Sehr geehrter Herr Staatsanwalt,
ich bin ein absolut friedfertiger Mensch und habe vorher noch nie einem Menschen etwas zuleide getan. Wenn ich jedoch nach einer langen Arbeitsnacht kaum noch klar denken kann vor Müdigkeit, und das war zum Tatzeitpunkt gegen sechs Uhr morgens der Fall, reagiere ich mitunter gereizt, wenn mich jemand beleidigt. Aber ich will nicht den Eindruck erwecken, dass so etwas jemals wieder vorkommen könnte, weil ich mich nicht unter Kontrolle hätte. Sie sollen lediglich erfahren, was zu meinem unverantwortlichen und unrechtmäßigen Handeln führte.
Herr Wissmuth-Savoyen, hatte schon 1 Kristallweizen feinherb, 1 Glas Chateaubriand rot und 3 Hemmingway Sour getrunken, als er, offenbar aus Hunger, einen Schweinebraten bestellte. Ich erklärte ihm, die Küche sei geschlossen, und es wäre mir unmöglich, seinen Wunsch zu erfüllen. Da wurde er zornig und schrie herum: wo er denn hier sei, wer er denn sei und wer ich denn sei, ihm keinen Schweinebraten zu servieren.
Herr Staatsanwalt, ich bin im Umgang mit schwierigen Gästen geübt. Und so setzte ich mein freundlichstes Lächeln auf und sagte, ich würde sofort mein Möglichstes tun, und ging ich in die Küche, um zu sehen, was mir zur Fütterung dieses Herrn zur Verfügung stand.
Die Küche war aufgeräumt. Ich machte das Licht an und öffnete nacheinander alle Tiefkühltruhen, auf der Suche nach Schweinebraten oder etwas Vergleichbarem, das ich nur aufzuwärmen bräuchte. Dabei fiel mir unser Koch ein, der es nicht mag, wenn jemand in "seiner Küche" herumpfuscht. Diese Abneigung geht soweit, dass er seinen Kochlöffel wirft, wenn ein Kellner sich dem Herd auch nur nähert. Als ich einmal meine Hand nach einem aufgeschnittenen Weißbrot ausstreckte, um zu erfühlen, ob es noch warm sei, hing mein Ärmel plötzlich an einem Messer, das aus heiterem Himmel im Schneidbrett steckte!! Dies bedenkend kehrte ich in den Barraum zurück und holte aus dem Unterschrank eine Dose Kekse, die ich dem Gast anbot.
Herr Wissmuth-Savoyen war ob dieses freundlich gemeinten Angebots außer sich vor Wut. Er schüttete die Dose aus und setzte sie mir, der ich mich heruntergebeugt hatte, auf den Kopf, so dass mein Haar voller Krümel war. Dann legte er sich ein Biskuit auf den rechten Zeigefinger und hielt ihn mir unter die Nase. "Ist das Schweinebraten?" fragte er sehr penetrant und schien durchaus eine Antwort zu erwarten, bis er schließlich - wortwörtlich - sagte: "Los, friss, du Schwein! Und sag mir ob das Schweinebraten ist!" Daraufhin passierte es.
Herr Staatsanwalt, ich habe zugegebenermaßen zu stark zugeschnappt. Doch ich versichere, den Finger des Herrn Wissmuth-Savoyen bei meinem Biss nicht im Auge gehabt zu haben. Ich wollte im Grunde gar nicht zubeißen. Die Müdigkeit hatte bei mir wohl zu einer Verwirrung geführt, die mich veranlasste, den Wunsch des Gastes ernst zu nehmen. Und selbst wenn ich im Privaten dem Herrn Baron grollte und ihn insgeheim vielleicht ganz gern mit meinen Zähnen erwischt hätte, was zu meinem tiefsten Bedauern ja geschah, so kann ich doch eins beschwören: Ich wollte gewiss auf keinen Fall so zubeißen, dass der Herr Baron dadurch Schaden nähme. Ich hätte ihn allerhöchstens ein bisschen gezwickt, wie Hunde das tun, wenn sie wissen wollen, ob Ihr Finger ein Leckerchen ist. Mögen Sie Hunde, Herr Staatsanwalt? Ich musste nur gerade an meinen guten Wilfried denken, der letzte Woche durch einen herabfallenden Dachziegel getötet wurde - aber was tut das schon zur Sache.
Sie mögen nun gemäß Ihres hohen Amtes darüber befinden, ob der Staat gleich dem Herrn Baron gegen mich Anklage erheben muss. Vielleicht interessiert es Sie, dass mich das Hotel entlassen hat, was wohl am härtesten meine fünfjährige Tochter Celina trifft, für die ich immer pünktlich jeden Monat die Alimente bezahlt habe. Für mich selbst ist die Strafe natürlich nicht minder schwer, da ich nun arbeitslos bin und damit rechnen muss, aufgrund einer Vorstrafe niemals mehr eine Stelle zu finden, und unter einer Brücke hausen zu müssen, wo, während ich schlafe, Ratten über mein Gesicht kriechen und der Gestank so unerträglich ist, dass ich, selbst wenn ich einen Kanten Brot hätte, verhungern müsste, weil ich ihn immer wieder erbräche. Aber bitte lassen Sie sich von solchen individuellen Umständen nicht beeinflussen. Ich bin sicher, dass Ihre Entscheidung, wie auch immer sie ausfällt, richtig sein wird.
Ehrerbietigst,
Ihr Hans-Andreas Heinze
PS: Bitte entschuldigen Sie die Flecken auf dem Papier. Es sind erkaltete Tränen.
ich bin ein absolut friedfertiger Mensch und habe vorher noch nie einem Menschen etwas zuleide getan. Wenn ich jedoch nach einer langen Arbeitsnacht kaum noch klar denken kann vor Müdigkeit, und das war zum Tatzeitpunkt gegen sechs Uhr morgens der Fall, reagiere ich mitunter gereizt, wenn mich jemand beleidigt. Aber ich will nicht den Eindruck erwecken, dass so etwas jemals wieder vorkommen könnte, weil ich mich nicht unter Kontrolle hätte. Sie sollen lediglich erfahren, was zu meinem unverantwortlichen und unrechtmäßigen Handeln führte.
Herr Wissmuth-Savoyen, hatte schon 1 Kristallweizen feinherb, 1 Glas Chateaubriand rot und 3 Hemmingway Sour getrunken, als er, offenbar aus Hunger, einen Schweinebraten bestellte. Ich erklärte ihm, die Küche sei geschlossen, und es wäre mir unmöglich, seinen Wunsch zu erfüllen. Da wurde er zornig und schrie herum: wo er denn hier sei, wer er denn sei und wer ich denn sei, ihm keinen Schweinebraten zu servieren.
Herr Staatsanwalt, ich bin im Umgang mit schwierigen Gästen geübt. Und so setzte ich mein freundlichstes Lächeln auf und sagte, ich würde sofort mein Möglichstes tun, und ging ich in die Küche, um zu sehen, was mir zur Fütterung dieses Herrn zur Verfügung stand.
Die Küche war aufgeräumt. Ich machte das Licht an und öffnete nacheinander alle Tiefkühltruhen, auf der Suche nach Schweinebraten oder etwas Vergleichbarem, das ich nur aufzuwärmen bräuchte. Dabei fiel mir unser Koch ein, der es nicht mag, wenn jemand in "seiner Küche" herumpfuscht. Diese Abneigung geht soweit, dass er seinen Kochlöffel wirft, wenn ein Kellner sich dem Herd auch nur nähert. Als ich einmal meine Hand nach einem aufgeschnittenen Weißbrot ausstreckte, um zu erfühlen, ob es noch warm sei, hing mein Ärmel plötzlich an einem Messer, das aus heiterem Himmel im Schneidbrett steckte!! Dies bedenkend kehrte ich in den Barraum zurück und holte aus dem Unterschrank eine Dose Kekse, die ich dem Gast anbot.
Herr Wissmuth-Savoyen war ob dieses freundlich gemeinten Angebots außer sich vor Wut. Er schüttete die Dose aus und setzte sie mir, der ich mich heruntergebeugt hatte, auf den Kopf, so dass mein Haar voller Krümel war. Dann legte er sich ein Biskuit auf den rechten Zeigefinger und hielt ihn mir unter die Nase. "Ist das Schweinebraten?" fragte er sehr penetrant und schien durchaus eine Antwort zu erwarten, bis er schließlich - wortwörtlich - sagte: "Los, friss, du Schwein! Und sag mir ob das Schweinebraten ist!" Daraufhin passierte es.
Herr Staatsanwalt, ich habe zugegebenermaßen zu stark zugeschnappt. Doch ich versichere, den Finger des Herrn Wissmuth-Savoyen bei meinem Biss nicht im Auge gehabt zu haben. Ich wollte im Grunde gar nicht zubeißen. Die Müdigkeit hatte bei mir wohl zu einer Verwirrung geführt, die mich veranlasste, den Wunsch des Gastes ernst zu nehmen. Und selbst wenn ich im Privaten dem Herrn Baron grollte und ihn insgeheim vielleicht ganz gern mit meinen Zähnen erwischt hätte, was zu meinem tiefsten Bedauern ja geschah, so kann ich doch eins beschwören: Ich wollte gewiss auf keinen Fall so zubeißen, dass der Herr Baron dadurch Schaden nähme. Ich hätte ihn allerhöchstens ein bisschen gezwickt, wie Hunde das tun, wenn sie wissen wollen, ob Ihr Finger ein Leckerchen ist. Mögen Sie Hunde, Herr Staatsanwalt? Ich musste nur gerade an meinen guten Wilfried denken, der letzte Woche durch einen herabfallenden Dachziegel getötet wurde - aber was tut das schon zur Sache.
Sie mögen nun gemäß Ihres hohen Amtes darüber befinden, ob der Staat gleich dem Herrn Baron gegen mich Anklage erheben muss. Vielleicht interessiert es Sie, dass mich das Hotel entlassen hat, was wohl am härtesten meine fünfjährige Tochter Celina trifft, für die ich immer pünktlich jeden Monat die Alimente bezahlt habe. Für mich selbst ist die Strafe natürlich nicht minder schwer, da ich nun arbeitslos bin und damit rechnen muss, aufgrund einer Vorstrafe niemals mehr eine Stelle zu finden, und unter einer Brücke hausen zu müssen, wo, während ich schlafe, Ratten über mein Gesicht kriechen und der Gestank so unerträglich ist, dass ich, selbst wenn ich einen Kanten Brot hätte, verhungern müsste, weil ich ihn immer wieder erbräche. Aber bitte lassen Sie sich von solchen individuellen Umständen nicht beeinflussen. Ich bin sicher, dass Ihre Entscheidung, wie auch immer sie ausfällt, richtig sein wird.
Ehrerbietigst,
Ihr Hans-Andreas Heinze
PS: Bitte entschuldigen Sie die Flecken auf dem Papier. Es sind erkaltete Tränen.