Alt geworden - Sonett

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Walther

Mitglied
Alt geworden


Du sprichst mir aus der Seele, redest laut
Von Einigkeit und Einssein und so weiter,
Als wäre diese Liebe eine Leiter,
Die man sich hochzusteigen kaum getraut.

Ich wäre wirklich offen, viel bereiter,
Als leeren Formeln tief ins Aug geschaut,
Dir zu vertrauen, nah, ganz Haut an Haut,
Und ahne: Leises Schweigen wär gescheiter,

Es wäre dem, was ist, ins Herz gesehen.
Doch das, was dort ist, ob das für uns reicht?
Ich hör Dein Sprechen, ohne zu verstehen,

Wie das Gesagte Deinem Handeln gleicht:
Ich stehe da gebannt, fast möcht ich gehen,
Im Wissen, dass der Tod uns schon umschleicht.
 
F

Fettauge

Gast
Alt geworden

Hallo Walther,

ein, wie ich finde, sauber geschriebenes Sonett. Die beiden Alten kommen auch am Lebensende noch nicht auf einen grünen Zweig. Aus dem Leben gegriffen. Und da sage mir einer, mit dem Alter komme die Weisheit.

Nur mit der letzten Verszeile habe ich ästhetische Schwierigkeiten: "Im Wissen, dass der Tod uns schon umschleicht" fällt heraus aus der sonstigen Sprachebene,
das "umschleichen" empfinde ich sicher nicht ganz unbegründet als eine Nummer zu klein für den Rest des Verses.

Gruß, Fettauge
 

Walther

Mitglied
Lb. Fettauge,

danke für Deinen positiven Eintrag.

Der erste Titel hieß "Alte Liebe rostet", das habe ich dann in "Alt geworden" geändert, um das Ende nicht schon im Titel zu verraten. Angestoßen wurde dieser Text durch Berichte über zunehmende Altersscheidungen.

Die Conclusio erhält so einen Sinn. Man bleibt in einer Beziehung, weil es in der Tat etwas Schlimmeres gibt: Ein langsames Altern und Verdämmern in Einsamkeit. Da wird selbst eine solche Nähe kostbar.

Das mag vielleicht nicht alle Zweifel ausräumen, aber so war es gemeint.

Besten Dank für Deine schöne Wertung!

LG W.
 



 
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