Als Gott die Welt erschuf ...

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Esta

Mitglied
Ich bin Künstler.

Ich versuche, mit jedem Pinselstrich, jedem noch so winzigen Farbklecks, den ich zu Papier bringe, die Dinge so wiederzugeben, wie ich sie sehe. Manches grotesk, verzerrt ... manches wahrheitsgetreu.
Vielen gefällt diese Art zu malen nicht. Sie sehen verschwommene Formen und verwaschene Farben, schütteln die Köpfe über dermaßen phantasielose Pinselei. Sie verstehen einfach nicht, wie ich meine Bleistifte und Pinsel sich selbst überlassen und meinem Unterbewusstsein die Zügel in die Hand legen kann. Sie sagten, wenn ich auf meinem Gebiet überleben wollte, müsste ich mich wohl oder übel irgendwann dem Markt anpassen.

Ich dachte nicht im Traum daran, mich diesen engstirnigen ´Pseudo-Kunstkennern zu beugen.
Ich malte weiter, bezahlte die Staffeleien, die Pinsel, all den Kleinkram, den ein Maler eben braucht.
Doch meine Kunst fand keinen Anklang. Meine herzallerliebsten ´Pseudo-Kunstkenner` sollten wohl Recht behalten.
Mein Budget wurde radikal gekürzt, die Rechnung für mein geliebtes Appartement zu teuer ... So zog ich in meine Datsche, das kleine Häuschen im Schatten der protzigen Hochhäuser, in dem ich meine längst vergangene Kindheit Tag für Tag mit dem festen Glauben verbrachte, für immer und ewig die verdreckten Gassen einer heruntergekommenen Kleingartenanlage mein zu Hause nennen zu „dürfen“ ...

Doch auch hier war es mir längerfristig gesehen nicht vergönnt, meiner Leidenschaft ohne Einschränkungen nachzugehen.
Meine Gelder wurden knapp, ich musste mir eingestehen, von der Kunst, wie ich sie fabrizierte, von meiner Kunst nicht leben zu können.
Ich musste mich umstellen. Meine Vermarktung ändern. Einfach alles.
Ich wurde Auftragsmaler.
Menschen kamen und gingen, schilderten ihre Wünsche und Vorstellungen – ich brachte sie zu Papier. Ich verdiente gut daran.
Doch ich spürte den Enthusiasmus verlöschen ... dies war nicht meine Kunst. Nein.

Eines morgens besuchte ein schüchterner junger Mann mein karg eingerichtetes Atelier. Er berichtete von seiner Vergangenheit, wie Menschen und Kredit-Haie ihn zu Grunde gerichtet hätten, ihn, den ehemals brillanten Manager und Geschäftsmann ... Das war vor ein paar Monaten, mittlerweile hatte er es geschafft, eine mäßig bezahlte Anstellung zu finden, Bäckergehilfe.
Er wollte ein Bild von mir.
Ich sollte die biblische Schöpfungsgeschichte malen.
Keine Einschränkungen in Gestaltung, Farbgebung, Pinselführung.
Ich horchte auf; war es gewohnt, stundenlange Vorträge bezüglich Hintergrund und Komposition zu hören. Die plötzliche Freizügigkeit machte mich stutzig.

Ich nahm an. Noch am Abend verließ ich mein Atelier, zog zurück in meine Baracke, genannt Datsche.
Ich dachte nach.
Sollte ich es wagen, nach all der Zeit auf meine frühere Arbeitsweise zurückzukommen? Freie Assoziation oder wie auch immer die hochgeschulten Psychologie-Professoren meine Technik nannten?
Lange grübelte ich über dem Für und Wider, wog dieses gegen jenes ab – entschloss mich letztendlich mein kleines Problem auf die lange Bank zu schieben und mich vorerst mit dem „Stoff“ auseinander zu setzen.
Die Schöpfungsgeschichte. Genesis.
Nun, das war ein kopfschmerzbereitendes Subjekt. Ich glaubte nicht an Gott, hatte keine Ahnung, welche Ansprüche ein Kunde wie mein ruinierter Geschäftsmann stellte.
Also musste ich mich wohl oder übel dem Thema befassen; lustlos kramte ich die alte Bibel meiner hochgeschätzten Frau Mutter hervor und begann zu lesen ...

Die Sonne ging auf, als ich meine Staffelei im Garten aufstellte. Pinsel und Farben würde ich holen, sobald mir klar war, was genau ich eigentlich zeichnen wollte. Sieben Phasen einer Geschichte auf einem Bild. Das versprach, interessant zu werden ... interessanter jedenfalls, als das Porträt einer verstorbenen Ehefrau.
Sollte ich die große Leinwand einfach in sieben Abschnitte unterteilen und in jedem neuen die Erweiterung zum vorhergehenden darstellen? Das wäre eine Möglichkeit, keine Frage. Eine einfallslose Möglichkeit.
Ich entschied mich, auf das Prinzip der Erweiterung zurückzugreifen – allerdings in der für mich spezifischen Art und Weise. Ich bin ein fauler Mensch. Ich würde die komplette Schöpfung in ein Panel zwängen – der Reihe nach.
So teilte ich meine Leinwand zunächst in zwei große Rechtecke – eines färbte ich schwarz, das andere weiß, tunlichst darauf bedacht, den Rand klar und deutlich hervorzuheben. Laut Bibel hatte Gott zunächst Licht und Finsternis voneinander getrennt.

Das Telefon klingelte.
Ich trennte mich ungern von einem halbfertigen Bild – doch vermochte meine Neugier es wie eh und je, mich trotz größter Gegenwehr von dannen zu locken – ab ans Telefon.
Vater hing am anderen Ende der Strippe. Er war aufgelöst wie ein Zuckerhut in kochender Milch; ich hatte Mühe, seinen wirren Schilderungen zu folgen.
Letztendlich verstand ich. Mutter war zusammengebrochen, ohne offensichtlichen Grund; die Weißkittel des nächsten Krankenhauses kümmerten sich um sie, fanden jedoch keine Ursache.
Den Rest des Tages verbrachte ich im Krankenhaus. Mutter verstarb noch am Abend.
Herzinfarkt.

Als ich ein paar Wochen später ohne rechte Lust in meine kleine Datsche zurückkehrte, fiel mein Blick auf die Staffelei. Ich hatte sie in der Aufbruchshast einfach stehen lassen; Wind und Regen an ihr genagt, sie nach allen Regeln der „Kunst“ bearbeitet.
Meine eingefärbten Flächen waren zum größten Teil der Feuchtigkeit zum Opfer gefallen. Graue Schlieren verbanden die ehemals klar voneinander getrennten Rechtecke, winzige Ansammlungen heller oder dunkler schattierter Tröpfchen und Seen überzogen die gekräuselte Oberfläche des aufgelösten Papiers.
Eine ganze Weile betrachtete ich das misslungene Werk. Ich musste an Mutter denken, an ihren unerwarteten Tod, an meinen ruinierten Kunden, an die aufgeblasenen Popstarts unserer Zeit mit ihrem schrecklichen Schicki-Micki-Gehabe, ebenso an einen früheren Mandaten, ein depressives Häufchen Elend, das ursprünglich aus Indien stammte und dem Kastenwesen angehörte – und an den Regen musste ich denken, an den sanften Regen, der die schöne Leinwand größtenteils zerstört hatte. Jetzt schien die Sonne.
Zögernd griff ich nach Pinsel und Farben, zeichnete rasch ein einfaches, chinesisches Ying-Yang-Symbol in die untere Ecke. Es würde als Signatur und Titel ausreichen.
„Als Gott die Welt erschuf.“
 

katia

Mitglied
hmmm

hallo esta,

mir gefällt die geschichte gut, das thema auch und dein stil. gundlegend. besonders an einer stelle bin ich allerdings ins stolpern geraten - sowohl positiv als auch irritierend.
also als der ruinierte geschäftsmann in atelier kam, dachte ich - mal ganz vereinfacht formuliert- "hoffentlich wirds jetzt nicht zu viel pech auf einen haufen, sonst ziehts mich runter". aber immerhin kam ein endlich ein guter auftrag rein..du hast also das ruder hervorragend herum gerissen. aber: welcher von kredithaien heimgesuchte geschäftsmann kann es sich noch leisten, ein bild in auftrag zu geben?
vielleicht reißte das ruder noch mal rum in der sache?

viele grüße
und mit vorfreude auf mehr lesestoff von dir
katia
 

Esta

Mitglied
äähm ...

Vielen dank, für dein Kommentar, Katia!

Es ist immer sehr aufbauend, zu lesen, dass Geschichten und Geschriebenes irgendjemandem gefallen (und aufbauend ist es lgischerweise auch) ... Also Danke!
Bezüglich der Frage - ... öhm, ja Recht hast du. Ein "klein" wenig unlogisch ist es. Vielleicht gefällt dir die kleine Änderung, macht es etwas verständlicher.
Merci pour l'inspiration!

Esta

(Anmerkung: Bitte verzeiht die Groß-, Kleinschreibfehler, auf Dauer macht es sich etwas schlecht, mit einem gebrochenen Arm alle fünf Sekunden irgendwo draufzudrücken ...)
 

katia

Mitglied
ja..

hi esta,

ja, also für mich klingts jetzt plausibler. freut mich, dass du mit meinem tipp einverstanden warst und er dir geholfen hat.

liebe grüße
katia
 



 
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