Absehbares Ende (Krimi)

Absehbares Ende
Krimi von B.Tomm-Bub


``Ein absehbares Ende -sicherlich!``, dachte er und das seltsame, diffuse Gefühl stieg wieder aus der Magengrube in ihm auf. Seine Hände verkrampften sich leicht und unruhig starrte er hin und her.
Vor wenigen Wochen war er beim Arzt gewesen.
Er kannte sich mit Medikamenten ein wenig aus, von früher her, daher wußte er auch genug von etlichen Krankheiten und ihrer Diagnose.
Aber eigentlich war es ganz unwichtig, so ging es ihm durch den Kopf, wie das verdammte Ding nun genau hieß, daß in ihm saß und ihn letzten Endes auffressen würde!

Der Tod würde kommen und ihn mitnehmen, nichts anderes war es, was ihn erwartete.
Sicher, ja, er hatte gehört was der Medikus ihm gesagt hatte, ``Hoffnung gibt es immer ... verschiedene Therapien möglich ...`` und so weiter, bla, bla ...
``Ich weiß zuviel!``, dachte er -konnte aber über das reißerische dieses Gedankens verständlicherweise nicht einmal mehr lachen. Er selbst gab sich keine Chance mehr. Eigentlich war er ja ein kämpferischer, jedenfalls irgendwie zäher Charakter, aber in dieser Lage? Er hatte ganz einfach ein paar medizinische Bücher zuviel gelesen, so war das.

Nur noch kurze Zeit, dann würde das Siechtum beginnen, begleitet von den ``verschiedenen Therapien...`` (Ha!).
Nein, das war es nicht, was er wollte.
Lange hatte er gewartet, daß endlich einmal ein ``richtiger``, größerer Verlag seine Gedichte, seine Lyrik druckte und veröffentlichte. Kleine Verlage hatten, gegen ``Unkostenbeteiligung`` schon den einen oder anderen Text von ihm gebracht ja, auch in einer überregionalen Bäckereizeitung war schon einmal etwas von ``Wolfgang Werner`` erschienen, aber: was war das alles schon? Nichts.

Niemand hatte ihm wirklich zugehört, ihn verstanden, nein.
Dabei war es keineswegs so, daß er sich für ein Genie hielt, oder einen ``begnadeten Dichterfürsten``, sicher nicht!
Er war einfach der Meinung, daß Lieder und Geschichten und vor allem eben auch Gedichte den Menschen etwas geben konnten und etwas zu sagen hatten -und zwar allen Menschen. Sie mußten nur zuhören!
Aber kaum noch jemand las dergleichen, woran bestimmte Verlage, die Werbung, eben der Kapitalismus nicht unschuldig waren, oh nein!

Und nun war da dieses Konzert.
Der prächtige, nein: eher beeindruckend zu nennende, Dom des kleinen Städtchens Speyer gab die Kulisse für das große ``Open-Air-Ereignis``. Eine Andachtsstätte zwischen den grünen Hügeln von Pfälzerwald und Odenwald -so schwangen seine Gedanken einen Moment lang lyrisch aus, kehrten aber sogleich in die bittere Realität zurück.
Es war gar nicht so einfach gewesen, die scharfe Waffe (eine Pistole) zu besorgen, die recht natürlich wirkende Handgranatenatrappe war da schon leichter beschaffbar gewesen. Wobei, so sinnierte er, die Beschaffung gar nicht einmal das Hauptproblem gewesen war, die finanzielle Seite hatte sich dafür aber etwas knifflig gestaltet. Er lebte nämlich seit einigen Jahren ein ziemlich ruhiges Leben, ganz im Gegensatz zu ``Früher``. Brav ging er seiner Arbeit nach, nicht ganz ohne einen gewissen Ehrgeiz, doch nicht fanatisch und für einen ganz annehmbaren Ehemann hielt er sich ebenfalls. So lief alles geregelt.

Er hatte noch zu niemandem etwas gesagt, auch nicht zu seiner Frau, die nun neben ihm saß. Bis zum letztmöglichen Moment wollte er sie nicht unnötig belasten, hatte sie doch genug eigene Probleme... Zum Beispiel fürchtete sie dauernd, sie habe irgendeine schlimme Krankheit. Welch` eine Ironie!, dachte er bitter.
Sie hatte aber von den Geldausgaben nichts bemerkt, erst in neun Tagen war wieder ein Bankbesuch fällig, an dem der Fehlbetrag hätte auffallen können Nun ja, dies alles war nicht so einfach gewesen, doch nun saß er hier, wie achttausend andere Kulturliebhaber auch. Montserrat Caballe, die vielseitige Opernsängerin, würde begleitet von Orchester und ihrer Tochter, einen wahrhaftigen Kunstgenuß ermöglichen.

Es hatte geregnet ``wie aus Eimern``, anders konnte man die klimatischen Verhältnisse wirklich nicht mehr beschreiben, doch der Wettergott wollte es nur ein wenig spannend machen: 10 Minuten vor Beginn der Veranstaltung riß der Himmel auf und seit einer Stunde (gleich würde die Pause beginnen) war es vollkommen trocken und auch die Temperaturen ließen sich so gerade eben ertragen.
Es war bislang ein herrliches Konzert gewesen, doch damit konnte er sich innerlich nicht mehr so recht befassen. Er dachte über einiges nach, so über seinen Bruder Michael, der nun schon zum zweiten Male in einer Langzeittherapie war. Der Alkohol und anderes hatten ihn ziemlich fertig gemacht. Sie hatten ja kaum Kontakt zu ihm, er wohnte ja auch weit weg.... Doch- er würde dem, was er vorhatte nicht nur Negatives abgewinnen können, da war er sicher! Nur das Ende, das war halt leider absehbar.

Ein wenig schuldbewußt war er durchaus, denn seine Frau würde er nun gleich maßlos schockieren. Das tat ihm leid, aber er konnte es nicht ändern!
Auch bedauerte er natürlich, daß die vielen Menschen jetzt nur ein halbes Konzert der wunderbaren Caballe erleben konnten. Aber dafür würde er ihnen etwas ebenso spannendes bieten können und zwar -wie er zumindest hoffte- etwas von annähernd derselben künstlerischen Qualität.
Da war die Pause!
Halblaut verkündete er, leider einmal austreten zu müssen, nickte seiner Frau noch einmal kurz zu und strebte dann zunächst tatsächlich in Richtung der links neben der Bühne gelegenen Toilettenhäuschen. An einigen Security-Leuten (es stand wahrhaftig ``Security`` auf den Jacken der meist hübschen jungen Mädchen, die hier die Programme verkauften!) und vielen anderen Menschen zwängte er sich zunächst vorbei, bis er schließlich fast den Bühnenrand erreicht hatte.

Was darauf folgte, war einige Tage hindurch die Meldung des Tages in den regionalen Zeitungen und -kurzfristig- auch in den überregionalen. Allgemein machte das Wort vom ``Drama am Dom`` die Runde.

Das las sich dann zum Beispiel so:

``Speyer. Am Samstag, den 7. Mai spielten sich gegen 21 Uhr dramatische Szenen ab. Vor der Kulisse des Speyerer Domes wurde zu diesem Zeitpunkt ein Konzert der Sängerin Caballe gegeben. Am Ende der Pause erkletterte ein offenbar geistesgestörter Mann die Bühne. Da er mit einer Maschinenpistole und einer Bombe bewaffnet war, sich im übrigen aber ``dezent und höflich``, wie es hieß, verhielt, geriet das Publikum glücklicherweise nicht in Panik.

Der Geistesgestörte, Wolfgang W., aus Ludwigshafen, verlas dann eine Erklärung und trug einige Dutzend Gedichte vor, wobei er die Waffe stets im Anschlag, wohl auf den Pianisten, hielt.
Da sein Tun etliche Zeit in Anspruch nahm, gelang es der Polizei Scharfschützen im Erkerfenster eines angrenzenden Hauses zu postieren. Hauptmeister Fender gelang dann der rettende, für den Attentäter allerdings tödliche, Schuß.
Nach unbestätigten Berichten soll Wolfgang W., diese Identität ermittelte später die Kriminalpolizei, seinen Vortrag zu diesem Zeitpunkt allerdings bereits beendet haben. Eine Augenzeugin berichtete sogar, er habe ``sehr diskret`` die Waffe an die Sängerin Montserrat Caballe ausgehändigt und sich bei dieser entschuldigt. Ob zu diesem Zeitpunkt weiterhin die Gefahr bestand, das der geistig verwirrte Mann doch noch die Bombe zünden könnte, ist unbekannt.``

Diesem sehr exakten Bericht ist sicher nichts hinzuzufügen.
Doch, vielleicht das:

Der, bei dem Konzert übrigens anwesende, Reporter Hermann Loskill hatte diese Reportage gleich ``vor Ort`` verfaßt. Dies keine schlechte Leistung, da er doch fast die gesamte Zeit im Hintergrund am Weinstand verbracht hatte.
Ein wenig länger war sein Bericht gewesen. Er hatte am Schluß noch eine andere Augenzeugin zitiert, die ausgesagt hatte, die Gedichte seien ``sehr schön, teils lyrisch, teils lehrreich`` gewesen, trotz alledem!

Wie schon von Loskill geahnt, hatte es aber wieder ein ziemlich hohes Anzeigenaufkommen gegeben.
Zeitungsberichte werden von``hinten nach vorne`` zusammengestrichen.
Tja, dachte er, daß war absehbar!



-ENDE-
 



 
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