Altweibersommer

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Mariko

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Hallo zusammen,

die schönen letzten Sommertage haben mich an ein Erlebnis erinnert, dass ich nun aufgeschrieben habe. Über konstruktive Kritik zum Text wäre ich sehr dankbar:


Altweibersommer

Der Wecker reißt mich unsanft aus dem Schlaf. 3.15 Uhr, ich muss verrückt sein, so früh aufzustehen, noch dazu im Urlaub. Aber wie sagt ein japanisches Sprichwort: Einmal selbst sehen ist mehr wert, als hundert Neuigkeiten hören! Also dann: aus den Federn!

Möglichst leise, um die anderen Pensionsgäste nicht zu wecken, stehe ich auf und schaue aus dem Fenster. Die Straße ist trocken, wunderbar. Schnell in die vorbereiteten Sachen geschlüpft, Zähne geputzt, Haare gebürstet, Rucksack geschnappt und los geht’s. Vorsichtig schleiche ich durch das spärlich beleuchtete Treppenhaus. Klare frische Luft empfängt mich an der Haustür und lässt mich frösteln. An einem samtschwarzen Himmel glitzern kleine und größere Sterne. Ein paar Grillen haben sich zum Nachtkonzert in der Wiese versammelt. Feine Spinnweben streifen mein Gesicht auf dem Weg zum Parkplatz vor dem Haus. Auf dem Auto hat sich Tau gesammelt. Eine Spinne hat ihr Netz über den Spiegel gelegt. Tautropfen, funkelnd wie kleine Bergkristalle, sind darin gefangen. Mit einem Gummiwischer muss ich das kleine Kunstwerk leider zerstören. Ich schaffe klare Sicht auf den Scheiben, bevor das Motorgeräusch meines Autos die Stille der Nacht erbarmungslos durchbricht.

Kein Mensch ist auf der Straße. Das Fernlicht bohrt sich durch die Dunkelheit der kurvenreiche Strecke hinunter ins Dorf. Nebelbänke versperren ab und zu für kurze Zeit die Sicht. Die Kühe auf den Wiesen rechts und links heben die Köpfe und glotzen mich im Vorbeifahren mit großen Augen an.

Auf dem Parkplatz von St. Johann schlüpfe ich in meine Wollsocken und ziehe die Bergschuhe an, bevor ich mich auf den Weg durch das schlafende Dorf mache. Wie viele werden wohl da sein? In der Ferne höre ich schon leise Stimmen und Gekicher. Am Wandertreffpunkt haben sich acht Nachtschwärmer eingefunden. Mit einem freundlichen „guten Morgen“ geselle ich mich zu ihnen. Bergführer Michl ist noch nicht da, wohl aber sein Freund Hannes, erfahre ich. „Nachtwanderungen begleiten wir immer zu zweit“, erklärt er uns.

Es ist kurz vor Vier, als Michl schließlich kommt. Er ist von stattlicher Statur, hat über dem sonnengebräunten, strahlenden Gesicht eine Stirnglatze. Kräftige nackte Waden schauen unter dem Kniebund seiner schwarzen Hose hervor. „Grüß Gott, alle ausgeschlafen? Wie geht’s Euch?“ begrüßt er uns. „Ein bisschen müde noch, aber sonst ganz gut,“ antwortet eine ältere Dame in einer knallroten Vliesjacke. „Ihr werdet schon gleich wach werden“, meint Hannes lachend. Da stimmen wir ihm zu. An der riesigen Wanderkarte, die die örtlichen Wandergebiete zeigt, erklärt uns Michl den geplanten Weg. „Na dann, auf geht’s“, gibt er den Startschuss.

Wir gehen Richtung Bergbahn, die aber um diese Zeit natürlich noch geschlossen ist. Auf dem Wirtschaftsweg wollen wir den Berg in Angriff nehmen. Hannes verteilt Pechfackeln, denn der Weg auf den Harschbichl ist stockdunkel. Es riecht nach Schwefel und angebranntem Holz, als die Fackeln angezündet werden. Ich setze meine Kopflampe auf, die von den anderen bewundernd zur Kenntnis genommen wird. Martin, mein Pensionswirt, mit Leib und Seele Bergführer und Skilehrer, hat sie mir aus seiner umfangreichen Ausrüstung ausgeliehen. Damit bin ich bestens vorbereitet und brauche keine Fackel tragen.

Langsam beginnen wir den Anstieg. Der Kies knirscht bei jedem Schritt unter unseren Schuhen. Die Bewohner der dunklen Häuser schlafen bestimmt tief und fest. Ab und zu springt durch Bewegungsmelder das Licht in einem Hauseingang an, wenn wir vorbeigehen. Plötzlich fängt ein Hund an zu bellen. Die kühle frische Luft tut gut. Unser Atem formt kleine Wolken, als würden wir rauchen. In der Gruppe ist es still geworden. Jeder geht seinen Schritt und hängt seinen eigenen Gedanken nach. Der Weg schlängelt sich in Serpentinen immer höher hinauf. Er ist ganz gut zu laufen: keine Wurzeln, keine Steine, über die wir vielleicht stolpern könnten.

Vor einer scharfen Rechtskehre hält Michl, der zügig vorausgegangen war, plötzlich an. „So, jetzt wird’s warm“, ruft er und dreht sich zu uns um „zieht am besten Eure Jacken aus!“ Wir folgen seinem Rat und packen die Vliesjacken in die Rucksäcke. Langsam gewinnen wir an Höhe. Mein Blick durch die Bäume fällt auf den spärlich beleuchteten Ort, der jetzt schon ein ganzes Stück unter uns auftaucht. Nur die Straßenlaternen sind deutlich zu erkennen. Sie sehen von hier oben aus, wie glänzende Perlenketten.

Nach einer guten Stunde Fußweg legen wir eine kurze Rast ein. Ich putze mir die laufende Nase und meine Brille, die vom Schwitzen beschlagen ist. Nach einem großen Schluck Zitronentee geht es weiter. Die Perlenketten werden immer winziger. Gegen 6.00 Uhr haben wir die Mittelstation der Bergbahn erreicht. Der romantisch gelegene Bergsee hier oben wird noch von der Dunkelheit verschluckt.

Der Weg wird immer anstrengender, steiler und steiniger. Es gibt wenig Pausen und ich setze nur automatisch ein Bein vor das andere. Noch eine Stunde – aber die hat es in sich. Die ersten Fackeln sind abgebrannt und inzwischen leuchte ich mit meiner Kopflampe den Weg für die Gruppe aus. Nur ganz langsam können wir die Konturen der Tannenspitzen über uns erkennen. Sie heben sich dunkel von einem allmählich heller werdenden Himmel ab.

Fast ist es geschafft. Die Hütte auf dem Gipfel ist in Sichtweite. Schwer atmend endlich oben angekommen, überwältigt mich das fantastische Bergpanorama. Noch sind die Gipfel schwarz vor dem leicht rötlich gefärbten Himmel zu sehen. In den Tälern hängt der Nebel wie ein gespanntes Netz und versperrt die Sicht nach unten. Nur langsam ahnen wir, wo die Sonne aufgehen wird. Es dauert noch eine Viertelstunde, in der wir alle wie gebannt auf dieses Schauspiel warten. Vergessen sind die Qualen des Aufstiegs dann bei diesem Anblick. Orangerotes Licht blinzelt hinter den Loferer Steinbergen hervor. Zuerst nur ein Halbmond. Immer mehr wächst er zu einem roten Ball heran, wird größer und intensiver. Das plötzliche helle Licht blendet in den Augen. Ganz still stehen wir hier oben und schauen, nur das Klicken der Fotoapparate ist zu hören. Wir haben klare Sicht, soweit das Auge reicht. Weit hinter der bizarren Kulisse verschieden hoher grüner, brauner und grauer Berggipfel vor dem rot gefärbten Himmel der aufgehenden Sonne sind auch schneebedeckte schroffe Felsen zu erkennen. So eine fantastische klare Fernsicht hat man in den Bergen nur im Altweibersommer. Für Wanderfreunde sind die Spätsommertage im September die beste Jahreszeit.

Michl lobt uns: „Ihr seid gut gelaufen! 1000 Höhenmeter in 3 Stunden, das ist eine stramme Leistung!“ Ich freue mich auf ein zünftiges Frühstück. Der Hüttenwirt hat einen langen Holztisch draußen vor der Hütte für uns gedeckt. Ich ziehe mir schnell ein trockenes T-Shirt und meine Jacke wieder an und setze mich zu den anderen. Der heiße Kaffee tut gut. Der Wirt bringt eine riesige Kupferpfanne mit Rühreiern und Speck. Dazu gibt es Brot oder Brötchen und zum Abschluss ein „Stamperl“ Marillenschnaps. Wir stoßen auf den neuen Tag an, es wird gescherzt und gelacht.

Mit der ersten Bergbahn trete ich die Talfahrt an. Langsam macht sich in meinem Körper Müdigkeit breit, die Beine sind schwer geworden. Lautlos schwebt die Gondel ins Tal. Der Nebel hat sich inzwischen aufgelöst und ich habe einen klaren Blick. Unter mir äsen Rehe auf der Bergwiese, die schon etwas trocken und abgefressen aussieht. Von frischem Sommergrün und Wiesenblumen ist nicht mehr viel zu sehen. Erst jetzt fällt mir auf, dass auch einige Laubbäume schon gelb geworden sind. Der Sommer verabschiedet sich allmählich und der Herbst klopft an die Tür.

Wieder auf dem Parkplatz bin ich froh, meine Wanderschuhe ausziehen zu können. Ich gehe ein paar Schritte hin und her, um mich an meine Schuhe zu gewöhnen, bevor ich ins Auto steige. Die Sonne hat an Kraft gewonnen, es ist wärmer geworden und der Himmel ist strahlend blau. Stolz auf meine Leistung und gut gelaunt singe ich auf dem Rückweg zur Pension die Schlager aus dem Autoradio laut mit. Die Japaner haben Recht! Das frühe Aufstehen hat sich gelohnt. Schön war’s. Jetzt noch eine heiße Dusche und der nächste Urlaubstag kann kommen.
 

Rumpelsstilzchen

Foren-Redakteur
Teammitglied
„Dieses Werk ist flüssig und mit Freude zu lesen“
So geb’ ich’s Dir und Deinem
REISEBERICHT
mit auf den Weg in’s Tagebuch.

Und als Jausenbrot:
Lass’ die Präambel fort, der Text ist Gepäck genug zum Tragen.

Michels Sonnenbräune strahlt mir gar zu sehr für diese frühe Stunde. Präkognition des Protagonisten oder leuchtet wer?

Am Ende fragte ich mich, wie kann der Mensch den Rest DIESES Tages verschlafen? Carpe diem!

Ist zu Tal gegangen (Merillen fangen)
 

Mariko

Mitglied
Liebes Rumpelstilzchen,

vielen Dank für Deine Rückmeldung. Was genau meinst Du mit Präambel? Welches Textstück soll ich weglassen? Mit Michls strahlender Sonnenbräune gebe ich Dir recht. Das "strahlende" werde ich streichen.
 



 
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