"Was es ist"

Odilo Plank

Mitglied
Ich beuge mich über ihren Tisch, korrigiere ihren Text.
Sie beugt sich zurück, zeigt ihr Bäuchlein.
Unter dem Nabel abwärts verläuft ein feiner roter Strich.
Sie hat vor acht Tagen entbunden. Der rote Strich, ein kosmetischer Schnitt.
Das haben die wunderbar hingekriegt, flüstere ich.
Sie strahlt.
Die Nachbarin, bebrillt, schaut an die Tafel
und hat doch die Szene im Blick.
Gelassenheit einer Dame.
Wer bin ich, dass ich chirurgische Narben beurteilen soll?
Hier geht´s um die Außenpolitik Bismarcks,
die Geheimbündelei europäischer Großmächte Ende des 19. Jahrhunderts.
Ich spüre, das hier ist klar und offen.
Bin ich ihr Papa? Ich bin Lehrer.
Ein halbes Jahr später. Ich korrigiere.
Vor mir das Bäuchlein, makellos.
In Ordnung, flüstere ich.
Sie strahlt.

„ Es ist Unsinn, sagt die Vernunft.
Es ist, was es ist, sagt die Liebe.“ Erich Fried
 
K

Kasper Grimm

Gast
Die bebrillte Dame hat insoweit unrecht, als sie nicht bedachte, daß Weltpolitik mit Mütterbäuchen beginnt: wird doch daraus späteres bismarcksches Kanonenfutter geboren, um es mal böse zu sagen.
Abgesehen davon ist eine solche Schönheitsnarbe tausendmal interessanter als der alte preußische Beißer.
LG Kasper
 

Odilo Plank

Mitglied
Was es ist

Hallo, Kasper,
vielen Dank für diesen Aspekt.
Bismarck war ein Beißer, Leuten gegenüber, die er nicht verstehen wollte. Aber er war auch eine nervende Heulsuse bei eigenen Empfindlichkeiten. Die schnauzgezwirbelte allerhöchste Majestät ist mir noch mehr zuwider.
LG Odilo
 



 
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