A.J. Neumanns History Of Life, Sex & Death

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Marc Olivier

Mitglied
„Mein erstes Erlebnis hatte ich selbstverständlich nach meiner Geburt. Genau 16 Jahre, 4 Monate und 17 Tage waren es. Wie ich sie kennengelernt hatte? Das wird den Leser nicht interessieren. Wie es war? Interessant! Was es war? Eine Katastrophe! Erst war sie bereit, und als sie es kurz darauf kaum noch war, war ich bereit. Ich hatte es gerade noch hineingeschafft. Das zweite Mal, mit demselben Mädchen, war schon besser. Wir lagen zeitlich schon nicht mehr so weit auseinander. Insgesamt benötigten wir 14 Anläufe, bis wir es geschafft hatten, einen parallelen zeitlichen Ablauf zu gewährleisten. Weitere 9 Versuche waren es, bis wir beide das Ziel erreichten. Und nur noch 4, um es gleichzeitig zu erreichen. Dann haben wir Schluss gemacht. Wir hatten herausgefunden, dass das doch nichts war mit uns beiden. Ich war 16 Jahre, 5 Monate und 1 Tag alt und war das erste Mal abserviert worden. Zwei Wochen und 5 Tage später traf ich die erste große Liebe. Bei ihr sah meine Statistik schon besser aus: 10 – 5 – 3 statt 14 – 9 – 4. Leider, sehr zu meinem Bedauern, war ich für sie nicht die große Liebe und sie verließ mich, als ich 16 Jahre, 5 Monate und 14 Tage alt war. Es folgte eine lange Pause, in der ich mich sammelte und die ersten Eindrücke verarbeitete. Als ich 18 Jahre, 1 Monat und 3 Tage alt war, hatte ich einen „One-Night-Stand“ mit der Freundin eines Freundes. Die Unverbindlichkeit dieses Erlebnisses veranlasste mich, im darauffolgenden Jahr insgesamt 7 wechselnde weibliche Partner für nur eine Nacht mit zu mir nach Hause zu nehmen. Meine durchschnittliche Statistik, die mir durchaus Mut für die Zukunft machte, betrug 0,375 – 0,375 – 0,25. Im Vergleich zu meiner ersten weiblichen Partnerin sehr gut, wie ich finde. Als ich 19 Jahre, 1 Monat und 7 Tage alt war, war es um mich geschehen. Liebe! Sie erwiderte sie, wir blieben zusammen bis zum heutigen Tag. Jetzt bin ich 33 Jahre alt, wohne mit meiner Lebensabschnittsgefährtin in einem Loft in der Großstadt, unterhalte mich viel mit Studenten und arbeite als Werbetexter. Das ist ein interessanter Job, man muss viel psychologisches Wissen mitbringen. Meine Statistik habe ich übrigens weitergeführt. Da ich meine weibliche Partnerin aber schon seit 14 Jahren besitze, errechne ich nur noch den vierteljährlichen Durchschnitt für einen vollzogenen Verkehr. Das letzte Ergebnis war 0,223 – 0,499 – 0,278. Ich verweise auf die positiv auffallende Verschiebung der Häufigkeit auf die Werte 2 und 3.“

Gestatten, mein Name ist A.J. Neumann, und wäre ich in derselben Dimension existent wie der Leser dieser Zeilen, so wäre ich der unfreiste Mensch der Weltgeschichte. Aber das bin ich nicht. Ich bin gar kein Mensch. Ich bin eine „fiktive Person“, entsprungen der Fantasie eines erfolgshungrigen Autors. Er hat mich erschaffen, um diese Geschichte zu erfinden und niederzuschreiben. Aus seinem Gehirn hat er mich vor sein geistiges Auge projeziert, mich auf einen alten, klapprigen Holzstuhl gesetzt, mir gedankenerschaffene Fesseln angelegt und mir so die Bewegungsfähigkeit genommen. Flucht war unmöglich.
„Dein Name ist A.J. Neumann“, fuhr er mich an.
„Meinen Namen brauchst Du nicht zu wissen. Du wirst ihn später mal auf dem Cover des Romans lesen, den Du geschrieben haben wirst und den ich unter meinem Namen veröffentlicht haben werde.“
Er beugte sich über mich, er berührte meine Nasenspitze mit der seinen.
„Natürlich nur, wenn Du vorher in mehreren Probeläufen entsprechendes Talent bewiesen hast.“ Er entfernte sich wieder und ließ sich mir gegenüber seiner Macht bewusst in einen Sessel fallen.
„Zur Sache...“, fuhr er fort, seine Stimme hatte den Klang eines Geschäftsmannes angenommen. „Du schreibst eine Kurzgeschichte. Du schreibst sie, weil ich gerne tiefgründiger schreiben würde. Aber damit ist heute kein Geld zu verdienen, verstanden?“ Die Angst vor diesem Mann, wie er sich mir gegenüber gebar, die Unklarheit über das, was er von mir wollte, lähmte mich auch noch geistig.
„VERSTANDEN?“, brüllte er mich an. Wäre ich nicht zur Bewegungslosigkeit verdammt gewesen, wäre ich zusammengefahren.
„Ja“, zischte es kaum merklich aus meinem Mund.
„Na also! Das Gute an totaler Bewegungslosigkeit ist, dass man nur das Wort „Ja“ einigermaßen unfallfrei herausbringt, hahaha!“ Schallend!!!
„Aber zurück zum Ernst der Sache. Du schreibst eine Geschichte. Ich mache Dir hierfür noch nicht mal viele Vorgaben. Es wird eine Geschichte über Dein Liebesleben und es gibt eigentlich nur vier Dinge, die Du berücksichtigen musst...“ Er sah mich mit schräg gehaltenem Kopf an. „Konzentrier Dich!“ Er ließ mir eine kurze Pause hierfür. „Diese Dinge sind erstens ein cooler Vorname - den hast Du ja schon. Zweitens eine zeitlich logische Abfolge, wie sich das gehört für eine Biographie. Drittens ein englischer Titel, damit es stylish klingt. Und letztendlich viertens, und das ist das Allerwichtigste, das Wort Sex im Titel der Geschichte. Unter diesen Vorraussetzungen werden sich erst mal genug Leser für diese Grütze interessieren. Dürfte fürs Erste langen, um Dein Talent für Erfolgsromane zu testen.“ Er schien auf eine Reaktion meinerseits zu warten. Dann fiel ihm offenbar ein, das ich ja nicht reagieren konnte - aufgrund des Zustands, in den er mich versetzt hatte.
„Du fragst Dich sicher, wie Du an das nötige Know-how für die Geschichte rankommst....“ Diesmal wartete er nur kurz, bevor er fortfuhr. „Ich habe natürlich vorgesorgt. Ich werde Dich in den nächsten 3 Tagen in meinem Gehirn durch meine Augen schauen lassen. Ich werde den ganzen Tag fernsehen. Der Rest wird Dir ganz von alleine kommen, hoffe ich. Ein bisschen Intelligenz bei Dir muss ich schließlich voraussetzen können. Ich muss mich ja auch auf Dich verlassen können. Das würde nicht funktionieren, wenn ich Dich strohdumm erschaffen hätte.“
Weil er genau das nicht getan hat, bin ich überhaupt in der Lage, meiner Geschichte diesen Anhang zu verpassen. Und ich weiß auch, dass es egal ist, ob sie sie verreißen, in den höchsten Tönen loben oder einfach nur ignorieren. Denn entweder ich müsste weiter seinen Befehlen gehorchen oder er würde mich sterben lassen, indem er mich mit einem einzigen Gedanken wieder aus seiner imaginären Welt streicht. Und wenn sie Leben als die Freiheit definieren, alles zu tun oder nicht zu tun, was sie wollen, dann bin ich sowieso schon tot.
 
E

Edgar Güttge

Gast
wo ist die Geschichte?

Hallo Marc,

ignoriert habe ich deinen Text nicht, wie du siehst, verreißen will ich ihn nicht, weil er an sich ganz nett geschrieben ist, aber loben kann ich ihn auch nicht, weil ich nämlich die Geschichte vermisse. Es ist halt nur eine kleine Statistik aus der Sicht eines Werbetexters, wobei mich der Satz gestört hat: "Da ich meine weibliche Partnerin schon seit 14 Jahren besitze."
Vielleicht erlebt er zu wenig, weil er den ganzen Tag fernsehen muss (oder 3 Tage, arbeitet der Werbetexter nicht?)
Der Konflikt zwischen dem Protagonisten und der Romanfigur ist allerdings ansatzmäßig vorhanden. Da kannst du noch was daraus machen.

Bezieht sich der A.J. eigentlich auf "MAD" Alfred E.?

Euch beiden noch viel Spaß beim Schreiben
Gruß
Edgar
 

Marc Olivier

Mitglied
hi edgar

zunächst mal danke für deine stellungnahme. sicher hast du mit einigen kritikpunkten recht. a.j. ist kein querverweis zu alfred e., das hatte ich überhaupt nicht beabsichtigt und ist mir erst aufgefallen, als du es erwähnt hast (hätte ich vorher dran denken müssen :) )die figur des a.j. ist allein zum verfassen von "erfolgsgeschichten" erfunden worden, seinen beruf, sein leben usw. hat er sich ausgesucht und erdacht, als er in die glotze schauen konnte. so gesehen hat a.j. überhapupt kein leben, da er vom erfolgshungrigen autor nur für dessen zwecke verheizt wird. kann sein, dass das im text nicht deutlich wird. ich werde daran arbeiten:)
 



 
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