Abend am Meer

KESCH

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ABEND AM MEER

Wenn sich die Abenddämmerung über das Meer senkt, ist die Stimmung kaum mehr in Worte zu fassen. Nur das Erleben zählt, wenn sich der Küstenstreifen mit seinen noch im letzten Sonnenlicht leuchtenden Sanddünen wie ein goldenes Band erstreckt, so weit das Auge reicht. Landwärts umsäumt ihn eine endlose Kette windzerzauster Palmen, von denen einige mit ihren Kronen bis hinunter ins Wasser reichen. Dabei scheinen sie sich vor Ehrfurcht vor der unendlichen Weite des Meeres zu verneigen. Der Wind, der ständig von der See her weht, spielt mit den meterlangen Wedeln und singt mit ihnen schon seit ewigen Zeiten das gleiche Lied, zu dem sie die sanfte Brandung des Meeres begleitet.

In dieser Stunde erstrahlt der Himmel in allen Schattierungen von Gold bis Purpur und wirft über die leichte Dünung des Meeres einen wundersamen Mantel. Bald färbt er sich rot wie Blut, bald golden wie herrliches Geschmeide, bald grau und blau wie Stahl und alsdann schwarz wie Tinte. Die winzigen Schaumkronen, die verspielt von Welle zu Welle hüpfen, gleichen Diamantkörnern, die eine unsichtbare Hand aussät. Die glutrote Scheibe der untergehenden Sonne, die wie ein großer Ball am Horizont schwimmt, überflutet die unfaßbare Weite mit einem letzten Blutstrom.

Dann, nach wenigen Minuten geht der Zauber zu Ende. Der Sonnenball verschwindet, als versinke er in den tiefen Fluten des Ozeans; die Farben verblassen, um bald ganz zu verlöschen. Die Schatten der Nacht erscheinen, beginnen auf den Wellen zu tanzen. Die Palmen am Ufer wandeln sich zu gespenstischen Schatten, die Nachtgeistern gleichen und sich gegen den rasch dunkler werdenden Himmel noch deutlich abheben. Bald wird dieser so schwarz sein wie sie und sein Sternenzelt über sie spannen.

Ein Tag ist zu Ende gegangen. Zum Abschied hat er uns noch einmal mit all seiner lebendigen Pracht erfreut. Er läßt uns in der Hoffnung zurück, nach einer farblosen Nacht am Morgen wiederzukehren.
 



 
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