Ankunft verschoben

Astrid

Mitglied
Ankunft verschoben

„Es ist schön hier.“
So lautet der erste Satz aus der „großen Erzählung“ Ich habe den Text gelernt, ein paar Seiten davon, um dir näher zu sein, etwas mit dir zu teilen. Denn du wirst sie spielen als Solo auf der Bühne

Es ist schön hier. Die Textseiten sind mittlerweile ungeordnet, liegen lose verstreut zwischen anderen oder verkehrt herum im Drucker, weil ich die leere Rückseite nutzen will. Ich kenne den Text ja.

Als ich ihn spielte vor Elisabeth, der Schauspielerin, war es doch eher eine Lesung und die Gesten so winzig und die Stimme so schwach, und meine Wangen glühten, als würde ich etwas Verbotenes tun.
Ich war Kind. Das Kind, dem die Eltern sagten: „Lauf langsam, hopse nicht, sei ruhig und benimm dich!“
Das Kind, welches der Vater später dann ermahnte: „Sage doch auch mal was, bist ja so still!“

Elisabeth zeigte mir, wie es besser geht und wie ich den Text fühlen kann und dass der Zuschauer das sehen kann und muss, wie ich das fühle.
Wo ich doch das Fühlen bisher so gut versteckte.

Kontrolle. Der Vater kontrollierte. Gefühle passten nicht dazu. Doch meine Gefühle waren bereits gegen seine Kontrolle gestoßen.
Nun soll ich sie freilegen, zeigen, mich entblößen? Den Vorhang öffnen.

„Den Vorhang aufzuheben und dahinter zu treten. Das ist alles!“ Eine Karte mit diesem Satz steckt im Rahmen auf meinem Schreibtisch.

Blau ist sie. Ich mag blau. Das Auto, welches mein Herz höher schlagen ließ, wenn es nur vor meinem Haus stand, war auch blau.
Dieses Auto gibt es nicht mehr. Ein Unfall.
Es geht so Vieles, verschwindet einfach aus meinem Leben.

Es ist schön hier.

Ich sitze am Fenster und blicke in einen Hof, der zu klein ist für die vielen Fenster, die ihn blockweise umrahmen.
Nein, es ist nicht schön hier. Mir fehlt der freie Blick in den Himmel.

Der Text macht mich traurig. Die traurigsten Stellen liegen jetzt im Drucker.

Vielleicht ziehe ich noch einmal um. Dann reihe ich mich ein in das Verschwinden und verschwinde auch einfach aus meinem Leben…

Der Vorhang ist blau. Der gelernte Text zerbröckelt in meinem Kopf. Ich weiß, dass er mich dir nicht näher bringen wird. Vielleicht will ich das auch gar nicht.

Vielleicht will ich nur näher zu mir?

Den Vorhang aufheben und dahintertreten. So einfach.
 



 
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