2.15 Wetterleuchten

Alpha

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2.15 Wetterleuchten

Eigentlich hätte ich ja vorher wissen müssen, worauf ich mich einlasse. Eigentlich wusste ich ja ganz genau, auf was ich mich da einließ - ich wollte es so. Vorher denkt man sicher doch immer: Ach was, ich riskier’s. Was hat man schon zu verlieren, erneut verletzt zu werden? Vielleicht ist das besser, als vergessen zu sein. Sicher ist das besser.
Also bin ich einfach gegangen. Zu ihm. Und draußen war es so dunkel; kein Mond, keine Sterne, selbst die Straßenlaternen waren verstummt. Ich konnte nicht einmal mehr meinen Weg sehen; aber zu ihm, zu ihm fand ich. Wir haben uns lange einfach nur angeschwiegen. Im Grunde hätte mir das gereicht. Ja, da habe ich sogar noch daran gedacht. Gehe, bevor es zu spät ist! Dachte ich. Seine Anwesenheit gefiel mir. Diese Vertrautheit der Umgebung; diese Zuversicht, sich mit ihm einen Raum teilen zu dürfen. Nun geh’ doch endlich! Morgen, wenn die Welt wieder den Sinn verloren hat, ist es zu spät! Dachte ich. Ich warf einen kurzen Blick zu ihm hinüber. So flüchtig, dass ich ihn nur schemenhaft erkennen konnte. (Mehr habe ich mir nicht getraut) Und doch reichte es, ihn in seiner vollen Größe zu erahnen, diese besorgte Erhabenheit, diese feierlich-traurige Tiefe, mit der er mir gegenüber ruhte... wie hätte ich da, trotz allem, einfach gehen können? Ja, irgendwann haben wir auch geredet. Es brachte uns nicht viel, zumindest mir nicht. Während ich mich bis auf die Fingerknochen an seiner Mauer wund kratzte, setzte er Backstein für Backstein obendrauf, einen jeden fein säuberlich argumentiert und fest gespachtelt.
Gehe! Blutige Finger reichen! Ich fühlte mich wohl bei ihm. Selbst wenn ich dabei mein Finger fleischkahl schabte. Diese Nacht wird dich zeichnen! Aber ich liebe ihn! Wir redeten noch eine Weile, er mehr, ich weniger. Dann kehrte eine Pause ein, völlig normal bei so schweren Backsteinen. Mir kamen schon die Tränen, wegen der Finger natürlich. Ich hatte alles im Griff. Wir schwiegen uns wieder an. Dabei hätte es von vornherein bleiben sollen, ich habs ja gleich gewusst. Tja, jetzt war’s zu spät. Ich habe es so gewollt. Ich glaube (man hätte meine Freude, bei ihm sein zu dürfen, fast glücklich nennen können), in einigen Momenten schien sich die Stimmung aufzuhellen, und das lag nicht an dem großen, fünf-armigen Kerzenständer. Und trotz seiner Augen, die mich nur voller Misstrauen und schuldig sprechender Distanz anschauten, sah ich ab und an ein Lächeln über seine Lippen fliehen. Ich wusste, es war ohne Belange, doch zwang ich mich, dem Lächeln mehr zu glauben als den Augen.
Ich weiß nicht mal mehr, wie das passierte, dass ich dann neben ihm lag. Er wollte es auch, das weiß ich. Aber zu spät wurde mir klar, dass es nur eine naive Hoffnung meinerseits war, er hätte die gleichen Ziele vor Augen. Als ich meine geschundenen Hände über seinen Bauch streichen ließ, wusste ich, was mein Leben sinnvoll machte. Ich fühlte nichts als diesen Augenblick, der sich mir so einbrannte, dass ich noch heute nicht weiß, ob es schmerzliche Sinnlichkeit oder sinnüberfüllter Schmerz war. Und ich malte Bilder auf seiner Haut, dass mir die Tränen kamen... Warum bin ich nur hier geblieben?! Aber ich liebe ihn doch. Ich hätte gehen sollen. Doch da war es schon zu spät. [...]
All die Schmelzpunkte dieser Begegnung - Nacht für Nacht spüre ich sie voller Verlangen brennen, voller Sehnsucht mir Funken schlagen. Wie gern hätte ich ihm gesagt, dass ich ihn liebe, doch da war keine Zeit mehr zwischen den Atemzügen.

Am Ende schwiegen wir wieder. Ich wacher als er. Ich bereute es. Eigentlich nicht. Aber er sagte doch nichts (Du hättest doch gehen sollen!). Ich betrachtete ihn, ich hätte ihn auch gerne noch die ganze Nacht einfach angeschaut... und den Schimmer Hoffnung genossen, den ich bis dahin noch hatte. Aber er wusste das. Er wusste das von Anfang an. Auch da noch, als er sanft meine Hand streichelte. Und ich spürte, dass sein Schweigen sich die letzten Waffen scharf machte, ich spürte die Klingen an meiner heißen Kehle, das Abschussrohr auf meiner Brust; und meine Hand lag noch immer in seiner. (Kein Augenblick, in dem ich geborgener war)
’Es bleibt trotzdem alles wie vorher’, habe ich die Klinge schneiden, die Kugel eindringen hören... Millimeter um Millimeter dem Zentrum entgegen. Dann ging das Licht aus.
Ich hätte früher schon gehen sollen. Ich hätte gar nicht erst hin gehen sollen. Die Kugel zerfraß mich wie einen fauligen Apfel, den ich langsam wieder einkleidete, langsam zum Zimmer hinaus bewegte. Er sagte wohl noch so etwas wie Schlaf gut, aber das konnte wohl kaum mir gelten. Ich ging. Und am Horizont, über mir, tanzten Wetterleuchten.
 



 
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