Abgang
In einem Hinterzimmer des Hilton, das nach jahrzehntealtem Puder und Schweiß roch, stand eine große, schwarze Kiste, üppig mit silbernen Beschlägen verziert.
Ein hochgewachsener Mann mit grauem Haar stellte seine Ledertasche mit der Prägung „Dr. Nick“ auf die Couch neben einen weißen Teddy mit rotem Lippenstift am Ohr und ließ sie aufschnappen.
Dann öffnete er die schwarze Kiste und tat - das Übliche.
Das Licht erlosch, Scheinwerfer flammten auf.
„Bright light city gonna set my soul, gonna set my soul on fire -“
Das Publikum strahlte ihn erwartungsvoll an.
„There's a thousand pretty women waiting out there, they're all living, the devil may care -“
Frauen in der ersten Reihe streckten mit glänzenden Augen ihre Hände der Bühne entgegen.
„Viva Las Vegas!“
Der Mann auf der Bühne lebte, und wenn er je selbst daran gezweifelt haben sollte, dann wurden alle Zweifel jetzt ausgeräumt durch seine Stimme, die die ganze Halle erfüllte, die Leute hinriß und ihm selbst durch Mark und Bein ging.
Die Menschen begannen zu jubeln.
„There's a lot of living I've got to do, give me time to make a few dreams come true -“
Es hatte ihm so verdammt gefehlt...
„Tell me that tonight will last forever, say that you will leave me never -“
Eine brodelnde Menge unter ihm, die auf jedes seiner Worte, auf jede Bewegung, auf jeden Schlag seiner Band im Hintergrund reagierte... seine Band, fast wie ein eigenes Körperteil, die jede Improvisation, so schien es, noch im gleichen Augenblick begleitete, in dem sie ihm selbst durch den Kopf ging... und wieder das Publikum.
Es liebte ihn.
„Say that you will leave me never -“
Es liebte ihn!
Ein Schauer lief durch seinen Körper.
Yes!
Ein zweiter Schauer. Sein Gesicht kribbelte. Die Menge verstummte.
Einige glotzten mit offenen Mündern.
Was denn? Sein Publikum! Wollten sie nicht weiter feiern?
Was!?
Ein Schleier senkte sich vor seine Augen. Er griff zu seinem Gesicht und fühlte Papier. Papier?
Rosa Fetzen blieben am Schweiß seiner Hand kleben. Er starrte sie fassungslos an, versuchte dann, von Ekel überwältigt, sie abzuschütteln. Fingernägel flogen in die Menge, die Leute kreischten auf.
Um seine Taille, dort, wo der Gürtel im schlaffen Fleisch saß, bildete sich ein dunkelroter Ring auf seinem weißen Anzug. Warme Flüssigkeit lief ihm in den Kragen, er wollte glauben, daß es Schweiß sei. Warme Flüssigkeit lief auch seine Beine hinunter, durchnäßte seine Socken und bildete schließlich gelbliche Pfützen auf der Bühne, in denen er, unfähig, sich zu bewegen, stehenblieb.
Er starrte in die Menschenmenge, verständnislos, auf der Suche nach der Begeisterung und Bewunderung, die sie ihm gerade noch entgegengebracht hatten.
Die Leute starrten angewidert zurück, vor Ekel schien die Menschenmenge zu zittern und zurückzuweichen.
Irgendwo fing ein kleines Kind an zu weinen.
Seine Beine gaben nach und mit einem fürchterlichen Knacken und Bersten sank er in seine eigenen stinkenden Überreste.
Der Grauhaarige betrat die leere Halle.
Die Verärgerung über das vorzeitige Ende der Show war seiner gewöhnlichen Geschäftigkeit gewichen. Schließlich hatte man nichts zu befürchten, getreu dem Motto „Es gibt keine schlechte Publicity“.
Nur der allzu deutliche Eindruck davon, daß kein Material vor Verschleiß gefeit war, schon gar nicht das stark Beanspruchte, warf noch einen Schatten auf seine Laune, aber... zur Hölle damit! Wenn der Kerl hier endgültig seinen Geist aufgab, würde er selbst schon mehr als genug verdient haben, um sich in Miami gepflegt zur Ruhe setzen zu können. Und mit „gepflegt“ meine er beileibe keine Eigentumswohnung.
Er trat mit seinem Koffer in die Mitte der Bühne, schickte einen Arbeiter nach dem Formalin und begann, die menschliche Form des schleimigen Haufens, der vor ihm lag, wieder herzurichten.
Beim nächsten Mal besser eine höhere Dosis vor dem Auftritt - die Chemie ist ein modernes Wunder.
Gleißendes Scheinwerferlicht. Ein bißchen benommen fühlte er sich noch, aber das würde zweifellos vergehen. War es nicht immer so gewesen? Seine Erinnerung konnte keinen einzelnen Auftritt von den anderen trennen, ihm war, als hätte er immer hier gestanden - die Gesichter vor ihm mochten sich verändern, aber blieb die Menge nicht die gleiche?
Er lächelte ihr zu, und ein Schauer überlief sein Gesicht.
Plötzlich sah er die peinigende Erinnerung schrecklich klar vor sich stehen.
Er zuckte zurück, blickte wieder das strahlende Publikum an - und eine Idee erfüllte ihn mit unerwarteter, lange nicht mehr gekannter Energie.
Er entspannte sich, seine Bewegungen wurde rhythmischer, und schließlich sprang er, in der Manier seiner Jugendtage, auf ein Podest zu einem Verstärker.
Er ergriff ein Kabel und riß es mit aller Kraft mitten durch. Funken sprühten zwischen den beiden Enden und das Publikum johlte. Er lächelte und sprang wieder auf den Boden, das eine Kabel noch in der Hand.
Zum letzten Mal winkte er den Menschen zu, dann verschwand er hinter dem Vorhang.
Langsam führte er das blanke Ende des Kabels zum Mund, und der Beifall klang noch in seinen Ohren nach, bis Rauch zur Decke stieg.
In einem Hinterzimmer des Hilton, das nach jahrzehntealtem Puder und Schweiß roch, stand eine große, schwarze Kiste, üppig mit silbernen Beschlägen verziert.
Ein hochgewachsener Mann mit grauem Haar stellte seine Ledertasche mit der Prägung „Dr. Nick“ auf die Couch neben einen weißen Teddy mit rotem Lippenstift am Ohr und ließ sie aufschnappen.
Dann öffnete er die schwarze Kiste und tat - das Übliche.
Das Licht erlosch, Scheinwerfer flammten auf.
„Bright light city gonna set my soul, gonna set my soul on fire -“
Das Publikum strahlte ihn erwartungsvoll an.
„There's a thousand pretty women waiting out there, they're all living, the devil may care -“
Frauen in der ersten Reihe streckten mit glänzenden Augen ihre Hände der Bühne entgegen.
„Viva Las Vegas!“
Der Mann auf der Bühne lebte, und wenn er je selbst daran gezweifelt haben sollte, dann wurden alle Zweifel jetzt ausgeräumt durch seine Stimme, die die ganze Halle erfüllte, die Leute hinriß und ihm selbst durch Mark und Bein ging.
Die Menschen begannen zu jubeln.
„There's a lot of living I've got to do, give me time to make a few dreams come true -“
Es hatte ihm so verdammt gefehlt...
„Tell me that tonight will last forever, say that you will leave me never -“
Eine brodelnde Menge unter ihm, die auf jedes seiner Worte, auf jede Bewegung, auf jeden Schlag seiner Band im Hintergrund reagierte... seine Band, fast wie ein eigenes Körperteil, die jede Improvisation, so schien es, noch im gleichen Augenblick begleitete, in dem sie ihm selbst durch den Kopf ging... und wieder das Publikum.
Es liebte ihn.
„Say that you will leave me never -“
Es liebte ihn!
Ein Schauer lief durch seinen Körper.
Yes!
Ein zweiter Schauer. Sein Gesicht kribbelte. Die Menge verstummte.
Einige glotzten mit offenen Mündern.
Was denn? Sein Publikum! Wollten sie nicht weiter feiern?
Was!?
Ein Schleier senkte sich vor seine Augen. Er griff zu seinem Gesicht und fühlte Papier. Papier?
Rosa Fetzen blieben am Schweiß seiner Hand kleben. Er starrte sie fassungslos an, versuchte dann, von Ekel überwältigt, sie abzuschütteln. Fingernägel flogen in die Menge, die Leute kreischten auf.
Um seine Taille, dort, wo der Gürtel im schlaffen Fleisch saß, bildete sich ein dunkelroter Ring auf seinem weißen Anzug. Warme Flüssigkeit lief ihm in den Kragen, er wollte glauben, daß es Schweiß sei. Warme Flüssigkeit lief auch seine Beine hinunter, durchnäßte seine Socken und bildete schließlich gelbliche Pfützen auf der Bühne, in denen er, unfähig, sich zu bewegen, stehenblieb.
Er starrte in die Menschenmenge, verständnislos, auf der Suche nach der Begeisterung und Bewunderung, die sie ihm gerade noch entgegengebracht hatten.
Die Leute starrten angewidert zurück, vor Ekel schien die Menschenmenge zu zittern und zurückzuweichen.
Irgendwo fing ein kleines Kind an zu weinen.
Seine Beine gaben nach und mit einem fürchterlichen Knacken und Bersten sank er in seine eigenen stinkenden Überreste.
Der Grauhaarige betrat die leere Halle.
Die Verärgerung über das vorzeitige Ende der Show war seiner gewöhnlichen Geschäftigkeit gewichen. Schließlich hatte man nichts zu befürchten, getreu dem Motto „Es gibt keine schlechte Publicity“.
Nur der allzu deutliche Eindruck davon, daß kein Material vor Verschleiß gefeit war, schon gar nicht das stark Beanspruchte, warf noch einen Schatten auf seine Laune, aber... zur Hölle damit! Wenn der Kerl hier endgültig seinen Geist aufgab, würde er selbst schon mehr als genug verdient haben, um sich in Miami gepflegt zur Ruhe setzen zu können. Und mit „gepflegt“ meine er beileibe keine Eigentumswohnung.
Er trat mit seinem Koffer in die Mitte der Bühne, schickte einen Arbeiter nach dem Formalin und begann, die menschliche Form des schleimigen Haufens, der vor ihm lag, wieder herzurichten.
Beim nächsten Mal besser eine höhere Dosis vor dem Auftritt - die Chemie ist ein modernes Wunder.
Gleißendes Scheinwerferlicht. Ein bißchen benommen fühlte er sich noch, aber das würde zweifellos vergehen. War es nicht immer so gewesen? Seine Erinnerung konnte keinen einzelnen Auftritt von den anderen trennen, ihm war, als hätte er immer hier gestanden - die Gesichter vor ihm mochten sich verändern, aber blieb die Menge nicht die gleiche?
Er lächelte ihr zu, und ein Schauer überlief sein Gesicht.
Plötzlich sah er die peinigende Erinnerung schrecklich klar vor sich stehen.
Er zuckte zurück, blickte wieder das strahlende Publikum an - und eine Idee erfüllte ihn mit unerwarteter, lange nicht mehr gekannter Energie.
Er entspannte sich, seine Bewegungen wurde rhythmischer, und schließlich sprang er, in der Manier seiner Jugendtage, auf ein Podest zu einem Verstärker.
Er ergriff ein Kabel und riß es mit aller Kraft mitten durch. Funken sprühten zwischen den beiden Enden und das Publikum johlte. Er lächelte und sprang wieder auf den Boden, das eine Kabel noch in der Hand.
Zum letzten Mal winkte er den Menschen zu, dann verschwand er hinter dem Vorhang.
Langsam führte er das blanke Ende des Kabels zum Mund, und der Beifall klang noch in seinen Ohren nach, bis Rauch zur Decke stieg.