6. Dezember

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Josie

Mitglied
6. Dezember

“Ich kündige! Ich hab´ s satt.” Wütend stapfte Nikolaus in die Scheune und warf die leeren braunen Leinensäcke lieblos auf einen Haufen. Früher war es ihm immer eine besondere Freude gewesen nach der Arbeit die Säcke ordentlich gefaltet in die Truhen zurück zu legen. Es hatte ihm stets Vorfreude auf das nächste Jahr vermittelt, wenn er die Säcke wieder auspacken und erneut mit kleinen Geschenken für die Kinder füllen würde. Das ganze Jahr über hatte er sich immer auf diese wenigen Stunden gefreut, an denen er den Kindern wieder ein kleines Stück Freude schenken durfte. Unzufrieden ließ er sich in seinen Schaukelstuhl fallen und wippte hektisch damit hin und her.

Schon seit ein paar Jahren machte ihm sein Ehrenamt nicht mehr so recht Spaß, denn anstatt freudig strahlender Kinderaugen nahm die Anzahl der nörgelnden, schimpfenden Kinder immer mehr zu. Nichts war ihnen mehr gut genug. ”Ich wollte kein Buch, ich wollte ein PC Spiel!” oder “Was soll ich mit dem Puzzle, ich wollte doch ein Puppenhaus!” Genervt hatte Nikolaus sich die letzten Jahre immer die Ohren zugehalten und still das undankbare Geschimpfe dieser Kinder ertragen. Hatte es für diejenigen Kinder ertragen, die sich noch über einen mit süßen Leckereien bepackten Teller mit einem kleinen Geschenk drauf, über eine bunte Haarspange oder ein Paar lustig bestickte Socken freuen konnten. Aber dieses Jahr waren ihm die Säcke auf seinem Rücken erstmals wie eine schwere Bürde erschienen. Weil sie ein Ungleichgewicht hatten, dass sich wie ein schwerer Felsbrocken auf sein Herz legte, ihn anstatt fröhlich gestimmt, sehr traurig machte. Denn wo einige Säcke unnötig prall gefüllt waren, waren andere fast leer, waren so leicht wie eine Feder und trugen sich dennoch so schwer wie ein Zentner Blei. Nikolaus spürte wie seine Wut verrauchte und einer unendlichen Traurigkeit Platz machte. Seine Augen füllten sich mit Tränen.

Er dachte an die vielen traurigen kleinen Gesichter, die er dieses Jahr hatte ansehen müssen. Wie sie so taten, als ob sie sich freuten, über die kleine Tüte mit den bunt verpackten Schokoladenkugeln, mit dem kleinen Schoko-Nikolaus drin. Um ihre Eltern nicht zu enttäuschen, schluckten diese Kinder würdevoll ihre Traurigkeit hinunter. Und innerlich weinten sie, ganz allein für sich, fragten sich, warum viele Kinder die frech und gemein waren, Puppen, Feuerwehrautos oder teure Spiele vom Nikolaus bekamen. Und sie selbst nur ein Beutelchen Billigschokolade. War der Nikolaus böse auf sie? Warum? Sie waren doch immer lieb zu ihren Mitmenschen gewesen!
Nikolaus konnte seine Tränen nicht mehr zurückhalten, in Sturzbächen rannen sie über sein Gesicht, schmeckten nicht wie früher süß nach Freude und Glück, sondern nun bitter nach Verzweiflung und Trauer. Die Kinder hatten den Glauben an ihn verloren. Für sie war er nicht mehr der liebe Nikolaus, der ihnen ein Stück Freude schenkte - sondern der Mann, der die reichen Kinder reich beschenkte und die armen Kinder mit armseligen Schokokugeln abspeiste - oder die armen Kinder ganz vergaß. Nikolaus schluchzte laut, bei dem Gedanken daran, wie viele Kinder in diesem Jahr noch nicht einmal Schokolade bekommen hatten. Nichts. Weil selbst das kleinste Schokoladenbeutelchen noch zu teuer gewesen war, für manche armen Eltern. Vor allem für diejenigen, die mehrere Kinder hatten. Die Kinder gaben nun ihm, dem Nikolaus, die Schuld daran. Nikolaus konnte verstehen, dass die Kinder das dachten. Woher sollten sie auch wissen, dass nicht er, sondern etwas dass sich “Hartz” nannte an dieser Ungerechtigkeit schuld war.

Er seufzte schwer. Irdische Wesen hatten seinen einst mit Freude erwarteten Gedenktag seiner Bestimmung enthoben. Der Nikolaustag war nur noch eine Farce, brachte reichen Kindern Konsum - und armen Kindern Enttäuschung.
Nikolaus fühlte sich elend. Seine Bestimmung Freude zu schenken ließ sich von Jahr zu Jahr schwieriger erfüllen. Er war machtlos, konnte nichts tun gegen diese Ungerechtigkeit. Das Einzige was er für die Kinder tun konnte war, sie auch weiterhin Jahr für Jahr am Nikolaustag zu besuchen. Um ihnen Leckereien und Geschenke zu bringen, je nachdem, was ihre Eltern für sie vorgesehen hatten. Müde erhob er sich aus seinem Schaukelstuhl. Er würde sein Amt selbstverständlich weiterhin ausführen. Das mit der Kündigung, das war ihm in der Wut rausgerutscht. Er schämte sich jetzt dafür. Gott sei Dank hatte keiner seine groben Worte gehört. Wenn er, der Nikolaus, sich aus seinem Amt zurückziehen würde, dann wären die Kinder noch mehr enttäuscht, als sie es jetzt schon waren. Das wäre ja, als ob er sie im Stich lassen würde! Nein, das kam gar nicht in Frage.

Mit fest entschlossenen Schritten und geheimnisvollem Lächeln im Gesicht marschierte er auf den Haufen ungeordneter Leinensäcke zu. Faltete sie nacheinander ordentlich zusammen, strich sie liebevoll mit den Händen glatt und räumte sie zurück in die Truhen. Als er alle verstaut hatte nahm er das hohe Glas aus dem Würzregal, dessen Inhalt er sonst nur für schwerkranke Kinder verwendete. Er verteilte einen Teil des feinen goldenen Staubs über die gestapelten Leinensäcke und schraubte das Glas danach wieder fest zu. Dann klappte er die Deckel runter und verschloss die Truhen mit seinem goldenen Schlüssel. Nahm dann behutsam das Glas in beide Hände und stellte es vorsichtig ins Regal zurück, mit dem Schriftetikett nach vorne. “Hoffnung” stand darauf. Nikolaus lächelte. Alles wird gut.
 

Ully

Mitglied
Wie wahr, wie wahr!

Vielleicht sollte Nikolaus mal ein sehr ernstes Wort
mit dem Herrn "Hartz" reden. Leider wird auch der
Goldstaub keine Abhilfe schaffen.

sG Ully
 

maerchenhexe

Mitglied
hallo Josie,

viel zu viele unserer Kinder haben mittlerweile "deinen" Nikolaus mit dem Goldstaub bitter, bitter nötig. Ich weiß es, weil ich häufig mit Kindern arbeite, die einfach nur traurig sind und keine Hoffnung mehr haben. Danke für deine Geschichte, die dieses ernste Thema als wunderschönes Märchen daher kommen lässt.

lieber Gruß
maerchenhexe
 

Josie

Mitglied
Hallo Ully und Märchenhexe

Abhilfe schaffen kann der "Goldstaub" zwar nicht, aber Mut und Kraft geben. Denn manchmal ist Hoffnung das Einzige was einen Menschen noch aufrecht erhalten kann.

Vielen Dank für eure Kommentare!

LG Josie
 



 
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