freifrau von löwe
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Vorgaben: 80 Zeilen, Dialog in einer in sich geschlossenen Szene
Rufus Hohlmut hinkte durch die Lobby zum Aufzug. Der Kragen seines doppelt gestärkten Hemdes scheuerte den Hals wund, doch das machte ihm nichts aus. Disziplin war eine Eigenschaft, die er an sich selbst in höchstem Maße schätzte. Disziplin war alles. Sie gab ihm das Gefühl, sein Leben unter Kontrolle zu haben. Wie zerbrechlich diese Kontrolle in Wirklichkeit war, würde er in genau einer Minute und fünfundzwanzig Sekunden heraus finden.
Mit einem „Ping“ öffnete sich die Fahrstuhltür und gab eine winzige Kabine frei. Er trat hinein und drückte die Drei. Die Tür schloß ächzend und der Fahrstuhl setzte sich in Bewegung. Doch er fuhr nicht hinauf.
Im Tiefgeschoss wartete Milli Woitila auf den Aufzug. Als er kam, rumpelte sie mit dem Putzwagen hinein. Das Vorderrad eierte ein wenig, so dass sie dabei versehentlich an die Schuhspitze eines Herren stieß, der sich an die Aluminiumwand drückte und sie mit entsetzten Augen ansah. Ein paar Tropfen schwappten aus dem Putzeimer.
„Was machen Sie da?“ Rufus Hohlmut starrte abwechselnd auf seinen rechten Schuh und auf die kleine Frau in Kittelschürze und Badelatschen.
Der Aufzug ruckte an, dass sich Rufus der Magen umdrehte. Diesmal fuhr er nach oben.
„Was cheißt ‚was machen Sie da?‘ Das sähen Sie doch. Ich putze jetzt diese Fahrstuhl.“ Herausfordernd griff Milli nach dem Putztuch und dem Reinigungsmittel. „Und Sie? Was machen Sie da?“
„Entschuldigen Sie“, schnappte Rufus „ich arbeite hier.“
„Nicht um diese Uhrzeit. Um diese Uhrzeit ich putze diese Fahrstuhl, weil noch keiner da ist. Nur Sie sind da und stören.“
„Ich störe? Das ist ja wohl die Höhe! Sie haben meine Schuhe nass gespritzt. Mit diesem Putzwasser!“ Mit steifem Zeigefinger deutete er auf den Eimer.
Milli legte den Lappen weg und beugte sich hinunter. „Ich kann nichts sähen“, stellte sie fest und strich sich eine fettige Haarsträhne aus dem Gesicht.
Im gleichem Augenblick wurde es dunkel und der Aufzug kam ruckartig zum Stehen.
„Was.... was soll das?“ Rufus´ Stimme überschlug sich in der Dunkelheit.
„Was soll schon sein? Wir sind stecken geblieben. Das ist mir diese Monat schon zwei Mal passiert.“
„Scheiße!“ Rufus rieb sich die Schläfen. Dann hörte er ein Rascheln und das Schlurfen von Millis Latschen. „Was machen Sie?“
„Na was schon? Ich wärde Chilfe rufen.“ Eine kleine Flamme tauchte aus ihrer Hand auf und beleuchtete die Knöpfe des Fahrstuhls. Sie drückte den Alarmknopf. „Thor-Aufzugstechnik“ murmelte eine müde Stimme aus dem Lautsprecher.
„Ja challo. Wir sind stecken geblieben. In der Weinstraße 23. Zwischen zweite und dritte Etage.“
„Gute Frau, es ist sechs Uhr morgens“, sagte die Stimme. „Woher glauben Sie nehme ich um sechs Uhr morgens einen Techniker? Es tut mir leid, aber Sie müssen sich ein wenig gedulden.“
Milli räusperte sich. „Wie lange ist ein wänig für Sie?“
„Naja, es kann unter Umständen schon zwei Stunden dauern.“, erwiderte die Stimme. Ich schicke jemanden vorbei.“ Die Leitung knackte und es war still.
„Zwei Stunden! Das kann doch nicht wahr sein!“ Rufus sank neben dem Putzwagen zu Boden und atmete schwer.
„Jetzt machen Sie mir bloß nicht schlapp“, hörte er Milli irgendwo über sich sagen. Doch er antwortete nicht mehr.
„Chey, Sie! Sagen Sie doch ätwas!“ Stille. Millis Schürze raschelte.
„Chaben Sie Platzangst?“ Behutsam tippte sie ihn an. Rufus antwortete nicht.
„Na gut, Sie räden nicht mit mir. Dann werden wir äben zwei Stunden schweigen. Dann sind Sie wänigstens nicht unchöflich.“ Sie ließ sich auf den Boden plumpsen und schwieg. Doch lange hielt sie nicht damit durch.
„Ich komme aus Pollen, wissen Sie? Mein Mann ist schon lange tott und ich kam mit meine Tochter chiercher. Doch jetzt sie ist auch tott. Ein Junge chat sie umgebracht. Ich weiß nicht weschalb. Das ganze Leben ist eine große Scheise. Wissen Sie das? Aber die Totten sind nicht weg. Wir können sie nur nicht mähr sähen. Es ist immer wie amputierte Bein. Phantomschmerzen, värstähen Sie? Wir sähen sie nicht, aber es fühlt sich manchmal so an, als wären sie noch da. Värstähen Sie das?“
In der Dunkelheit schluchzte es leise. „Ja, das verstehe ich sehr gut.“, flüsterte Rufus. „Mein Sohn hat ein Mädchen umgebracht. Es ist ungefähr zwei Jahre her. Ich.... ich habe es nicht ausgehalten und hab das Auto eine Woche später gegen einen Baum gefahren, aber Sie sehen: ich bin noch da. Nur das rechte Bein, dass ist nicht mehr da. Und die Frage danach, was ich falsch gemacht habe, die ist auch immer da. Jeden Tag und jede Nacht. Seitdem schlafe ich auch nicht mehr.“
Als die Techniker knapp zwei Stunden später in der dritten Etage die Aufzugstür aufbrachen und in die halbe Türöffnung hinunter leuchteten, fanden sie einen Mann, der zusammengerollt wie ein Baby auf dem Boden lag. Er hatte den Kopf in den Schoß einer Frau gebettet und schlief.
3 Etagen zur Vergebung
Rufus Hohlmut hinkte durch die Lobby zum Aufzug. Der Kragen seines doppelt gestärkten Hemdes scheuerte den Hals wund, doch das machte ihm nichts aus. Disziplin war eine Eigenschaft, die er an sich selbst in höchstem Maße schätzte. Disziplin war alles. Sie gab ihm das Gefühl, sein Leben unter Kontrolle zu haben. Wie zerbrechlich diese Kontrolle in Wirklichkeit war, würde er in genau einer Minute und fünfundzwanzig Sekunden heraus finden.
Mit einem „Ping“ öffnete sich die Fahrstuhltür und gab eine winzige Kabine frei. Er trat hinein und drückte die Drei. Die Tür schloß ächzend und der Fahrstuhl setzte sich in Bewegung. Doch er fuhr nicht hinauf.
Im Tiefgeschoss wartete Milli Woitila auf den Aufzug. Als er kam, rumpelte sie mit dem Putzwagen hinein. Das Vorderrad eierte ein wenig, so dass sie dabei versehentlich an die Schuhspitze eines Herren stieß, der sich an die Aluminiumwand drückte und sie mit entsetzten Augen ansah. Ein paar Tropfen schwappten aus dem Putzeimer.
„Was machen Sie da?“ Rufus Hohlmut starrte abwechselnd auf seinen rechten Schuh und auf die kleine Frau in Kittelschürze und Badelatschen.
Der Aufzug ruckte an, dass sich Rufus der Magen umdrehte. Diesmal fuhr er nach oben.
„Was cheißt ‚was machen Sie da?‘ Das sähen Sie doch. Ich putze jetzt diese Fahrstuhl.“ Herausfordernd griff Milli nach dem Putztuch und dem Reinigungsmittel. „Und Sie? Was machen Sie da?“
„Entschuldigen Sie“, schnappte Rufus „ich arbeite hier.“
„Nicht um diese Uhrzeit. Um diese Uhrzeit ich putze diese Fahrstuhl, weil noch keiner da ist. Nur Sie sind da und stören.“
„Ich störe? Das ist ja wohl die Höhe! Sie haben meine Schuhe nass gespritzt. Mit diesem Putzwasser!“ Mit steifem Zeigefinger deutete er auf den Eimer.
Milli legte den Lappen weg und beugte sich hinunter. „Ich kann nichts sähen“, stellte sie fest und strich sich eine fettige Haarsträhne aus dem Gesicht.
Im gleichem Augenblick wurde es dunkel und der Aufzug kam ruckartig zum Stehen.
„Was.... was soll das?“ Rufus´ Stimme überschlug sich in der Dunkelheit.
„Was soll schon sein? Wir sind stecken geblieben. Das ist mir diese Monat schon zwei Mal passiert.“
„Scheiße!“ Rufus rieb sich die Schläfen. Dann hörte er ein Rascheln und das Schlurfen von Millis Latschen. „Was machen Sie?“
„Na was schon? Ich wärde Chilfe rufen.“ Eine kleine Flamme tauchte aus ihrer Hand auf und beleuchtete die Knöpfe des Fahrstuhls. Sie drückte den Alarmknopf. „Thor-Aufzugstechnik“ murmelte eine müde Stimme aus dem Lautsprecher.
„Ja challo. Wir sind stecken geblieben. In der Weinstraße 23. Zwischen zweite und dritte Etage.“
„Gute Frau, es ist sechs Uhr morgens“, sagte die Stimme. „Woher glauben Sie nehme ich um sechs Uhr morgens einen Techniker? Es tut mir leid, aber Sie müssen sich ein wenig gedulden.“
Milli räusperte sich. „Wie lange ist ein wänig für Sie?“
„Naja, es kann unter Umständen schon zwei Stunden dauern.“, erwiderte die Stimme. Ich schicke jemanden vorbei.“ Die Leitung knackte und es war still.
„Zwei Stunden! Das kann doch nicht wahr sein!“ Rufus sank neben dem Putzwagen zu Boden und atmete schwer.
„Jetzt machen Sie mir bloß nicht schlapp“, hörte er Milli irgendwo über sich sagen. Doch er antwortete nicht mehr.
„Chey, Sie! Sagen Sie doch ätwas!“ Stille. Millis Schürze raschelte.
„Chaben Sie Platzangst?“ Behutsam tippte sie ihn an. Rufus antwortete nicht.
„Na gut, Sie räden nicht mit mir. Dann werden wir äben zwei Stunden schweigen. Dann sind Sie wänigstens nicht unchöflich.“ Sie ließ sich auf den Boden plumpsen und schwieg. Doch lange hielt sie nicht damit durch.
„Ich komme aus Pollen, wissen Sie? Mein Mann ist schon lange tott und ich kam mit meine Tochter chiercher. Doch jetzt sie ist auch tott. Ein Junge chat sie umgebracht. Ich weiß nicht weschalb. Das ganze Leben ist eine große Scheise. Wissen Sie das? Aber die Totten sind nicht weg. Wir können sie nur nicht mähr sähen. Es ist immer wie amputierte Bein. Phantomschmerzen, värstähen Sie? Wir sähen sie nicht, aber es fühlt sich manchmal so an, als wären sie noch da. Värstähen Sie das?“
In der Dunkelheit schluchzte es leise. „Ja, das verstehe ich sehr gut.“, flüsterte Rufus. „Mein Sohn hat ein Mädchen umgebracht. Es ist ungefähr zwei Jahre her. Ich.... ich habe es nicht ausgehalten und hab das Auto eine Woche später gegen einen Baum gefahren, aber Sie sehen: ich bin noch da. Nur das rechte Bein, dass ist nicht mehr da. Und die Frage danach, was ich falsch gemacht habe, die ist auch immer da. Jeden Tag und jede Nacht. Seitdem schlafe ich auch nicht mehr.“
Als die Techniker knapp zwei Stunden später in der dritten Etage die Aufzugstür aufbrachen und in die halbe Türöffnung hinunter leuchteten, fanden sie einen Mann, der zusammengerollt wie ein Baby auf dem Boden lag. Er hatte den Kopf in den Schoß einer Frau gebettet und schlief.