Alles Theater!

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Lonia

Mitglied
Alles Theater!

Er trägt dunkelgrüne Karottenhosen und ihre beste Freundin Irene meinte, er sähe aus wie ein Spacko. Sein Name ist Gerald und er ist Schauspieler. Meistens spielt er ulkige Rollen. Einmal, da verkörperte er den Truffaldino aus dem „Diener zweier Herren“. Gut ist er, zu gut für ein Provinztheater. Aber das weiß er nicht.
Jede seiner Gesten, jeder Satz, den er ausspricht, jede Grimasse, die er zieht, verrät es: Er ist besser als all die anderen, die mit ihm die Bühne teilen, nur halb ausgegorene, nur halb talentierte Darsteller. Sie glauben an sich, sind von sich überzeugt. Aber er zieht sein Publikum in den Bann, lässt in seinem Spiel Welten entstehen und vergehen, haucht nie dagewesenen Menschen Leben ein, lässt Phantasiegeschöpfe zum Leben erwachen, durchlebt in seiner zweiten Haut die schlimmsten Qualen, die schönsten Freuden oder das seltsamste Geschick.
Sie hat keine Bedeutung für ihn. Doch er braucht sie, wie er die restlichen Schattenmenschen braucht. Er kennt die Schatten nicht, er steht im Licht. Aber er ist von ihnen abhängig. Sie schenken ihm ihre Aufmerksamkeit, ihr Interesse, ihre Zeit, eine Krumme ihres Lebens. Es ist sein Publikum, sie ist Teil davon. Sein größter Fan. Sie ist eine von denen, die im Leben zuschauen. Sie handelt nicht. Als sie von ihrer ersten großen Liebe verlassen wurde, nahm sie es hin, litt stumm, kämpfte nicht. Oder der Auszug aus der elterlichen Wohnung: Das neue Zimmer vom Vater ausgesucht. Der Urlaub vor vier Jahren mit Irene: Nach Spanien, Lloret de Mar, obwohl sie das heiße Klima nicht verträgt und das Meer nicht mag. Sie findet das nicht schlimm. Es ist nunmal ihre Rolle. Im Leben.
Seine Rollen kennt sie alle. Sie bewundert ihn so sehr. In seinem ersten Stück fiel er ihr nicht auf. Er war ein Harlekin im bunt karierten, glänzenden Kostüm und Dreh- und Angelpunkt des Spiels. Wild fuchtelte er mit seinen Armen umher, spuckte beim überschlagenden Reden unkontrolliert über die Bühne, entlockte sogar einem alten Griesgram ein Schmunzeln. Beim zweiten Stück spielte er nicht mit; dies entging ihrem eigentlich sonst so wachen und empfindlichen Bewusstsein. Dann, endlich, als er den zurückhaltenden Floristen Flower-Paul darstellte – sie fand ihn hinreißend – verliebte sie sich unsterblich.
Heute sitzt sie wieder im Publikum. Sie verehrt ihn. Aufgeregt streicht sie ihre nassen Hände an der Hose trocken. Er spielt einen Brandstifter in „Biedermann und die Brandstifter“. Du bist gut, richtig gut, denkt sie. Er sieht sie nicht. Gefangen im Spiel.
Tobias quengelt. „Gleich, mein Schatz, es dauert ja nicht mehr lange“, flüstert sie dem kleinen Mann neben sich zu. „Schau doch, mein Engel, schau doch mal, Papa ist heute Brandstifter!“
 

GabiSils

Mitglied
Think positive!

Hey, Lonia, wie wird dein Storyband heißen, "Mutmachgeschichten" vielleicht?

Ich bin ganz bezaubert davon, wie du es schaffst, das Positive, die Hoffnung in deinen Geschichten zu vermitteln, ohne Verlogenheit oder Sentimentalität, in einer schönen, knappen, aber nicht kargen Sprache. Der Schauspieler und seine Frau kennen ihre Rollen im Leben und sind zufrieden damit. Ach, was für eine triste Beschreibung hätte das werden können, aus Neid, Unverständnis, Unvermögen und Entfremdung; du aber läßt deinen Figuren die Freiheit, zu sein wie sie sind. Toll.

(Was ist denn ein Spacko?)

Herzlichst
Gabi
 

Lonia

Mitglied
Re: Think positive!

Liebe Gabi!
An einen Storyband ist noch lange nicht zu denken! Habe erst einige wenige Geschichten geschrieben, finde endlich etwas mehr Zeit.
Und ich bin ganz bezaubert davon, wie du mich mit Lob überschüttest! Ganz, ganz liebes Dankeschön!
Hmm, ein Spacko, ein Modewort, würde ich mal sagen, etwa so ähnlich wie ein Affe, vielleicht ein Kerl, der etwas dumm ist, der kein lupenreines Verhalten hat.
Aber Achtung: Die nächste Geschichte wird vielleicht nicht so hoffnungsreich.. Ich weiß es noch nicht genau.
Alles Liebe, Lonia
 

Zefira

Mitglied
Wunderbar. Gabi Sils hat es schon gesagt, ich kann nur unterschreiben.
Mir gefällt besonders, wie Du in der Schwebe läßt, ob er wirklich so toll ist, oder ob es nicht bloß sie ist, die ihn die ganze Zeit so sieht.
Einziger Kritikpunkt: da ist im erste Absatz gleich von "ihm" und "ihrer besten Freundin Irene" die Rede, während lange unklar bleibt, wer nun eigentlich "sie" ist. Erst beim zweiten Lesen habe ich das richtig kapiert. Aber ich hätte den Text sowieso ein zweites Mal gelesen.
lG, Zefira
 

Lonia

Mitglied
*Freu*

Liebe Zefira!
Dank für das Lob! Freue mich wie eine Schneekönigin über jedes Lob!
Ja, mit der Kritik hast du Recht. Ich habe mir das auch schon überlegt, ob ich den Leser damit nicht überfordere. Denke, dass werde ich demnächst umändern, wenn mir ein anderer Einstieg einfällt. Ich habe manchmal eine Scheu davor, an Texten rumzuschnippeln, an denen ich länger als eine Woche nichts gemacht habe. Da fällt mir der Einstieg schwer.
Alles Liebe, Lonia
 

Inu

Mitglied
Hi
Dein Text ist offensichtlich einer der sehr wenigen, der ein "ausgezeichnet" bekommen hat. Wer um Gottes Willen vergibt diese Benotungen? Ich habe heute abend viele gelesen, die m i r besser gefielen. Dein Text ist ja gut, aber ausgezeichnet finde ich ihn nicht. Noch eine Frage habe ich...

<<<<<<<Sie schenken ihm ihre Aufmerksamkeit, ihr Interesse, ihre Zeit, eine Krumme ihres Lebens>>>>>>>

Was ist Krumme?

Mit neugierigen Grüßen
Inu
 

Lonia

Mitglied
????

Hallo Inu!
Ich weiß nicht, wer diese Benotungen vergibt. Wahrscheinlich ein unglaublich ungerechter Mensch mit einem unglaublich seltsamen Geschmack, schließlich gefällt diesem Mensch mein Text :)...
OK, hast ja Recht, das ist ein Rechtschreibfehler. Es müsste Krume heißen, so wie Brotkrume, fast so etwas wie ein Krümel, nur etwas größer (schöne Wörter).
Du weißt ja, über Geschmack lässt sich streiten.
So long, Lonia
 

GabiSils

Mitglied
Liebe Inu,

das "Ausgezeichnet" stammt von mir.
Nach der soundsovielten Mißbrauchs - oder s/m-Geschichte fand ich diese ganz andere Sichtweise auf das Rollen- und Beziehungs-Thema sehr wohltuend und gelungen. Vielleicht ist die Geschichte nicht "perfekt", aber da dieses Bewertungssystem ohnehin nie objektiv sein kann, wollte ich bewußt mit einer herausragenden Bewertung andere Leser darauf aufmerksam machen. [/i]Gerade[/i] im Vergleich mit anderen hier gelesenen Werken; denn der Anteil an überdurchschnittlichen Geschichten ist nicht so groß.
Sicher ist das Geschmackssache, dir scheint Lonias Stil nicht so zu liegen, mir gefällt er sehr.

Gruß,
Gabi
 

Inu

Mitglied
Hallo Lonia und Gabi

Ich muss Euch mal meine Situation schildern. Vorgestern kam ich ganz neu zur Leselupe und ich surfte lang durch die einzelnen Rubriken. Da fand ich teilweise gute Geschichten, die viele Zugriffe hatten und auch viele positive Antworten und doch waren sie, (wie man ja in diesem kleinen Kästchen rechts sehen kann) , überhaupt nicht bewertet, bzw. "überarbeitungsbedürftig" oder im "Mittelfeld."

Ich konnte mir kein Bild machen, wie die Sache funktionniert.

Dann stieß ich auf diese Geschichte hier von Lonia, die war als eine der ganz wenigen mit "ausgezeichnet" bewertet. Ist ja auch eine gute Geschichte, aber so ausgezeichnet?

Mein Problem ist aber ein anderes. Ich wusste und weiß bis jetzt nicht, wer da die Zahlenbewertung vergibt...und wie sie vergeben wird...ich habe herumgesucht, aber nicht gefunden, wo man da klicken, bzw eine Note von 1 bis 10 geben (reinschreiben) kann, weil ich es selbst machen wollte, auch weil ich wissen wollte, wie m e i n e drei Texte zu ihren Bewertungen kamen. Ich habe es bis jetzt noch nicht herausgefunden. Bin auch technisch unbegabt und,wie gesagt, zum erstenmal hier auf Leselupe...

Deswegen bitte ich um Nachsicht und vielleicht sogar Aufklärung :)

Viele Grüße
Inu
 



 
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