Abschied von Vater

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wüstenrose

Mitglied
du driftest langsam ab in eine andre Welt
du schnürst den letzten Schuh der einen Winter hält
du hast dein Leben lang die Balken rumgetragen
doch schau am Ende bleibt nicht viel zu sagen

November bringt uns Frost und alles liegt im Nebel
du drückst den Klingelknopf und ich den großen Hebel
der Lifter spreizt sich auf du lässt ihm deine Last
das wenige was du behalten hast

nun muss ich auf den Zug die Stimme wird mir schwer
und wenn ich wiederkomm ist dann die Stube leer
ich such nach einem Wort das deine Nähe findet
bis uns ein banger Blick verbindet
 

wüstenrose

Mitglied
Lieber Walther,
danke für deinen Eintrag.
Da stimme ich zu: Mein Gedicht und deines setzen an einer sehr ähnlichen Stelle ein (deshalb hat mich dein Gedicht auch gleich angesprochen) - die Ausführung / Tonart gestaltet sich dann unterschiedlich.
Noch ein Satz zu meiner Herangehensweise: Die Sprache ist hier bewusst eher einfach gehalten, dünn aufgetragen; sie baut eine Brücke zur Welt des Vaters.

lg wüstenrose
 

HerbertH

Mitglied
Liebe Wüstenrose,

Dein Gedicht hat mich berührt, gerade wegen der schlichten Worte. Bald jährt sich ein ähnlicher Tag, der etwas anders verlief.

Die Welt unserer Eltern ist immer etwas rätselhaft. Und doch versuchen wir immer, sie zu betreten.

Die Bilder des Abschieds brennen sich tief ein und bleiben.


Auch ich wünsche Dir viel Kraft.

Liebe Grüße

Herbert
 

wüstenrose

Mitglied
Lieber Herbert,

das freut mich sehr, dass dich die schlichten Worte erreicht haben. Danke für die Wertschätzung!

Die Welt unserer Eltern ist immer etwas rätselhaft. Und doch versuchen wir immer, sie zu betreten.
Dein Satz gibt mir zu denken.
Ja, die Welt des Vaters, jetzt von Pflegebedürtigkeit bestimmt, wird gesucht. Und ja, es gibt eine Vorgeschichte: Die väterliche / elterliche Welt wurde quasi ein Leben lang (mal mehr, mal weniger) gesucht. Annäherung war möglich, ein Hauch Rätselhaftigkeit / Mysterium / Befremdnis blieb auch dann, wenns vertraulich wurde. Das Nahesein war immer auch ein Befremden.

lg wüstenrose
 

HerbertH

Mitglied
Ja liebe Wüstenrose, diese Ambivalenz, die Du beschriebst zwischen Annäherung und Fernbleiben, die habe ich selbst erfahren, und bei Dir klingt sie ähnlich an.

Liebe Grüße

Herbert
 

hermannknehr

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Hallo Wüstenrose,
bei so vielen positiven Kommentaren wollte ich eigentlich nicht auch noch meinen Senf dazu geben. Aber ich kann nicht anders. Das Gedicht ist einfach gut. Gratulation.
LG
Hermann
 

wüstenrose

Mitglied
Hi revilo,
das freut mich natürlich, dass ich dich damit erreichen kann. Warum eigentlich (rhetorisch gefragt)? Vielleicht auch deshalb, weil der Schluss weder künstlich Trost spenden will, noch sich um einen abgebrühten Tonfall bemüht. Er stellt die Unbeholfenheit und die Beklemmung aus - und das ist auch gut so. Ich schreibe das, um es mir selbst klar zu machen; ich war zunächst in Versuchung, nach sprachlicher Raffinesse bei diesem Gedicht zu streben, bis ich dann merkte, dass da nur Gefasel rauskommt, dass es nicht ehrlich ist.

Hallo hermannknehr,
bei so vielen positiven Kommentaren
- - - ja, da bin ich jetzt selbst überrascht! Danke dir und allen, die ein Feedback gegeben haben!

auf ein unverdrossenes Wirken in 2017!
 

revilo

Mitglied
Mir geht dieses Gedicht sehr nahe, weil in klarer, einfacher Sprache ohne jegliches Lametta eine Situation geschildert wird, mit der wir alle konfrontiert werden : Sind Vater und Mutter bei unsrem nächsten Besuch noch da?.....je weiter Du weg wohnst, desto schwieriger ist das Wegfahren...

LG revilo
 

wüstenrose

Mitglied
ja, danke - das war wohl mal wieder der Sachverhalt: Manchmal kann ein Außenstehender das Wesentliche viel besser auf den Punkt bringen als derjenige, der den Wortsalat zusammengestellt hat.
 

wüstenrose

Mitglied
du driftest langsam ab in eine andre Welt
du schnürst den letzten Schuh der einen Winter hält
du hast dein Leben lang die Balken rumgetragen
doch schau am Ende bleibt nicht viel zu sagen

November bringt uns Frost und alles liegt im Nebel
du drückst den Klingelknopf und ich den großen Hebel
der Lifter spreizt sich auf du lässt ihm deine Last
das wenige was du behalten hast

nun muss ich auf den Zug die Stimme wird mir schwer
und wenn ich wiederkomm ist dann das Zimmer leer
ich such nach einem Wort das deine Nähe findet
bis uns ein banger Blick verbindet
 



 
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