Alles nur Erziehungssache

Aywa

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Es liegt wohl in der Natur der Kinderseele, welche es eben dieser nicht erlaubt in einem Zustand des „Haben-Wollens“ eine humane Grenze zu finden. So erlebe ich es auch bei meiner Tochter.
Ein Wort hallt in den Windungen meiner empfindlichen Gehörgänge wieder und sucht sich gewaltsam seinen Weg zu meinen plötzlich blockierten Gehirnzellen, bis es sein Ziel erreicht: ungeschützte, sehr empfindliche Nervenenden.
„Eis!“
„Lea, Schatz, Mama hat jetzt gerade kein Eis“
„Eiis!“
„Lea, Herz, ich habe kein Eis. Das Eis ist alle.“
„Eiiisss!!“
„Lea, ich habe dir doch schon gesagt, das wir kein Eis haben. Es gibt kein Eis, weil Eis alle ist, verstehst du aaaalllleeee.“ und öffne theatralisch die Tür des Gefrierschrankes, um ihr zu beweisen, dass ich nicht lüge.
Sie blickt kurz hinein, nur um dann wieder mit ihren großen wunderschönen Augen zu mir aufzuschauen und mich durchdringenden Blickes medusengleich zu Stein werden zu lassen.
„AAAAAAIIIIIISSSSS! Lea Eis, Lea Eis!!“
„Lea, verdammt, ich habe kein Eis. Wie oft soll ich dir das noch sagen! Hörst du mir überhaupt zu? Mama kauft später Eis, wenn Mama einkaufen geht! Jetzt ist Eis alle und damit Basta. Kapito? Alles verstanden? Prächtig. Dann ist ja alles geregelt.“
Kommt es mir nur so vor, oder werden ihre Augen immer größer?
Lea, warum hast du so große Augen? – Damit ich dich besser sehen kann!
Lea, warum hast du so große Hände? – Damit ich dich besser fassen kann!
Lea, warum hast du so große Zähne? – Damit ich dich besser fressen kann!
Uaahh!
Sie kommt auf mich zu, Schritt für Schritt, ihre Gesichtsfarbe gleicht der jungfräulicher Lava, ihr Gang hat etwas mechanisches, fern ab alles menschlichen. Sie drängt mich zurück, immer weiter, bis ich wie ein verängstigter Hase in der Küchenecke kauere, mit bebenden Herzen der Erkenntnis ins Antlitz sehe, dass dieses hier mein Ende ist.
Schweißgebadet wache ich auf, während sich die Schatten der Dunkelheit noch um mich drehen. Leichte Verwirrung bemächtigt sich meiner und ich schwinge mich, immer noch halbtrunken, aus dem Bett, gehe auf Zehenspitzen in den Flur und manövriere meine Schritte dann Richtung Kinderzimmer. Mit einem unangenehmen Kribbeln in der Nackengegend öffne ich lautlos und ganz langsam die Tür. Stille offenbart sich mir, unterbrochen von den rhythmischen Atemzügen meines eigenen Fleisch und Blutes. Mein kleiner Engel schläft tief und fest den Schlaf der Unschuldigen. Auch ich atme einmal tief ein, beruhigt und glücklich diese friedliche Atmosphäre in mich aufnehmen zu dürfen.
Leise schließe ich wieder die Tür und denke mir, dass Alpträume einen garantiert schneller altern lassen, wobei ich fast einen Herzinfarkt bekomme als ich mich Garderobenspiegel erblicke. Das war mir eine Lehre, ich werde nie wieder in den Spiegel schauen, bevor nicht das geweihte Wasser des Duschkopfes mein Erscheinungsbild geglättet hat.
Immer noch auf Zehenspitzen und leicht amüsiert über meine nächtlichen Traumkreationen, schleiche ich in die Küche, öffne das Gefrierfach und finde meine Erleichterung: eine Familienpackung Schockoladeneis in der Größe super XXL. Zufrieden über meine weise Voraussicht und mit dem sicheren Gefühl mir noch ein paar Tage Aufschub hinsichtlich meines Ablebens erkauft zu haben, mache ich mich fröhlich lächelnd wieder auf den Weg in meine kuschelige Oase.
Alles nur Erziehungssache, denke ich mir, wobei sich mir für den Bruchteil einer Millisekunde die Frage aufdrängt: wer hier eigentlich wen erzieht. Doch bevor ich diesen Gedanken analytisch und pädagogisch überprüfen kann, entgleitet mein Geist und findet sich in den Armen eines wohlproportionierten, temperamentvollen Don Juan wieder, irgendwo auf einer noch nicht entdeckten kleinen Insel, in den Weiten des indischen Ozeans.
 

Fee

Mitglied
Hallo Aywa,
sag mal, warst Du bei mir zu Hause? Kommt mir so bekannt vor ;)
Schön flüssig geschrieben, mit genau der Portion Humor wie ich ihn mag.

Liebe Grüße von
Fee,
die auch schnell mal einen Blick in die Kühltuhe wirft, sicher ist sicher :D
 

Aywa

Mitglied
Hy Fee!

Vielen Dank für Deinen herzerfrischenden Kommentar.
Nein, ich war leider noch nicht bei Dir zu Hause, aber es gibt mir ein gutes Gefühl zu wissen, daß ich nicht die einzige im Universum bin, die von ihrer Tochter an der kurzen Leine gehalten wird :)
Liebe Grüße
 



 
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