"Mauerblume"/Fortsetzung

Markus Veith

Mitglied
...
Die Frau starrte ihm hinterher. Bald darauf stellte Manni etwas Dampfendes auf den Tisch. Es war durchsichtig. Ein Gebäck lag verpackt auf der zierlichen Untertasse.
"So. Bitteschön."
"Was ist das?"
"Ginsengtee. Chinesisch."
"Aber ..." Sie wollte aufbrausen, entschloß sich jedoch zu Ruhe. "Das habe ich nicht bestellt. Ich wollte ..." "Tja. So ist das im Leben", unterbrach sie der Kellner, während er ein Kreuz ritzte. "Nie bekommt man, was man eigentlich haben will."
Die Antwort machte sie zu einer Erwiderung unfähig. Stattdessen nahm sie das seltsame Gebäcktütchen und öffnete es.
"Glückskeks. Gibt's bei uns immer mit dabei." Manni stellte die leere Flasche auf sein Tablett und einen sauberen Aschenbecher auf den Tisch. "Vorsicht. Da is nochen Zettel drin."
"Ja, ja, ich weiß." Sie brach die gefalteten Teighälften auseinander, zog die kleine, weiße Fahne heraus und las stumm die zwei zierlichen Zeilen. Sie runzelte die Stirn. Las noch einmal. Und nochmal. Wieder und wieder.
Schließlich zog sie sich ihren Mantel über und winkte nach dem bereits weitergezogenen Kellner, um zu zahlen. Nachdem ihr Deckel beglichen und zerknickt war, fragte sie: "Ach, und ... kannst du mir sagen, wer dieser Herr war, der dir den Keks zugesteckt hat?"
Manni griente und klemmte sich das Tablett unter den Arm. "Aleks? Och, der is häufig hier. Den kennt auch jeder. Is inner Szene ´n ziemlich bunter Hund."
"Was macht er denn beruflich?"
"Das hab ich ihn auch mal gefragt. Er sagt, er is Menschenforscher."
"Menschenforscher? Ist er Soziologe? Oder Psychologe?"
"Oder Philosoph. Hab keine Ahnung. Er sitzt meist stundenlang da, beobachtet die Leute und kritzelt sein Büchschen voll. Und manchmal setzt er sich dann zu jemanden an den Tisch, um sich zu unterhalten. Dann wird's öfters mal so laut wie bei euch gerade. Aber es hat sich noch niemand über ihn beschwert und darum mischen wir uns auch nich ein."
Sie errötete. "Warum macht er das?"
"Pfh. Was weiß ich. - Trinkste den noch?"
Verwirrt folgte sie seinem Nicken und starrte benommen, als sei sie eben aus einem Tiefschlaf erwacht, auf die dampfende Tasse Tee. Warmes Aroma stieg ihr in die Nase. Mehrere Sekunden vergingen ohne sichtbare Regung.
"Na, ich lassen mal noch da", sagte Manni schließlich und entfernte sich von dem Tisch.
Lange saß die junge Frau noch da, starrte in die Teetasse, rührte gedankenverloren, ab und an nippte sie zaghaft an dem Getränk. Den Mantel behielt sie die ganze Zeit an.
Irgendwann stand sie auf, und während sie zur Tür ging, griff sie hinter ihren Kopf und löste die Spange aus ihren Haaren. Mahagonibraun wallten sie auf ihre Schultern herab, federten leicht über ihren Rücken. Blicke wandten sich ihr zu. Lächelnd stopfte sie das Assesoir in ein Edgar-Karten-Fach am Ausgang.
"Hey, du! Hallo!" scholl Mannis Stimme durchs Lokal. "Hey, du hast deine Handtasche vergessen!"
Doch die junge Frau drückte bereits durch den Vorhang hindurch die Klinke herunter. "Nein", rief sie kopfschüttelnd zurück, "das habe ich nicht!"
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Wow! Wieder mal ein echt Veith'scher Hammer. Mehr kann ich dazu wirklich nicht sagen. Warum irgend etwas Fadenscheiniges an den Haaren herbei ziehen wollen? Deine Geschichte finde ich großartig - basta!

Gruß Ralph
 

Ole

Mitglied
Hey Markus,

Ralph hatte vollkommen Recht!
Die Story ist echt gut gelungen,
macht mich neugierig auf die
"echt Veith'schen Hammer". ;-)
(Was wird wohl in dem Glückskeks
gestanden haben?!)

Vielen Dank für diese Geschichte!
Ole.
 



 
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