Analyse,3.Sitzung

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Unlängst hatte ich mich verflogen.Das steinerne Bett des Wiental-Flusses fällt mir da ein, es ist weit und breit für den Fall, dass...Es rinnt aber meistens wenig Wasser darin, die Zeiten der grossen Überschwemmungen in diesen Gegenden sind vorbei.Ein Auto kommt gefahren, bleibt stehen, unten im Flussbett.Ein Mann steigt aus, setzt sich auf einen Stein, wickelt ein Brot aus und ißt.Dann nimmt er ein Telefon aus der Jackentasche, hält es ans Ohr und telefoniert. Er ist ein Angestellter des Magistrat, der Stadtgemeinde, was durch das Wappen auf der Autotüre ersichtlich ist.Der Mann bleibt sitzen, dann geht er weiter bis zum nächsten großen Stein, er schreibt etwas auf, setzt sich wieder nieder und schaut. Er wirft einen Kieselstein ins Wasser, noch einen.

Oben, an der stark befahrenen ehemaligen Prachtstraße, die den Fluß säumt, stehen alte Bäume. Sie überleben scheinbar alle Abgase.Die Fronten mancher Häuser sind noch reichlich verziert, teilweise Jugendstil, doch renovierungsbedürftig, voller Löcher und defekter Dachböden, was aber günstig für die Tauben ist. Vis a vis von der stark befahrenen Strasse steht das Schloß Schönbrunn. In einem dieser ehemaligen Bürgerhäuser im zweiten Stock befindet sich die Wohnung eines Politikers.Ich rastete auf dem Fenstersims, die Fenster waren trotz des Lärmes offen.Der Politiker hatte Besuch von einem Mann mit einem Koffer.Der Mann stellte den Koffer auf den Tisch, der sich in der Mitte des Zimmers befand und öffnete ihn. Er war voller Geldscheine. "Die Baugenehmigung, Sie wissen schon und den Auftrag. Wie vereinbart. Es ist eilig."
Dann drehte sich der Mann um und schloss hinter sich die hohe, weisse Flügeltüre. Der Politiker trat ans Fenster, Schweißperlen standen auf seiner Stirne, er schaute hinüber zum Schloss, dann sah er plötzlich mich an und seufzte: Mein Gott, eine Schwalbe mitten in dieser Stadt!" Er sah mich noch einmal an, seine Augen glänzten feucht und er murmelte zu sich: "Warum ist es nur so weit mit mir gekommen?" Dann schloß er die Fensterflügel.
Ich flog, weil ich durstig war, ans Ufer des Wienflusses zurück und trank einen Schluck aus dem ruhig plätschernden Wasser. Der Mann vom magistrat war um einige Steine weiter gegangen, jetzt saß er wieder, sein Telefon läutete, er ging zum Auto und setzte sich hinter den Fahrersitz.

Bei der Haltestelle oben am Kai stand eine Frau mit einem Kleinkind und weil die Straßenbahn nicht kam, wand sich das Kind an der Hand seiner Mutter und weinte. Da schlug ihm die Frau mit der anderen Hand, mit der sie eine Tasche hielt, auf den Kopf. Da weinte es erst recht.

Ich beschleunigte meine Fluggeschwindigkeit Richtung Wienerwald.Es ist nicht weit und die Luft ist auch besser.

Ich glaube, wir können so weitermachen, sagte Frau Ahavzi. Guten Flug.

Sch.
 



 
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