Almorosa und ihr Karl

nannaog

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Almorosa grummelte. Almorosa grummelt immer. Sie wuselt hin und wuselt her und grummelt die ganze Zeit vor sich hin.
Sie schafft Dinge, von denen nur sie selber weiß, wozu sie nützen können, von der einen Ecke ihrer Hütte in die andere. Von dort wiederum nimmt sie genauso undefinierbare Gegenstände und trägt sie unter ächzen in den nächsten Winkel. Sie stößt sich an einer Tischkante und hatte einen neuen Grund, in ihren recht beachtlichen Alt-Weiber-Bart zu brabbeln: „Warum müssen diese Ecken so eckig sein, schon wieder ein blauer Fleck, kann man Tische nicht einfach rund bauen, wie Baumstämme, die sind doch auch rund, und niemand kann sich dran stoßen......“
Sie ging mit schweren Schritten nach draußen und grummelt nun über das Draußen.
Der kleine vertrocknete Zweig, der am Boden liegt wird angegrummelt, der Wind natürlich auch und die Sonne sowieso. Was sonst, da der Regen gerade nicht zur Verfügung stand?

Könnte ein Fremder, den es durch Zufall an dieses Ende der Welt verschlagen hat, die Alte beobachten, er hielte sie für ein seniles Weib, das Selbstgespräche führt.
Aber kein Fremder dieser Welt würde Almorosa beobachten können, ohne das sie es wüsste. Das wäre ja auch noch schöner!
Noch bevor irgendein Lebewesen überhaupt die Möglichkeit hätte, zu entdecken, dass hinter dem Wald und hinter dem Gestrüpp und der großen Wiese, kurz vor diesen massiven Felsen ein Mensch (na ja, immerhin sieht sie aus wie einer) haust, wüsste das alte Weib, das jemand auf dem Weg zu ihr ist.
Und ehe dieses unachtsame Wesen sie erblicken könnte, würde sie ihren Karl, der an der Hauswand gelehnt vor sich hin döste, mit fester Hand packen, ihn durch die Luft wirbeln und ein Gekreische von sich geben, dass dem armen Wanderer himmelangst würde.

„Ach jaaa,“ denkt Karl sehnsüchtig, „ das wäre mal eine Abwechslung!“
Nun ist Karl zwar noch viel älter als Almorosa selber, aber so ein Spaß ab und an, der würde ihm schon gefallen.

Schon als Karl ein kleiner Trieb an einem sehr großen Baum war stand für ihn fest: „ Ich bin für die Ewigkeit bestimmt!“ Und nichts und niemand konnte ihn von dieser Überzeugung abbringen.
In seinen jungen Jahren brachte er die großen Äste in schöner Regelmäßigkeit zur Verzweiflung, in dem er vor allen Anderen Knospen trieb.
Immer und immer bekam er zu hören: “Es ist zu früh. Es ist zu früh. Es könnte Frost geben. Es könnte Frost geben. Die Knospen werden erfrieren... „
Bei solchen Erinnerungen muss Karl immer ganz verträumt vor sich hin schmunzeln.
Später, nun schon selber ein starker Ast am Großen Ehrwürdigem Baum, unterhielt er sich oft mit den kleinen Zweigen und erzählte ihnen, was er alles in seinem zweiten Leben anfangen würde. Nein, er würde nicht einfach alt und trocken vom Baum fallen, nachdem er schon viel zu lange ohne ein schönes Kleid hatte bleiben müssen. Er würde ein edleres Schicksal erfahren! Er würde von einem Menschen entdeckt werden! Dieser Mensch würde etwas aus ihm machen: einen Bogen vielleicht, einen wunderschönen.
Karl hatte Geschichten von Bögen gehört, und wusste, dass nur ganz besondere Zweige dafür genommen werden. Oder er würde ein Wanderstock werden. Oh ja, ein schön geschnitzter, reich verzierter und vielleicht sogar buntbemalter Wanderstock! Dann würde er herumkommen in der Welt! Land und Leute sehen! Was würde das für ein Leben sein!
Die Alten schimpften ihn dafür. Wie kann er nur solch ein wurmstichiges Geschwätz von sich geben! Und überhaupt: was ist unehrenhaft daran, zu Boden zu fallen um dort ins ewige Dunkel einzugehen auf das es neuen Boden gebe! Er setze den jungen Trieben nur Flausen ins Ohr! Er solle aufhören damit!
Die weniger Strengen lachten ihn aus: Euer Hochwohlgeboren wird nicht nur einfach ein Stab! Er wird der König der Stäbe! Und er bekommt so ein glitzerndes Etwas angesteckt. Eins von den Dingern, wie es die Elstern heimbringen!
Karl wurde dann immer ganz aufgeregt. Etwas Glänzendes, ja das wäre noch fantastischer!

Almorosa aber hatte keinen Grund den alten Karl durch die Luft zu schwingen um ungebetene Eindringlinge zu verscheuchen.
Hier war alles wie immer: Der Wald war an seinem Platz, die Sträucher und Gräser ebenso. Alles was es an Getier gab, war ihr bekannt. Alles war in Ordnung. Auch der Felsen war, wo er hingehörte.
Ihre Hütte kauerte sich seid Jahr und Tag an die mächtige Felswand. Schon oft hatte Almorosa in die Höhe geblickt und vor sich hin gemurmelt: „ Irgendwann, irgendwann fällt mir was von dort oben auf` s Dach. Aber dann! Dann wirst du mich kennen lernen, du oller Klotz!“

Der große, mächtige Granitkoloss war der einzige, auf den sie sich nicht verlassen konnte und alles was spärlich darauf wuchs, hielt felsenfest zu ihm.
Die Tiere, die Pflanzen und selbst der Wind und der Regen brachten ihr Neuigkeiten, der Felsen jedoch war nicht sehr gesprächig. Deshalb traute sie ihm nicht. Deshalb hatte sie einen Heiden-Respekt vor ihm. Und das, obwohl die alte Almorosa eher gefürchtet wurde, als das sie selber etwas fürchtete.

Sie lebte schon eine lange, sehr lange Zeit hier, aber manchmal wurde es sehr ruhig im Haus. Dann war sie wochenlang nicht zu sehen oder zu hören. Almorosa verschwand im Haus und dort schien sie zu bleiben, solange es ihr gefiel.
Die Bäume und Sträucher fragten den Wind: „Wo ist sie nur?“ Der Wind fragte die Gräser vorm Haus: „Wo ist sie nur?“ Die Gräser fragten den Sand vor der Tür: „ Wo ist sie nur?“ Doch keiner wusste etwas.

Der Sand erinnerte sich eine ganze Weile daran, dass sie in die Hütte gegangen war. Und weil er sich an nichts Neues erinnerte, musste die Alte noch drinnen sein. Doch die Stufen zur klapprigen alten Holztür schwiegen. Und die Tür selber knarrte jeden unwirsch an. Auch Karl stand nicht an seinem Platz.

Und dann, plötzlich, waren Geräusche aus dem Haus zu hören. Vertraute Geräusche. Etwas später öffnete sich mit Gestöhn über die lang ausgebliebene Beanspruchung, die windschiefe Tür.
Heraus schlurfte Almorosa und blickte sich um, befragte den Sand, die Gräser, Büsche und Bäume.
Erfuhr von Unwettern und großer Hitze. Erfuhr, dass die junge Lärche bei Sturm schwer verletzt wurde. Schimpfte den Wind, dass er seinen großen Bruder das hat machen lassen. Doch Wind kräuselte nur ein bisschen das Gras und wollte sich bei ihr einschmeicheln, indem er ihr sanft übers runzlige Gesicht strich. Denn was kann er schon ausrichten gegen Sturm?

Almorosa murmelte vor sich hin und ging zur jungen Lärche, um nachzuschauen, ob sie etwas für das Bäumchen tun kann.
„Sie kann etwas Halt gebrauchen.“, dachte die Alte, suchte und fand einem geeigneten Holzknüppel, der sich übrigens sehr darüber freute; und baute mit ihm eine Stütze für das Baumkind.
Das ging erstaunlich schnell bei ihr. So schnell, das selbst der Holzstab nicht wirklich wusste, was ihm da passierte. Aber als er dann so fertig da stand, in die Erde gesteckt und das Bäumchen an ihm festgebunden, da sah man ihm einfach an, das er vor Stolz am liebsten gesplittert wäre.



Almorosa betrachtete sich ihr Werk aus der Ferne, befand es für gut, und grummelte wieder vor sich hin, dass man hier alles alleine machen müsse. Morgen kommt bestimmt irgend so ein vorwitziges Tier, vielleicht der Fuchs, der jetzt hier wohnen soll; und wird ihr Bauwerk zu Nichte machen. Sie blieb einige Minuten still und mit geschlossenen Augen stehen, und man hätte denken können, sie muss einen Moment innehalten und verschnaufen, denn schließlich ist sie nicht mehr die Jüngste. Aber nichts dergleichen war der Fall.
Alle wussten von nun an: Wer der kleinen Lärche etwas Böses will, wird nicht nur keinen Erfolg damit haben, er wird auch fürchterlich bereuen, was immer er vorhatte.

Fortsetzung folgt...
 



 
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