Äpfel ... (Oder der klägliche Verusuch eine Parabel zu schreiben)

Esta

Mitglied
ÄPFEL
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Seit meiner Kindheit liebe ich Äpfel. Ich weiß nicht, woran es liegt, doch sobald ich einen giftgrünen, einen scharlachroten oder einen grün-gelb-rot-gescheckten Apfel sehe, juckt es mich in den Fingern und meine Augen weiten sich. So sehr liebe ich diese Frucht.
Ich erinnere mich noch gut an meine Kindertage. Wir hatten Äpfel zu Hause, Äpfel, die auf hohen Tellern lagen und auf meine Hände warteten, die nach ihnen griffen und sie gierig zu meinem Mund führten. Äpfel, die der ganzen Wohnung ein frisches Aroma verliehen.
Doch irgendwann verschwanden sie. Ich glaube, es begann kurz nachdem meine Mutter sich hatte scheiden lassen. Zu Beginn lagen die Äpfel noch verstreut und chaotisch in der Wohnung wie immer, nur meine Mutter hielt mir ständig vor, ich solle nicht so viele Äpfel in mich hineinfressen. Irgendwann begann sie dann, die Früchte aus all den verstaubten Winkeln unserer Wohnung einzusammeln und auf einen Haufen zu legen. Vorzugsweise in ihrer Nähe. Ich wurde älter und je mehr Äpfel aus ihren gewohnten Schlupflöchern in der Wohnung verschwanden, desto mehr sehnte ich mich nach ihnen.
Mit der Zeit kam meine Mutter zu der Überzeugung, es sei besser für mich, schränkte sie meinen unmäßigen Apfelkonsum ein. Von da an, sperrte sie die Früchte regelrecht weg und entschied nach ihrem eigenen Willen, wann es mir zuteil wurde, Äpfel genießen zu dürfen. Sie servierte mir die Äpfel, im Ganzen erst, dann klein geschnitten und schließlich in winzigen Apfelstreifchen. Ich bettelte und flehte sie an, sie sollte meine Apfelsucht verstehen und mir endlich wieder erlauben, selbst zu entscheiden, wann und wie ich meinen Apfel haben wollte, denn allmählich wurden mir die festgelegten Zeiten des Apfelessens zuwider.
Zu dieser Zeit begann ich mein Studium an einer Universität in der Stadt. Und etwas anderes geschah. Niemand weiß, wie es dazu kam, doch eines morgens reckten sich die ersten Zweige eines schmächtigen Bäumchens unmittelbar vor unserer Wohnung gen Himmel. Ich starrte das zarte Grün der Pflanze an jenem Morgen lange an. ich wusste, es würde ein Apfelbaum werden.
In den Pausen zwischen den einzelnen Vorlesungen wurde ich auf eine harte Probe gestellt. Eine gute Freundin von mir hing damals ebenso wie ich an der grünen Frucht. Doch im Gegensatz hatte sie daheim die freie Verfügungsgewalt über ihr Suchtmittel und so brachte sie als Pausensnack stets ein oder mehrere Äpfel in die Universität, die sie vor meinen verlangenden Augen auch schamlos verspeiste.
Auf meine Bitte hin, sie möge mir doch ein Stück abgeben, lächelte sie mich Tag um Tag freundlich und meinte nur, ich könne doch in die Stadt fahren und mir selbst Äpfel kaufen.
Ich dachte nie wirklich daran, diesen Vorschlag umzusetzen. Ich weiß selbst nicht woran es lag, doch wahrscheinlich stellte ich mir das Gesicht meiner tobenden Mutter vor, erfuhr sie jemals, wie eigenmächtig ich gehandelt hatte. Denn, soviel stand leider fest, meine Mutter war der festen Überzeugung, nur ihre Entscheidungen seien gut für mich.
Und so verstrich die Zeit. Ich schloss mein Studium ab und verlor das Ziel, meine Äpfel endlich wieder ohne Vorschriften verzehren zu können, gänzlich aus den Augen.
Bis heute morgen.
Wie gewöhnlich verließ ich den Hausflur und schloss die Tür hinter mir und wie gewöhnlich hielt ich es für selbstverständlich, dass der große Baum vor dem Haus mir Schatten spendete. Der sanfte Geruch von Frühling hing in der Luft und wie immer wollte ich mich auf den weg zur Arbeit machen, als mein Blick plötzlich an einem Apfel hängen blieb. Er war tiefrot, schimmerte sacht im Licht der aufgehenden Sonne und schien nach mir zu rufen. All die teils verdrängten Bemühungen der vergangenen Jahre an Äpfel heranzukommen, durchbrachen mit einem Mal die Schwelle des Unterbewusstseins und schossen durch meine Gedanken. Das Wasser lief mir im Mund zusammen und entgegen jeden Vorsatzes auf Uni, entgegen jeder Vorstellung einer tobenden Mutter, griff ich nach der verlockenden Frucht.
Sie schmeckte anders, als ich es in Erinnerung hatte. Süß. Viel süßer, als die servierten Apfelstückchen meiner Mutter.
In jenem Moment schien etwas in meinem inneren zu neuem Leben zu erwachen. Etwas, das schon geraume Zeit untergraben und vergessen war, kämpfte sich an die Oberfläche und mir kam es vor, als würde ein neuer Mensch geboren. Oder nein, nicht geboren. Wiedergeboren.
Im Moment sitze ich im Licht der herrlichsten Frühlingssonne in meinem Büro im Stadtzentrum und hänge einfach nur meinen Gedanken nach. Vergangene Bilder ziehen an meinem inneren Auge vorbei, Gefühle, die ich zu fühlen mich gar nicht mehr gewagt habe, steigen in mir auf. Und eines, das weiß ich ganz genau.
Heute Abend werde ich den vorsorglich und fein säuberlich zerteilten Apfel meiner Mutter ablehnen – denn ich bringe meinen eigenen mit.

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Anmerkung:
Bei diesem doch etwas eigenwilligen Text handelt es sich um den ersten Versuch einer gelangweilten 15-jährigen, eine Parabel zu schreiben. Die unterschiedlichsten Dinge sind mit eingeflossen, unter anderem eines meiner momentanen Lieblingslieder („Numb“ – Linkin Park). Was das „Gleichnis“ der Geschichte angeht, so verdanke ich den Anstoß einer meiner Freundinnen, die mir nach einem gewissen Film (in dem Äpfel für einen der Charaktere auch eine kleine Rolle „spielten“) aus religiöser Sicht erklärte, wofür die Äpfel für gewöhnlich ständen. Dafür danke ich ihr. Ebenso allen Menschen, die mich meinem Hobby nachgehen lassen, ohne unerwünschte Meinungen dazu abzugeben und natürlich auch all jenen, die meine Geschichten lesen und mir Hinweise geben, wie man sie verbessern könnte.
Vielen Dank.

P.S.: Kritik, Verbesserungsvorschläge, etc. sind natürlich immer gern gesehen.
 
A

AndreasGaertner

Gast
Hallo Du,
das ist doch keine klägliche Parabel, sondern vielmehr eine
schöne Projektion all Deiner Gemütszustände und bisherigen Lebensabschnitte auf eine symbolbehaftete Frucht.Was man
aus einem Apfel alles so herausholen kann?! Nicht nur Saft und Apfelmus *grins*!
Das lehrt einen, daß der Mensch wohl viele verschiedene Erlebniswelten besitzt, von denen aus er(..oder sie) den gleichen Apfel unterschiedlich zu empfinden, zu betrachten, oder ein Geschehnis mit ihm zu assoziieren vermag --> In einem Sandkorn erkenne ich die Welt...
Und nett geschrieben ist Deine Geschichte ebenfalls.

P.S.:Lieber Apfelsüchtig, als McDonalds!!

Grüsse Andreas
 



 
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