Abgefahren

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KurzeXL

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ABGEFAHREN

Auch die bravsten Familienväter machen eines Tages mal alles ganz anders.



Gerda ist mal wieder sauer. Das ist nun das 3. Wochenende, was sie allein mit den Kindern verbringen muß, denn ihr Horst hat einmal mehr eine Extra-Schicht übernehmen müssen. Dabei wollten sie diesmal zu seiner Schwester fahren. Die Kinder waren zwar schon groß und kamen kaum noch mit den Eltern mit, doch hatten sie sich schon auf ein paar schöne Stunden an der Ostsee gefreut. Jetzt schmollten sie. Dabei sollten sie froh sein, dass er das Geld für ihre Ausflüge heim bringt. Gerdas Stelle in dem kleinen Laden an der Ecke brachte nicht genug Geld, für sie war es eine willkommene Abwechslung in ihrem sonst so gleichförmigen Alltag.


"Sei doch nicht so mürrisch, Gerda. Wir holen das Wochenende nach, sobald ich wieder frei habe." Gerda schüttelt den Kopf: "Jaja, das kenn ich! Du und deine Eisenbahn! Manchmal frage ich mich, ob ich nicht unsere Stube in ein Eisenbahn-Abteil einbauen lassen sollte, damit wir wenigstens annähernd ein Familienleben haben können." Dabei schmunzelte sie jedoch verschmitzt.
Horst war seit seiner Jugend Zugbegleiter bei der Bahn. Es tat ihm manchmal schon leid, wenn er die Familie zu Hause zurück lassen mußte, aber andererseits hatten sie eben oft zu wenig Geld und er musste diese Gelegenheiten wahrnehmen. Nicht selten in der letzten Zeit jedoch hat er sich dabei erwischt, ganz froh zu sein, dem tristen Alltag daheim auf diese Art zu entfliehen. Er liebte das Geratter der Schienen unter den Rädern und die ewig bunt gemischte Schar von Fahrgästen.
Jetzt drückt er seinen Kindern einen flüchtigen Kuss auf die Wangen, küßt seine Gerda noch einmal in alter Gewohnheit und steckt das von ihr zurecht gemachte Stullenpaket in seine Aktentasche: "Bis morgen früh dann!"


Horst begrüßt Frank, den jungen Lokführer. Sie sind schon oft mit einander gefahren und Horst weiß, daß er sich auf Franks Fahrweise verlassen kann. Er ist keiner von diesen jungen Wilden, die sich auf der tonnenschweren Lok erstmal beweisen wollen. So kann er heute ganz beruhigt die Fahrt antreten.
Nun betritt Horst den Wagon, schliesst sein Dienstabteil auf und richtet sich ein. Für die nächsten 10 Stunden wird dies sein zu Hause sein. Hoffentlich gibt es nicht zu viele Probleme unterwegs, damit er ab und an hier sein kann. Er ist eigentlich ein bissel müde und würde nachher gern mal eine halbe Stunde die Beine lang machen.


Sie haben bereits den zweiten Haltepunkt angefahren, bisher sind nur wenige Fahrgäste zugestiegen. Wenn die Nacht so ruhig bleibt, wird es wieder mal eine dieser tristen Fahrten und er wird nicht viel zu tun haben. Zwei Fahrscheine hat er eben verkauft und vielleicht 30 Fahrgäste kontrolliert. Alles ist in bester Ordnung.
Er geht in sein Abteil und gießt sich einen Kaffee aus der Thermoskanne ein. Gerda hat ihm ein leckeres Schinkenbrot eingepackt, wie immer extra für ihn mit Senf bestrichen. Ja, so ist seine Gerda! Aber heute schmeckt ihm das Brot nicht. Seine Gedanken schweifen zu ihr nach Hause ab. Fast 20 Jahre sind sie nun verheiratet und eigentlich ist immer alles in geregelten Bahnen gelaufen. Die Kinder sind beinahe erwachsen und gehen bald aus dem Haus. Gerda macht liebevoll alle Hausarbeit und geht immer Mittwochs zu ihrem Kegelverein. Sie ist still und unauffällig. Meist trägt sie ihre Kittelschürze oder die schlichte Hose mit dem grünen Pullover darüber. Seine Gerda ist keine Modepuppe und mag Styling nicht. Ob sie sich manchmal mit ihm langweilt? Sie hat nie etwas davon gesagt, aber irgendwie scheint die Luft doch raus zu sein. Wie Bruder und Schwester leben sie eigentlich mit einander. Einer ist für den anderen da, soweit er kann. Aber wo war denn die Liebe geblieben, die Schmetterlinge? Wann waren sie beide das letzte mal aus? Wann eigentlich hatte er ihr die letzten Blumen mitgebracht, wann das letzte mal gesagt, daß er sie liebt? Liebte er sie denn wirklich noch oder war alles nur eine Art Gewohnheit geworden? Horst wußte es nicht zu sagen. Er fühlte sich irgendwie leer.

Als die Bremsen zu quietschen beginnen, reißt er sich aus seinen Gedanken. Der Zug hält an einem größeren Bahnhof. Die Bahnhofsuhr zeigt 23.38 Uhr. Hier würden sie jetzt 20 min. Aufenthalt haben.
Horst schliesst seine Abteil-Tür und geht, entgegen seiner sonstigen Gewohnheiten, an den kleinen Imbiss-Wagen vor dem Bahnhof. Er kauft sich ein kleines Bier, trinkt es auf der Stelle aus und blickt versonnen in die Ferne, dann läuft er los...


Wie war er denn hier her gekommen? Horst schaut sich um. Er steht in einer der Hauptstrassen dieser fremden Stadt. Es ist weit nach Mitternacht. Still ist es um ihn herum und kein Passant ist zu sehen. Er ist noch immer wie benommen. Längst hat man ihn am Bahnhof vermisst. Daß er seine Pflicht vergessen hat, kommt ihm nicht in den Sinn.
Er winkt nach einem Taxi: "Bitte fahren sie mich zum Flughafen." Der Fahrer schüttelt verwundert den Kopf: "Mein Herr, das sind fast 100km!" Aber Horst ist das egal. Soeben hat er einen Entschluss gefaßt.


Die Schalterhalle des Flughafengebäudes ist hell erleuchtet. Reges Treiben herrscht selbst um diese Zeit darin. Aufgeregte Fluggäste mit schwer bepackten Gepäck-Transport-Karren suchen nach ihrem Schalter, andere Leute scheinen gelassen auf Ankommende zu warten. Horst hält seine Aktentasche unterm Arm. Darin noch immer die Thermoskanne und Gerdas Schinkenbrot. Er liest die Anzeigetafel der Abflüge:


Buenos Aires..................... 03.45 Uhr
Athen................................ 03.55 Uhr
Antalya.............................. 04.15 Uhr
Gran Canaria...................... 04.25 Uhr
Nairobi............................... 04.50 Uhr
Rom.................................. 05.00 Uhr
Amsterdam........................ 05.20 Uhr
Los Angeles...................... 05.35 Uhr
Paris................................. 05.45 Uhr


Dann geht er an den Abflug-Schalter: "Haben sie noch einen Flug nach Gran Canaria offen? Die junge Dame hinter dem Schalter schaut auf ihre Liste und nickt. "Sie müssen sich aber mit ihrer Gepäck-Aufgabe beeilen, der Flug geht in 45 Minuten.", sagt sie. Horst lächelt. "Ja, danke.", sagt er. Er hat ja kein Gepäck, aber das kann die junge Frau nicht wissen. Er nimmt seine EC-Karte und bezahlt das Tiket. Dann geht er durch die Personenkontrolle. Der Beamte mustert ihn irritiert, denn er trägt nicht nur seine Aktentasche unterm Arm sondern auf dem Leib seine Dienst-Uniform.
Horst setzt sich auf eine der Bänke vor den Flugsteigen und schaut ins Leere. Er grübelt nicht, er träumt: In Gedanken liegt er am Strand und hört die Wellen rauschen. Er weiß, dort wo er jetzt hin fliegt, scheint die Sonne. Aber er macht dort keinen Urlaub... Der Aufruf für seinem Flug erfolgt, Horst erhebt sich und geht festen Schrittes auf die Tür zu.


Als er die Bordkarte abgegeben hat und seinen Platz aufsucht, wird ihm klar, was er hier tut. Er, Horst, wird jetzt in dies ferne Land fliegen. Er wird nicht zurückkehren. Er wird sich ein kleines Zimmer und einen Job suchen. Hart wird es werden, wenn er überleben will. Aber er will nicht mehr in dies triste Leben zurückkehren. Seine Gerda wird auch ohne ihn zurecht kommen, sie ist eine tüchtige Frau. Irgendwann wird er ihr und den Kindern schreiben, dass er nicht anders konnte. Was auf ihn zu kommt, davon hat er keine Ahnung. Doch er pfeift leise.
Vor einem Monat hatte er seinen 48. Geburtstag gefeiert. Er hatte sich gefragt, was wohl das Leben für ihn noch offen hat. Damals war er zu keinem Ergebnis gekommen. Alles schien auf geraden Gleisen nach festem Fahrplan zu fahren. Jetzt saß er plötzlich hier in diesem Flugzeug, pfeifend auf Job und Alltag, und fühlte sich wohl wie seit Jahren nicht mehr.
Die Motoren des Flugzeuges wurden angeworfen, langsam setzte sich der Vogel in Bewegung. Horst sah noch einmal hinaus in den erwachenden Morgen über der Stadt: Für ihn fing heute ein neues Leben an.
 

AliasI

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hallo,
im prinzip ist die story nicht schlecht, sie handelt vom aussteigen an einem gewissen punkt im leben. Das ist okay.

Ich bin jetzt auch nicht so ein buchstabenfurzer, der dir die story UMSCHREIBT, bis sie nicht mehr zu erkennen ist, aber du solltest ein paar kleinigkeiten berücksichtigen:

1.) benutze keine Ziffern oder Zahlen. Beispiel: "20 min. Aufenthalt haben". Das liest sich blöd, andererseits könnte es eine bundesbahnpolitische ursache haben.

2.) wieder das gleiche: "fast 100km!"

Aber das sind eigentlich nur äußere sachen.
Ganz am Anfang ist mir aufgefallen, dass die ehefrau gerda auch zu worte kommt, aber hinterher ist sie nicht mehr vorhanden. Vielleicht solltest du die sache nur von SEINER warte aufziehen.

IHRE sache könnte man in einer anderen story behandeln.

Wenn du das berücksichtigst, dann kriegst du bestimmt zwei gute stories hin, aber... wahrscheinlich wirst du keine Lorbeeren dafür ernten. Oder vielleicht doch?

also nichts für ungut
Ingrid
 

Druckmaus

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Hallo Kurze,

habe deine Geschichte gelesen.

Ich denke es ist eine Story die du vielleicht so erlebt hast. Die Idee finde ich gut.

1. Ich schließe mich den Ausführungen von Aliasl an.

Aus dieser Geschichte könntest du zwei Stories
erarbeiten.
Einmal die Aussteigergeschichte von Horst, und eine
Story aus der Sicht von Gerda. Deine Protagonistin kommt
hier ziemlich kurz.

2. Du hast die Story im Präsens geschrieben. Schreib sie mal
im Perfekt.

3. Überleg mal, ob du nicht einen spannenden Einstieg
hinbekommen könntest, der den Leser neugierig werden läßt.

Ich hoffe das war jetzt nicht zu viel.

Viele Grüße Druckmaus
 

KurzeXL

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och man! jetzt bist du aber ziemlich über-kritisch, old icke. ja klar, auch auf so etwas muß man achten und wo du recht hast, hast du recht.
 



 
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