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Schlagwort: Zuflucht

Georgi Gospodinov: Zeitzuflucht

Georgi Gospodinov: Zeitzuflucht

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Es ist eine schöne Illusion, sich vorzustellen, man könne sich aussuchen, in welchem Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts man gerne leben würde. Diese Utopie hat sich Georgi Gospodinov zum Thema seines vorliegenden Romans genommen.

Beginnend mit Gedanken an den Anfang der Menschheit setzt ein Satz dem Suchen danach ein Ende: „Am 1. September 1939 früh am Morgen kam das Ende der menschlichen Zeit“(S.18)
Jeder weiß, was mit diesem Datum gemeint ist!
Nach dieser Einführung beginnt ein Roman, der seinesgleichen sucht.

Ein ungenannter Schriftsteller in Sofia/Bulgarien berichtet von zahlreichen kleinen Beobachtungen und Entdeckungen, die darin gipfeln, dass er einen alten Freund sucht. Es handelt sich um Dr. Gaustin, einem exzentrischen Flaneur und Arzt, den er überraschend in Zürich wiederfindet. Gaustin will eine seltene Form von Geriatrie für Demenzkranke gründen. Der Erzähler soll ihm dabei behilflich sein. Es soll das „Haus der Vergangenheit“ heißen. In diesem Haus wird es verschiedene Zeitebenen von den vierziger bis in die neunziger Jahre geben. In einzelnen Zimmern sind Interieur und Aufmachung den Zeitebenen entsprechend eingerichtet. Hier kann man sich aussuchen, in welcher Zeit man leben will. Nicht nur die Vergesslichen des Alters finden ihren Raum, zunehmend wollen auch Gesunde gerne einkehren.

Zu den Zeitebenen passt die Erwähnung politischer Personen oder Ereignisse: Musik, Schlager, Rebellion der 68sechziger, Gerüche, Reagan, Kohl und Gorbatschow, Zitate von Thomas Mann bis Einstein und so fort.
Auf die Frage des Erzählers nach den 40ziger Jahren und dem Krieg antwortet Gaustin zum ersten Mal: “ich weiß es wirklich nicht“S.101)

Eingeflochten in die Geschichte findet man wunderbare poetische Beobachtungen von Landschaften, Städten und nicht zuletzt Passagen der Biographie des Erzählers. Sie bieten den Bezug zur Realität.

In einem zweiten Teil des Romans erzählt Gospodinov von einem Referendum, bei dem in den europäischen Ländern über die Möglichkeit eines Lebens in längst vergangenen Jahrzehnten abgestimmt werden soll. Wir sind im Heute angekommen mit allen Möglichkeiten der Technik beim Aushorchen und der Manipulation.
Wozu diese Utopien führen können, zeigt uns prophetisch Moskau mit seinem „Zurück zu den alten Grenzen der Sowjetunion“.

Georgi Gospodinov ist ein begnadeter Erzähler. Ihm purzeln die Ideen nur so aus der Feder.
Sie sind teils witzig, teils skurril und teilweise ernst. Sie reichen von der griechischen Mythologie zu einzelnen Geschichtsereignissen und sehr realen Gedanken über das Heute. Sie wechseln von Einzelschicksalen ins Globale und irrlichtern zwischen den Zeiten hin und her. Gelegentlich sind sie irritierend bis irrwitzig, weil am Ende niemand mehr weiß, ist der Autor real oder ist es eher die von ihm erfundene Figur Gaustin. Auf jeden Fall werden in dem Roman hintergründig philosophisch und reflektierend die vergangenen Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts unter die Lupe genommen. Es ist ein überwältigendes Werk in der Übersetzung von Alexander Sitzmann.

Georgi Gospodinov ist in Bulgarien geboren. Er hat für seine Romane zahlreiche Preise gewonnen.

Georgi Gospodinov
Zeitzuflucht
Aufbau, 3. Auflage, März 2022
342 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3351038895
ISBN-13: ‎978-3351038892
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Elizabeth George: Whisper Island – Sturmwarnung

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Auf Whidbey Island verwandelt sich Hannah Armstrong in Becca King. Auch ihr Aussehen ist nun verändert. Das alles gehört zum Plan. Ihr Stiefvater Jeff Corrie soll das Mädchen nicht finden können. So muss Becca bei einer Freundin ihrer Mutter unterkommen, bis diese für sich und ihre Tochter einen dauerhaften Zufluchtsort gefunden hat. Einen Ort, wo sie sicher sind vor dem Mörder. Denn dass Jeff Corrie einer ist, weiß Becca. Sie kann die Gedanken anderer hören.

Auf der Insel muss Becca ohne ihre Mutter klarkommen. Doch von Anfang an läuft alles schief. Die Freundin ihrer Mutter ist kürzlich an einem Herzinfarkt gestorben. Das bedeutet für Becca nun keine Unterkunft zu haben und völlig auf sich allein gestellt zu sein. Ihre Mutter ist nämlich über das Handy nicht zu erreichen.

Seth Darrow, der zur Aushilfe im Supermarkt arbeitet, versorgt Becca nicht nur mit Essen, er vermittelt auch den Kontakt zu Debbie Grieder. Diese nimmt Becca bei sich auf, erwartet im Gegenzug von ihr, dass sie ihr im Motel hilft und ab und an auf die Enkelkinder Josh und Chloe aufpasst. Außerdem sorgt Debbie dafür, dass Becca die Schule besuchen kann.
Hier sieht Becca Derric wieder. Sie hatte ihn bereits auf der Fähre gesehen, außerdem ist er ein Freund von Josh. Becca ist fasziniert von ihm. In Seth und Derric findet Becca Freunde, von denen sie aber nicht weiß, inwieweit sie ihnen vertrauen kann. Sich unter den Jugendlichen zu behaupten, ist ohnehin nicht leicht. Jeder hat seine Geheimnisse.

Immer mal wieder versucht Becca ihre Mutter anzurufen. Doch sie kann sie nicht erreichen. Ob Jeff Corrie sie aufgespürt hat? Als Derric im Wald einen Unfall hat, muss Becca mit dem Handy einen Notruf absetzen. Da die Polizei sie über das Handy ausfindig machen und bis zu ihrer Mutter zurückverfolgen könnte, muss Becca das Telefon loswerden. Die einzige mögliche Verbindung zu ihrer Mutter.

Becca hat eine seltene Gabe. Sie kann Gedanken hören. Nur kann man diesen geflüsterten Bruchstücken, die oftmals von dem Flüstern weiterer Gedankensplitter überlagert werden und dann kaum zuzuordnen sind, nur bedingt etwas entnehmen. Statt ein Geheimnis zu lüften, kommt manchmal ein weiteres hinzu.

Den Verlauf der Geschichte bestimmt diese Gabe also nicht unbedingt. Aber sie macht es Becca ein wenig einfacher, die Menschen der Insel einzuschätzen.
Dass sie unerkannt bleibt, sichert ihr Überleben. Aber so gut sie das auch versucht, spürt man doch die Gefahr, die stets lauert. Fragen werden gestellt. Und bald sucht die Polizei nach dem Besitzer des Handys. So wird Beccas Leben zum Versteckspiel.

Allerdings wirkt die Handlung zu konstruiert. Viel zu sehr ergibt sich Becca ihrem Schicksal und über lange Strecken passiert nichts Außergewöhnliches. Irgendwie bleibt die im Klappentext versprochene Spannung aus.

Auch wenn man anderes erwartet hat, vom Schreibstil her liest sich das Buch dennoch gut. Es ist anzunehmen, dass die Handlung mit dem zweiten Band sehr viel spannender weitergehen wird. Der erste, also der Auftakt zur Geschichte, wird mit einer vielversprechenden Szene beendet.

Rezensionen von Heike Rau

Elizabeth George
Whisper Island – Sturmwarnung
Aus dem Amerikanischen von Ann Lecker-Chewiwi und Bettina Arlt
448 Seiten, gebunden
Egmont INK
ISBN-10: 3863960017
ISBN-13: 978-3863960018
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