Appetitmacher

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"Na, wo drückt denn der Schuh, junger Freund?"

Stand man im Wagonflur des Abendzugs 812, Mannheim-Hamburg, gab einem die gläserne Abteiltür den Blick auf die tief stehende Sonne frei. Ruhig lag sie rechts im Fensterwinkel, streng im Takt von schwarzen Oberleitungsmasten durchschnitten. Herbstfarbend wärmte sie das Abteil und dessen zwei Insassen. Der eine, ein junger Mann Mitte Dreißig, konnte seine Augen von dem Licht nicht lassen, ganz als erhoffe er sich von ihm das Glätten der Sorgenfalten. Der andere, ebenfalls junge Mann, schaute dem Beladenen zu bis er nicht mehr an sich halten konnte und fortfuhr:

"Wenn da mal nicht eine Frau dahinter steckt. Einen Zwanziger, dass ich nicht schief liege!"

"Weder Schuh noch Frau. Behalten Sie lieber Ihr Geld."

riet ihm der Nachdenkliche. Franz Freund reute es sogleich, den Ball zurück gespielt zu haben. Mehr noch reute ihm aber seine Nachlässigkeit, der Schalterdame keine Großraumwagenreservierung aufgetragen zu haben. Großraumwagons bieten Schutz in der Anonymität. Alleinsein in der Menge - das leisten sechssitzige Zugabteils nicht. Schon dreimal nicht, wenn nur Zwei drin sitzen.
Obgleich Franz zugeben musste, dass ihm die Antwort ohne Widerwillen von dem Lippen gegangen war. Sein Nachbar hatte eine eigentümliche Art an sich, einem jegliche Scheu zu nehmen. Richard Feuerbach hieß jener. Ein lebensfroher Charakter, aufgeschlossen allem gegenüber, was Abwechslung versprach. Die roten, naturgelockten Haare kontrastierten zur Bräune seiner Haut. Das Gesicht scharf geschnitten, die ganze Erscheinung von vorzüglicher Haltung und Stil. Franz schien es, als komme sein Gegenüber aus einer längst vergangenen Epoche und hatte sich lediglich im Jahrhundert geirrt.

"Wie kommen Sie darauf, mein Schuh drückt?"

"Na hören Sie mal, man muss schon mit Blindheit geschlagen sein, um die Zerknirschung in Ihren Zügen zu übersehen. Das Leben hat mich schon durch so manche Weltgegend gespült. Da lernt man zwangsläufig, Zerknirschung von Entspanntheit zu unterscheiden, das können sie mir glauben. Also, wo klemmt's Kamerad?"

"Nix klemmt 'Kamerad'! Und Probleme mit Frauen hab ich auch nicht.... Ich hab' eins ohne."

"Sapperlot, jetzt hol mich aber der Teufel!
Aber verzeihen Sie meine Unhöflichkeit... vor lauter Neugier. Gestatten? Richard Feuerbach, Privatier."

"Privatier? Sieh an! Angenehm, Franz Freund, Schriftsteller.
Aber sagen Sie mir, Herr Feuerbach, was brächte mich dazu, einem mir unbekannten 'Privatier' meinen Kummer auszuschütten?"

"Oh, das bleibt Ihnen selbstredend unbenommen, werter Freund, aber sie sollten wissen, dass ich unter den Menschen, die mich näher kennen, als ein recht passabler Problemlöser gelte. Ich glaube nicht zu übertreiben, wenn ich sage, dass es noch kein Schlamassel geschafft hat, meiner Kunst zu trotzen."

"Wie sie meinen, Feuerbach, aber vor meiner Misere kapitulieren selbst Sie, da bin ich mir sicher."

Franz hatte sein Gegenüber beim Nachnamen genannt ohne 'Herr' vorne dran, Seiner Ansicht nach tun das Schriftsteller so. Seine Berufsbezeichnung bereitet ihm dennoch noch ein wenig Bauchweh, zugleich aber auch -kribbeln. Er bedient sich ihrer noch nicht lange. Landläufig geht man ja davon aus, dass Schriftsteller erst zu solchen werden, wenn ein Werk von ihnen gedruckt vorliegt. Auch Franz war früher dieser engen Betrachtung oblegen gewesen, hatte seine Sichtweise mittlerweile jedoch entspannt. Bis vor Kurzem traf das Bonmot zu:
"Er ist sehr berühmt, es hat sich nur noch nicht herumgesprochen!"
Seit einiger Zeit begann es sich jedoch herumzusprechen. Ob es sich dabei schon um Berühmtheit und nicht viel mehr um Bekanntheit handelt, wird die Zeit weisen.

"Schauen Sie, Feuerbach, ich bin kein Freund groβer Worte, zumindest nicht gesprochener. Verliehe man für Zurückhaltung Medaillen, ich bekäme die goldene. Warum es im Moment aus mir heraus will, ist mir schleierhaft. Ich tippe auf die Brisanz meiner Lage. Sie scheinen mir ein anständiger Kerl zu sein, wenn auch ein etwas altmodischer, und die Wahrscheinlichkeit eines Wiedersehens nach unserer Ankunft ist gering. Jetzt haben wir uns 36 Jahre nicht getroffen - halten wir diesen Rhythmus, dann ist meine Geschichte bei Ihnen sicher."

"Gewiss. Und, wer weiß, vielleicht lässt sich ja der Knoten lösen, den sie offensichtlich für so fix halten. Nur frei von der Leber weg, ihr Stil gefällt mir!"

"Täuschen Sie sich mal nicht. Ich habe da wenig Hoffnung. Um die Situation verständlich zumachen, muss ich wohl ein wenig ausholen. Eigentlich muss ich sogar kräftig ausholen - bis zurück in meine Kindheit."

"Nur zu, wir haben Zeit. Hamburg ist noch fern."
 
N

nobody

Gast
Ein Fragment? Soll evtl. auf eine Fortsetzung Appetit gemacht werden? Der langen Rede kurzer Sinn ist - ja was?
Also, als Erzählung würde ich das nicht durchgehen lassen. Vielleicht als sehr, sehr lange Einleitung.
Oder bin ich so blöd, dass ich den Sinn nicht begreife?
Gruß Franz
 
Keine Bange Kollege, nicht zu doof. Ist schlichtweg das erste Kapitel meines noch zu schreibenden Weltromans, das ich nur nicht wusste, wo hier passend einzustellen. In diesem Sinne war die Appetitmacherei gedacht- Appetit auf den Restroman.

Gruß, P.
 



 
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