Anfang und Ende

Rainer Heiß

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Anfang und Ende

Anfang

Das verlängerte Wochenende kam wie gerufen. Wieder hatte er es nicht geschaftt, an Weihnachten zu seinen Eltern zu kommen, wieder warteten sie vergeblich, saßen um den Christbaum, tauschten Geschenke, erzählten von diesem und jenem Erlebnis, das das Jahr ihnen gebracht hatte, mit mildem Abstand und aßen selbst Gebackenes. Mutter sah manchmal auf die Uhr, seufzte ein wenig, doch sie bemühte sich, sich nichts anmerken zu lassen. Innerlich war sie froh, dass er es geschafft hatte.
Lange Jahre hatte er sich geweigert, ein geregeltes Leben zu führen, einen Beruf auszuüben, einfach normal zu sein. Mittlerweile konnte er selbst kaum noch glauben, was für ein Dasein er sich und seinen Mitmenschen einst zugemutet hatte, doch es lag lange zurück. Die Pflichten hatten ihn und seine Zeit im Griff, auch jetzt an Weihnachten.
Umso erfreuter war sie, als er sich für das Heilig-Drei-Königs-Wochenende angekündigt hatte. Emsig traf sie die Vorbereitungen, die Kinder immer wieder nach Hause kommen lassen. Sie kaufte gutes Essen, frischte die Dekoration am Baum auf und bereitete ihm sein Bett vor, das sonst einigen namenlosen Stofftieren gehörte, damit es nicht ganz so leer dastand. Mütter wissen, wie sie ihre Kinder umsorgen müssen. Er kam selten, die Stadt, in der er jetzt lebte, war doch ein gutes Stück von seiner kleinen Heimat entfernt, seine Freunde von früher lebten hier nicht mehr, zu den wenigen, die aus der wilden Zeit noch übrig waren, hatte er keinen Kontakt mehr.
Er hatte es eher geschafft, sich von seinen Verpflichtungen loszumachen, als er gedacht hatte, sodass er noch Gelegenheit hatte, vor dem gemeinsamen Mittagessen mit seinen Eltern und der Oma, die nie über den tragischen Verlust vor ein paar Jahren hinweggekommen war, seine alte Heimat zu erkunden, so dachte er während der Heimfahrt. Im Lauf der Jahre seit er seine Geburtsstadt verlassen hatte, waren immer neue Wohn- und Gewerbeviertel errichtet worden, von denen er nichts wusste. Nur die Wälder und Wiesen, Flüsse und Seen waren stets die gleichen geblieben. Unbeschwerte Jugend hatten sie ihm geschenkt, und so oft er heim kam, nutzte er die Gelegenheit, sich in der einsamen Natur in die Vergangenheit zu versenken und so Kraft zu tanken, die kein Fitness-Studio und kein Meditationskurs je würden anbieten können. Das sanfte Hügelland, das gelegentlich von Flüssen durchschnitten wurde, die endlosen Fichtenwälder, die hier seit Anbeginn ihren Platz einnahmen, idyllische kleine Seen, der klare Blick in die Berge, die freie Luft, die saftig-grünen Wiesen, sie alle bargen uralte mystische Kräfte in sich, die Stadtmenschen nie begreifen werden. Und auch wenn er inzwischen längst ein Städter geworden war, wusste er um diese naturmagischen, unerklärlichen Kräfte und sog sie bewusst in sich auf.
Wie im Flug näherte er sich der Freiheit, die Landschaft wurde offener und heller, die Sonne arbeitete sich durch die Wolken, der Schnee hatte die Felder tief bedeckt und glitzerte unwirklich. Im Auto war es angenehm warm, beinahe glich seine Fahrt einer Urlaubsreise, obwohl es draußen klirrend kalt war. Er trug seine Sonnenbrille, hörte gedämpft Radio und lenkte das Auto ohne Hektik über die immer kurvenreichere Strecke in Richtung der Heimat in der Nähe der Berge. Der Verkehr ließ nach, beinahe allein fuhr er dahin, seltener wurden die Städte, die zu passieren waren, immer offener wurde das Gelände, als würde es sich dem Himmel entgegen heben, da es hier kaum, von Menschenwerk beschwert, nieder gehalten wurde. Der Horizont blendete grell weiß, darüber unwirklich intensives Blau, wie es nur klare Luft zuließ.
So waren die Gedanken an die vergangenen Monate, gefüllt mit schlaflosen Nächten und arbeitsamen Tagen, bald wie aus einem anderen Leben, sie alle zählten hier nicht mehr. Und wenn er daheim seinen Eltern davon erzählte, kam er sich manchmal vor wie ein Lügner und sie merkten es, schüttelten ungläubig die Köpfe und beugten sich wortlos über ihre Essteller. So fremd und abwegig war das Leben, das er inzwischen führte, hier draußen, dass es wie eine Lüge klang. Hier würde die Zeit noch lange stehen bleiben, die Entfernung zur nächsten Stadt, von wo aus sich das moderne, oberflächlichere Leben wie eine Hautkrankheit über die Erdoberfläche ausbreitete, war weit, lange würde hier niemand so leben müssen wie er schon heute.
Irgendwann hatte er die Notwendigkeit erkannt, sich in den Dienst einer Sache zu stellen, und er machte seine Sache gut. Auch wenn seine Arbeitszeugnisse inzwischen gut ausfielen, so wies doch sein Lebenslauf einige Ungereimtheiten und ungewöhnliche Längen auf, sodass er anfangs stets beargwöhnt wurde, wenn er neu in der Firma und nur auf dem Papier bekannt war. Doch seine pflichtbewusste Einstellung und seine ruhige Art nahmen schnell den Druck aus der Situation, die entsteht, wenn neue Mitarbeiter eingestellt werden, die neugierige Spannung, gelegentlicher Neid und selten auch anfängliche Ablehnung wichen stets bald einer freundlichen Kollegialität. So auch in seiner aktuellen Stelle, wo er durch enormen Arbeitseinsatz und eine Hilfsbereitschaft, die in der Stadt nicht selbstverständlich war, seine Einstellung rechtfertigte.
Nie hatte er oberste Positionen angestrebt, ein sorgenfreies und bescheidenes Auskommen war sein erklärtes Ziel, und das schien er endlich erreicht zu haben. Doch der Arbeitsaufwand war hoch, so dass sich kaum Gelegenheit zu Entspannung und Muße bot, umso willkommener jetzt der Abstecher in die klare Einsamkeit der Natur, Geborgenheit in freien Wäldern, Wärme am elterlichen Ofen, bei versunkenen Gesprächen, wenn erst das Eis gebrochen war und er losgelöst von seiner Arbeit und seinem Alltag berichten konnte. Es dauerte immer eine Weile, bis die unsichtbare Schwelle überwunden war und das vertrauensvolle Verhältnis zwischen Eltern und Sohn die Stunden im Flug verstreichen ließ.
Er war versucht, die Augen zu schließen und das Gesicht genüsslich in die winterliche Januarsonne zu halten, bewusst Energie tankend, während er sanfte, hügelige Felder passierte, einzelne knollige Bäume standen neben der Straße, aus Zeiten, als hier noch Kutschen gefahren waren, als die Bevölkerung noch fast ausschließlich aus Bauern und einfachen Handwerkern bestanden hatte. Wie muss das Leben gewesen sein, vor hundert, vor zweihundert Jahren? Und das Land, das Leben hatte sich hier kaum gewandelt, wie unter einer Glasglocke war alles still und schlicht geblieben, ruhig und beschaulich.
Es war noch Vormittag, und er überlegte, wie er die Stunden bis zum gemeinsamen Mittagessen überbrücken würde. Während der allgemeinen Vorbereitungen ging er im Weg um, niemand hatte ein offenes Ohr für die Berichte, die aus ihm heraus sprudeln wollten, das musste er einsehen. Oft hatte er sich indigniert beschwert, dass er nur einmal im Jahr oder seltener den Weg zu ihnen fand und dann keiner Zeit und Interesse hätte, ihm zuzuhören. Inzwischen hatte er sich daran gewöhnt, dass zur Kochenszeit andere Prioritäten Vorrang hatten, zuerst musste der Haushalt in Ordnung gebracht und das ausgiebige Essen zubereitet werden, dann, wenn abgespült war, würde er sich ihrem Spaziergang anschließen und anfangen, ihnen von der Stadt und seinem Leben dort zu erzählen.
Hatte er diesen Rhythmus, den sie auch bei seiner Anwesenheit nicht umstellten, einmal akzeptiert, war es ihm selbst angenehm, denn so blieben die Vormittagsstunden für eigene Unternehmungen. Und auch wenn er von seinem stressigen Alltag ermattet war, so frischte doch die Sonne seine Lebensgeister wieder auf und die verschneite Natur lud ihn zu sich ein, in ihr verloren zu gehen und alles ringsum zu vergessen.
Die vergletscherten Berge rückten näher, die Außentemperatur sank weiter, da er auf seiner Fahrt eine beträchtliche Meereshöhe erreicht hatte. Der Dampf, der von den Feldern aufstieg, verdichtete sich und bedeckte die Sonne, doch es war immer noch gleißend hell, die Schneekristalle blendeten unwirklich und ein leichter Dunstschleier verteilte das Sonnenlicht über die Felder und Wälder, alles war wundersam illuminiert.
Er legte eine alte Pink-Floyd-Cassette ein, die er früher häufig angehört hatte, um naturmagische Eindrücke zu intensivieren, und auch heute verzauberten ihn die im klirrenden Frost glitzernde Landschaft und die träge psychedelische Musik. Geräuschlos glitt er durch den Tagtraum und hatte seine emotionale Bindung zu den eben noch lebendigen Erinnerungen an den gestrigen Tag abgeschüttelt, Bilder waren sie nur mehr, nicht Belastung. Ein anderes Leben hatte er hinter sich gelassen, doch die Bilder drangen durch die Entfernung zu ihm und ließen ihn nicht los, so schnell und einfach ist das nicht. Damit er heute so früh hatte losfahren können, musste wieder einmal die Nacht herhalten, einsame Nächte am PC, davor hatte er sich lange gesträubt, nun waren sie Normalität, und es belastete ihn nicht im Moment, nur im Rückblick, mit freiem Kopf, hier draußen, kam es ihm fremd vor, wie er sein Leben verbrachte. Doch er wehrte sich nicht dagegen und übernahm seine Pflichten mit Gelassenheit, auch sein Blick zurück war alles andere als zornig oder vorwurfsvoll, es war nun einmal so, ließ sich nicht ändern, und schließlich wurde er damit fertig, ohne sich gänzlich aufzugeben. Immerhin hatte er ja auch die Jahre des Müßiggangs hinausgezögert, während andere - machten sich andere auch diese Gedanken, oder lebten sie einfach so vor sich hin? - während also andere längst selbst Familienpflichten auf den Schultern trugen, von denen er noch meilenweit entfernt schien, und das fand er gut so.
Er nahm die Ausfahrt von der Umgehungsstraße, die seine Heimatgemeinde vom Durchgangsverkehr und ein bisschen auch vom Kontakt mit der Außenwelt befreit hatte, nahm die Wege seiner Jugend, steuerte das Haus seiner Eltern an, parkte den Wagen in der Garageneinfahrt, packte seine Tasche und betrat das Grundstück. Als er herangefahren war, hatte er gesehen, wie sich im ersten Stock ein Vorhang bewegt hatte und so musste er auch nicht erst läuten, man hatte ihn, obwohl weit vor seiner Zeit, bereits erwartet, die Oma hatte sich eingeladen, um ihren Enkel zu sehen und zu drücken. War ihm das einmal lästig gewesen, so drückte er sie heute herzlich und fest, und sie tauschten schnell erste Worte aus. Mit ihr hatte er sich stets gut verstanden, eine einfache und ehrliche Frau war sie. Nun aber war auch sie nicht mehr von verschiedenen Aufgaben entbunden, nur ihrer Nervosität wegen hatten seine Eltern es ihr gestattet, am Fenster im ersten Stock auf die Heimkunft ihres Enkels zu warten, nun musste sie in der Küche helfen, und nun tat sie es gerne.
Er begrüßte seine Lieben, brachte seine Tasche in das Zimmer, das sie liebevoll für ihn vorbereitet hatten, wechselte ein paar höfliche Worte mit der Familie und machte sich dann daran, in die Natur aufzubrechen.
Nur wenige Kilometer entfernt hatte sich ein Fluss durch die hügelige Landschaft gewaschen, in Jahrtausenden, ganz für sich allein. Zur Stromversorgung war eine Talsperre errichtet worden, sodass sich jetzt ganz in ihrer Nähe ein großer, zugefrorener See befand. Zwar hatte er lange Zeit keinen Schlittschuh mehr an den Füßen getragen, aber umso reifer man wird, umso eher findet man wieder Gefallen an den Kleinigkeiten, und so zog er sich rasch um, packte seine alten Schlittschuhe und machte sich auf den Weg. Seine Mutter rief ihm noch nach, er solle pünktlich zum Essen sein, aber das war inzwischen auch eine Selbstverständlichkeit, auch wenn er jetzt seinem Flusstal engegen fieberte.
Ende

Vor ihm lag ruhig und einsam der See. Er schmiegte sich an die bewaldeten Hänge des gewundenen Tals. Vor Jahrtausenden hatte sich der breite Gebirgsfluss seinen Weg durch den bis heute unveränderten Fichtenwald gegraben, geräuschlos, da das Gelände hier insgesamt bereits ebener war. Einige Kilometer flussabwärts war er mittlerweile aufgestaut worden, dort war im Sommer auch ein Badestrand für die wenigen Einheimischen, jetzt im Winter war er zugefroren und matt. Am Ufer hatten sich mehrere dicke Schichten Eis aufgeworfen, wo er sich hinsetzen konnte, um seine Schlittschuhe anzuziehen. Sorgfältig schnürte er die Stiefel, die er bei seinen Eltern aus dem Keller geholt hatte, wo sie noch gelegen hatten, wie er sie vor vielen Jahren deponiert hatte.
Das letzte Jahr war sehr arbeitsam gewesen, nur selten fand er noch den Weg in seine alte Heimat, um seine Eltern zu treffen. Früher war er hier, flussaufwärts, oft mit Freunden beim Baden gewesen. Heute war er allein da, er brauchte die Einsamkeit. Der Alltag verlangte seinen Zoll, Entspannung, und hier sollte er sie finden, ein idealer Platz.
Er hatte sich dick eingemummt und wagte sich nur vorsichtig aufs Eis, er war kein guter Schlittschuhläufer. Mit den Händen auf eine aufgeworfene Eisscholle gestützt stand er auf und hatte zunächst ziemliche Probleme mit dem Gleichgewicht, doch es ging. Zwei einsame Krähen überquerten den Taleinschnitt und untermalten die Szenerie mit ihren langen dunklen Krah-Lauten. Gelegentlich ein Knacken im Wald, die Kälte arbeitete im Holz. Die Sonne selbst war nicht zu sehen, eine dünne Bewölkung streute das Licht und reduzierte es gerade so, dass man die Augen nicht mehr zusammenkneifen musste. Die Oberfläche des Sees war mit einem feinen Schneefilm bedeckt, nur an manchen Stellen hatte der Wind das Eis freigeweht, sodass man die schwarze Tiefe darunter ahnen konnte.
Mit der Zeit wurden seine Bewegungen sicherer und begannen sich zu automatisieren, sodass er sich der Umgebung intensiver zuwenden konnte. Alles, was er jetzt noch hörte, waren seine Kufen, die über das Eis kratzten und das unheimliche Gurgeln, das er auf dem Eis verursachte. Weit über die Fläche ein Knacken, das Eis war an dieser Stelle, weiter flussaufwärts, vor einigen Tagen, während einer kurzen Erwärmung, die nur einen Nachmittag lang gehalten hatte, quer über den See gesprungen, sodass es auch jetzt noch arbeitete, obwohl beinahe auf der ganzen Breite wieder zusammengeschweist, als er in die Nähe kam, die Stelle überquerte und hinter sich ließ. Nur noch das monotone Aufsetzen der Kufen auf dem Eis, das inzwischen raumgreifende Dahingleiten und sein Atem, in der Ferne der ächzende Wald, gelegentliche Krähen. Schwer und kalt hing der Schnee in den dunklen, dicken Zweigen, vor ihm nur der breit und majestätisch gewundene See.
Bei diesen extremen Frostverhältnissen, die die letzten Tage geherrscht hatten, reichte die Eisdecke viele Kilometer flussaufwärts, wo im Sommer noch deutlich die Strömung spürbar war, obwohl der See hier eine Breite von einigen hundert Metern erreichte. Langsam verjüngte sich der Taleinschnitt und die hohen alten Fichten breiteten ihre Schatten unkonturiert über die ebene Fläche.
Der Abstand zum Alltag war endlich wieder einmal hergestellt, die letzten Monate hatte er kaum noch Gelegenheit dazu gefunden. Er hatte eine Stelle in der Stadt angenommen, mit der er zufrieden sein konnte. Er hatte keine großen Ansprüche gestellt, solange er nur ohne dauernde Kontrolle arbeiten durfte. Er hatte es so arrangiert, dass er lediglich seine Ergebnisse vorzulegen hatte, wie und wann er diese anfertigte, war ihm nach einigen Wochen bereits selbst überlassen worden, soweit hatte er es sich eingerichtet. Dafür hatte er gute Arbeit abzuliefern, das war selbstverständlich. Nie hatten sie es ausgesprochen, doch es war allen Beteiligten klar: Das war die Bedingung für die Freiheiten, die sie ihm gewährten. Doch er war nicht der Typ mit Stempelkartenmentalität, der seinen Job nach Arbeitsstunden verrichtet und nicht nach dem Leistungsprinzip, Aufgaben waren für ihn eine Herausforderung, die er gerne annahm. Diese letzte Runde war erneut an ihn gegangen. Er brauchte das nicht an die große Glocke zu hängen, es war registriert worden, dass er ein fähiger Mann war, und die mit kleinen Gesten und beiläufigen Worten gewährten Freiheiten zeigten ihm dies. Wichtig war ihm, dass er selbst mit sich zufrieden war, mit seiner Leistung. Lange Zeit hatte er sich geweigert, sich nach seiner Leistung messen zu lassen und sich selbst daran zu messen, doch diese Einstellung hatte er inzwischen weit hinter sich gelassen. Fleiß und persönlicher Einsatz, das waren die Eckpfeiler seiner Lebensführung, und die nötige Kreativität war sein Antrieb und seine Lust. Ganz selten, wenn er nachts zuhause vor seinem 19-Zoll-Bildschirm saß und die Schrift vor seinen roten Augen verschwamm, nur dann, und auch nicht immer, erinnerte er sich des früheren Müßiggangs, gelegentlich auch ein bisschen wehmütig. Er war ein ruhiger Mensch, der mit sich im Reinen war, ein wenig melancholisch, obwohl er selbst nicht genau wusste, wie er diese traurige Grundstimmung einstufen sollte, da er bei sich seinen stillen Gefallen daran gefunden hatte. Ein leises und nach innen gekehrtes Leben führte er, pflegte telefonisch alte Bekanntschaften eher sporadisch, las viel und erledigte seine Arbeit.
Die Natur gab ihm nach und nach die Energie zurück, die er verbraucht hatte. "Stress muss ja nicht negativ sein", hatte ein Personalchef einmal zu ihm gesagt, vor vielen Jahren, als er dort als Lagerarbeiter eine Aushilfsstelle angenommen hatte. Und er hatte sich diesen Satz gemerkt, über all die Jahre, und irgendwann hatte er registriert, dass Einiges an Wahrheit darin lag. Einsatz, Koordination, Kreativität, das alles war deutlich abzulesen am Ergebnis. Letztlich war nur entscheidend, woher der Antrieb kommt, Herr der Lage musste man bleiben. Er hatte seine Möglichkeiten erweitert, da er immer wieder die Grenzen auslotete und neu festlegte.
Nachdenklich war er losgelaufen, inzwischen tankte er Kraft mit jeder weiteren Flussbiegung, die er hinter sich ließ, ruhiger und immer gleichmäßiger wurden seine Schwünge, er konzentrierte sich auf seinen Atem und vergaß alles andere dabei. Das Auge sammelte Impressionen, Bilder voller Stolz, Natur, strotzend und stark, ursprünglich. Unter ihm die schwarzgrüne Tiefe, die Uferhänge dicht bewaldet, namenlose, dunkle, hohe Fichten, seit Ewigkeiten. Sie standen hier und es war gleichgültig, ob je jemand von ihnen Notiz genommen hatte oder nicht. Es war ihr Platz und es würde ihrer bleiben, mit Sicherheit. Der Himmel war mittlerweile so verhangen, dass man nicht mehr ausmachen konnte, wo die Sonne stand, und doch war es hell, der Schnee, der alles tief bedeckt hatte, reflektierte das Tageslicht. Die Fläche, auf der er dahinglitt, war fleckig, teils in dunklem, schattigen Weiß, teils undefinierbar grünlich, wo vom Wind der Schneefilm weggeweht war. Man konnte genau sehen, welchen Weg der Wind nahm, wenn er aus dem Gebirge kam, durch das Tal wehte, um die Hangrücken und Landzungen atmete und dabei die Schneekristalle verwirbelte und in wellenförmigen Mustern wieder absetzte. Immer wieder waren Fährten von Hasen, Füchsen und auch Rehen zu sehen, die nur im Winter die Gelegenheit hatten, den See zu überqueren. Das restliche Jahr waren sie, so sah es von hier unten aus, obwohl sich zu beiden Seiten des Sees endlos die Wälder erstreckten, eingesperrt auf ihrer Seite des Wassers. Jetzt existierte diese natürliche Grenze nicht, das Wild wechselte ohne Verwunderung oder Dankbarkeit über die frostige Ebene.
Das Tal wurde langsam enger und dunkler, umso weiter er kam, da hier das Wasser längst nicht mehr die Tiefe hatte wie flussabwärts, nur wenige Kilometer oberhalb der Talsperre, wo seine Spuren das Eis betraten und bereits vom leichten aber beständigen Wind wieder verwischt wurden. Dort war vom eigentlichen Einschnitt, den das Wasser über die gesamte Strecke von den Bergen bis hier, ins sanfte Hügelland, herausgewaschen hatte, nur noch wenig zu sehen, der See bildete schon fast eine Ebene mit den flachern Ufern. Auf seinem Weg nach oben waren jedoch nach und nach die Hänge zu seinen Seiten aus dem See herausgewachsen und warfen inzwischen dunkle Schatten auf das Eis und auf ihn, und beschränkten die Aussicht auf schweigsame, verschneite Wälder. Die Hänge rückten näher zusammen und ab und zu ragte ein abgerissener Baumstamm mit einem gewaltigen Wurzelstock aus der gefrorenen Oberfläche und zeigte so, wo eine Kiesbank war, und auch, dass unter dem Eis in der Stille eine starke Strömung herrschen musste. Einige Krähenschreie lenkten seine Blicke nach oben, als plötzlich das Eis knackt, knackt, splittert und bricht. Blitzartig registriert er die Situation und tausend Gedanken schießen ihm im selben Moment durch den Kopf, Instinkt ist es, was in diesen Momenten bestimmend wird, nicht Gedanken. Das Blut schießt heiß durch die Adern, die Augen werden weit aufgerissen, alles automatisch, nichts muss absichtlich getan werden. Gleichzeitig berührt ihn sofort am ganzen Körper das eisige Wasser, komischerweise betrachtet er den Waldrand am Ufer, der so unwirklich farbintensiv wirkt, während er mit dem splitternden Eis und dem Fluss kämpft, als wäre es ein anderer, der da um sein Leben ringt. Viel zu versunken in Gedanken, oder auch viel zu gedankenlos, wer kann das sagen, viel zu weit flussaufwärts hatte er sich begeben, das erkannte er an der Uferstelle. Im Sommer waren sie oft mit Kajaks den Fluss herabgefahren, und hier waren die Wasser noch im Übergang zwischen Fluss und See. Mehrmals kann er sich mit dem Oberkörper flach aufs Eis ziehen, doch jedes Mal bricht es erneut unter seiner Last. Die Kleidung ist so schwer, wie man sich das niemals vorstellen könnte, Kleidung, so schwer, dass sie einen kräftigen, erwachsenen Mann hinabziehen kann. Lautlos ist alles ringsum, die Natur lauscht seinem Kampf, den er tapfer und immer verzweifelter kämpft. Die Kälte steckt ihre Klingen in alle seine Glieder, und die nasse Last am Leib zerrt ihn nach unten, wie ein Ertrinkender, der den Retter ertränkt, ihn soll man wegtreten, die Jacke, die Hose, den Wollpullover, all das kann keiner wegtreten, wie ein schweres, unnützes Körperteil zieht es immer weiter. Arme und Beine werden im Kampf gegen das Schicksal schnell schwächer, die brechenden Eisschollen gönnen ihm keine Ruhepause, seine Füße stecken in vollgelaufenen Schlittschuhen und die Strömung packt ihn. Als er es merkt, krallt er sich mit einem letzten Versuch, in dem sich jetzt für eine Sekunde alles konzentriert, ins Eis, genau spürt er Kraft und Gegenkraft, wie er an den Fingerkuppen hängt, wie der Griff abgleitet, noch steht die Szene still, nicht mehr lange, wie er unter die Oberfläche gezogen wird und nichts mehr hilft. Ein, zwei Schwimmbewegungen macht er noch in Richtung Licht, dort, wo das Eis gebrochen ist, wo er eben noch einige Minuten gekämpft hatte, doch er wird unweigerlich abgetrieben, immer tiefer, rettunglos. Das Gurgeln der Strömung tönt unter dem Eis wie siedendes Wasser, er hört das Poltern der Steine, die ein paar Meter unter ihm über den Grund flussabwärts getrieben werden, flussabwärts wie er.
Plötzlich sah er in der eisigen Dunkelheit ein altes unliebsames Bild vor sich, erinnerte er sich an seinen ehemaligen Ausbilder, den er einst gehasst hatte, wie keinen Menschen sonst auf der Welt, den er verachtete, wie man nur einen Feind verachten kann, der ihm zwei Jahre seines Lebens zur Hölle gemacht hatte, der ihm den entscheidenen Schritt auf der Karriereleiter misslingen ließ, der täglich mit einer neuen und lästigeren Zusatzarbeit auf ihn gewartet hatte, ohne dass man ihm aus dem Weg hätte gehen können, der ihm misstraut hatte, der ihn gegen jedes menschliche Maß benachteiligt hatte, benachteiligt und schikaniert und ihn schließlich bis in die Krankheit gequält hatte. Zwei lange Jahre hatte er viel zu viel Gedanken an diesen Mann verschwendet und so auch seine letzten, jetzt wo er unter dem Eis abtrieb, abtrieb und starb.

Ein neuer Anfang

Aller Schmerz fiel von im ab, wie Fernsehbilder betrachtete er emotionslos die Unterwasserszenerie. Eisig gefrorene Wasserpflanzen bildeten einen klar-grünen Wald, ungleichmäßig schien das Sonnenlicht in Strahlenbündeln durch das Wasser, in dem er dahintrieb. Eben noch hatte sich seine ganze Energie im Hass konzentriert, alte, vergessen geglaubte Verachtung hatte ihn merkwürdigerweise gefangen, als er unter die Eisdecke gespült worden war, in den sicheren Tod im eiskalten Wasser. Und irgendwie musste diese seltsame Ablenkung vom letzten Ringen, vom alles entscheidenden Kampf, etwas nie zuvor Gewesenes bewirkt haben, denn auch als das Bild verblasste, das Bild dessen, den er wie nie einen Menschen zuvor abgelehnt hatte, der nie gekannten Widerwillen in ihm hervorgerufen hatte, wehrte er sich nicht dagegen, mit der Strömung zu treiben. Ohne Verwunderung über seine Verbundenheit mit der bizarren Unterwasserwelt, ganz ursprünglich und natürlich bewegte er sich im umschließenden Element, trieb flussabwärts und schaute die Wunder, die das Eis hier gezaubert hatte. Algen waren zu glasigen Ketten gefroren, mehrere Meter lange stalagtitenartige Eisgebilde ragten von der abschließenden Oberfläche in seine Welt, die Kälte wich aus seinem Körper, frei von den Belastungen der Oberwelt glitt er durch gestaltlose Eisformationen, die in unbeschreiblicher Schönheit funkelten, glitt er dahin ohne sich gegen die Strömung zu stemmen. Er wurde eins mit dem Treiben und der unbekannten Natur, die in klarem Blauschwarz, Weiß und Grün hell und unwirklich kontrastreich schimmerte. Ohne Hektik zog er seine Schlittschuhe und seine Jacke, die ihn jetzt nur mehr behinderten, aus, während er dahintrieb, an seinem Körper bildeten sich kleine Eiskristalle, die Haut war längst an die Färbung der Umgebung angepasst, und nichts daran war sonderbar, alles war völlig normal so. Am Ufer standen große Forellen, die sich im Winter hier aufhielten, weil der Fluss Sauerstoff mit sich brachte, Sauerstoff, den er nicht benötigte, wie selbstverständlich.
Zunächst suchte er vor allem die Sicht durch die Eisschicht nach oben und außen, dann tauchte er tiefer hinab, wo das Wasser klarer war, weil der Gehalt an Eis, das in unförmigen Brocken mit dem fließenden Wasser in den See trieb, an der Oberfläche anstieß, um sich endlich in bizarren Formationen ganz an der Eisschicht abzusetzen, hier unten immer geringer wurde. Die Strömung wurde langsam schwächer, sein neues Reich verbreiterte sich, wurde nach unten hin weit und dunkel, Raum zum Leben würde er hier genug haben. Einige Stunden durchmaß er den See, staunte über die Großartigkeit des bisher unbekannten Reichtums der Unterwasserwelt, erkundete die Uferregionen, meist jedoch schwamm er leicht wie ein Fisch, fast schien er zu fliegen, in Zeitlupe, wie schwerelos, am Grund des Sees, wo von Eisablagerungen die Pflanzenwelt starr und langsam winkte. Endlich fand er einen mächtigen Baumstamm, der, vom Wasser getränkt, irgendwann vor einigen Jahren hier hinab gesunken sein musste, und an dem sich noch weiteres Treibgut, Äste und Gestein, das der Fluss mit sich aus dem nahen Gebirge gebracht hatte, abgesetzt und so eine kleine Höhle gebildet hatte. Hier machte er eine erste Rast, zog sich mühelos an den Händen hinein, erschrak kurz, da ein aufgeschreckter Fisch das Weite suchte, und legte sich, soweit das möglich war, ab, um seine Situation das erste Mal nach mehreren Stunden zu überdenken. Wieder ging sein Blick nach oben, zur Helligkeit der Oberfläche, die Sonne musste die Wolkendecke durchbrochen haben, dann erst musterte er sich selbst. In seiner Kleidung hatte sich ein dichter Film aus Eiskristallen abgelegt, in dem auch einige Teile von Wasserpflanzen in Fäden hingen. Grünlich war sein Äußeres geworden, in der kurzen Zeit, die er jetzt erst da war.
Aber was war geschehen? Warum konnte er hier überleben? Zum ersten Mal schweiften seine Gedanken in diese eigentlich so naheliegende Richtung. Lange grübelte er über diese Laune der Natur, bis ihm die einzig plausible Erklärung kam, er musste wohl mit dem stärksten aller Gefühle, dem Hass, so sehr beschäftigt gewesen sein, dass er dabei das Sterben vernachlässigt, ja vergessen hatte. Nur so, und auch so nicht hinreichend, war das Wunder zu erklären, dass er nun ein Teil des zugefrorenen Sees war, nicht mehr Teil des hektischen Treibens an Land, nicht mehr abhängig von Licht, Wärme und Sauerstoff, sondern sich ohne Verpflichtungen am Grunde des Sees bewegte, als wäre er hier geboren worden, als Fisch. Abseits von Alltag, Arbeit, Pflicht, Bürokratie, so war noch ein zweiter logischer Grund für seinen unbeschwerten Aufenthalt unter der dicken Eisdecke gegeben: all das hatte sein verhasster Ausbilder verkörpert, und gegen ihn hatte er ja zuletzt gekämpft, nicht gegen die eisigen Fluten, und den Kampf gegen ihn und alles was er darstellte, hatte er scheinbar jetzt endlich, nach all den Jahren der Verdrängung, gewonnen. Die Natur hatte ihm eine zweite Chance gegeben, gegen diesen ungerechten und schikanösen Menschen anzutreten, und instinktiv hatte er dieses Mal alles richtig gemacht. Unverkrampft und gelöst war er in diesem Moment, als er die großen Zusammenhänge, die Gerechtigkeit der Natur erkannte, und lächelte, lächelte und schwamm davon.
Ein neues Ende

Dort, wo im Sommer der Badestrand war, hatten sich einige Schlittschuhläufer, so wie er noch vor Kurzem, jetzt nicht mehr, angesammelt, ihre Kreise zu ziehen, übers Eis zu gleiten. Vergnügtes Treiben war gedämpft durch die milchige Schicht zu hören, doch er beachtete es kaum, nur anfangs, als er in die Nähe gekommen war, hatte ihn kurz die Wehmut gepackt. Doch das war seine Welt nicht mehr, zu groß war der Abstand, zu fremd alles plötzlich, jetzt, da eine friedlichere Existenz ihm eröffnet worden war. Durch den Hass hatte er den Tod überwunden, war hindurchgegangen durch die Gefühlswelt, hatte sie verlassen und gedachte nicht zurückzukehren. Hell durchleuchtet, eiskalt und klar war sein neues Reich, wozu es aufgeben, sorgenfrei, einsam, warum gehen? Ohne Hektik, beinahe erhaben, steckte er sein Territorium ab, mit langen Schwimmzügen durch den gefrorenen See schwebend und nur leise und entfernt schabten noch die Kufen an seiner Welt. Die Distanz wurde immer größer zwischen den Menschen, wie wir sie kennen, und ihm, grünlich wurde seine Haut, glasig schimmernd.
Magisch zog ihn die breite Talsperre trotzdem noch an, als Kind war er in seinem früheren Leben hier oft mit seinen Eltern gestanden und hatte gestaunt, wie nur Kinder staunen können, jedes Mal, wenn sie geöffnet wurde, um tosende Wassermassen in schäumender weißer Gischt hinabstürzen zu lassen. Gegen Abend näherte er sich dem Gitter, das das Treibgut von der Schleuse zurückhielt, wo schon kein Eis mehr die Oberfläche bedeckte. Hier war also die neue Grenze seines Aufenthalts, doch als er sie berühren wollte, griff er ins Leere, fasste durch den bemoosten Stahl hindurch und glitt aus dem Staubecken hinab in den kanalisierten Fluss. Er folgte seinem Lauf, an den Lichtern, die die hereinbrechende Dunkelheit abmilderten, erkannte er die Häuser der Stadt, trieb vorbei an den Wohnsiedlungen, unter Brücken hindurch, zeitweilig entlang der Straße, dann wieder weg von der Zivilisation, zum nächsten Wehr, auch hier hindurch, immer weiter flussabwärts, immer weiter.
Und so nahm er denselben Weg, den er morgens in Richtung Berge gefahren war, flussabwärts, zurück durch kleinere Städtchen, immer wieder passierte er Staustufen, keine konnte ihn an seinem Weg hindern, abwärts, die ganze Nacht hindurch, in der Dunkelheit, immer weiter flussabwärts. Ungesehen trieb er mit den eisigen Massen, die Kleidung hing nurmehr in Lumpen an ihm, ein Wesen aus feuchter Tiefe war er geworden, binnen eines Tages.
Zwei Tage und zwei Nächte benötigte er auf seinem Weg, bis er wieder in der Stadt war, wo seine Reise in die Verwandlung ihren Ausgangspunkt gehabt hatte, und ohne einen festen Gedanken zu fassen durchquerte er auch die große Stadt, weit weg war alles Gewesene.
Und so kam er mit seinem Fluss, in dem er seine neue Identität gefunden hatte, in den großen, breiten Strom, der die Gebirgsflüsse in sich aufnahm, langsamer ging es voran, in ruhigem, unaufhaltsamem und mächtigem Fließen, weiter, einem unbekannten Ziel entgegen. Bald hatte er auch, ohne es zu bemerken, die Landesgrenze hinter sich gelassen, bedeutungslos waren die Grenzen der Menschen für ihn. Gewaltig wuchs der Strom an und nahm ihm alle Arbeit ab, wie ein Toter trieb er einige Meter unter der stellenweise gefrorenen Oberfläche mit, war Teil eines unglaublichen Ganzen. Nur seine körperliche Gestalt erinnerte noch ein wenig an seinen fleischlichen Ursprung, seine Gedanken waren bereits die Gedanken des Flusses, der ewig gleich ist und doch immer neu. Fließend, bewegungslos beobachtend in uralten Bahnen, wo seit Jahrtausenden schon alles im Fluss war. Die unzähligen Schleusen bemerkte er längst nicht mehr, Gitter, Stahl, all das waren keine Hindernisse mehr für ihn, lautlos und unspektakulär nahm ihn das Wasser mit hindurch, dem Ziel entgegen.
Das Klima hatte sich langsam verändert, der Strom, obgleich er flach und ruhig dahinfloss, war nur mehr von einzelnen Eisschollen bedeckt, es wurde wärmer, da ihre gemeinsamen Wege nach Süden gingen. Von ihren gemeinsamen Wegen ist nur noch zur Orientierung der Leser die Rede, längst war er völlig aufgegangen im treibenden Wasser, hatte sich aufgelöst, trotzdem noch immer emotionslos beobachtend, gelassen. Hunger und Kälte hatte er ja schon zu Beginn hinter sich gelassen, nun auch seinen Körper, nur Geist war es noch, was da im Fluss dem Meer sich stetig näherte.
Breiter wurde das Bett des Flusses, gerade und eben floss er dahin, seinem ewigen Ziel entgegen, obwohl er es immer schon erreicht hatte und doch nie dort ankam. Und mit ihm der entmaterialisierte Geist, der alles regungslos wahrnahm. So erreichten sie das Meer, das deutlich wärmer war, die Strömung verlor sich, einige Kilometer trieb er noch, immer langsamer jetzt, hinaus auf die offene, ruhige See, wo er kurz innehielt, um dann von einer sanften Brise erfasst zu werden, die ihn mit sich hinaufnahm, immer höher hinauf, wo er eins wurde mit den Lüften und sich endlich verteilte und aufhörte zu sein. Verweht von leichten, warmen Winden, lautlos und sanft.
 
Hallo Rainer

Da ich einige Tage verreist war, komme ich erst jetzt dazu, Deine Geschichte zu lesen. Da hätte ich ja beinahe etwas verpasst!
Großes Kompliment. Ich bin tief beeindruckt von der klaren Gliederung und vom Inhalt der Erzählung. Selbst die relativ langen Sätze ( die ich sonst nicht besonders mag ) stören hier keinesfalls, weil sie die Handlung tragen und echt gut formuliert sind.
Warum nur, frage ich mich, antworten so wenige Mitglieder auf diesen Text. Hier lohnt sich doch wirklich das Lesen.
Viele Grüße
Willi
 

Rainer Heiß

Mitglied
Danke für das Lob

Hi Willy,

freut mich, dass doch noch jemand auf diese Geschichte antwortet, wahrscheinlich habe ich so manchen mit anderen Stories abgeschreckt. Dass dir die Gliederung zusagt, wundert nmich ein bisschen, weil sie in der Reihenfolge 2, 3, 1, 4 entstanden sind. Zuerst musste am Schluss auch wieder jemand sterben, weil ich Happy-Ends irgendwie nicht draufhab`. Erst später habe ich mich dazu entschlossen, die Sache um- und auszubauen. Deshalb wiederholt sich auch diese Karrieresache, die ich womöglich noch verändern sollte.
Zumindest danke für die Reaktion!
Grüße, Rainer
 
Hallo Rainer

Natürlich habe ich erkannt, dass Du mit verschiedenen Versionen arbeitest. Hier den Leser bei der Stange zu halten erfordert eine klare Gliederung. Das ist Dir hervorragend gelungen.
So also war mein Lob von vorhin gemeint.
Liebe Grüße
Willi
 



 
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