Achims Zettel

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Ich saß da, lächelte in die Richtung des leeren Stuhls, als säße Achim dort. Das Holz knackte im Kamin hinten in der Nische. Ich fühlte mich, als lägen nicht sieben Jahre Trennung zwischen uns. Achims grauen Schläfen, glitzernden blauen Augen, zwei tiefe Kerben neben seinem Mund, das alles war mir so vertraut, direkt daneben gab es eine neue Fremdheit. Mein Herz schlug aufgeregt. Wie die Grinsekatze ersetzte Achim meine Vorstellung seiner Selbst.
„Du träumst.“ Er schlürfte seinen Cappuccino, der weiße Schaum zog einen feinen Schnurrbart.
„Ich dachte daran, dass wir vor etwas mehr als sieben Jahren in eben diesem Café saßen. Es hieß damals Wiener Melange.“
„Ja. Wir saßen in der Nische beim Kamin und du erzähltest mir von deiner Aufnahme ins Theaterensemble in Berlin.“ Er verdrehte seinen Kopf. Der Tisch stand nicht mehr dort.
Damals ein Wink von dir, ich wäre geblieben, hätte meine Karriere hier in Bochum begonnen, mit dir an meiner Seite. „Gute Reise“, hast du gesagt. Spielten wir noch immer das Spiel? Ging es ihm wie mir? Nach sieben Jahren?
„Seitdem war ich nicht wieder in diesem Café“, fuhr er fort. Seine Augen suchten den Raum ab, „Es hat sich alles verändert.“
Seine Augen fingen mich ein und blieben bei mir, sie griffen nach meinem Herzen. Immer noch.
Achim, dachte ich. Die meiste Zeit versuchte ich, dein Echo zu verbannen, all die gelegten Wege zu beseitigen.
„Die Veränderungen. Das Café, du und ich. Hättest du gedacht, dass ich nach sieben Jahren wegen eines Schauspiels in Bochum gastieren würde, dass wir uns hier gegenübersitzen?“ Damals hatte ich gedacht, ich würde deine Kinder großziehen, in Bochum Unterricht nehmen und bei dir bleiben. 27 Jahre alt, keine Kinder stattdessen. Verheiratet in Berlin mit einem Mann, der mich seit vier Monaten mit meinem Kollegen betrog und mir nichts zu sagen hatte.
„Weißt du, wir haben in den letzten vier Stunden über so ziemlich alles gesprochen. Über deine Inszenierungen, über mein Architekturstudium, über unsere Freunde. Sogar über deinen Mann und meine Ex.“ Er hielt inne. Spielten wir wieder das Spiel: Wer zuerst von seinen Gefühlen für den anderen spricht, der verliert? Die Pause dehnte sich aus, der Bogen spannte sich. „Wir haben noch nie …“ Er sah mich an, der Rest hing in der Luft.
Ich nickte.
„Ich meine, dieser Abend … kaum ein paar Tage, Katja, vorher … du wolltest dann nach Berlin. Was war geschehen?“ Sturm lag in seinem Gesicht.
Deine Ex, dachte ich. Sie tauchte in meinem Appartement auf, ich habe aus ihrer Schwangerschaft die vernünftigste Konsequenz gezogen. Ich sagte nichts.
Die Gewitterwolken zogen weiter, sein Gesicht klarte auf. Er eilte zur Theke, mit Kulis und Zetteln kehrte er zurück.
„Wir schreiben jeder für uns, was wir von unserer Begegnung wünschen oder erträumen. Dann tauschen wir sie aus. Keiner zuerst.“ Er blitzte mich vorsichtig an.
Ohne Zögern schrieb ich meinen Satz, ich kannte ihn so gut. Achim kaute nachdenklich auf seinem Stift. Das Spiel war absurd, sagte es nicht bereits, dass sich ein Wunsch, ein Begehren oder eine Hoffnung verbarg, die wie Treibgut an der Oberfläche trieb? Achim schrieb mit Schwung einen Satz, das Wort „Gefühle“ konnte ich entziffern.
„Jetzt tauschen.“ Er schob mir den verdeckten Zettel zu, ich schob meinen an seiner Hand vorbei. Blattwechsel, die Berührung durchströmte mich wie ein Lichtstrahl. Keiner von uns hob den Zettel an, wir sahen uns in die Augen.
Meine Hand ruhte auf seinem Zettel.
„Katja.“ Er hielt den Zettel mit der Hand fest, seine Stimme klang sonderbar. Meinem Namen hatte er in jener Nacht dieselbe Melodie verliehen, in der Nacht, als ich mich ihm schenkte, mit jeder Faser meines Herzens. Alles versank in dieser Nacht im Zauberwald. Mit seinen Händen berührte er meine Seele, tröstlich und unvergesslich. Die Landschaft meiner Leidenschaft kartografisierte und signierte er für immer. Erstaunt hatte ich auf diese neue Dimension meiner Selbst geblickt und mir gewünscht, sie würde mir vertrauter werden. Als wir den Zauberwald verlassen hatten, sagte er, er wolle keine Versprechen machen, denn er wüsste nicht, was er fühlte.
Als seine Ex zu mir kam, legte sich ein undurchdringlicher Schleier auf meine Vernunft. Dachte ich doch, dass ich meine Liebe mit der Zeit auslöschen könnte. Wie ein süßer Schmerz aber blieb die Sehnsucht all die Jahre hindurch bestehen.
Bevor ich den Zettel lesen konnte, ergriff er meine Hand. Wie von selbst erinnerte sich meine Haut an die Berührungen vor sieben Jahren. Alle meine Sinne konzentrierten sich auf diese eine Berührung als gäbe es kein Morgen. Der Zauberwald tauchte plötzlich vor mir auf.
„Moment. Ich will … ich will es sagen!“; er kaute seine Unterlippe. „Wir haben nie über uns gesprochen, früher nicht und heute auch nicht. Ich habe es nicht getan, weil ich dir nicht zeigen wollte, dass du der Mittelpunkt meines Herzens bist. Damals, heute und dazwischen.“ Er lächelte zaghaft und fügte hinzu: „Irgendwie glaubte ich, es sei gefährlich, ausgerechnet dem Menschen meine Gefühle zu gestehen, der in meiner Seele lesen kann wie in einem aufgeschlagenem Buch. Bitte sieh mir meine Dummheit nach.“
Ich dachte an meinen Satz. Den Satz, der mir bei jeder Phantasie mit Achim, vor jedem Einschlafen und nach jeder gescheiterten Beziehung mit einem anderen Mann zu Achim durch den Kopf ging. Wir sind fertig miteinander. Ich dachte, dass ich es gerne wäre: fertig. Fertig und frei.
Ich riss den Zettel zwischen seinen Finger weg und steckte ihn in den Mund.
„Was tust du denn?“
Wollte ich von ihm frei sein? Oder wollte ich mit ihm frei sein?
Ich spukte die Reste in den Aschenbecher.
„Ich habe mich anders entschieden, ich will mich nicht mehr befreien von meinen Gefühlen, sondern mit dir zusammen frei sein.“ Von seinem Zettel riss ich ein Stückchen ab und schrieb die einzigen drei Worte auf, die es noch zu sagen gab.
Das Spiel war beendet.
Als er mich vom Stuhl in seine Arme zog und fest umfangen hielt, berührte ich die ersten glitzernden Tannen des Zauberwaldes.
 

noel

Mitglied
ich bin zwispältig dem text gegenüber. er hat "etwas" & dann wiederum merke ich, wie ich verschiedene "wendungen" nicht mag, weil sie mich aus dem lesefluss reißen.

z.B. hier -->
Wie die Grinsekatze ersetzte Achim meine Vorstellung seiner Selbst
das wort grinsekatze & der satzfluss...


-->
[blue]Seine Augen[/blue] suchten den Raum ab, „Es hat sich alles verändert.“
[blue]Seine Augen[/blue] fingen mich ein und blieben bei mir, sie griffen nach meinem Herzen. Immer noch.
zwei aufeinanderfolgende sätze mit gleichem anfang


Die Landschaft meiner Leidenschaft [blue]kartografisierte [/blue]und signierte er für immer.
dieses wort hat für mich nichts gemeinsam mit leidenschaft, es stört mich, hemmt ein nachempfinden, gibt einem nicht ein leidenschaftliches gefühl.
 
Danke Noel,

das ging sehr schnell und dieses Feedback hilft mir sehr. Ich werde sehen, was sich machen lässt, wie ich diese Wendungen abändern kann. :)

Danke
lg
Sc
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
schön.

ändere bitte auch das "spukte" im 5. satz am ende. da fehlt ein c.
ansonsten recht flüssig zu lesen.
lg
 



 
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