Am seidenen Faden

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Sonnenblume

Mitglied
Liebe Mami,

ich gebe einer tiefen unstillbaren Sehnsucht nach Frieden nach. Diese Sehnsucht ist stärker, als alle Vernunft, die mich in die Pflicht nimmt, im Kampf gegen mich selber. Ich weiß, ich darf Dir das nicht antun, aber da ist kein Weg mehr, den ich in Frieden gehen könnte, mit mir und der Welt. Ich könnte nur noch Fassade sein, vielleicht könnte ich es sogar so gut, daß ich hinter der Fassade nicht mehr bin. Wie bei einem Fisch wird mir das Wasser durch die Kiemen getrieben, damit ich noch atme. Was ich nun tue ist die logische Konsequenz meiner Schuld. Jetzt kann ich um Dich nicht weinen, ich habe Dich schon viel früher verloren.

In Liebe
Nina

Ich will aufstehen, meine letzte Flucht hinter mich bringen, aber meine Füße gehorchen mir nicht. In der rechten Hand halte ich immer noch den Stift, in der linken das Foto. Du hast Dich gar nicht verändert, geht es mir durch den Kopf. Auf dem Foto: du allein mit der Stoffeule. Sie gehörte erst zu mir, als die Verwandten das Gedudel nicht länger ertragen konnten. Denn der Hund kroch mit der Spieluhr immer unter das Sofa und zog sie auf, bis sie kaputt war. Denn Hund und Verwandte konnten es nicht lassen, an beiden Enden zu ziehen. Es war meine Eule, ohne sie brach ich in Panik aus. Saß stundenlang vor der Waschmaschine, wenn Mutter sie in die Wäsche tat, damit ich sie tropfnaß in Handtüchern gewickelt, mit ins Bett nehmen konnte. Das Stofftier war mein Mutterersatz, ihm konnte ich mich anvertrauen, meiner Mutter nicht. Ich hasse sie dafür.

Allein gehe ich diesen Weg entlang, so allein wie ich durch das Leben gehe. Ohne Freunde, ohne Hobbys, ohne Schwester. Mit jemandem, der sich abgrundtief haßt, will man keinen Kontakt. Nur, wer sich selbst liebt, kann andere lieben. Mutter gibt mir die Schuld, hat mir bis heute nicht verziehen. Für mich ist sie weit weg, obwohl sie um die Ecke wohnt. Die Eule hat sie mir weggenommen, diese Wunde heilt nicht.

Ich sehe alles noch deutlich vor mir. Ich holte Anne mit dem Fahrrad ab und überredete sie, sich auf den Lenker zu setzen. Ich bin zu schnell gefahren. Als Anne schrie, krachte es auch schon.

Jeden Abend wünsche ich mir, mein Schlaf würde ewig sein, dann könnte ich aufhören zu denken, dann wäre ich frei, frei von Schuld. Manchmal wünsche ich, ich könnte alles vergessen, einen Beruf ausüben, doch die Schuld hat sich in meinem Leben ausgebreitet wie ein Lauffeuer und alles niedergebrannt, was noch hätte schön sein können. Sehnsüchtig wäre ich gern wieder die Alte, aber die Zeit steht niemals still, sie rinnt wie Sand durch die Finger, unaufhörlich. Ich halte es nicht mehr aus. Wie versteinert sitze ich im Wohnzimmer und blicke immer noch das Foto an. Den Brief lege ich gut sichtbar auf den Schreibtisch. Ich gebe mir einen Ruck, ziehe meinen Mantel an und fahre mit dem Fahrrad die Straße runter. Da steht das Haus, wo ich meine Kindheit verbracht hatte, wo alles noch in Ordnung war. Ich zögere, dann drücke ich doch die Klingel, ich kann kaum noch atmen, die Kleidung drückt auf meine Brust. Meine Mutter macht auf, blickt mich an, sehr kurz, und schlägt mir die Tür vor der Nase wieder zu. Ich halte den Atem an, bis mir schon ganz schwindelig wird und setze mich auf die Treppe vor dem Haus. Die letzte Hoffnung, die mich noch am Leben hält, war nun binnen 5 Sekunden verpufft. Meine Mutter hat für mich entschieden, daß es keine Rettung mehr für mich gibt. Sie verzeiht mir die Schuld nicht, ich kann mir selbst nicht verzeihen.

Ich fahre zusammen, als hinter mir die Tür ein zweites Mal aufgeht. Meine Mutter setzt sich ganz dicht neben mich und gibt mir meine Eule zurück. "Hier", sagt sie, "es ist Deine." Dann nimmt sie mir das Stofftier wieder aus der Hand und legt es neben sich und lächelt mich an. In diesem Moment habe ich wieder zu Leben angefangen.
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Liebe Leser, ich bin damit noch nicht ganz zufrieden, aber für die Werkstatt ist es, denke ich, zu fortgeschritten. Für Kommentare, kurze Eindrücke, Kritik, wäre ich Euch sehr dankbar. Bewertungen würden mich auch freuen.
 
Sonnenblume, guten abend

eine irrsinnig zu herzen gehende erzählung. es gibt da sätze und aussagen die ich hervorragend finde.
einige anmerkungen möchte ich dennoch machen,
dazu aber werde ich deine erzählung noch einmal in ruhe lesen.
ich verstehe zum beispiel nicht was dass nun bewegt das mutter dir deine eule gibt und wieder weg nimmt... die bedeutung dessen meine ich.
l.g- heike
 

Sonnenblume

Mitglied
Hallo Heike !

Ich danke Dir für Deine erste Einschätzung.

Zu Deiner Frage: Die Eule hat die Mutter der Nina gegeben, weil sie weiß, wie wichtig das Stofftier für ihre Tochter war. Im zweiten Absatz heißt es, daß die Eule Mutterersatz war, die Mutter ist sich dessen nach der langen Zeit bewußt und nimmt ihr die Eule wieder weg um zu sagen, daß die Tochter nun die Mutter zurück hat, weil sie ihr vergibt.

Oje. Ist jetzt blöd formuliert, ich hoffe, Du verstehst es trotzdem. Muß jetzt auch mal schnell ins Bettchen.

Liebe Grüße
Sonnenblume
 

Gorgonski

Mitglied
Hallo Sonnenblume

Die Symbolik mit der Eule finde ich gelungen, wie die ganze Geschichte sehr von Herzen gekommen scheint.

MfG; Rocco
 
sonnenblümchen ,

daß die Tochter nun die Mutter zurück hat, weil sie ihr vergibt.

ich glaube das es hilfreich wäre wenn du die mutter etwas sagen läßt... z.B.
ich liebe dich,
oder ich bin jetzt für dich da
oder
hab keine angst mehr
oder oder...
die bedeutung der eule hatte ich verstanden nur den schluß nicht so ganz, vielleicht war ich auch schon zu müde...


bis dahin heike
 



 
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