet sie nicht mehr die volle Aufmerksamkeit wie bisher, und alles dreht sich um ihr Lieblingsthema: Bücher. Selbst ihre geliebten Hunde vernachlässigt sie ein wenig.

Neben dem Irrwitz einer Königin auf Abwegen hört man Namen so bekannter Schriftsteller wie Henry James, Virginia Woolf, Alice Munroe, Sylvia Plath und vieler anderer mehr.
Mit Witz, Geist, einem Schuss Ironie und Humor führt uns Allan Bennett mit der Königin durch die Literatur der Gegenwart und Vergangenheit. Er hebt die Bücher auf den Thron und gibt dem monarchischen Gebaren eine ganz und gar menschliche Note.

Mit dieser Liebeserklärung an die Literatur in Verschmelzung mit dem abgehobenen Dasein einer Königin erlebt man Bücher einmal als verbindendes Glied in der Kette menschlicher Gewohnheiten und Vorlieben. Die heiter–liebevolle Persiflage auf die englische Königin gereicht dem Autor zur Ehre, und der Bücherfreund darf seine Freude haben!

Alan Bennett
Die souveräne Leserin
Wagenbach
120 Seiten, gebunden
Wagenbach, 3.Aufl., August 2008
ISBN-10: 3803112540
ISBN-13: 978-3803112545
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Philipp Ardagh: Familie Grunz hat Ärger

Philipp Ardagh: Familie Grunz hat Ärger

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Familie Grunz wohnt in einem selbstgebastelten Wohnwagen, der von zwei Eseln durch die Lande gezogen wird. Herr und Frau Grunz sind chaotisch, unordentlich und sehr seltsam. Meist gibt es Ärger, da wo sie auftauchen. Aber zum Glück bleiben sie nie lange an einem Ort.

Dass Herr und Frau Grunz einen Sohn haben, haben sie einer Wäscheleine zu verdanken. Denn von dieser haben sie Sohnemann mitgehen lassen. Frau Grunz hat ihn mit einem blauen Kleid ausgestattet, da Jungs nun mal Blau tragen sollten.

Sohnemann wundert sich schon ein bisschen über seine Eltern. Irgendwie passt er nicht zu ihnen. Andere Eltern wären ihm tatsächlich lieber. Aber das kann man sich ja nicht aussuchen.

Eines Tages kommen die Grunzens an den Guuthshof des Ehepaares von Guuth, die allerdings auf merkwürdige Weise getrennt voneinander leben, seit sie ihren Sohn verlegt haben und jeder dem anderen dafür die Schuld gibt.

Auch hier, wie soll es anders sein, haben die Grunzens bald wieder Ärger. Mit einem Tritt an einen Strommast macht Herr Grund einen Bienenschwarm wütend. Sohnemann versucht, die Bienen mit einem Glas Honig abzulenken, die sich aber nur ein neues Opfer suchen, den Schuhputzjungen Mimi, der in Wahrheit ein nach Rosen duftendes, hübsches Mädchen ist. Sohnemanns Idee, sie in den Teich zu dirigieren, bewahrt sie vor schmerzhaften Stichen. Auch nass gefällt Mimi ihm noch richtig gut.

Die Geschichte ist ungewöhnlich komisch, ausufernd fantasievoll und merkwürdig spannend. Den Verlauf kann man nicht erahnen und ich glaube, auch der Autor hatte beim Schreiben keinen Plan. Dazu ist Familie Grunz einfach zu eigenwillig.

Junge Leser können also mit jeder Menge haarsträubenden Überraschungen und schnurrigen Abenteuern rechnen. Die Figuren, und zwar alle, sind ausgesprochen skurrile Typen, nehmen das aber mit einer Selbstverständlichkeit, die dann doch wieder von Charakterstärke zeugt.

Damit ist das Buch sehr unterhaltsam, falls man mit dieser irrwitzigen Art von Humor klar kommt und nicht dazu neigt, vom Lachen Bauchschmerzen zu kriegen.

Rezension von Heike Rau

Philipp Ardagh
Familie Grunz hat Ärger
Mit Illustrationen von Axel Scheffler
Übersetzt von Harry Rowohlt
240 Seiten, gebunden
Beltz & Gelberg
ISBN-10: 3407820321
ISBN-13: 978-3407820327
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Verliebt, verlobt…verrückt?

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Geheimnisse einer glücklichen Ehe…

Wenn eine/einer aus dem Nähkästchen der eigenen „Eheerfahrung“ sprechen möchte noch dazu, wenn die/der Betreffende bekannt ist aus Funk und Fernsehen, macht das durchaus neugierig.

Amelie Fried ist eine sympathische Moderatorin, die man einfach immer sehr nett, freundlich und offen erlebt hat.

Mit ihrem Mann Peter Probst hat sie es gewagt, eine Art Anleitung zum „Glücklichsein“ zu verfassen. Dazu gehört die Schilderung der amüsanten ersten Begegnung ebenso wie die störrische Abwehr, mit der zunächst auf das Ansinnen von „Ehe“ reagiert wurde und die unkonventionell verlaufene Hochzeit der beiden.

Die Partner lieben sich sehr, und das ist ja schon einmal eine sehr wichtige Voraussetzung fürs Gelingen einer Ehe. Eingepackt in den Text kann man erfahren, wie es nicht gut gehen kann: wenn man z.B. falsche Erwartungen koppelt an den Verlust der Selbstbestimmung, dann ist das Ende oder die Langeweile in der Ehe nach diesem Buch schon vorprogrammiert. Abwechselnd sprechen Peter Probst und Amelie Fried über ihre Gemeinsamkeiten, die Akzeptanz der Verschiedenheiten, das Loslassen und die Rollenverteilung in ihrer Ehe. Dass sie eine glückliche Gemeinschaft sind, dringt aus jedem Satz heraus. Selbst die unausbleiblichen Krisen werden zuletzt als Wachstum begriffen. In die Texte der beiden Hauptakteure fließen Interviews mit glücklichen und weniger glücklichen Paaren ein. Die Aufführung einer ganzen Reihe von einschlägigen Sach- und Fachbüchern ergänzen die Analyse einer Ehe, die sicher zu den gelungenen Ausnahmen zählt. Es gehören Klugheit, Reife und der Grundtenor des Wohlwollens zu dieser Ehegemeinschaft. Ohne diese Eigenschaften sind leider doch zahlreiche Ehen vom Untergang bedroht, wenn die Liebe eines guten Tages in Hass umschlägt.

Jeden Tag und jede Lebensphase zu reflektieren, wie es Amelie Fried und ihr Mann Peter Probst offensichtlich gelingt, dazu gehört Wissen und die Erfahrung auch über die Endlichkeit unseres Lebens. Das haben die beiden sehr genau begriffen. Alles Aufbegehren und vermeintliche Verjüngen kann nicht über das unausweichliche Ende aller Dinge hinwegtäuschen. Das klingt in den leicht melancholischgefärbten Sätzen Amelie Frieds über das bevorstehende Alter an.

Leicht und flüssig geschrieben und gelegentlich mit einem Schuss Selbstironie und Humor versehen lassen sich auch die schlechten Tage bewältigen.

Es ist ein kluges, amüsantes und sehr leicht geschriebenes Anleitungsbuch zum Glücklichsein. Beispiele können ja zuweilen sehr hilfreich sein!

Insofern ist dieses Buch ein Lehrbuch für „Fortgeschrittene“, das man jedoch guten Gewissens jedem am Eheleben Interessierten empfehlen kann!

Amelie Fried und Peter Probst
Verliebt, verlobt…verrückt?
240 Seiten, gebunden
Heyne Verlag, September 2012
ISBN-10: 3453195248
ISBN-13: 978-3453195240
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Andreas Maier: Das Zimmer

Andreas Maier: Das Zimmer

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Modernes Leben und Erinnerungen an eine versunkene Zeit.

Andreas Maier beschreibt in einem eigentümlich lakonischen Stil ausführlich ein Familienleben, das skurril, zuweilen witzig, sicher aber zu einem guten Teil nostalgisch zu nennen ist.

Onkel J. ist das Faktotum der Familie Boll, einer Steinmetzfamilie in der Wetterau, genauer gesagt in Friedberg. Um ihn wird sich die Geschichte drehen und damit die anderen Familienmitglieder in Erinnerung um sich scharen.

Der arme Onkel J. ist mit einer Behinderung geboren worden und wird ständig, immer und überall geärgert.  Zu Ende des 2. Weltkrieges war er gerade einmal 14 Jahre alt. Schon immer und bis zu ihrem Tod lebt er bei seiner Mutter. Er bastelt gerne, erledigt kleine Botengänge und Besorgungen für die Steinbruchfirma der Familie, bis ihm sein Schwager später eine Lohnarbeit bei der Post verschafft. Wir schreiben das Jahr 1969.

Der Autor nutzt die Geschichte seines Onkels für einen eindrucksvollen Bericht über die Wetterau und die eigenwilligen Charaktere seiner Familie in den sechziger Jahren. Friedberg, Bad Nauheim und die bewaldete Umgebung sind Orte der Handlung.

Da wird dem Bier schon in den frühen Morgenstunden zugesprochen, das Butterbrot in der Dose, Kino, der Kiosk an der Ecke und das Wirtshaus sind häufig erwähnte Elemente, die sowohl Stimmungen als auch das Wohlbefinden der Bürger gewährleisten. Das letzte Lebensjahr des Onkels bietet den Anlass, um sich einer Zeit zu nähern, die Gemächlichkeit verbreitet und Zufriedenheit signalisiert. Der Onkel ist ein tumber Tor, ein Behinderter, der durch sein Verhalten zur Belustigung seiner Mitmenschen beiträgt. Immerhin durfte er noch Auto fahren lernen und konnte seine einfache Arbeit bei der Post verrichten. Betäubend ist sein Körpergeruch, den der kleine Andreas als ekelerregend und zum Fürchten empfindet.

Sein Auto und seine Polohemden besitzen die gleiche Farbe, die an militärische Tarnfarbe denken lässt. Frauen spielen für Onkel J. eine gewichtige aber schamhafte Rolle, doch traut er sich kaum über Pornohefte und das Frankfurter Bahnhofsviertel hinaus. Andreas Maier schildert diesen Onkel als Unikum, abstoßend und faszinierend zugleich. Er ist die zentrale Figur des Romans, um die sich die Familie und die ganz und gar durchschnittlichen Bürger des  Städtchens scharen.

Das schlichte Leben und die simplen Freuden werden atmosphärisch dicht und genau beschrieben. Man spürt das gemütliche und einfache Dasein am besten in den Worten und Taten der Protagonisten. Die Vorboten des zu Ende gehenden 20. Jahrhunderts lassen Befürchtungen aufkommen, dass es mit der Idylle in der Wetterau bald vorbei sein könnte.

Hinreißende Naturbetrachtungen komplettieren den Eindruck einer verhältnismäßig heilen Welt. Das Rotkehlchen oder ein unvergleichlicher Sonnenuntergang, „den einem niemand nehmen kann, für das ganze Leben nicht“ führen immer wieder zur Atmosphäre des Ländlichen und Beschaulichen.

Der Autor Andreas Maier hat mit diesem Roman eine Familiengeschichte begonnen, in der man unschwer biographische Züge entdeckt, und von der man hofft, dass sie noch fortzuspinnen sein wird.

Andreas Maier
Das Zimmer
203 Seiten, gebunden
Suhrkamp Verlag, 6. September 2010
ISBN-10: 3518421743
ISBN-13: 978-3518421741
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