Alternativer Nobelpreis für ein sibirisches Dorf

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Vero

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Wie die kasachische Nachrichtenagentur „Nastrovje Prawda“ (NP) meldet, hat ein kleines und bisher unbedeutendes sibirisches Dorf den alternativen Nobelpreis für Agrarwirtschaft erhalten - zusammen mit dem inzwischen emeritierten Professor Prostowski von der Universität Delirowskaja. Den Preis von 500 Euro, verliehen für die nachhaltige Züchtung einer stark alkaloidhaltigen Weizenart, teilt sich das Dorf mit besagtem Professor.

Laut NP erfuhr das schon zu Stalins Zeiten im Zuge der damaligen „Väterlichen Siedlungsoffensive“ von freiwilligen Häftlingen aus dem Wolgagebiet und begnadigten Politbüromitgliedern gegründete Dorf per Einschreiben schon drei Monate nach der Verleihung von der überraschenden Ehrung.

In einem direkten Telefonat mit dem Nobelpreiskomitee - so NP - zeigte sich der Dorfvorsteher, Enkel eines begnadigten Innenministers, wenig überrascht.Er wies auf die Planmäßigkeit des kollektiven Züchtungserfolges seitens der Dörfler hin.

Jede Woche hätten die Dörfler kollektiv und konsequent gleich nach den LKW-Lieferungen der Wodkakisten am Rande ihrer Weizenfelder intensiv gefeiert, um nach einiger Zeit zu beobachten, wie aus dem festgetretenen Boden eine Weizenart mit besonders harten Ähren wuchs. Als Nachkömmlinge ehemaliger Gulag-Häftlinge sei ihnen der Überlebenswille dieser Weizenart aufgefallen. Er selbst habe sofort an seinen Großvater gedacht und auch zum Wohle des russischen Volkes seinen Freund, den Professor Prostowski, benachrichtigt, der intensiv wissenschaftlich an der „Maximierung und nachhaltigen Verwertung pflanzlicher Nebenprodukte unter besonderer Berücksichtigung der Volkernährung“ arbeitete.

Der Freund habe sich nach eingehender Untersuchung der Körner sehr erfreut gezeigt, dass wiederholt so viel Wodka verschüttet worden war. Seine minuziöse universitäre Labor-Expertise habe schließlich ergeben, dass die neue Weizenart besonders intensive Alkaloidabkömmlinge in ihre gestärkte Genstruktur aufgenommen habe. Er als Dorfvorsteher sei stolz und freue sich mit seinen Dorfbewohnern und dem gesamten russischen Volk auf ein neues, natürlich erzeugtes Wodka-Konzentrat, das man nur mit Wasser aufzufüllen brauche.
Deshalb hoffe er auch, dass der Staat noch bis Ende dieses Jahrhunderts eine Wasserleitung zum Dorf legen werde.

Er habe außerdem auf wiederholten Antrag bei Putin sein Dorf umbenennen dürfen in Jelzinworodowsk, in heroischem Gedenken an den ehemaligen Präsidenten, der das flüssige Endprodukt des Weizens besonders hoch in Ehren hielt. Es sei jedoch sehr schade, dass Jelzin das Wodkakonzentrat nicht mehr erleben durfte. Viele internationale Konferenzen wären dann weit inspirierter zu einem noch schnelleren trinkspruchreifen Abschluss gelangt.

Zum Ende seines Telefonats dankte der Dorfvorsteher - laut NP - dem Komitee berücksichtigt zu haben, dass die für den Zuchterfolg geleerten Wodkaflaschen in einer Gemeinschaftsaktion des Dorfes gesammelt, aufgetürmt und übergrünt wurden. So sei der Hügel „Noblwodkaskoje“ entstanden, mit Aussichtsplattform und Hinweistafel in mehreren Sprachen, gedacht für einen zukünftig zu erwartenden nachhaltigen Alternativ-Tourismus.

Ein Interview mit Professor Prostowski war nicht erhältlich, da er als Jude inzwischen nach Israel ausgewandert ist und seinen Aufenthalt geheim hält. In einem Fax teilte er inzwischen mit, seine Auswanderung hänge damit zusammen, dass er Morddrohungen erhalten habe von Seiten der traditionellen Spirituosen-Industrie.
Er hoffe aber, dass sein geliebtes Heimatland neben Gas und Öl nun auch ohne sein weiteres koscheres Mitwirken und aufgrund seiner spirituellen Neuerung hochkonzentrierten Wodka in die EU exportieren und somit seinen traditionellsten europäischen Kulturbeitrag noch steigern könne.

©2007 arnulf rädecke
 

Vero

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Im Gegensatz zu anderen will ich mich selbst nicht ignorieren.

Eine Antwort aus einem nicht ganz unbedeutendem anderen Forum:

Du siehst mich breit grinsen. Ein sehr witziger Text in sicherer Diktion verfasst. Super!
Saubere Detailarbeit.
Bei jedem weiteren Lesen entdeckt man neue, spitzfindige Komik.
Dabei hast du stringent den berichtenden, "nüchternen" Stil durchgehalten, ohne albern zu werden.
Eine tolle Satire mit herrlichen Überzeichnungen.


Kommunikation ist viel wert.
 



 
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