Am Fahrstuhl

Am Fahrstuhl

An diesem Morgen betrat ich durchseucht von dem Gedanken in Tränen auszubrechen die Eingangshalle und drückte mit schlaffem Finger den Fahrstuhlknopf. Ich rang mit mir, ob ich sofort oder doch lieber am Abend zusammenbrechen sollte. Die Chancen standen ganz gut für sofort, vor der Arbeit, damit meine Kollegen die Fassade endlich bröckelnd wüssten, die sie so eifrig bewunderten. Im Fahrstuhl heulen, vorsichtig mit einem Taschentuch die gepuderten Wangen tupfen, das besitzt die angemessene Portion Melodramatik, die einen Hauch Hollywood verleiht.

Die Putzfrau muss kurz vor meinem Eintreten den Raum verlassen haben, wobei, nebst genässtem Boden, auch ein unverwechselbar menschliches Aroma zurückblieb. Obgleich ich den säuerlichen Geruch alten Schweißes grundsätzlich unangenehm finde, beruhigte er mich in diesem Augenblick sehr: Dieser Nachklang einer physischen Präsenz holte mich ins Hier und Jetzt zurück, zog mich am Schopf aus meinem Selbstmitleidsumpf heraus, zurück auf den frisch gewischten Boden der Tatsachen. In eben diesem Moment kam der Fahrstuhl im Erdgeschoss an. Die Türen öffneten sich und gaben den Blick auf die beiden Putzfrauen der oberen Stockwerke frei, die, mit Müllsäcken und ausgelassener Stimmung beladen, in Richtung Kellergeschoss fuhren. Ich entschied zu warten bis der Fahrstuhl leer wieder zurückkehren würde, da ich noch nicht bereit war, dieses Frühstück-bei-Tiffany-Bild von mir – einsam und verzweifelt, mit erhobenen Haupt im Fahrstuhl stehend – aufzugeben.
Kurz bevor die Fahrstuhltüren die Szene in seinem Inneren schlossen, rief eine der Putzfrauen:
„Es sind nicht wir, die hier so stinken“.
„Okay“, sagte ich und aus meiner Kehle brauste ein Lachen.
 
Mir gefallen solche Geschichten aus dem Arbeitsleben und ich finde den ersten Teil der KG bestens geschrieben. Soll ich meinen KollegInnen zeigen, wie es in mir rumort? Oder haltung bewahren? Selbst als Mann hatte ich schon solche Gedanken; habe sie dann nicht mit Tränen, aber mit doziert eingesetzter Agression gelöst. Also: Nah an der Wirklichkeit, gefällt mir!

<< An diesem Morgen betrat ich durchseucht von dem Gedanken in Tränen auszubrechen die Eingangshalle >>

Manche Sätze musste ich dann aber doch zweimal lesen. "Durchseucht von dem Gedanken..." einerseits sehr einfallsreich, andererseits bin ich am zweifeln, ob mir der Ausdruck wirklich gefällt.

Die ganze KG ist getränkt mit schwierigeren Sätzen, aber bei der Kürze der KG gefällt mir das und wird auch der Geschichte gerecht. Länger hätte ich es in diesem Stil nicht lesen wollen.
 
Hi Monsieur Milan,

vielen Dank für deinen Kommentar. Es ist diese typische Montags-Situation, die ich einzufangen versuchte und ich freue mich, dass es mir soweit gelungen ist, dass man es nachempfinden kann.
Es stellt sich ja immer oder zumindest oft die Frage, wie viel Emotionen sind zu viel des Guten, vor allem am Arbeitsplatz.

Jetzt beim nochmal lesen nach längerer Zeit bin ich mir auch nicht mehr sicher, ob mir der Ausdruck "durchseucht" selbst gefällt. Ich denke das nochmal durch.
Und länger hätte ich es in diesem Stil auch nicht schreiben können ... Dann wird auch jeder Satz schnell zu viel.

Nochmals Danke fürs Lesen und Kommentieren,

Gruß
K.
 
Am Fahrstuhl

Die Tür der Eingangshalle gab sich an diesem Morgen besonders schwergängig, meine Füße wehrten sich gegen jeden Schritt. Mit schlaffem Finger drückte ich den Fahrstuhlknopf. So stand ich da, wartete auf den Fahrstuhl überlegend ob ich lieber gleich oder erst nach Feierabend zusammenbrechen soll. Die Chancen standen ganz gut für sofort, vor der Arbeit, damit meine Kollegen die Fassade endlich bröckelnd wüssten, die sie so eifrig bewunderten. Im Fahrstuhl heulen, vorsichtig mit einem Taschentuch die gepuderten Wangen tupfen, das besitzt die angemessene Portion Melodramatik; verleiht der Situation einen Hauch Hollywood.

Die Putzfrau muss kurz vor meinem Eintreten den Raum verlassen haben, wobei, nebst genässtem Boden, auch ein unverwechselbar menschliches Aroma zurückblieb. Obgleich ich den säuerlichen Geruch alten Schweißes grundsätzlich unangenehm finde, beruhigte er mich in diesem Augenblick sehr: Der Nachklang einer physischen Präsenz zog mich aus meinem Selbstmitleidsumpf heraus, zurück auf den frisch gewischten Boden der Tatsachen. In eben diesem Moment kam der Fahrstuhl im Erdgeschoss an. Die Türen öffneten sich und gaben den Blick auf die beiden Putzfrauen der oberen Stockwerke frei, die, mit Müllsäcken und ausgelassener Stimmung beladen, in Richtung Kellergeschoss fuhren. Ich entschied zu warten bis der Fahrstuhl leer wieder zurückkehren würde, da ich noch nicht bereit war dieses Frühstück-bei-Tiffany-Bild von mir – einsam und verzweifelt, mit erhobenem Haupt im Fahrstuhl stehend – aufzugeben.
Durch den Spalt der sich schließenden Fahrstuhltüren rief eine der Putzfrauen:
„Es sind nicht wir, die hier so stinken!“
„Okay“, sagte ich und lachte schallend.
 



 
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