Alltagsheldin

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Marc Freund

Mitglied
„Meine Fresse, was geht mir die Alte auf den Sack!“
Die Frau mit dem Kopftuch hat ihn nicht gehört. Ihre weißen Finger umkrampfen den Griff des Staubsaugers. Anstelle von Gold sucht sie Dreck, der für sie genauso viel wert ist.
Ihre Augen haben einen Blick dafür entwickelt. Und sie würde noch das Logo aus dem teuren Firmenteppich saugen, nur damit man erkennt, dass sie ihre Arbeit gründlich macht. Denn gründlich heißt gut. Und wer gut ist, darf bleiben. Diesen Satz hat sie einmal aufgeschnappt und daran hält sie sich.
Der Mann am Computer fängt an, sich demonstrativ die Ohren zuzuhalten.
Wenn sie ahnt, dass sie hier nicht erwünscht ist, lässt sie es sich nicht anmerken. Mit dem Sauger nimmt sie die Krümel auf, die andere hinterlassen haben und leert nebenbei die Mülleimer.
Multitasking.
Sie weiß nicht, was das heißt, vermutet aber, dass es damit zusammenhängt, möglichst viele Dinge gleichzeitig und gut zu erledigen.
So gewinnt sie Zeit. Und doch werden die wertvollen Minuten nicht reichen, um ihre Kinder heute Abend noch zu sehen, bevor sie schlafen gehen.
Sie stellt ihr Arbeitsgerät, ihren Helfer und Partner auf die maximale Saugleistung, um den letzten Schmutz des Tages zu beseitigen.
Sie nickt dem Mann am Computer freundlich zu, zieht den Stecker und macht sich auf den Weg in die nächste Etage.
 
B

bluefin

Gast
hallo @marc,

diesmal ist klipp und klar, was gemeint ist, und man muss nicht kreuzworträtseln, wer was macht und warum. routiniert und gut geschrieben!

was mir nicht so sehr gefällt, ist dein impetus. der erzähler versteht sich offenbar als gutmensch, der im gegensatz zu dem unter den staubsaugergräuschen leidenden sofort erkennt, was für ein armes hascherl die putzkolonnen-angestellte doch ist.

dass der typ vor dem terminal genauso ausgebeutet sein könnte wie die mutti mit dem sauger, und dass er sich die ohren nur deshalb zuhält, weil er wegen des lärms nicht weiterkommt mit dem mist, an dem er gerade zu schaffen hat, wird nicht in den bereich des möglichen gerückt. dabei läge es doch eigentlich nahe.

wie's der teufel will, hab ich mich gestern mit danny unterhalten. danny kommt aus barbados, hat er mir erzählt: "hey man, ich bin ein insel-man!". er gehört zu der truppe, die mir das büro sauber hält und die fenster putzt. er macht nebenbei reggae, sagt er, und dass er von seiner mutter gelernt habe, dass man nie eine frau heiraten dürfe, die man selber liebe. "Sondern nur eine, von der man geliebt wird!"

probleme mit den leuten, bei denen sie putzen, hätten sie nicht, erzählt er. ganz im gegenteil. die eigentlichen arschlöcher wären die chefs der putztruppen. und die bullen. für die wären sie wie dreck und würden auch so behandelt. danny ist seit 19 jahren in europa und hat zwei kinder von sieben verschiedenen frauen, eine davon sitzt in london. seine rasta-locken stopft er unter eine riesige, buntgestrickte mütze, wenn er arbeitet. die sieht fast aus wie ein globus. sein tschechischer kollege sagt, dass er da drin seine tüten versteckt, und lacht meckernd wie ein ziegenbock.

ich weiß nicht, lieber @marc, was du für erfahrungen mit putztruppen hast - mir scheinen sie immer als menschen wie du und ich: sie tun gottseidank auch nur das, was unbedingt notwendig ist.

liebe grüße aus münchen

bluefin
 

Marc Freund

Mitglied
Hallo bluefin,

vielen Dank für deine Antwort auf meinen Beitrag.

Deine Ausführungen zu deinem Gespräch mit Danny finde ich sehr aufschlussreich und durchaus spannend zu lesen. Sie geben einen schönen Einblick in den Alltag. Aber jetzt fange ich gerade an, deine Antwort zu interpretieren...

Du hast mich nach meinen Erfahrungen mit Putztruppen gefragt. Hierzu sei gesagt, dass der erste Satz meines Textbeitrages ein Zitat eines Arbeitskollegen ist. Der Satz hat mich lange beschäftigt. Oft habe ich mich gefragt, ob er der guten Frau damit nicht Unrecht tut, denn immerhin versucht sie, genau wie er, ihre Arbeit zu tun.
Die andere Denkweise, dass nämlich der Kollege hier der Benachteiligte sein könnte, weil er in seinen Überstunden versucht, ein Projekt abzuschließen, welches ihm der Chef noch kurz vor Feierabend "reingedrückt" hat, habe ich dabei bisher nie betrachtet.
Also auch vielen Dank für das "Augen öffnen" in dieser Hinsicht.

Viele Grüße!
 
O

Open Mike

Gast
"Meine Fresse, was geht mir die Alte auf den Sack!“
Für mich der Höhepunkt dieser Geschichte.

Nicht dass es danach rasant abwärts ginge, nein, stattdessen wird lediglich aufgeklärt: über das Wo und Warum, bis hin zu einer Art Täterprofil.

om
 



 
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