Alter Mann

dingdoi

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Alter Mann


Diese Musik. Diese zarten, weichen Töne. Auf und ab. Hin und her. Ein Fluss. Ach...
Das Haus ist leer. Alle Zimmer verlassen. Kein Tapsen. Kein Tippeln. Sogar der Hahn ist repariert. Kerzenlicht Kaminlicht.
Ich lehne mich zurück. Ich schließe die Augen. Lausche dem Spiel der Instrumente. Und ich sehe sie. Wie sie sich wiegt. Im Takt. Leichtfüßig. Wie eh und je. Alles erstrahlt in neuem Glanz. Ihre Haare fliegen im Wind. Ein Engel ohne Flügel. Und doch - sie schwebt. Ihr Gesicht. Unvergesslich! Zarte, rosige Wangen. Die vollen Lippen. So natürlich. Wunderschön. Sie entschwindet wieder. Es wird dunkel. Ich entschwinde.
Dieses Haus. Diese Wiese. Sie! Das kenne ich. Hier wohne ich. Wohnte ich - früher. Früher. Alles war schön. Ich war jung. Sie war jung. Wundervolle Zeit. Alles was mir fehlte finde ich hier wieder. Ich fühle mich wohl. Ich bin wieder jung. Ich versinke.
Das Windspiel läutet, wird geläutet, von Mutter. Das Essen ist fertig. Also gehen wir hinein. In das weiße Haus. Ganz aus Holz. Mit der Terrasse. Wo der Hund liegt. Hält sein Mittagsschläfchen. Die Stufe ist noch nicht repariert. Er ist wach, wittert mich, springt mich an, er ist froh. Wie ich. Auch die Tür, quietscht noch immer. Bring ich nach dem Essen in Ordnung. Und es duftet. Köstlich. Und so sieht es auch aus. Der Tisch ist noch nicht gedeckt. Ich mach das schon. Bin schon dabei. Mutter lächelt mich an. Lange nicht gesehen! Stimmt wohl, ja. Sie streichelt mir über den Kopf. Zärtlich. Lass das bitte. Nicht vor ihr! Und ich sehe hinüber. Sie ist immer noch da. In der Tür. Ihre Haare wehen im Wind. Komm ruhig rein! Sie schließt die Tür hinter sich. Dieses Quietschen. Unerträglich. Das Besteck war - hier. Richtig. Und die Teller dort. Nichts habe ich vergessen. Nicht eine Kleinigkeit. Es hat sich nichts verändert. Wir sitzen endlich. Der Duft steigt mir in die Nase. Ich kann es kaum erwarten. Laßt uns essen!
Sag mal, was hast du die letzten Jahre eigentlich so gemacht? Wir haben lange nichts von dir gehört. Fragt sie!
Nein! Nur ein Traum. Eine Erinnerung. Flüchtig. Schweiß auf meiner Stirn. Mein Herz rast. Mit so was hatte ich jetzt nicht mehr gerechnet. So spät. Ich muss mich frisch machen. Also gehe ich. Über den Flur. Ins Badezimmer. Der Hahn tropft wieder. Ich drehe ihn auf, fülle meine gefalteten Hände mit Wasser, wasche mein gefaltetes Gesicht, immer wieder. Ich werde nicht rein. Ich hebe den Kopf. Der Spiegel. Und ich sehe mich. Was sehe ich? Einen alten Mann. Mit Erinnerungen. Mit Falten. Mit Narben. Allein. Seit Jahren. Heute werde ich ausgehen. Ich blase die Kerze aus. Ich öffne die Verandatür. Es regnet. Nein. Es nieselt. Ganz leicht. Ganz fein. Diese Art von Regen, die alles durchdringt. Ich gehe hinaus. Meine Sachen weichen. Ich spüre das Wasser auf der Haut. Es brennt. Ich muss es aushalten. Ich muss bestehen. Nur heute. Und ich stehe. Beginne zu glühen. Ich falle. Ich liege. Ich krieche. Noch nicht! Nicht jetzt! Gerettet. Das Ufer erreicht. Nein. Nur die Pforte. Hindurch gezogen. Es brennt. Knapp entkommen. Noch nicht! Ich habe noch Dinge zu erledigen. Ich schließe die Augen. Beim Umkleiden. Mein schwarzer Mantel. Wird mich schützen. Und mein Hut. Hat Löcher, wird reichen.müssen. Ich gehe hinaus. Auf die Strasse. Kein Blick zurück. Auf Wiedersehen?
Ich gehe nicht den Bürgersteig entlang. Heute nacht werden keine Autos fahren. Der Regen hört nicht auf. Nicht bis... Nichts habe ich. Erst recht zu verlieren. Ich hinterlasse Spuren, im Wasser. Ringe. Viele Ringe. Ich streife ihn ab. Ich gehe weiter. Es ist ein langer Weg! Bin schon einen langen gegangen. Zu lange. Bin gerutscht. Durch Steine. Bin gestolpert. Durch andere. Fast gefallen. Konnte mich noch abfangen. Mit den Händen. Sie waren blutig. Sie sind blutig. Aber ich stehe. Ich gehe. Meinen Weg. Die Straße ist kurz. Ein Auto fährt vorbei, plötzlich. Ohne Warnung, ohne Licht. Eine Pfütze neben mir. Und es brennt wieder. So wie das Auto, liegt im Graben, Reifen platt, Seelen fort, Körper tot. Ich gehe weiter. Ich sehe hinein. Nichts! Die Schritte werden schwerer. Mein Körper schwach. Meine Seele leicht. Ich stutze die Flügel. Die Hörner? Noch nicht! Die reine Qual. Ich kann nicht mehr. Nicht weiter. Nicht gehen. Also unterstellen. Da Lichter. Zwei an der Zahl. Sie kommen näher. Ich erhebe mich. Mühsam. Die Hand im Mantel. Faust. Zeigefinger ausgestreckt. Ich fahre Bus. Für nichts. Ich bin Aufmerksamkeit gewohnt. Ich setze mich. Und passe auf. Der Fahrer ist ruhig. Der Gast ist ruhig. Mein Gast. Jetzt. Ich schaue hinaus. Ins Dunkle. Ins Leere. In mich. Die Scheiben spiegeln. Seltsame Formen. Alles verzogen. Verschoben. Mein Kopf tut weh. Ich stütze ihn. Auf meine Hand, die andere. Ich schaue umher. Mein Gast setzt sich wieder. Ich winke ihm zu. Ich schaue hinaus. Und sehe Gesichter, Fratzen, Altes Fleisch. Hände, verschlungen. Geballte Kräfte. Mein Kopf tut weh. Stop! Das ist es. Scheint wie früher. Ich verabschiede mich. Tschüss Fahrer. Tschüss Gast. Noch eine schöne Fahrt. Ich steige, ich stolpere, ich falle hinaus, fast.
Da bin ich. Keiner da? Kein Licht brennt. Alles ist dunkel. Alles leer. Dann keine Begrüßung. Ich komme! Ein Schritt. Noch einer. Der nächste. Ganz langsam. Ganz vorsichtig. Nicht jetzt fallen. So nah, fast da. Links. Rechts. Links. Rechts. Steife Glieder. Glatte Steine. Der Wind bläst kalt. Sehr kalt. Mein Körper wird eisig. Mein Kopf hart. Mein Herz aus Eis. Es wird leichter. Die Türe sehe ich schon. Ganz vorsichtig. Soll ja Überraschung werden. Überraschung. Schöne Bescherung. Der Schnee war weiß. Das Licht war hell. Der Weg war leicht. Für sie. Ich komme.
Mir wird warm. Wohlig warm. Trotzdem, ich bleibe kalt. Eiskalt. Herz ist Stein. Ich schaue auf meine Hände. Alt. Faltig. Fleckig. Sie berührten dich einst. Hörst du? Nein, du schläfst. Tief und fest. Träumst schöne Träume. Die Nacht ist noch lang. Ich habe Zeit. Ich lasse sie mir. Keine Eile, Kein Fallen. Die Tür geöffnet. Ein Schlüssel unter der Matte. Wie früher.
Ich trete ein. Leise. Alles heilig. Ich kenne das. Alles. Sie wohnt nur hier. Mit ihm. Nichts wie früher. Bleibt so. Ich ziehe den Mantel aus. Hänge ihn über den Haken. Neben der Tür. Ich nehme den Hut ab. Lege ihn auf die Ablage. Mir ist heiß. Fast blind. Ich weiß nicht. Wohin gehe ich? Nun. Vorwärts. Nicht zurück. Nur daran denken. Jetzt ist Zukunft. Wird Zukunft gemacht. Ich bin blind.
Die Treppe. Der Weg zum Schlafzimmer. Sie träumen süß. Ein paar Stufen. Noch süßer Geschmack. Weiter. Es wird farblos. Hälfte geschafft. Grau. Fast oben. Böser Traum. Ich bin Oben. Der Alptraum beginnt. Schweiß auf meiner Stirn. Ich bin blind. Eiskalt. Alt. Dem Ende nah. Die Tür wird geöffnet. Von mir. Ganz leise. Ich will sie nicht wecken. Die beiden. Sollen ruhig noch etwas schlafen. Lange. Immer. Ich sehe sie. Ich sehe ihn. Ein Paar. Seit Jahren. Ich sehe Fratzen. Meine Hand geballt. Mit Gegenstand. Es tut nicht weh. Mir nicht. Ich habe Zeit. Noch. Bald soweit. Mir ist wohlig warm. Mir wird kalt. Ich kann sehen! Und sehe. Und ich kann fühlen! Und fühle. Mir ist kalt. Erinnerungen. An sie. An sie. An ihn. An mich. An das Haus. An Mutter. An das Essen. Vergangenheit. Heute ist Gegenwart. Und ich erinnere mich:

Ausweg


Herz zersprungen.
Kopf zerplatzt.
Regen schimmert durch den offenen Himmel.
Stroh bahnt sich seinen Weg.
Ein weißes Loch.
Schwankend an den Rand.
Wasser füllt.
Tauchend durch das Licht.


Eben war Ende. Ich entschwinde. Leicht. Geworden.

(Übernommen aus der 'Alten Leselupe'.
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