Anderswelt

rufus

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Vor unendlich langer Zeit herrschte zwischen allen Fabelwesen und Naturgeistern Frieden. Alle lebten in Freundschaft und halfen sich gegenseitig, so gut sie konnten. Aber eines war ungeschriebenes Gesetz. Es durften sich nur gleiche Wesen vermählen, es wußten alle und jeder hielt sich daran. Eines Tages wurde ein prächtiges Fest gefeiert, es war der 21 September.
Mabon ist die Taguundnachgleiche im Herbst und ist seit jeher ein Dankesfest an die Naturgeister der Erde. Sie feierten auf einer Lichtung tief im Wald, verborgen von dicht an dicht stehenden Bäumen und umsäumt vom stacheligem Gestrüpp der Himbeere. Hier feierten sie seit unzähligen Generationen Mabon, alle Wesen kamen von nah und fern, um diesem herrlichen Fest beizuwohnen.

Wie immer kamen die Elfen als die Ersten, ihr wunderschöner Gesang erfreuten alle und sie waren angesehene Gäste. Mit ihren glockenhellen Stimmen verzauberten sie ihre Zuhörer jedes Jahr aufs Neue. Sie waren von zarter Statur, einige trugen durchsichtige Flügel, die in vielen Farben schillerten. Manch eines von ihnen trug ein lustig anzusehenedes Hütchen aus dem Kelch einer Blüte. Dies waren die Blumenelfen, die auch uns Menschen oft mit ihrem Duft erfreuen.

Danach erschienen die Feen. Sie waren von freundlichem Wesen, wohlgesinnt den Menschen und Tieren und auch in der Anderswelt allseits beliebt. Manch einer der Naturgeister erbat sich Rat und Beistand von den umsichtigen und gebildeten Feen. Das Geplapper wurde immer leiser, den sie strahlten Ruhe und Würde aus, der man sich nur schwer entziehen konnte. Viele von ihnen waren gar lieblich anzuschauen und wehe dem Menschen, der sie zu Gesicht bekam. Jener konnte an nichts anderes mehr denken als an dieses wunderschöne Geschöpf.

Nach und nach kamen alle auf den mit unzähligen Lichtern geschmückten Platz, obwohl es schon dunkel wurde, meinte man, es sei Tag, so strahlte und funkelte es. Man sah die Zwerge in Gruppen zusammenstehen, sie waren von menschenähnlicher Gestalt aber nicht größer als 1 Meter und verfügen über Riesenkräfte. Diese können sie gut gebrauchen um die schwere Arbeit in ihren Bergwerken tief unter der Erde zu meistern. Da sie sich in den Bergen gut auskennen, wissen sie auch um so manche wertvolle Metallader und haben große Reichtümer angesammelt. Alle Zwerge sehen bärtig und alt aus. Das kommt daher, daß sie bereits mit drei Jahren erwachsen und mit sieben Jahren einen grauen Bart haben.
Meist tragen sie die typische Kleidung des Bergmannes mit blauer Jacke, roten Hosen, schwarzen Stiefeln, mit Spitzhacke oder Axt oder einem Laternchen ausgestattet.

Dort waren die Heinzelmännchen, sie standen bei den Kobolden und den Wichteln. Wie alle Wesen aus der Anderswelt lieben auch sie ausgelassene Feste und Tanzveranstaltungen. Am liebsten aber mögen sie Weihnachten, weil sich die Menschen dann gerade selbst wie Wichtel verhalten. Sie schaffen wie Wichtel des nachts heimlich die Weihnachtsarbeiten. Sie sorgen sich besonders um Kinder und Tieren, sie backen allerliebste Weihnachtskekse. Sie schenken den Kindern sogar kleine Weihnachtswichtel. An Weihnachten ist es so wichtelig im Haus wie sonst nie im Jahr. Die Kobolde treiben mit allen Bewohnern des Hauses ihren Schabernack, nichts ist vor ihnen sicher.

Meterhoch ragen Drachen und Riesen über den Platz, auch sie haben sich heute hier eingefunden. Friedlich stehen sie zusammen und freuen sich, mal die eine oder andere Riesen- oder Drachenfamilie wiederzusehen. Die Riesen waren gar schaurig anzusehen, ihre Körpergröße allein war schon imponierend, aber auch ihre buschigen Augenbrauen, die kleinen Augen verschwanden fast darunter. Alle hatten sie knollige Nasen, meist tropfte es daraus und alle unter ihnen stehenden stoben entsetzt auseinander, wenn so ein gewaltiger Tropfen niederfiel. Riesenrotz, igitt!

Die Drachenkinder tobten herum und versuchten sich im Feuerweitspucken. Alles johlte und schrie begeistert, als die Feuerfontänen immer länger wurden. Aber pardautz, ein Drachenkind hatte versehentlich einen Troll am Hinterteil erwischt. Der hüpfte fluchend auf und ab und hielt sich mit beiden Händen sein schmerzendes Hinterteil. In seiner Not setzte er sich in ein großes Gefäß herrlich schmeckenden Blütentau´s. Es dampfte und zischte, als das angesengte Hinterteil darin versank. Wütend stapfte der Troll davon, wie gerne hätte er diesen frechen Drachenkindern eins mit seinem Knüppel übergezogen, aber die Dracheneltern wachten gut über ihre Kinder, sie alle lachten und konnten gar nicht mehr damit aufhören. Beleidigt verschwand der Troll zu seinen Freunden, nicht ohne dabei ärgstens zu fluchen und zu zetern.

Auch die Wassergeister waren erschienen, Wassermänner, Nixen, Seejungfrauen, Flussnymphen, Sirenen und Quellgeister hatten sich zusammen gefunden und hatten sich einiges zu erzählen. Die Wassermänner hatten lange, zottelige, grüne Haaren und einen krausen Bart, kleine Schweinsäuglein, rote Säufernase und eine grüne Gesichtsfarbe. Sie sind leidenschaftliche Tänzer, spielen Geige und Harfe und singen gerne.
In allen Legenden werden die weiblichen Wasserwesen als anmutige und schöne Gestalten mit wundervollen meergrünen oder wasserblauen Augen beschrieben. Ihr Oberkörper ragt aus dem Wasser, umrahmt von langen, lockigen Haaren, das sie gerne und ausdauernd kämmen. Unterhalb der Wasseroberfläche bewegen sie sich mit einem geschuppten Fischschwanz fort. Ihr Gesang ist besonders betören und wurde schon so manchem Schiffer zum Verhängnis.

So kamen sie alle, um Mabon zu feiern. Es herrschte eine fröhliche und ausgelassene Stimmung, jeder fühlte sich wohl und lachte und scherzte.
Weit weg aber hörte ein junger Bauerssohn den herrlichen Gesang der Elfen und Wasserwesen. Er wollte wissen, woher dieser kam und machte sich, obwohl es sein Vater ausdrücklich verboten und ihn vor diesen Gesängen gewarnt hatte, auf den Weg. Er konnte sich dem Zauber dieser wunderschönen Stimmen nicht entziehen und wurde davon angezogen, wie die Motte vom Licht. Es war stockdunkel und er wußte nicht mehr, wie lange er schon so gelaufen war. Am ganzen Körper zerkratzt von sperrigen Ästen und dornigen Sträuchern, stolperte er in jene Richtung, aus der er den immer lauter werdenden Gesang vernahm. Das Gestrüpp wurde immer dichter, er konnte kaum mehr vorwärts, als er endlich ein helles Licht durch den dichten Wald schimmern sah. Wie von Geisterhand gezogen bahnte er sich mühsam einen Weg, um plötzlich auf der Lichtung mitten unter seltsamen Wesen zu stehen.
Staunend sah er sich um, wo war er da nur hingeraten? Sein Blick fiel auf die Riesen und Drachen, er mußte weit zu ihnen hinauf sehen, so groß waren sie. Daneben standen die Trolle, die sich ihm drohend näherten. Er bemerkt nicht einmal, daß das fröhliche Geplapper nach und nach verstummte. Die Musik hörte auf und mit einem Mal wurde es ganz ruhig, eine unheimliche Stille legte sich auf die vorher so fröhliche Festgesellschaft. Gothar, der König der Baumelfen fragte mit donnernder Stimme den frechen Eindringling:“ Was hast du in unserem Reich zu suchen?“ Der hochgewachsene Mann versuchte zu erklären, was ihn hierher gelockt hatte und warum er kommen mußte. „Ich habe nichts Böses im Sinn. Es war der herrliche Gesang, diese wundervollen Melodien, denen ich folgen mußte. Es tut mir leid, daß ich euch störte, das wollte ich nicht“ bat der junge Herr um Verzeihung. Gothar wurde etwas milder gestimmt und ging, um sich mit den anderen Königen und Weisen zu beraten.

So eine Situation war noch nie eingetreten, wie sollten sie sich verhalten?
Was sollte mit diesem jungen Mann geschehen? Konnte man es verantworten und ihn wieder in die Menschenwelt entlassen oder mußte er für immer unter ihnen bleiben. Sie überlegten in jede nur mögliche Richtung als Ferana, die Königin der Blumenelfen vorschlug, ihn bei den Drachen in sicherer Obhut zu lassen. Denn zurück dürfte er auf keinen Fall! Die Drachen schüttelten nachdenklich den Kopf, ob es denn notwendig sei, ihn gefangen zu halten. Aber auch die anderen waren sich in diesem Punkt einig, deshalb waren die gutmütigen Drachen dann doch damit einverstanden. So richtig wohl fühlte sich Arano, der Anführer der Drachen aber nicht. Der Eindringling sollte mit in ihre unterirdischen Höhlen kommen, dort würde ihm eine Flucht unmöglich. Während die anderen sich berieten, stand der junge Mann auf der Lichtung, umgeben von Zwergen, grimmig aussehenden Trollen, Drachenkindern, Elfen und Feen. Er hatte noch nie in seinem Leben so viele wunderliche Gestalten gesehen. Die einen waren klein mit lustigen Zipfelmützen, das mußten die Zwerge sein. Und er dachte, die würde es nur in Märchen geben! Dann standen da so zottelige, grimmig aussehende Wesen, die kannte er nun gar nicht. Die Drachenkinder gefielen ihm auf Anhieb, sie waren lustig anzusehen, wie sie versuchten, ihr Feuer weiter als die anderen zu spucken und sich dabei manchmal versehentlich trafen. Der Bauernsohn schmunzelte bis über beide Ohren, wie unsere Lausbuben, dachte er. Er hatte gestern Geburtstag gefeiert, 25 Jahre war er geworden und trug, da er die Nacht mit seinen Freunden durchzecht hatte, noch immer sein bestes Gewand. Sein Blick fiel auf eine groß gewachsene, schlanke Gestalt, ihr langes, helles Haar viel in sanftem Schwung bis auf ihre Hüften. Ihr schönes Gewand glich dem der edlen Herrschaften. Sie war gar lieblich anzusehen und er konnte den Blick nicht von ihr wenden.
Als sich ihre Blicke trafen, spürte er ein sehnsüchtiges Verlangen in seinem Herzen. Auch die Fee war von seinem Anblick wie verzaubert und sie verspürte nur den einen Wunsch, diesem Menschen überall hin zu folgen.

Als Gothar wieder zurückkam und dem Jüngling mitteilte, was nun weiter mit ihm passierte, wurde dieser schreckensbleich und die Augen der Fee füllten sich mit Tränen. Rasch wandte sie sich ab und ging zu einem naheliegenden Baum. Hier konnte man ihre Tränen nicht sehen, aber sie konnte von Gothar hören, wohin er gebracht wurde. Das ausgelassenene Fest hatte ein jähes Ende gefunden. Von den Oberhäuptern der Wesen wurden alle zum raschen Aufbruch gedrängt. Eilig wurde die Lichtung mit weißer Magie wieder in ihr einsames Dasein entlassen. Die Drachen mit ihrem Gefangenen verließen als erste Gruppe die Lichtung, dieser durfte nicht noch mehr zu sehen bekommen.
Arano, der Herrscher der Drachen, hatte ihn auf seine Schultern genommen und wies diesen an, sich gut festzuhalten, er würde sonst zu Tode stürzen. Die Fee und der junge Mann konnten sich noch einen langen, sehnsüchtigen Blick zuwerfen. Schon bald war er hoch in der Luft und vorangetrieben von den mächtigen Flügelschlägen des Drachen, kam er seinem zukünftigen Gefängnis immer näher. Eisig war es hier oben, und er hatte Zeit, um über seinen Leichtsinn nachzudenken. Was war bloß in ihn gefahren, wie konnte er nur so unüberlegt handeln und die eindringlichen Worte seines Vaters in den Wind schlagen? Er konnte es nicht erklären und wußte nur, daß er diese zauberhafte Fee nie vergessen würde, was auch immer mit ihm geschehen mochte. Er hatte keine Angst vor dem, was noch vor ihm lag und machte sich keine Sorgen um sein weiteres Wohlergehen. Wenn er bloß wüßte, wie er die Fee noch einmal sehen könnte. Verzweifelt, weil er so gar nichts von ihr wußte, seufzte er tief. Arano spürte es und hatte Mitleid mit dem jungen Mann, der in der Blüte seines Lebens stand und so gar keine schöne Zukunft vor sich hatte.
Nach einem ihm endlos scheinenden Flug kamen sie im Drachenreich an und wurden sogleich herzlich von den daheim gebliebenen Drachen begrüßt. Wilfried, dem Bauernsohn war mittlerweile so kalt geworden, daß er nur mehr mit großer Anstrengung vom Rücken seines Flugtieres klettern konnte. Stille breitete sich aus und so konnte Arano erklären, warum dieser Mensch ab nun hier bei ihnen bleiben mußte. „Dieser Mensch ist ab nun in unserer Obhut. Wir wollen ihm alles geben, was er braucht und es soll ihm an nichts fehlen. Wir wollen ihm Freunde sein und ihn nicht als unseren Gefangenen sehen,“ so sprach der Anführer der Drachen zu seinem Volk. Wildes Gemurmel war die Folge und auch so manchen Einspruch konnte man vernehmen, aber Arano deutete dem Menschen, ihm zu folgen und ließ sich auf keine Debatten ein.
Hinter dem Drachen betrat er die riesige Höhle, an so manchen Stellen war blankes Eis und riesige Eiszapfen hingen von der Deckenwand. Die Höhle dehnte sich ins Unendliche aus, und wo er auch hinsah, öffnete sich eine Wand nach der anderen zu einer weiteren Höhle. Das Gestein leuchtete in den herrlichsten Farben und Wilfried hatte solches noch nirgends gesehen. Nun hörte er ein Plätschern, das langsam zu einem tosenden Rauschen anschwoll, je näher sie kamen. Staunend stand der junge Mann vor einem gewaltigen Wasserfall, der aus großer Höhe über eine der Höhlenwände stürzte und alles mit sich reißend in einem See mündete. Die Farbe des Sees war unergründlich dunkel, manchmal schien er grün, dann wieder schwarz zu sein. Er erstreckte sich über den ganzen hinteren Höhlenbereich und nahm hier in sanft ansteigendem Ufer ein Ende. Weiter hinten konnte er noch eine Insel inmitten des Sees ausmachen, sie schien sehr groß zu sein und Bäume ragten daraus empor.

Arano beobachtete den jungen Mann und sah, wie ihm ihr Drachenreich gefiel. Er hatte in sofort in sein Herz geschlossen obwohl es dazu eigentlich keinen Anlaß gab. Oft schon hatten die Menschen einen von ihnen getötet und das Drachenherz verspeist, denn das galt in den Menschenkreisen als besondere Heldentat und sollte dem erfolgreichen Jäger zu Ruhm und Ehre verhelfen. Auch wurden mit Vorliebe Geschichten erzählt, wo eine Jungfrau den Drachen geopfert wurde, damit diese ihre Bevölkerung und die Ländereien in Ruhe ließen. Als ob den Drachen daran etwas gelegen hätte, sie wollten ihren verstorbenen Bruder oder die verstorbene Schwester rächen und sich nicht an ihrem Besitz oder den Menschen vergreifen! Leider gab es auch unter den Drachen nicht immer nur Einigkeit und so mancher Hitzkopf wurde rebellisch und wiegelte dann andere auf, um gemeinsam gegen die Menschen vorzugehen. Das hatte den Drachen ihren schrecklichen Ruf eingebracht. Arano seufzte tief, wieviel Unglück war schon geschehen und wieviel würde noch passieren, bis endlich die Vernunft über rohe Gewalt siegt. Er hoffte so sehr, daß sich diese Mißverständnisse einmal aufklären ließen, erst dann könnten die Drachen wieder in Frieden mit den Menschen leben. Aber wer weiß, vielleicht war ihnen gerade dieser junge Mann geschickt worden, um Licht in die verwirrte Sache zu bringen. Der mächtige Drachenführer sah seinen Schützling aus tiefgrünen, gütigen Augen an als er zu ihm sprach:“ Das hier ist unser Reich in dem ich, Arano, der Herrscher über das Drachenvolk, dich herzlich willkommen heißen möchte. Du sollst es gut bei uns haben und ich hoffe, daß du dich bald eingelebt hast. Wenn du einen Wunsch hast, so komme zu mir, wenn ich ihn dir erfüllen kann, so werde ich es tun. Aber wisse, dein zu Hause ist von nun an hier und ich rate dir gut, im Drachenreich zu bleiben. Ich werde dir deine Freiheit im ganzen Drachenreich lassen, aber wage es nicht, auch nur einen Schritt außerhalb unseres Reiches zu setzen!“ Wilfried nickte, was hätte er in seiner Lage sonst auch tun können? Dann fiel ihm etwas ein:“ Edler Arano, wo ist mein zukünftige Bleibe, wo werde ich schlafen, essen und trinken können? Wer besorgt mir Nahrung oder darf ich mir Pfeil und Bogen machen um selber jagen zu können?“ Arano überlegte, wies ihm dann eine der kleineren Höhlen im weitverzweigten unterirdischen System zu und meinte, daß das Wasser des Sees allen als Trinkwasser zur Verfügung stehen würde und er sich selber versorgen könne. Wilfried, der sehr wohl über seine mißliche Lage Bescheid wußte, konnte nur staunen über die wohlwollende Gastfreundschaft des Drachen. Er hätte sich niemand Besseren an seiner Seite wünschen können, als den weisen und umsichtigen Herrscher. Der junge Bauer bedankte sich und bald darauf richtete er sich aus trockenem Laub und Gras eine gemütliche Schlafstätte. Es war etwas kalt in den Höhlen, morgen würde er sich Pfeil und Bogen bauen um Felle und Fleisch zu haben. Zuversichtlich schaute er in die Zukunft und schlief bald darauf auf seinem Lager ein, tief eingegraben im Gras.
So hatte der junge Mann viel zu tun und die Zeit verging wie im Flug. Gekonnt fertigte er Pfeil und Bogen und so manch anderes nützliche Handwerkzeug. Bald hatte er sich seine Höhle behaglich eingerichtet, eine Feuerstelle wärmte und war Kochstelle zugleich. Er war tüchtig und ging umsichtig zu Werke. Mit einigen der Drachen hatte er sich schnell angefreundet, die anderen blieben ihm gegenüber aber mißtrauisch und verfolgten sein Tun mit skeptischen Blicken. Die Drachenkinder liebten ihn sehr und sie kamen jeden Tag zu ihm und spielten und balgten mit dem großen, kräftigen Mann. Bei den lustigen Rangeleien ging es nicht gerade zimperlich zu und er hatte sich schon zahlreiche Wunden dabei geholt, die aber Gott sei Dank nie richtig schlimm waren. Eines der Drachenkinder war besonders ungestüm, ein richtiger Hitzkopf, der schnell zornig wurde, aber genau so schnell verrauchte dieser meist und dann wurde herzhaft gelacht. Vertas hieß das Drachenkind, er war der Sohn von Arano und der Bauernsohn mochte seinen jungen Freund sehr. Er war das Ebenbild seines Vaters, seine feinen Schuppen schillerten in allen erdenklichen Farben, je nachdem, wie das Licht in sie fiel. Er war aber feingliedriger als andere Drachen geraten, dadurch wendig und schnell und seine ungestüme Art ließ ihn so manches Abenteuer erleben. Mit stolz erhobenem Haupt trug er seinen Menschenfreund gern hoch in die Lüfte und vollführte die waghalsigsten Flugmanöver mit ihm. Dieser aber war mutig und so schnell konnte man ihn nicht erschrecken.
Wilfried fühlte sich zwar wohl bei den Drachen aber bei allem was er tat, vergaß er nie die wunderschöne Fee. Ihr zauberhafter Blick war ihm bis in sein Herz gedrungen und ließ es nicht los. Sehnsüchtig überlegte er, wie er sie denn finden könnte. Eines Tages, als sein Herz wieder voll Verlangen nach ihr war, machte er sich auf den Weg, um sie zu suchen. Er hatte nur ein Ziel vor Augen, dieses herrliche Geschöpf zu finden und sie mit in seine Heimat zu nehmen. Immer weiter und weiter trug ihn seine qualvolle Sehnsucht, er nahm sich keine Zeit um zu rasten oder zu essen. Tage- und nächtelang war er so unterwegs, bis er vor Erschöpfung zusammenbrach und reglos liegenblieb. Wie lange er so gelegen hatte, wußte Wilfried nicht. Völlig entkräftet richtete er seinen Blick nach oben, sah das Sonnenlicht durch die Baumkronen blitzen, die bereits das Laub abwarfen. Er vernahm ein Rauschen, das schnell lauter wurde und erkannte den schnellen Flügelschlag von Vertas, seinem Drachenfreund.
So, als ob er gerade zu klaren Gedanken käme, fiel ihm nun ein, was einst Arano zu ihm gesagt hatte. Seine wilde Sehnsucht hatte ihm schier den Verstand geraubt und ihn an nichts anderes mehr als an die Fee denken lassen. Welche Folgen würde das nun haben? Bange sah er der Ankunft von Vertas entgegen. Was würde das Drachenkind machen, wenn es ihn sah, ob Wilfried ihm noch trauen konnte? Wer weiß, vielleicht riß er ihm in seinem größten Zorn mit den furchterregenden Klauen seinen Körper auf?
Die Entbehrungen der letzten Tage aber war zuviel für ihn und er fiel in eine tiefe Ohnmacht, noch bevor der Drache ihn erreichte.
Vertas hatte Wilfried nun entdeckt und suchte eine Stelle, an der er gefahrlos landen konnte, ohne sich an den Schwingen zu verletzten. In großen Kreisen zog er seine Bahn und behielt dabei immer den Menschen im Auge. Mit seinem hellen Verstand merkte er sofort, daß etwas nicht stimmte mit ihm. Besorgt landete er unweit der Stelle, wo Wilfried noch immer ohne Bewußtsein lag. So schnell ihn seine Füße trugen, lief er zu ihm, um dann still vor ihm zu stehen. Traurig betrachtete er den geschundenen Körper und sein Instinkt sagte ihm, daß er hier so schnell als möglich mit dem Menschen weg mußte, um dessen Leben zu retten. Behutsam nahm er Wilfried in sein Maul, die mächtigen Reißzähne ragten bedrohlich neben dem schlaff hängenden Körper empor. Anders aber konnte er ihn nicht transportieren, in die Klauen konnte er den jungen Mann nicht nehmen, mußte er ja ein Stück laufen. Rasch machte er sich auf den Weg, um seinen Freund zu retten. Schnell hatte er die Lichtung erreicht und mit mächtigen Flügelschlägen war er bald hoch in den Lüften Richtung Drachenreich. Vertas fühlte, daß bald alles Leben aus dem jungen Körper seines Menschenfreundes wich und flog, als ob der leibhaftige Teufel hinter ihm her wäre. In rasendem Tempo und völlig außer Atem kam er kurz darauf in seiner Heimatstadt an. Vorsichtig legte er das leblose Bündel ab und wandte sich um Luft ringend an seinen Vater. „Vater, ich weiß, er hat Unrecht getan, aber bitte hilf meinem Freund. Es ist die einzige Bitte, die ich habe, rette sein Leben!“ Nach diesen Worten kroch das erschöpfte Drachenkind in seine Höhle und fiel in einen tiefen, unruhigen Schlaf. Immer wieder quälte ihn die Sorge um seinen Freund, erschöpft schlief er aber weiter. Währenddessen schickte Arano einen Boten zur alten Drachin hoch oben in den Bergen. Sie war viele Jahrtausende alt und hatte sich großes Wissen angeeignet. Wenn hier jemand helfen konnte, dann sie. Wilfried wurde von einem ihm wohlgesonnen Drachen in seine Höhle gebracht und vorsichtig auf das Lager gebettet. Traurig über den schlimmen Zustand des Menschen, wachte Zantor über ihn und warf den anderen, die ihren Unmut nicht im Zaume halten konnten, zornige Blicke zu. Er konnte Wilfried nicht böse sein, wußte er doch, daß er ein gutes Herz hatte und von edlem Charakter war. Er hoffte inständig, daß die alte Drachin sein Leben retten konnte und auch er fühlte, daß es an einem seidenen Faden hing. Mit seinem mächtigen Maul schaufelte er vorsichtig Laub an den Körper und zog eine der Felldecken über ihn. Dann legte er sich neben ihn, den Blick zur Tür gewandt um jeden Besucher sofort erkennen zu können.
Zantor kam es vor, als ob die Drachin ewig auf sich warten ließe. Tatsächlich waren nur wenige Stunden bis zu ihrem Eintreffen vergangen. Sie schickte ihn aus der Höhle mit der Bitte, an seiner Seite zu bleiben, wenn sie wieder fort mußte. Die Alte hatte schon oft erlebt, daß es in solch stimmungsgeladenen Situationen rasch zu Übergriffen kam. Dankbar, daß er etwas für Wilfried tun konnte, legte sich Zantor sogleich vor den Höhleneingang, der nur mit einem großen Fell verhangen war.
Rasch packte die Drachin ihre mitgebrachten Dinge aus und verlangte nach frischem Wasser. Mit einem gezielten Feuerhauch erweckte sie die Feuerstelle wieder zu neuem Leben und bald stieg ein angenehmer Duft der verschiedensten Kräuter durch die Höhle, die die alte Drachin in einer genau bestimmten Reihenfolge in das kochende Wasser warf. Dazu murmelte sie die uralten Sprüche der weisen Drachen, deren Wissen nur mehr sie alleine in ihrem Kopf hatte. Von Generation zu Generation weitergetragen, immer der ältesten Drachin der Anführerfamilie weitergegeben und ihr neuerworbenes Wissen, daß sie sich in ihrem Drachenleben angeeignet hatte, ergaben ungeheure Schätze. Die Alte arbeitete ruhig und konzentriert, beinahe einen ganzen Tag war sie bei dem jungen Mann. Niemand durfte sie stören, dafür sorgte allein schon Zantor´s Anwesenheit, der wie ein Fels vor dem Höhleneingang lag. Ein geheimnisvoll schimmerndes Licht erfüllte den ganzen Raum, es hüllte Wilfried wie eine Decke ein und gab ihm Kraft und Mut. Mit ihren gütigen Augen beobachtete sie aufmerksam jede Regung des Menschen, so nahe war sie noch nie einem gewesen. Immer wieder berührte sie seinen Körper nach einem eigenen Ritual, daß ihm helfen sollte, bald wieder zu Kräften zu kommen. Sie nahm seinen speziellen Duft auf und würde sich immer wieder an seinen Geruch erinnern, egal wieviel Zeit dazwischen lag. Er war nahe am Tode, aber er würde es schaffen, da er eine gute Kondition hatte und kräftig war. Ihr Wissen war dabei von unschätzbarem Wert. Wahrscheinlich wäre es anders ausgegangen, wenn Arano nicht um die weise Drachin Junia geschickt hätte. Langsam erwachten Wilfrieds Lebensgeister unter der Fürsorge und Pflege der Alten. Unendlich erschöpft, konnte er kaum die Augen aufbringen, sein Blick war verschwommen und er konnte keine klaren Bilder sehen. Er wußte nicht wo er sich befand und daß Vertas ihn zurückgebacht hatte. Die Drachin versuchte, ihm etwas von der belebenden Kräuterbrühe einzuflössen, aber er konnte nur mühselig wenige Schlucke zu sich nehmen. Sofort sank er wieder in einen tiefen Schlaf, aber nun mit ruhigeren Atemzügen und nicht mehr schweißgebadet. Junia wußte, daß es jetzt nur mehr eine Frage der Zeit war, bis der junge Mann wieder auf die Beine kam. Sie überließ ihn der Obhut Vertas und Zantor´s, die sich ohne jedes Bedenken sofort an seine Seite stellten, als er es am Notwendigsten brauchte und kehrte wieder in ihre Bergen zurück.
Das liebenswürdige Verhältnis von Arano und Wilfried aber blieb für immer zerstört, Aranao konnte ihm nach dieser Begebenheit nicht mehr vertrauen. Zwar waren sie noch Freunde, aber seine Flucht hatte einen Riss verursacht, der sich bei Arano nicht mehr schließen ließ. Jedesmal, wenn Wilfried mal einen Tag unterwegs war, war er voller Sorge, ob er wieder zurückkehrte und manchmal schickte er sogar heimlich einen seiner verschwiegensten Getreuen hinterher um sicher zu gehen. Traurig darüber, daß er zu Arano´s Herz nicht mehr zurückfinden konnte, keimte mehr denn je der Gedanke an eine Flucht in ihm auf. Sicher, man konnte sich keine treueren Drachengefährten als Vertas und Zantor an seiner Seite wünschen, aber die Menschen in seiner Heimat fehlten ihm immer mehr. Niemals hatte er gedacht, daß er alles Vertraute so vermissen könnte. Sein Vater, seine Mutter war schon lange gestorben, das kleine aber sorgsam gepflegte Haus, indem Vater und Sohn lebten, seine Freunde, das Dorfleben, seine Arbeit, alles bekam hier einen anderen Stellenwert. Seine Sehnsucht zur lieblichen Fee war ebenfalls ungebrochen, er malte sich aus, mit ihr in das Dorf zurückzukehren und dort zu leben.

Die Monate vergingen und wieder zog der Frühling in das Land. Auch im Drachenreich begannen die Bäume auszutreiben, die Wiesen zu grünen und die ersten Blumen betörten mit ihrem Duft. Wilfried war auf der Jagd, er wollte einen Hirsch erlegen, denn er brauchte dringend Fleisch. Im Winter war das Leben im Drachenreich karg, außer einigen Beeren und schmackhaften Wurzeln war sein Speiseplan nicht sehr abwechslungsreich. Indessen konnte auch die Fee den hübschen Bauernsohn nicht mehr aus ihren Gedanken verbannen und dachte unentwegt nach, wie sie ihm zur Flucht verhelfen konnte. Weder wußte sie, wo das Reich der Drachen war, noch, wie sie alleine diese lange und beschwerliche Reise alleine meistern sollte. Und was würden ihre Eltern und Freunde zu ihrem Ansinnen sagen? Sie wagte es nicht, sich jemandem anzuvertrauen und war mit ihren Sorgen und Ängsten ganz allein. Seit der Gefangennahme waren mittlerweile 3 Jahre vergangen, das wußte die Fee ganz genau, hatte sie doch für jedes Monat eine Kerbe in den starken Ast einer mächtigen Eiche geritzt. Eines morgens konnte sie zufällig dem Geplapper einer schwatzhaften Elster zuhören, die von den unermeßlichen Reichtümern der Drachen erzählte. Mit klopfendem Herzen lauschte sie angestrengt, um nur ja kein Wörtchen zu überhören. Die Elster wußte, wo das Reich der Drachen war und versuchte nun, den anderen Vogel zum Mitkommen zu bewegen. Eifrig redete sie auf den kleinen Kauz ein, denn sie brauchte jemanden, der sich im Dunkel der Höhlen gut zurechtfinden konnte. Der Fee kam es endlos lange vor, als die beiden Vögel endlich aufbrachen. Mühelos folgte sie ihnen, sie war sich noch gar nicht richtig bewußt, welche Schwierigkeiten sie ab diesem Zeitpunkt auf sich geladen hatte. Sie wußte nur eines, daß ihr Herz vor Freude raste und alles an ihr zitterte so, als ob sie hohes Fieber hätte.
Immer weiter trug sie die Reise, durch dunkle Wälder, riesige Berge, entlang von mächtigen Flüssen und endlos erscheinenden Ebenen. Erst wenn es dämmerte, wurde Rast gemacht um am nächsten Morgen mit Sonnenaufgang wieder aufzubrechen. Müde, zerzaust und furchtbar hungrig brach der vierte Tag der Reise für die kleine Fee an. Wenn sie nicht bald im Drachenreich ankamen, würde sie es nicht bis dahin schaffen. Sie nahm all ihre Kräfte zusammen und folgte den plappernden Vögeln. Da, endlich ließen sich die Tiere auf einer hoch hinauf ragenden Birke nieder, die sich auf einem Hügel einsam im sanften Wind hin und her wiegte. Erschöpft ließ sich die Fee im weichen Moos am Fuße des Baumes nieder und lauschte den beiden. Ihr Blick fiel auf ein herrliches Tal mit großen Wiesen und dichten Wäldern, durch die sich rauschend ein Bächlein schlängelte. So weit das Auge reichte, überall grünte und blühte es in den prächtigsten Farben und die zahlreichen Vögel zogen zwitschernd mal hierhin, mal dorthin. Friedlich grasten mächtige Hirsche und Wildschweine nebeneinander, unzählige Wildkaninchen hoppelten über die saftigen Wiesen und die Wölfe, Luchse und Füchse lebten hier wie im Paradies. Auch eine Braunbär-Familie hatte hier ihr Revier, zur Zeit hatte die Bärin ein Junges und es war ratsam, sich von ihr fernzuhalten.
Am Ende des Tales erstreckte sich eine mächtige Gebirgskette, die dieses wie zum Schutz umrahmte. Darin verborgen war die weitläufige Höhlenstadt der Drachen. Soviel konnte die Fee noch dem Geplapper der Elster entnehmen, bevor sie in tiefen Schlaf sank und sich das erste Mal seit Tagen richtig ausschlafen konnte. Als sie ihre Augen wieder aufschlug, war es bereits nacht. Plötzlich erschrak sie, denn neben ihr fühlte sie einen warmen Körper. Ihre Augen hatten sich an das Dunkel der Nacht gewöhnt und lächelnd erkannte sie ein Reh, daß sich neben sie gelegt hatte, um sie zu wärmen. Ruhig schaute das Reh die Fee an und legte seinen Kopf auf die Vorderbeine um weiter zu schlafen. Zufrieden schlief auch bald darauf das Feenkind wieder ein.
Gut ausgeruht wachte Sunayi, die kleine Fee am nächsten Morgen auf. Das niedergedrückte Gras an ihrer Seite war noch ein wenig warm, also hatte sie das Reh noch vor nicht zu langer Zeit verlassen. Wahrscheinlich war es nun auf Futtersuche. Da grummelte auch Sunayi´s Bäuchlein und erinnerte sie an die karge Zeit. Rasch machte sich das Wesen auf die Suche nach Essen und fand bald darauf eine große Himbeerstaude mit herrlich schmeckenden, reifen Früchten. Sie aß mit Genuß, bis sie meinte, sie wäre kurz vor dem Zerplatzen. Seufzend vor Wohlbehagen und mit einem kugelrunden Bäuchlein folgte sie dem Plätschern und Rauschen des Baches, der bald darauf zu sehen war. Die Fee kniete sich ans Ufer und schöpfte mit beiden Händen kristallklares Wasser um ihren Durst zu stillen. Die Sonne wärmte sie mit ihrem hellen Schein, die Vögel sangen um die Wette und sie genoß diesen schönen Morgen. Zufrieden und voller Zuversicht, machte sie sich auf den Weg. Sie mußte zum Ende des Tales, in dessen Gebirge sich das Drachenreich verbarg. Rasch kam sie ihrem Ziel näher, als sie ein mächtiges Rauschen in den Lüften vernahm.
Vertas hatte die Fee schon seit ihrem Erwachen beobachtet und war von ihrem Liebreiz wie verzaubert. Sein Drachenherz pochte heftig und er fühlte ein ungeahnte Sehnsucht in seiner starken Brust. Er verfolgte jeden ihrer Schritte, wußte er um die zahlreichen Gefahren, die sich hier im Wald verbargen. Und nicht jeder Drache war anderen Fabelwesen wohlgesonnen. Grimmig dachte er an Bondaro, einen ehemaligen Freund.
Sie hatten vieles gemeinsam erlebt, dann aber fand er an dem hinterlistigen Schantan gefallen. Seit dieser Zeit veränderte sich Bondaro zu seinem Nachteil und Vertas kündigte ihm daraufhin seine Freundschaft.
Mit diesem heimtückischen Wesen wollte er nichts mehr zu tun haben. Wie sehr er gut daran tat, diesen beiden Drachen zu mißtrauen, sollte er bald darauf erfahren. Sunayi wanderte summend durch den Wald, als sie Vertas Flügelschlag vernahm und wie angewurzelt stehen blieb. Auf einer nahen Lichtung landete er und sprach sie mit sanfter Stimme an:“ Bezaubernde Fee, was führt dich hierher in dieses Tal? Weißt du denn nicht, daß viele Gefahren lauern?“ Das Feenkind spürte, daß sie vor diesem schönen Drachen keine Angst haben mußte und fühlte sich sogleich wohl in dessen Nähe. Mit glockenheller Stimme antwortete sie: “Ich bin auf der Suche nach meinem Liebsten, er ist bei euch in Gefangenschaft und meine Sehnsucht nach ihm macht mich fast krank.“
Vertas erschrak heftig, sie konnte nur seinen Freund Wilfried meinen.
„Weshalb sollten wir ihn dir überlassen, du kommst gegen unsere Drachenkräfte nicht an!“ rief Vertas stürmisch. „Nein, ich möchte euch einen Handel vorschlagen, ihr überlaßt mir den Menschen, dafür verrate ich euch etwas für das Drachenreich sehr Wichtiges,“ sagte Sunayi ruhig.
Mit schief geneigtem Kopf überlegte der Drache, was das wohl sein könnte. Sie hatten keine Feinde, die ihnen kräftemäßig überlegen wären. Was meinte die kleine Fee denn bloß? Und wenn sich das kleine Wesen das nur ausgedacht hätte um ihnen Wilfried auf diese hinterlistige Weise zu entführen? Vertas konzentrierte sich auf seine magischen Fähigkeiten um der Fee die Wahrheit zu entlocken. Nein, von ihr ging kein Falsch und kein Argwohn aus und der Drache beschloß, dem zarten Wesen zu vertrauen, das er bereits jetzt liebgewonnen hatte. „Was weißt du, daß uns Drachen von Nutzen sein könnte?“ fragte er mit sanftem Schnauben.
„Hör mir gut zu, lieber Drache, ich möchte euch warnen,“ Sunayi sprach eifrig weiter. „Eine schlaue Elster und ein falscher Kauz haben eure riesigen Schätze tief in den Bergen entdeckt und sind bereits auf dem Weg dorthin!“
Schon war Vertas in der Luft und rief:“ Bleib hier kleine Fee, ich werde mein Wort halten und dir Wilfried, deinen Liebsten, an diesen Ort schicken. Du mußt mir aber versprechen, daß ihr in einem sicheren Versteck auf meine Rückkehr warte, ich möchte meinem Freund Lebewohl sagen. Ich werde euch finden, bringt euch nur in Sicherheit!“ Nur mühsam verstand Sunayi die letzten Worte des Drachen, der sich mit schnellen Flügelschlägen rasch entfernte.
Vertas überlegte, was sein Vater zu diesem Handel sagen würde. Aber hatte er eine Wahl, wie sollte er sonst die Reichtümer aller Drachen beschützen? Voller Zweifel kam er völlig außer Atem nach rasantem Flug im Drachenreich an und überbrachte Arano die schlechte Botschaft. Zornig über das eben Vernommene funkelten seine sonst so gutmütigen Augen. Rasch rief er seine Getreuen zusammen, um sich auf den Weg zu den Schätzen zu machen, die an der tiefsten Stelle des Berges bis jetzt immer sicher verwahrt gewesen waren. Zuvor aber gewährte er Wilfried, das Drachenreich auf schnellstem Wege zu verlassen und wünschte ihm viel Glück.
Währenddessen unterrichtete Vertas Zantor über die Gefahr und auch, daß er Wilfried unauffällig für die anderen in das Tal geleiten sollte. Danach mußte Zantor auf schnellstem Wege zurück zu den verborgenen Schätzen, um diese zu beschützen. Dann machte er sich selbst auf den Weg, um die Schätze notfalls mit seinem Leben zu verteidigen. Wilfried konnte es noch gar nicht glauben, er sollte frei sein und sogar seine geliebte wartete im großen Tal auf ihn? Fassunglos packte er seine wenigen Habseligkeiten zu einem Bündel und warf es sich über die Schulter. Im Drachenreich herrschte große Aufregung über die Absicht,
ihren wertvollsten Besitz zu rauben und so marschierte der junge Mann
beinahe unbemerkt in die Freiheit. Zantor begleitete ihn, wie schon so oft, aber diesmal mit gedrückter Stimmung. Er hatte Wilfried liebgewonnen, war wie ein Bruder für ihn. Und nun sollte er ihn gehen lassen? Zantor´s Herz wurde schwer, wenn er daran dachte obwohl er dessen Sehnsucht nach einem Leben in Freiheit sehr gut verstehen konnte. Und von seiner großen Liebe zur Fee wußte er, seit er vor seiner Höhle gewacht hatte, als Wilfried dem Tod so nahe war. Schon hatte der Drache mit dem Menschen auf seinem Rücken das Tal erreicht und aufgeregt hielt dieser nach der Fee Ausschau. Auf einer Lichtung konnte der mächtige Drache gefahrlos landen. Diese hatte sie schon lange entdeckt, aber der Drache an seiner Seite machte sie unsicher. War er Freund oder Feind, wollte er ihnen Gutes oder Böses?
Zweifelnd hielt sie sich im Wald versteckt und beobachtete die Beiden. Der junge Mann blickte sich suchen um, konnte die Fee aber nirgendwo finden. Traurig blieb er stehen und fragte Zantor, ob er sie schon aufgespürt hätte. Der Drache schnupperte unauffällig und sagte, daß sie wohl ganz in der Nähe sei. Da umarmte Wilfried den verdutzten Drachen vor lauter Freude und lachte über das ganze Gesicht. Als Sunayi das sah, hielt sie nichts mehr in ihrem Versteck. Lachend und weinend zugleich kam sie auf Wilfried zu und fiel in seine ausgebreiteten Arme. Die Beiden hatten die Welt um sich herum vergessen und hielten sich atemlos fest. Kein Wort brachten sie hervor, schauten einander nur stumm vor Glück an und ihre Blicke sprachen mehr, als alle Worte es je sagen könnten. Tief erschüttert über dieses so ergreifende Wiedersehen, wollte sich Zantor heimlich davonstehlen. Da aber fiel Wilfried´s Blick auf den Drachen, dessen Kopf traurig zu Boden sah. Er löste sich von der kleinen Fee und sprang ihm hinterher. „Warte mein Freund, ich möchte dir etwas vorschlagen“ rief Wilfried. „Geh, um eure Schätze zu retten, aber versprich mir, daß du mit Vertas zu uns zurückkommst, wir werden nicht eher gehen!“ Gerührt nickte Zantor, sprechen konnte er nichts, denn seine Kehle war wie zugeschnürt. Schnell machte er sich auf den Weg zurück und hoffte, daß nicht schon Schlimmes geschehen war.
Seine mächtigen Flügelschläge brachten ihn bald zurück ins Drachenreich und in die riesige Schatzkammer. Schon von weitem konnte er das Getümmel des Kampfes vernehmen und das stachelte seine Wut auf die Gegner noch mehr an. Zornig stürzte er sich auf Schantan der gerade flüchten wollte, da kam er ja gerade zur rechten Zeit! Immer wieder stellte Zantor den viel größeren Gegner, versuchte, ihm in die Flanken zu fallen um ihn zu fassen. Er kämpfte mutig, doch gegen die Hinterlist des anderen kam er nicht an. Aus zahlreichen Wunden blutend, wurde er plötzlich von einem mächtigen Schwanzhieb an die Wand geschleudert, der Weg aus den Tiefen der Höhle war nun frei für Schantan und er floh. Feige ließ dieser seinen Freund Bandoro im Stich um sich selbst in Sicherheit zu bringen. Dieser kämpfte mit dem Mut der Verzweiflung gegen die Übermacht an, hatte aber nicht die geringste Chance auf ein Entkommen. Als er nun sah, daß Schantan ohne ihn floh, verließ ihn all sein Mut und die Kraft und er ergab sich mit tief gesenktem Kopf. Wütend stellte Arano ihn zur Rede, warum sie denn die Schätze der Drachen rauben wollten. Da flackerte Trotz in Bandora auf und er sah zornig in die Runde der um ihn stehenden Drachen.
„Das habt ihr alle auf dem Gewissen und am meisten davon er.“ Dabei deutete der Drache auf Vertas, den Freund aus vergangenen Zeiten. „Warum hast du dich von mir abgewendet, war ich dir nicht mehr gut genug?“ kamen wütend und dennoch traurig seine Worte. Vertas war tief berührt, wie sehr mußte sein Handeln Bandoro verletzt haben, daß er sich dann erst recht dem listigen Schantan anschloß, der ihn aber nur für seine Zwecke benutzte um ihn dann bei der ersten Gelegenheit fallen zu lassen. Leise murmelten die anderen Drachen, was hatten denn sie mit der Wut des Abtrünnigen zu tun? Mit nun ruhigerer Stimme wandte Bandoro sich ihnen zu. „Ja, auch euch mache ich für mein Tun verantwortlich. Wie oft habt ihr mich ausgeschlossen, mich mit verletzenden Worten gedemütigt und euch über mich lustig gemacht. Ist es denn wirklich so wichtig, daß ich nicht so groß und stark bin wie ihr es seid? Zählen Werte wie Charakter und Freundschaft denn nichts? Das war der Grund, warum ich mich gegen euch stellte, es waren Enttäuschung und Zorn über euch!“ Betroffene Stille herrschte in der Schatzkammer, das nur durch das unruhige Gezappel der in einem Käfig gefangenen Elster und des Kauzes unterbrochen wurde. Arano gab das Zeichen zum Aufbruch und bedrückt machten sich alle auf den Weg aus der Tiefe des Berges. Auf den ersten Blick schien es, als ob alles noch an seinem Platz war, morgen würden die Schatzmeister alles mit ihren schier endlosen Listen sehr genau kontrollieren. Erst dann hatten sie Gewißheit.
Mittlerweile war es tiefe Nacht geworden, Sunayi und Wilfried hatten Schutz in einer kleinen Höhle unweit der Lichtung gefunden. Vorsorglich legte die Elfe einen Teil des Bodens mit dem von Wilfried gesammelten Moos aus, denn es war vernünftiger, kein Feuer zu machen. Eng aneinander geschmiegt saßen die Beiden, die ihr Glück noch gar nicht fassen konnten. Eine vertraute Stille lag über ihnen, ihr Herz war voll Liebe und Zuversicht, sie hatten ja noch so unendlich viel Zeit, sich alles Erlebte zu erzählen. Nur über die Hinterlist der beiden Vögel erzählte sie Wilfried, die es auf die Schätze der Drachen abgesehen hatten und mit welchem Handel er seine Freiheit wieder fand. So saßen sie im Schutz der Dunkelheit und lauschten, um die Ankunft ihrer Drachenfreunde nicht zu überhören. Lange schon war Sunayi eingeschlafen, Wilfried hatte sie vorsichtig, um sie nicht zu wecken, mit einem Tierfell zugedeckt. Liebevoll sah er die Elfe an, die soviel für ihn erreichte. Ja, die Liebe war eine große Macht, mächtiger als alles andere. Er wußte, daß sie füreinander bestimmt waren, das Schicksal hatte sie zusammengeführt, aus welchem Grund aber, das wußte er nicht. Aber er würde schon noch dahinterkommen, da war er sich ganz sicher.

Während sich Wilfried so seine Gedanken machte, hörte er auf einmal ein leises Rascheln. Sofort war er hellwach und lauschte angestrengt in die Dunkelheit. Da, schon wieder ein Geräusch! Er schlich zum Höhlen=
eingang, immer darauf bedacht, Sunayi keiner Gefahr auszusetzen. Schon konnte er die Umrisse eines großen Drachen erkennen und erleichtert atmete er auf. Diesen Drachen könnte er in der größten Dunkelheit erkennen, jede noch so geringe Bewegung waren ihm seit Jahren vertraut. Es war Vertas, sein treuer Freund aus dem Drachenreich, begleitet wurde er von Zantor. Rasch gab sich Wilfried den beiden zu erkennen und fiel zuerst Vertas, dann Zantor um den Hals. Vor Freude leise schnaubend, hielten die beiden still und ihnen wurde warm um ihr Drachenherz. Nun wußten beide sicher, daß sie nicht ohne ihren Menschenfreund hierbleiben würden. Sie hatten sich auf dem Weg hierher schon darüber unterhalten, was sie nun weiter tun würden und beide kamen, ohne von den Gedanken des anderen zu wissen, zum selben Ergebnis. Dennoch zweifelten die Drachen, ob das auch in Wilfrieds Sinne war. Doch als sie jetzt so begrüßt wurden, gestanden sie dem jungen Bauernsohn ihren Wunsch. Wilfried lauschte andächtig seinen Drachenfreunden und konnte sein Glück noch gar nicht richtig fassen. Zuerst seine wieder gewonnen Freiheit, das Wiedersehen mit seiner große Liebe Sunayi und nun kamen seine Freunde mit in die Menschenwelt! Verwirrt sah er von Vertas zu Zantor und dann zum Höhleneingang. Erst da bewegte sich die Elfe aus dem Schatten der Höhle, sie war schon lange wach und hatte alles still beobachtet. Da begriff sie, daß sie Wilfried mit den Drachen teilen mußte, nein nicht mußte, es wollte aus ihrem tiefsten Herzen. Diese wunderbare Freundschaft war ein großes Geschenk, denn sie hatte es noch nie erlebt, daß ein Drache wegen einem Menschen sein Reich verließ. Nur sie konnte diese Bedeutung ermessen, denn für Wilfried war das vollkommen in Ordnung so. Oh, der hübsche Menschenmann hatte noch so viel zu lernen, über die Gebräuche in der Anderswelt. Schmunzelnd trat sie zu den anderen, umarmte Wilfried innig und dann Vertas und Zantor. Gut, daß es dunkel war, so konnte Sunayi nicht sehen, wie sich die Drachen vor Freude tiefblau verfärbten, es wäre ihnen zu peinlich gewesen. Denn bisher hatte es auch noch nie eine Freundschaft zwischen den Elfen und den Drachen gegeben. So standen sie nah beieinander, Elfe, Mensch und die beiden Drachen und kosteten jede Sekunde dieses Augenblicks aus.




Jäh wurden sie aus ihrer Verzauberung gerissen, denn der arglistige Schantan war Vertas und Zantor unauffällig gefolgt. Er wußte, daß da mehr dahinter sein mußte, wenn die beiden so kurz nach ihrem Kampf das Drachenreich verließen. Nun hatte er sich durch eine unüberlegte Bewegung verraten, zornig über sich selbst, wollte er rasch in die Dunkelheit entfliehen. Vertas aber war schneller und stellte sich ihm drohend in den Weg. Wütend forderte er Rechenschaft von Schantan über den Raub und warum er ihnen gefolgt war. Dieser sah ihn gleichmütig und ohne Regung an, sein Verstand aber arbeitete fieberhaft an einem Fluchtplan. Ehe Vertas es verhindern konnte, preschte Schantan zur Seite und griff sich die kleine Baumelfe. Sunayi stand zitternd vor Angst zwischen den mächtigen Vorderpranken, nur ein Hieb, und es war um sie geschehen. Wilfried war der erste, der sich wieder gefangen hatte und beruhigte Schantan, der bereit war, bis zum Äußersten zu gehen. „Schantan, bitte laß sie gehen, sie hat nichts mit eurem Streit zu tun. Wenn du eine Geisel willst, dann nimm mich statt ihr.“ Flehend hatte sich Wilfried dem vor Wut bebenden Drachen genähert, langsam wurde dieser ruhiger. Er überlegte sich Wilfrieds Worte, behielt dabei aber immer wachsam die anderen Drachen im Auge. „Nein, grollte Schantan, ihr Menschen habt mir vor langer Zeit mein Liebstes genommen, jetzt nehme ich einem Menschen das Liebste! Die kleine Elfe bleibt meine Gefangene, aber ihr wird nichts geschehen, dafür gebe ich dir mein Wort.“ Dann hieß er Sunayi, auf seinen Rücken zu klettern und sich gut festzuhalten. Hilflos mußten die beiden Drachen und Wilfried zusehen, wie Schantan mit Sunayi entfloh. Bald waren sie im Dunkel der Nacht verschwunden, konnten nur mehr das sich rasch entfernende Rauschen der Drachenflügel hören.
Wie erstarrt stand Wilfried, den Blick in die Richtung gewandt, in die seine geliebte Elfe verschwunden war. Bestürzt sahen seine Drachenfreunde, wie Wilfried von einem Moment zum anderen schlohweiße Haare bekam, aus Kummer über die entführte Sunayi. Vertas trat an seine Seite und schnaubte leise, um dessen Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Für einen Augenblick lehnte sich Wilfried an seinen Freund, dann straffte sich sein Körper so plötzlich, als ob er von einer Tarantel gestochen wäre. „Oh nein,“ rief Wilfried kämpferisch, „das lasse ich nicht zu! Vertas mein Treuer, hol bitte Hilfe aus dem Drachenreich. Ich folge Sunayi mit Zantor, ich werde meine geliebte Elfe wieder zurückholen!“ Eilig machten sich alle auf den Weg, Zantor versuchte, mit seinem ausgezeichneten Geruchssinn den Weg zu finden, den Schantan genommen hatte. Da, nach einigem erfolglosen Suchen, hatte er sie gefunden und voller Freude schnupperte er immer wieder in die Nachtluft um die Spur nur ja nicht zu verlieren. Sie kamen zügig voran und Wilfried hoffte, daß Vertas Hilfe aus dem Drachenreich holen konnte. Ob Arano Verständnis für seine Not aufbringen konnte? Und wie stand es mit dem Überfall auf die Schatzkammer, hoffentlich war alles an seinem Platz. War überhaupt die Zeit vorhanden, um sich Hilfe erwarten zu können? Mit seinen Gedanken beschäftigt und ganz still, um Zantor bei seiner Suche nicht zu irritieren, brachten sie eine Meile um die andere hinter sich. Schon begann es zu dämmern, das Dunkel der Nacht wurde von den ersten zaghaften aber immer stärker werdenden Sonnenstrahlen verschlungen und ein strahlend schöner Tag brach an. Langsam erschien die rotglühende Sonne im Osten, so, als ob sie ihnen den Weg zu Sunayi weisen würde, denn genau in diese Richtung führte die Spur. Während Wilfried´s Herz vor Kummer schwer war, traf sich tief im Wald ein Reh mit einem mächtigen Vogel, dessen Gefieder mit den Sonnenstrahlen um die Wette glänzte. Es war Bajan, der Sonnenadler, um dessen Hilfe Fibi, das Reh, gebeten hatte. Fibi war nicht irgendein Reh aus dem Wald, nein, es war die treueste Gehilfin von Manchu, der Göttin aller Tiere und lag damals Seite an Seite mit Sunayi, der kleinen Baumelfe, um sie zu wärmen. So kam es, daß der Erretter von Thargird, dem Kupferdrachen aus Andalar, der Welt zwischen der Menschenwelt und der Anderswelt, hier mit der schlauen Fibi zusammenkam, um Sunayi zur Flucht zu verhelfen. Mit vor Sorge dunkel glänzenden Augen sah Fibi Bajan hinterher, der mit gewaltigen Schlägen seiner über vier Meter breiten Schwingen mitten in die Sonne zu fliegen schien. Fibi hatte die zarte Baumelfe sehr lieb gewonnen und bangte nun mit Wilfried und den Drachen, daß ihr nichts Böses wiederfahren möge.
Majestätisch glitt Bajan in raschem Flug dahin. Sein Gefieder schien mit den immer stärker werdenden Sonnenstrahlen zu verschmelzen, denn auch er flog instinktiv in die Richtung der aufgehenden Sonne. Seinen scharfen Augen entging nichts und der Abstand zwischen ihm und Schantan wurde immer geringer. Die Flügelschläge des Drachen wurden nun immer langsamer, er spürte, wie seine Kräfte rasch nachließen. Er benötigte einen Ruheplatz, der ihn vor seinen Verfolgern zuverlässig schützte. Schantan flog jetzt sehr tief und berührte mit seinen Flügelspitzen fast den Boden. Da, endlich, es kam dem Drachen so vor, als wären bereits Jahrhunderte vergangen, als er eine geeignete Stelle ausmachen konnte. In einer Talmulde umgeben von dichtem Dornengestrüpp, gerade groß genug für ihn, fand er Schutz. An der hinteren Seite war ein dicht bewaldeter, steil bergan steigender Hügel. Seine grünbraunen Schuppen boten ihm eine hervorragende Deckung. Der mächtige Drache hieß die Elfe von seinem Rücken zu klettern und erst da bemerkte er, daß sie beinahe erfroren war. Der stundenlange, eisige Wind in großer Höhe hatte sie beinahe das Leben gekostet. Betroffen nahm er all seine Kräfte zusammen und heilte Sunayi mit einem uralten Zauberspruch der Drachen. Gleichzeitig belegte er sie mit einem Bann, der ihr eine Flucht unmöglich machte, danach fiel er vor Erschöpfung in tiefen Schlaf.
Auch Arano folgte mit einem treuen Diener Schantan und der entführten Sunayi. Vertas war ihnen schon vorausgeeilt, nachdem er ihnen erzählt hatte, in welche Richtung dieser geflohen war. Arano wußte noch nicht, daß sich sein einziger Sohn dem Menschen angeschlossen hatte. Schwer lastete dieses Wissen auf Vertas, dennoch wußte er, daß er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Seine tiefe Liebe zu Wilfried und nun auch Sunayi ließen ihn nicht müde werden. Der beinahe kleine Drache mit seinem orange-grauen Schuppenkleid war der schnellste und wendigste Flieger im Drachenreich. Auffällig an ihm waren seine Pranken, die mit langen, blutroten und messerscharfen Krallen bewehrt waren. Wehe dem, der mit diesen Waffen in Berührung kam. Mühelos folgte er seinem Menschenfreund Wilfried. Zantor konnte der immer stärker werdenden Spur Schantans ohne Probleme folgen, war aber auch bald am Ende seiner Kräfte angelangt. Wilfried spürte, wie die Flügelschläge seines Freundes immer matter wurden und bat ihn, zu landen. Sobald der Drache den Boden berührte und still stand, glitt Wilfried von seinem Rücken. Müde legte der riesige Drache seinen mächtigen Kopf mit den lustigen Pinselohren auf seine Vorderpranken. Zantor war sehr bunt gezeichnet und hatte, gut verborgen an der Innenseite der Pranken, einige türkisfarbene Schuppen. Sein Schwanz war nicht zackenbewehrt wie bei den anderen, sondern war mit unzähligen, dolchähnlichen Spitzen besetzt.
Eine für den Feind absolut tödliche Waffe, die der gutmütige Drache jedoch noch nie einsetzen mußte. Wilfrieds Körper fühlte sich wie ein einziger Eisklumpen an, obwohl er durch seine Kleidung doch besser vor der Kälte geschützt war. Er legte sich neben dem bereits erschöpft eingeschlafenen Drachen ins Gras und ließ sich von den kräftigen Sonnenstrahlen wärmen. Ob seine kleine Elfe wohlauf war? Wehmütig dachte der junge Mann an das zarte Wesen, dessen Herz ihn damals im Sturm erobert hatte. Noch nie hatte er für jemanden so empfunden wie für Sunayi. Seine Gedanken kreisten in tiefer und unerschütterlicher Liebe ständig um sie. Nur wenige Meilen entfernt schreckte Sunayi aus ihrem unruhigen Schlaf auf. Sie blinzelte durch das Baumlaub in die hoch über ihr stehende Sonne, es mußte mittag sein. Das konnte sie ja nicht geweckt haben! Sie fühlte sich seltsam berührt und getröstet, hatte plötzlich keine Angst mehr und wußte mit einem Mal, daß alles hier bald ein Ende finden würde. Ihre tiefe Liebe zu Wilfried hatte dessen Gedanken aufgefangen. Auch die Elfe verfügte über magische Kräfte aber gegen den mächtigen Bann des Drachen kam sie nicht an. Rasch drehte sie sich um und sah auf den noch immer tief schlafenden Drachen. Obwohl dieser nicht gerade zimperlich mit ihr umgesprungen war, bemerkte sie dennoch die Sorge um ihr Wohlbefinden. Was war diesem wunderschönen Drachen bloß widerfahren, daß er ihr nicht einmal in seinem großen Zorn etwas antun konnte. So, als ob er die Blicke Sunayis gespürt hätte, erwachte der Drache und fragte ruhig: „Was siehst du mich so an, kleine Elfe?“ Spontan faßte sie Vertrauen zu Schantan: „Ich fühle tiefen Kummer in deinem Herzen, darf ich fragen, warum?“ Ein tiefer Seufzer des Drachen erschütterte die zarte Baumelfe. „Das ist eine lange und traurige Geschichte, willst du sie wirklich hören?“ erwiderte der nun gar nicht mehr böse wirkende Schantan. Stumm nickte Sunayi, und er begann zu erzählen. Über seine Eltern und Geschwister, das Tal in dem sie lebten, seine glückliche Kindheit und dem Tag, als er seine große Liebe traf. Eine wunderschöne Drachin aus der Welt Andalar, gemeinsam wollten sie sich ein eigenes Revier suchen. Es sollte groß und schön sein, weit weg von den anderen Drachenrevieren, von denen es so einige gab, um nur ja keine Streitigkeiten herauf zu beschwören. Ihre weite Reise führte sie auch über ein von Menschen bewohntes Gebiet, die ihnen nicht gerade wohlgesonnen waren. Um sich in keine Gefahr zu begeben, flogen Schantan und seine Gefährtin nur nachts und in großer Höhe. Doch das Schicksal wollte es, daß ein Mann, dessen Tochter von einem hinterlistigen Drachenhelfer Morgans wenige Tage zuvor entführt worden war und allen Drachen blutige Rache schwor, durch die Gegend zog. Rast- und ruhelos durchstreifte er ein Tal um das andere und traf dabei die Drachin, die völlig erschöpft in tiefen Schlaf gesunken war. In ohnmächtigem Zorn bohrte ihr der kräftige Mann seine Lanze mitten ins Herz, sie war auf der Stelle tot. Als Schantan von der Nahrungssuche mit fetter Beute zurückkam, fand er seine Gefährtin Rinji in ihrem eigenem Blut. In tiefem Kummer verwünschte er die Menschen und war von da an ebenso heimtückisch, wie seine Rinji ermordet wurde. Er versetzte die Menschen und auch seinesgleichen in Angst und Schrecken und wurde von allen gefürchtet. „Oh ihr verbitterten Drachen und Menschen, immer sind es die Anderen, die Leid über euresgleichen bringen. Der Drache der Feind des Menschen, der Mensch der Feind des Drachen. Sehr ihr denn nicht, daß immer Unschuldige für die Taten der Anderen büßen mussen!“ fuhr Sunayi heftig auf. „Schließt Frieden in eurem Herzen, um eurer selbst Willen, denn sonst findet dieser Schrecken nie ein Ende und euer Herz lebt weiter in Dunkelheit“ bat flehend die Elfe. Tief berührt über die weisen Worte Sunayis senkte Schantan seinen mächtigen Kopf. Was war nur aus ihm geworden? Er, dessen Liebe und Güte Rinji damals so beindruckten, wurde ein gänzlich Anderer, seine Werte hinweggefegt von Zorn und Verzweiflung. Er wußte, was Sunayi jetzt fühlte, getrennt von ihrem Liebsten. Wollte er wirklich, daß sie seine Qualen durchleiden mußte? Beschämt löste er den Bann. „Kleine Elfe, du sollst frei sein und gehen, wohin immer du möchtest. Berichte deinen Freunden, daß sie nichts mehr vor mir zu befürchten haben, ich war durch meinen Kummer wie geblendet. Ich verspreche dir, das soll ab jetzt aufhören und ich wende mich ab von Morgan, dessen Schreckenstaten ich bisher unterstützt habe. Aber wisse, ich habe aus dem Drachenreich ein unersetzlich kostbares Buch gestohlen und es an einen treuen Freund von Morgan übergeben. Damit will er alle Drachen vernichten, denn dann stünde seiner Herrschaft niemand mehr im Wege. Ich werde den Drachen ihr Buch zurückbringen, das verspreche ich dir.“ Dann erhob er sich in die Lüfte und mit einem gewaltigen Feuerhauch machte er den Weg für Sunayi frei. „Leb wohl, kluge Elfe“ rief er ihr noch zu, dann war er mit einigen gewaltigen Flügelschlägen hoch Himmel und wurde immer kleiner. Doch was war das?
Ein riesiger Vogel stürzte sich auf Schantan und verletzte ihn mit seinen Klauen schwer auf dem rechten Flügel. Der Drache kam ins trudeln und schien zu stürzen, doch knapp bevor er auf dem Boden aufschlug, konnte er sich noch retten. Wieder wurde er von dem wütend kreischenden Vogel angegriffen und mußte eine tiefe Wunde nahe an seinen Augen hinnehmen. Fliehen konnte der Drache nicht, dazu war der Vogel viel zu schnell. Behende wandte Bajan sich dem stark blutenden Drachen zu und bereitete sich gerade auf einen neuen Angriff vor, als er die glockenhelle Stimme der Elfe wahrnahm. „Nein, bitte laß ab von ihm, er ist nicht mehr böse, denn er hat mich freigelassen!, rief Sunayi bittend. Der Sonnenadler
hielt kurz inne, bereit, jederzeit wieder anzugreifen. Müde sah Schantan den herrlichen Vogel an und sagte: „Es ist wahr, ich habe mich dem Bösen abgewandt, die kleine Elfe kann es dir erklären. Bitte laß mich ziehen ,ich muß mein Unrecht wieder gut machen.“ Bajan sah zu Sunayi, die dazu nur nickte. Die stark blutende Wunde über den Augen machte den Drachen beinahe blind, aber er wandte sich wieder seiner neuen Aufgabe zu und flog rasch davon. Da schoß wie aus dem Nichts Vertas heran, stürzte sich ebenfalls auf Schantan und riß ihm mit seinen Klauen tiefe Wunden in den Rücken. Vor Schmerz brüllte der Drache furchterregend auf, was der nun ebenfalls erschienene Zantor mit Wilfried auf dem Rücken als Angriff Schantans deutete. Rasch spie er einen glühenden Feuerhauch vor dem Feind aus, dem der geschwächte Drache nicht mehr ausweichen konnte.
In rasendem Fall stürzte Schantan, er konnte nur mehr die Flügel ausbreiten um das Schlimmste zu verhindern als er hart auf dem Boden aufschlug. Benommen blieb er liegen, die Elfe war als erste bei ihm. Staunend sahen Wilfried, die Drachen und der Adler den beiden zu und konnten es nicht fassen. Sunayi berührte sanft den geschundenen und aus zahlreichen Wunden blutenden Drachen. Sie sprach leise auf ihn ein, murmelte unverständliche Worte und hatte sich scheinbar in die Gedankenwelt Schantans begeben. Wilfried war zu Sunayi getreten und hörte still zu. Erst wollte er die Elfe berühren, dann hielt er aber mitten in der Bewegung inne und ließ sie gewähren. Heftig schüttelte diese den Kopf und rief laut: “Nein, das kannst du nicht tun, du hast mir etwas versprochen!“ Nach wenigen Minuten aber streckte sich der Körper Schantans, aus dem gerade das Leben wich. Sunayi war sekundenlang wie erstarrt, dann drehte sie sich langsam um. Tieftraurig sah sie Wilfried an, der sie ohne Worte umarmte und ihr so Trost spendete. Auch wenn er das Geschehene noch nicht begriff, jetzt brauchte ihn seine kleine Elfe und er war für sie da. Müde lehnte sich Sunayi an ihn und genoß das Gefühl des Trostes und der Geborgenheit. Dann aber strafften sich ihre Schultern, sie löste sich aus der Umarmung und erzählte allen, was vorgefallen war. Mittlerweile waren auch Arano und sein Begleiter eingetroffen, sie hatten Schantan sterben und fassungslos das Verhalten Sunayis gesehen. Betroffen hörten sie zu, Bajan, Vertas und Zantor aber fühlten sich schrecklich. Sie hatten dem vermeintlichen Feind den Tod gebracht, gerade als er sich wieder dem Guten zuwenden wollte. Und was war mit dem Buch, es war verloren und mit ihm das Drachenreich! Tiefe Stille lastete unheilvoll über der sonderbaren Gruppe und wieder war es Sunayi, die den anderen Hoffnung machte. „Schantan war zu müde um weiter zu kämpfen, er hatte keine Kraft mehr und hat sich aufgegeben. Sein Herz war voller Trauer über seine Gefährtin und er wollte zu ihr in das Reich des Todes. Aber bevor er ging, hat er mir den Namen des Freundes verraten, dem er das Buch gab. Es ist ein Fabelwesen, böse und hinterlistig mit einem furchterregenden Aussehen. Sein Name ist Kaar und er ist die rechte Hand Morgans.“ Die Drachen, der Sonnenadler, der Mensch und die Elfe schmiedeten nun einen Plan. Arano und sein Gefährte würden zurück zum Drachenreich fliegen, es brauchte seinen Anführer dringend. Vertas und Zantor aber würden mit Bajan, Wilfried und Sunayi versuchen, das Buch zurückzuholen. Es war ein gefährliches Unternehmen und sie setzten alle ihr Leben aufs Spiel. Aber nur so war es möglich, das Drachenreich und die Welten zu retten. Bevor sie sich trennten, stellten sich alle in einem Kreis zusammen und riefen die Götter an, um sie um ihren Schutz zu bitten.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
also,

das nette werk könnte ein paar absätze mehr gebrauchen. stärkere gliederung erhöht das lesevergnügen.
es bricht ziemlich abrupt ab. kommt da noch ne fortsetzung?
fragend guckt
 

rufus

Mitglied
Ja, da hast du recht. Irgendwie ist mir da beim kopieren am späten Abend etwas durcheinander geraten. Also werde ich die Absätze noch einmal überarbeiten.
Im Moment gibt es noch keine Fortsetzung, was aber nicht heißt, dass nicht noch eine folgen kann. Eigentlich ist die Geschichte entstanden um den Hauptpersonen eines entstehenden größeren Werkes etwas Hintergrund zu verschaffen. Im speziellen geht es dabei dann um die Enkelin von Wilfried und Sunayi. Aber ich denke, sie wird noch einiges über ihre Großeltern und deren Suche erfahren.
 



 
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